Dr. Birgit Beisheim: „Wer Menschen nur nach Leistungsmerkmalen bewertet, der verliert die Chance auf eine Gesellschaft, die Stärken aus ihrer Vielfalt zieht.“

Antrag der CDU zur chemischen Industrie

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Wüst, prinzipiell teile ich genauso wie Herr Kollege van den Berg Ihre Sorgen um die Zukunft des Industriestandorts hier in Nordrhein-Westfalen. Ich bin ganz bei Ihnen, wenn Sie zu Beginn Ihres Antrags die Bedeutung der chemischen Industrie gerade für Nordrhein-Westfalen hervorheben.
Liest man Ihren Antrag aber weiter, stellt sich – Herr Kollege van den Berg hat es schon angedeutet – eine gewisse Enttäuschung darüber ein, dass eigene Impulse durch Sie schlichtweg fehlen.
(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])
Im Beschlussteil Ihres Antrags befindet sich wieder einer dieser bunten Sträuße von angeblich falschen Rahmensetzungen der Landesregierung, die diesmal die Zukunft des Chemiestandorts Nordrhein-Westfalen gefährden sollen.
Im Mittelteil erwähnen Sie zu Recht Megatrends wie den demografischen Wandel, den Wandel bei der Mobilität oder den Klimawandel. Diese sind bei der Erstellung von Zukunftsszenarien unverzichtbar. Doch die Schlüsse, die Sie daraus ziehen, Herr Wüst, sind in großen Teilen aber einfach Unfug.
Lassen Sie mich mit Punkt 8 zur Verkehrsinfrastruktur beginnen. Diesen Punkt kann man schnell unter der Kategorie „absichtliches Foulspiel“ einfach abhaken.
Weiter geht es mit Punkt 5. Ich kann nicht auf jeden dieser Punkte eingehen. Das möchte ich auch gar nicht. In Punkt 5 beschäftigen Sie sich aber mit Maßnahmen zur Fachkräftesicherung.
Zum einen kann ich Ihnen auch als Frau nur erklären – Sie weisen ja gerade an dieser Stelle wieder darauf hin, dass Sie Frauen aktivieren möchten –: Man kann den Ansatz nicht so benutzen, wie Sie das tun, indem Sie Frauen als reines Arbeitsreservoir betrachten. Der Schlüssel ist im Endeffekt, dass Sie endlich begreifen, dass die Ausgestaltung einer familienfreundlichen Arbeitswelt für Frauen und Männer mehr ist als der bloße Ausbau unternehmenskonformer Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zum anderen sprechen Sie über die gezielte Werbung ausländischer Fachkräfte. Hier erinnere ich an den Ausspruch von Max Frisch: „Wir haben Arbeitskräfte gerufen, und es sind Menschen gekommen.“ Sie scheinen aus dieser Debatte schlichtweg nichts gelernt zu haben; denn wer Menschen nur nach Leistungsmerkmalen bewertet, wie Sie es hier tun, der verliert die Chance auf eine Gesellschaft, die Stärken aus ihrer Vielfalt zieht.
Punkt 4 – zum Schluss möchte ich darauf eingehen – hat es wirklich in sich. Sie fordern beschleunigte Genehmigungsverfahren gerade auch für Pipeline-Projekte. In Anbetracht der bisher nachgewiesenen Planungsfehler und des intransparenten Vorgehens des Anlagenbetreibers beim Beispiel der CO-Pipeline ist das schon eine Ungeheuerlichkeit.
Jenseits aller Polemik möchte ich Ihnen als juristischer Laie sagen: In unserem Rechtsstaat gilt nicht das Recht des Stärkeren. Es ist richtig, die Durchsetzung der Interessen der Einzelnen mit ausreichenden Rechtsmitteln auszustatten. An diesem hohen Rechtsgut sollten wir alle festhalten.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Außerdem sollte eine hohe Akzeptanz von großen Industrieprojekten einem beschleunigten Verfahren vorgezogen werden. Zudem ist die Bestandskraft der Genehmigung bei einer umfangreichen Öffentlichkeitsbeteiligung höher und bringt damit einem Betreiber einer Anlage mehr Sicherheit.
Sie haben es schon angedeutet: Seit gestern liegt uns ein Gutachten vor, nämlich das Gutachten der Landesregierung zu CO-Pipeline. Ich möchte betonen, dass die Zahlen dort vom Unternehmen selber zugeliefert worden sind. Es ist wirklich erstaunlich und scheint so, dass der Ausbau der CO-Erzeugungseinheiten an beiden Standorten tatsächlich wirtschaftlicher sein könnte als der Transport durch die Pipeline. Dieses Ergebnis sollte Bayer doch endgültig zum Umdenken bringen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Letztlich ist der Antrag ein fadenscheiniger Versuch, im Umfeld der anstehenden Gerichtsentscheide das Thema CO-Pipeline erneut in den Landtag einzubringen. Denn wir alle – gerade die, die aus den Regionen und Städten kommen, die von der CO-Pipeline betroffen sind – wissen: 2014 ist das Jahr der Entscheidung. Auch die hier anwesenden Initiativen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Versuch aufs Schärfste zu verurteilen ist.
Ich werde jetzt diesen Strauß nicht zurückgeben, Herr Wüst. Wir sehen uns im Ausschuss. Bis dahin wünsche ich Ihnen: Mögen Ihre Gedanken heller werden! – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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