Dennis Sonne: „Von Barrierefreiheit profitieren alle“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNEN im Landtag zur Mobilität für alle

Portrait Dennis Sonne

Der Antrag „Mobilität für alle: Barrierefreiheit im ÖPNV weiter voranbringen“

Dennis Sonne (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Am letzten Samstag bin ich mit dem Zug von Hamm nach Hannover gefahren, um ein partei- und länderübergreifendes Treffen aller Abgeordneten mit Behinderungen zu besuchen. Meine Reise mit dem Zug war ähnlich wie viele bisher.

Dazu gehörte auch das Problem, vor dem ich stand. Vom Bahnhof Hannover sollte meine Reise mit der Straßenbahn weitergehen. Dazu wäre es nötig gewesen, mit dem Fahrstuhl ein Stockwerk tiefer zu fahren. Problem: Der Fahrstuhl war defekt.

Viele von euch kennen mich und wissen – häufig durch ein Liveerlebnis –, dass ich ein pragmatischer Typ bin und genügend Kraft und Mut besitze, um in solchen Situationen die Rolltreppe zu nutzen. Als Rollstuhlfahrer, wohlgemerkt, ist das körperlich anstrengend und nicht immer unfallfrei durchführbar.

Am Straßenbahngleis angelangt, stellte sich dann heraus: falsches Gleis. Somit ging es für mich – natürlich mit der Rolltreppe – wieder nach oben, Gleiswechsel. Doch nun stand ich vor einem Problem, das nicht mehr lösbar war: An diesem Gleis war neben dem Fahrstuhl auch die Rolltreppe kaputt. Es war das Ende meiner Reise mit dem ÖPNV. Ich rollte die 20 Minuten vom Bahnhof zum niedersächsischen Landtag und verspätete mich.

Warum erzähle ich von diesem Erlebnis, das gar nicht hier in NRW stattfand? Ganz einfach: Es ist das neueste Beispiel einer Reihe negativer Erlebnisse. Eigentlich passiert es mir mehrmals im Monat, dass ich meine Planung über den Haufen werfen muss oder verspätet zu Terminen erscheine, da ich den ÖPNV nicht oder nur eingeschränkt nutzen kann. Ich bin jedoch nur einer von vielen und vielleicht jemand, der mobiler als andere ist.

Mobilität betrifft uns alle. Um an der Gesellschaft teilhaben zu können, muss sich jeder Mensch von A nach B bewegen können. Für Menschen mit Mobilitätseinschränkung, für ältere Menschen, für Eltern mit Kindern im Kinderwagen oder für Menschen mit temporären Verletzungen ist Mobilität allerdings häufig mit großen Schwierigkeiten behaftet.

Ich sage immer: Von Barrierefreiheit profitieren alle.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Alle können dank Barrierefreiheit teilhaben. Genauso müssen wir das Thema hier im Parlament behandeln. Es betrifft jeden früher oder später. Wir müssen Barrierefreiheit abfeiern. Wir müssen das Positive sehen. Dazu reicht eine simple Pro-und-Kontra-Liste. Man merkt schnell, dass Barrierefreiheit nur Pro-Argumente liefert.

Jeder zehnte Mensch in NRW lebt mit einer Behinderung. Dazu kommt noch der demografische Wandel, der uns schon jetzt klar aufzeigt, dass es in nicht allzu weiter Ferne viele ältere Menschen in unserer Gesellschaft geben wird, die mit altersbedingten Behinderungen werden leben müssen.

Wenn wir es also richtig machen wollen, dann müssen wir jede von uns als Land initiierte Maßnahme von Beginn an barrierefrei und inklusiv denken und planen.

(Beifall von Jan Matzoll [GRÜNE])

Es ist ein ähnliches Prinzip wie bei der Energieeffizienz: Von Beginn an energieeffizient zu bauen, ist deutlich wirtschaftlicher, als Bestehendes energieeffizient zu modernisieren. Von Beginn an Barrierefreiheit mitzudenken und auch zu realisieren, wird daher langfristig kostengünstiger sein.

Uns fehlen in NRW knapp 150.000 Arbeitskräfte. Es gibt einen Mangel im Beruf: in der Erziehung, in der Pflege, im Handwerk und auch in der Gastronomie. Auf der anderen Seite sind 50.000 Menschen mit Behinderung, die zum Großteil eine gute abgeschlossene Berufsausbildung haben oder Akademiker*innen sind, arbeitslos gemeldet. Diese Menschen sind ein großer Gewinn für den Arbeitsmarkt. Diese Menschen wollen teilhaben. Sie wollen helfen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Und ich weiß, dass sie es können. Allerdings benötigen sie Mobilität, um den Arbeitsplatz zu erreichen.

15 Jahre UN-BRK: Wir feiern dieses Jahr ein Jubiläum, liebe Kolleginnen und Kollegen. Am 26. März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft getreten. Es liegt an uns, an diesem Parlament, dafür zu sorgen, dass wir den Menschen die Rechte gewähren, die ihnen zustehen, nämlich die uneingeschränkte Teilhabe am Leben.

Mobilität ist hierbei der Dreh- und Angelpunkt von allem, egal ob es um das Wahrnehmen von Terminen geht, um den Arbeitsweg, um Besuche von barrierefreien Spielplätzen oder um die Teilhabe an der Bildungsgerechtigkeit in inklusiven Schulen.

Dieser Antrag wird nicht von heute auf morgen alle Bus- und Bahnhaltestellen in NRW barrierefrei machen. Dieser Antrag beinhaltet aber wichtige Punkte, durch die wir es schaffen können, mittelfristig Barrierefreiheit in NRW herzustellen. Der bürokratische Aufwand für Förderanträge wird verringert. Die Partizipation mit den Fachverbänden wird gestärkt. Die seit Jahren bestehenden gesetzlichen Regelungen werden endlich forciert.

Um die Zeit bis zur Barrierefreiheit als mittelfristiges Ziel zu überbrücken, sorgen wir für Transparenz. Mit einer barrierefrei nutzbaren App sorgen wir in Zukunft für etwas, was deutschlandweit ein Novum ist: Wir machen transparent, wie barrierefrei es vor Ort an Haltestellen für Bus und Bahn ist. Gibt es einen Aufzug? Funktioniert der Aufzug? Wo, also an welchem Abschnitt am Gleis, muss ich sein, damit ich in das richtige Abteil einsteigen kann? – All diese Fragen sollen mit einer barrierefrei nutzbaren App beantwortet werden. Wenn der Fahrstuhl nicht fährt, kann diese Information mithilfe eines Mängelmelders digital und schnell an die zuständige Stelle weitergeleitet werden.

Wir ermöglichen Teilhabe in NRW, entwickeln mithilfe der App möglicherweise ein Leuchtturmprojekt für die anderen Bundesländer und stoßen vielleicht sogar Teilhabe und Transparenz für das gesamte Bundesgebiet an. Lasst uns also jetzt die Weichen für Barrierefreiheit im ÖPNV stellen. Ich bitte um Zustimmung.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD