Dennis Sonne: „Chancengleichheit nur mit inklusiver Bildung“

Zum Antrag der SPD-Fraktion auf Einsetzung einer Enquete-Kommission "Chancengleichheit"

Portrait Dennis Sonne

Dennis Sonne (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Es gibt ein sehr bekanntes Zitat von John F. Kennedy: „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“

Dieses Zitat fasse ich hier und heute weiter, denn Chancenungleichheit im Bildungssystem ist etwas, was so teuer ist, dass wir es uns nicht leisten können. Damit meine ich nicht nur die finanziellen Kosten.

Liebe SPD, Sie haben in Ihrem Antrag ein Zitat des Deutschen Kinderhilfswerks aufgeführt, das in vielen Punkten genau so im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist: Alle Kinder, unabhängig von Herkunft, sozialem Hintergrund oder Behinderungen, sollen von guter Bildung profitieren. Dabei sollen Kinder an allen Schulen willkommen sein und zu ihrem bestmöglichen Abschluss begleitet werden.

Wenn man Schüler*innen – in diesem Fall aus einer siebten Klasse – fragt, was ihnen zum Stichwort „Bildungsgerechtigkeit“ einfällt, dann sind es die Schlagworte „Motivation“, „körperliche Probleme“, „psychische Probleme“ und „Intellekt“. Wenn man sie fragt, was man braucht, um Bildungsgerechtigkeit herzustellen, dann kommt dabei Folgendes heraus: „alle Leute einbinden“, „Bildung anpassen“ und „alle Kinder so annehmen, wie sie sind“.

Das ist zwar nur ein minimaler Einblick in die Gedankenwelt von Schüler*innen, doch man sieht, welche Gedanken im Vordergrund stehen: Annahme, Sichtbarkeit und Wertschätzung.

Deutschland und insbesondere Nordrhein-Westfalen sind noch immer von einer Bildungsschere und einem sozialen Ungleichgewicht geprägt, das wir als Industrieland uns in dieser Form nicht mehr leisten dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN und Bianca Winkelmann [CDU])

Ein so wohlhabendes Industrieland wie unseres darf weder in der IGLU-Studie noch in der IQB-Studie so wie zuletzt abschneiden, doch trotzdem tun wir es.

(Dilek Engin [SPD]: Nein, das tun Sie nicht!)

Es ist so wichtig, dem auf den Grund zu gehen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir müssen den Blick hinter die Struktur unseres Schulsystems – den Bereich der frühkindlichen Bildung eingeschlossen – schärfen. Dasselbe gilt für die Struktur der Übergangssysteme. Segregation und Exklusion verhindern Chancengleichheit. Das muss thematisiert werden, ebenso die Debatte über integrative Systeme. Wir kommen auch nicht darum herum, uns einer umfangreichen Debatte über frühe Selektionsentscheidungen in unserem gegliederten Bildungssystem zu stellen.

Wir sind uns unter den demokratischen Fraktion doch einig: Kinder und Jugendliche verdienen nicht nur die beste Bildung, einen guten Abschluss und eine gute Berufsausbildung auf allen Ebenen – und zwar unabhängig von dem Elternhaus, dem Wohnort oder ihrer Herkunftsgeschichte –, sondern auch einen Raum, in dem sie heranwachsen und aus dem sie stark, resilient und wertschätzend hervorgehen können.

Im OECD Better Life Index von 2022, bei dem Menschen von 25 bis 64 Jahren zu ihrem Wohlergehen und zu ihrer Lebensqualität befragt wurden, nimmt Deutschland im evaluierten Bildungsindex im Bereich „Bildungsniveau“ Platz 16 von 41 ein. Das klingt im ersten Moment gut – in Anführungsstrichen wohlgemerkt. Wenn man sich dann aber den Faktor der sozialen Ungerechtigkeit bzw. Ungleichheit anschaut, der eine wesentliche, abhängige Rolle in der Bildungsevaluierung spielt, dann erkennt man, dass Deutschland Platz 34 von 39 belegt. Und das muss man erst mal sacken lassen.

Das ist der Kern: Das Bildungsniveau liegt im oberen, aber die soziale Ungleichheit im absolut unteren Bereich. Das ist eine Herausforderung, die wir – genauso wie die oben genannten Strukturen und Prozesse – zielgerichtet und detailliert durchleuchten müssen. Die Tragfähigkeit der Enquetekommission muss deshalb am Ende ein Spotlight ergeben und nicht in Schattenspielen enden.

(Beifall von den GRÜNEN, Bianca Winkelmann [CDU] und Dr. Patricia Peill [CDU])

Beschäftigt man sich mit dem Thema „Chancengleichheit“, dann stellt man schnell fest, dass Chancengleichheit nur mit inklusiver Bildung gedacht werden kann. Einige Institutionen wie die Lebenshilfe haben wichtige Punkte zur inklusiven Bildung festgehalten. Ich zitiere, wenn es der Präsident gestattet:

„Die Aufgabe des Bildungssystems ist es, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Es muss auf die zunehmende Heterogenität reagieren, Vielfalt als Chance nutzen und allen Menschen bestmögliche Bildung ohne jede Form der Diskriminierung ermöglichen. […] Grundvoraussetzung, um sich zu einem inklusiven Bildungssystem weiterzuentwickeln, ist ein gleichberechtigter Zugang für alle zu inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Bildungsangeboten an Grund- und weiterführenden Schulen. Genau dazu verpflichtet uns die UN-Behindertenrechtskonvention in Artikel 24 sowie das Diskriminierungsverbot in Artikel 5.“

Passend zum 74. Geburtstag des Grundgesetzes schreibt die Lebenshilfe: „Gleichheit aller Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit.“ Genau dieses inklusive Verständnis haben wir im Koalitionsvertrag festgehalten: „Alle Kinder sind an allen Schulen willkommen.“

Wir haben dem Thema „Chancengerechtigkeit im Bildungssystem“ im Zukunftsvertrag ein komplettes Kapitel gewidmet. Trotzdem bleibt noch viel zu sagen und vor allem viel zu tun. Wir freuen uns daher auf die Diskussionen mit Ihnen in der Enquetekommission und stimmen dem Antrag selbstverständlich zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, Bianca Winkelmann [CDU], Dr. Patricia Peill [CDU] und Heinrich Frieling [CDU])