Dennis Sonne: „Wir wollen starke Sozialpartner und eine umfassende Tarifbindung“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zur Tarifbindung

Portrait Dennis Sonne

Dennis Sonne (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ich bin heute als Vertretung für Jule Wenzel hier, die leider erkrankt ist. Jule Wenzel, herzliche Genesungswünsche aus dem Plenum nach Hause.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Es ist leider so, dass die Tarifbindung in unserem Land rückläufig ist. Laut dem WSI wurden im Jahr 1996 noch 82 % der Beschäftigten nach Tarif bezahlt. Im Jahr 2020 waren es nur noch 57 %.

Dieser Trend nach unten ist erschreckend. Ich habe den Eindruck, dass die Bedeutung der Tarifbindung viel zu häufig unterschätzt wird. Ganz überwiegend wird über den Mindestlohn gesprochen. Ein ausreichend hoher Mindestlohn ist als untere Grenze des Einkommens richtig und wichtig, aber erst die Tarifbindung sorgt für faire und gute Löhne für die Arbeitnehmer*innen.

Die Erfahrung zeigt: Wenn die Tarifbindung bröckelt, gerät auch die Mittelschicht unter Druck, weil die Löhne nicht mehr mit den allgemeinen Kostensteigerungen Schritt halten und gleichzeitig Arbeitsbedingungen immer unsicherer werden. Genau das haben wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten beobachtet, und dies ist auch ein Grund für Demokratiemüdigkeit.

Für viele der Beschäftigten hat ein Tarifvertrag handfeste Vorteile. Um die bessere Bezahlung konkret zu machen: Eine neue Analyse des DGB zeigt, dass Beschäftigte, die nach Tarif bezahlt werden, im Jahr durchschnittlich 3.022 Euro netto mehr in der Tasche haben.

Die Vorteile gehen aber weit über die Bezahlung hinaus; Frau Teschlade hat es in ihrem Redebeitrag gerade erläutert. Beschäftigte erhalten viel häufiger Urlaubs- und Weihnachtsgeld, und sie haben kürzere Arbeitszeiten und mehr Urlaubstage. Vor allem haben Tarifbeschäftigte aber besonders in Krisenzeiten zum Beispiel durch Regeln beim Kurzarbeitergeld mehr Sicherheit.

Eine hohe Tarifbindung ist aber nicht nur für die einzelnen Beschäftigten wichtig, sondern sie kommt der gesamten Wirtschaft und der Gesellschaft zugute. Studien zeigen, dass Betriebe mit einer Tarifbindung erfolgreicher sind. Die Beschäftigten sind motivierter, und die Produktivität ist höher. Außerdem ist die Bindung an das Unternehmen stärker.

Des Weiteren schaffen Flächentarifverträge faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Unternehmen, indem sie Lohndumping und eine Ausbeutung vermeiden. Denn wenn Unternehmen nicht über schlechte Arbeitsbedingungen konkurrieren können, dann müssen sie über Qualität und Quantität konkurrieren.

Die schwarz-grüne Landesregierung hat im Koalitionsvertrag klar Position bezogen. Wir wollen starke Sozialpartner und eine umfassende Tarifbindung. Die Landesregierung arbeitet deswegen bereits an einer neuen Tariftreueregelung.

Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen müssen ökologische und soziale Standards sowie Tarifbindungen verbindlich berücksichtigt werden. Von daher geht der Antrag der SPD in die richtige Richtung.

Wir als Land wollen aber darüber hinausgehen und haben uns deshalb in unserer Koalition darauf verständigt, eine nachhaltige Beschaffungspraxis bei der Landesverwaltung in den Blick zu nehmen. Ebenso ist es wichtig, Vergabestellen fortzubilden und zu beraten sowie die Städte und Gemeinden bei Ausschreibungen in Bezug auf Nachhaltigkeit und Tariftreue zu unterstützen.

An all dem arbeiten wir. Die Details eines wirksamen Vergabegesetzes sind jedoch alles andere als einfach. In Wirklichkeit ist es schwierig, die Tariftreue bei jeder Auftragsvergabe zu gewährleisten und zu kontrollieren. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Subunternehmen oder sogar „Subsubunternehmen“ involviert sind. Gleichzeitig arbeitet der Bund an einem neuen Tariftreuegesetz.

All das müssen wir berücksichtigen, damit wir am Ende ein wirksames Vergabegesetz haben.

Der Antrag der SPD fordert zusätzlich Maßnahmen gegen prekäre Beschäftigungen. Auch hier ist die Landesregierung bereits aktiv. So hat das MAGS trotz der schwierigen Haushaltslage mit den „Beratungsstellen Arbeit“ eine flächendeckende Unterstützung und Beratungsstruktur für Betroffene geschaffen.

Zudem gibt es viele weitere Angebote. Ein Beispiel ist das Projekt „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten!“, im Zuge dessen die Beschäftigten in ihrer Muttersprache hinsichtlich der Durchsetzung ihrer Rechte beraten werden. Des Weiteren bietet NRW im Bereich der Pflege mit dem „Pflegewegweiser NRW“ viele Informationen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sowie eine telefonische Beratung für Live-In-Kräfte.

Wir teilen also die Ziele des Antrags einer höheren Tarifbindung und die Eindämmung von prekärer Beschäftigung. Die Forderungen des Antrags bedarf es hingegen nicht, weil die Landesregierung an vielen Stellen bereits aktiv ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Nordrhein-Westfalen wieder Vorreiter für faire und gerechte Arbeitsbedingungen wird. Nur so können wir unserem Anspruch gerecht werden, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten.

An einigen Stellen stimmen wir mit dem vorliegenden Antrag nicht überein. Dennoch stimmen wir der Überweisung des Antrags in den Ausschuss selbstverständlich zu und freuen uns auf die weiteren Beratungen zu diesem wichtigen Thema. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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