Dennis Sonne (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ich möchte heute mit einem Blick zurück beginnen. Heute vor 31 Jahren wurde zum ersten Mal der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung begangen – ein Protesttag, welcher von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben Deutschland ins Leben gerufen wurde, ein Protesttag, geboren aus der Notwendigkeit, auf Menschen mit Behinderung, auf ihre fehlenden Rechte und ihre zu geringe Sichtbarkeit in der Gesellschaft aufmerksam zu machen.
In diesem Jahr steht der Protesttag unter dem Motto „Zukunft barrierefrei gestalten“.
Ich möchte jetzt meinen Blick in die Gegenwart, auf uns, auf das Heute richten. Wie steht es 31 Jahre nach dem Ausruf des Protesttags um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung?
In Nordrhein-Westfalen leben rund 1,9 Millionen Menschen mit Behinderung. Bedingt durch den demografischen Mandel stößt bereits jeder dritte Mensch in Nordrhein-Westfalen auf altersbedingte Barrieren.
Fast jeder dieser Menschen hat in seinem Lebensalltag bereits Diskriminierung erfahren. Dabei fängt Diskriminierung bereits im Kleinen an: wenn ein Mensch, der gehörlos ist, die Stadtverwaltung aufsucht und sich nicht verständigen kann, wenn Großeltern mit dem schwerbehinderten Enkelkind auf den Spielplatz möchten, der Besuch dort aber aufgrund unüberwindbarer Hürden scheitert – für Enkel und Großeltern. Die zwei beschriebenen Situationen stellen für viele Menschen etwas Kleines, unbedeutende kurze Momente im Leben dar. Für viele andere Menschen stellen sie aber eine enorme Herausforderung, gar eine Herabsetzung dar.
Aber auch bei großen Fragen der Lebensgestaltung zieht sich die Diskriminierung von behinderten Menschen durch: Barrieren im ÖPNV, Schulen oder Ausbildungsstätten, die nicht barrierefrei neu oder umgebaut wurden, Betriebe, die nicht auf die Vielfalt der Menschen eingehen und somit Barrieren in den verschiedensten Bereichen aufweisen. Da muss sich auch die Regierung in der Verantwortung sehen, denn noch immer erfüllen nicht alle Betriebe ihre Pflicht zur Beschäftigung behinderter Menschen.
Wo sich andere Menschen bewusst für oder gegen einen Beruf oder eine Ausbildung aus einem breiten Spektrum von Angeboten entscheiden, haben behinderte Menschen diese Möglichkeit nicht. Sie können nicht selbstbestimmt an der Bildungs- und Arbeitswelt teilnehmen.
Die bestehenden Barrieren im Alltag und bei der Lebensgestaltung werden zukünftig aufgrund des demografischen Wandels noch deutlich mehr Menschen betreffen, als sie es bisher tun. Der Ausbau von Barrierefreiheit und die Etablierung eines inklusiven Grundgedankens kommen letztendlich allen Menschen in NRW zugute.
Vor dem Hintergrund des geschilderten Ist-Zustands blicke ich erneut zurück: 31 Jahre Einsatz für die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung. Jeder Mensch hat das Recht auf Würde. Dennoch zeigt sich eine immense Kluft zwischen dem in unserem Grundgesetz verankerten Anspruch auf Gleichberechtigung und der Lebensrealität vieler Menschen. Nicht jeder Mensch in NRW ist frei und uneingeschränkt in der Wahl der Freizeitgestaltung, des Bildungswesens, in der Wahl des Arbeitsplatzes. Nicht jeder Mensch kann gleichberechtigt am Leben und an der Gesellschaft teilhaben oder ein selbstbestimmtes, geschweige denn selbstständiges Leben führen. Das widerspricht ganz klar meinem Verständnis von einer Gesellschaft, die jedem Menschen die gleiche Würde und somit die gleichen Rechte zukommen lässt, die keinen Menschen diskriminiert.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und Josef Neumann [SPD])
„Zukunft barrierefrei gestalten“, dem diesjährigen Motto des Protesttags stellen wir uns, denn wir, Grüne und CDU, stellen uns mit diesem Antrag dem ewigen „später“, „wozu?“, „für wen?“ entgegen und wollen, können und werden etwas verändern. Wir schätzen die Vielfalt der Menschen in unserem Land und fördern eine zukunftsfähige Gesellschaft, in welcher jeder Mensch selbstbestimmt und diskriminierungsfrei leben kann.
Bisher fehlt in NRW ein Landesantidiskriminierungsgesetz, welches die Rechte aller Menschen zusätzlich schützt. Es ist wichtig, dass auch wir in NRW die Schutzlücke zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz schließen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Dieses soll nun gemeinsam mit einer Antidiskriminierungsstelle auf Landesebene entwickelt werden.
Auch den Bereich „Arbeit“ werden wir angehen. Zu wenige Betriebe beschäftigen behinderte Menschen, obwohl diese einen Mehrgewinn für den Betrieb und die Gesellschaft darstellen. Nur durch mehr Inklusion und eine stärkere Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung kann auch die Arbeitswelt ein Spiegel der Gesellschaft sein.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)
Deshalb werden wir die Einstellung von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt verbessern, Unternehmen stärker auf ihre Beschäftigungspflicht hinweisen und sie dabei unterstützen.
Auch die Landesregierung wird hier als gutes Beispiel vorangehen. Zukünftig sollen mindestens 5 % der Neueinstellungen Menschen mit Behinderung sein. So wird sich auch in der Landesverwaltung die Vielfalt des Landes widerspiegeln.
Durch die Förderung von Barrierefreiheit, Inklusion, Aufklärung und Prävention sprechen wir jedem Menschen die gleichen Rechte und die gleiche Würde zu. Wir gehen hier wichtige Punkte an. Das ist zugleich so einfach.
Der Antrag selbst zeigt – auch durch die bisherige Resonanz –, wie wichtig und wie einfach es ist, an alle Menschen und somit auch an Barrierefreiheit zu denken. Dieser Antrag ist der erste Antrag, welcher im NRW-Parlament auch in Leichter Sprache verfasst und zur Verfügung gestellt wurde.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Ich kann mit Gewissheit sagen: Mit der Barrierefreiheit dieses Antrages achten wir die Vielfalt der Menschen – und es war nicht schwer, dies zu tun.
Blicken wir also nach vorne. Blicken wir in eine Zukunft, die wir jetzt barrierefrei, inklusiv und zukunftsfähig gestalten. Ich bitte um Unterstützung. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)