Dagmar Hanses: „Wir müssen die Opferhilfe weiter stärken“

Antrag der FDP gegen Taschendiebstahl

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Dagmar Hanses (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim ersten Lesen dieses Antrags dachte ich: Das ist ein Druckfehler. Es handelt sich bestimmt um einen CDU-Antrag.
(Beifall von Nicolaus Kern [PIRATEN] – Hendrik Schmitz [CDU]: Was?)
Das ist ein sehr populistischer Antrag, den ich eigentlich einer anderen Partei als einer Partei zugeordnet hätte, die sich immer noch fälschlicherweise als Bürgerrechtspartei bezeichnet.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Auch wenn meine Vorredner den Antrag so sehr gelobt haben, kann ich mich diesem Lob nicht wirklich anschließen. Denn der Umfang des Antrags – das schätzen wir normalerweise an den Anträgen von Herrn Wedel – lässt aus meiner Sicht keine Rückschlüsse auf die Qualität zu.
Denn Taschendiebstahl ist ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsbereiche eines Menschen. Er trifft die Opfer unvermittelt und hat stets Folgen. Den Opfern entstehen Folgekosten. Sie brauchen Zeit für die mühsame Ersatzbeschaffung von Dokumenten, Schlüsseln, Gegenständen. Darin sind wir uns, glaube ich, einig.
Die Opfer berichten, dass die psychischen Folgen für sie noch viel massiver sind, dass sie sich unsicher fühlen und dass sie ihr Verhalten ändern. Das alles hat selbstverständlich Folgen.
Nach den Vorschlägen der FDP soll in einen Baustein des Strafrechtsgefüges eingegriffen werden. Der Taschendiebstahl soll in den Katalog der Regelbeispiele in § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB aufgenommen und die Strafandrohung erhöht werden: von drei Monaten bis zu zehn Jahren – das meinen Sie doch nicht wirklich, Herr Wedel! Das ist ein völliges Missverhältnis; das Beispiel von Herrn Wolf hat das ganz eindeutig gezeigt. Bei einer gezielten Körperverletzung nach § 223 StGB ist eine Strafe von bis zu fünf Jahren vorgesehen. Und dann fordern Sie für Taschendiebstahl bis zu zehn Jahre?
Als Frau möchte ich ergänzen: Die vorgesehene Strafe für sexuelle Belästigung in § 184i ist im Vergleich dazu mit bis zu fünf Jahren völlig unverhältnismäßig. Deshalb halten wir Ihren Vorschlag für falsch.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Haardt, selbstverständlich müssen wir auch benennen, was wirklich hilft. Ihre Erkenntnis, dass das Strafmaß zur Abschreckung nicht funktioniere, ist eine neue Erkenntnis für die CDU.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN)
Sie haben immer wieder behauptet: Harte Strafen schrecken ab. – Das ist leider nicht so.
(Christian Haardt [CDU]: Sie müssen mir zuhören! – Sven Wolf [SPD]: Im Protokoll nachlesen!)
Ich schaue mit Ihnen gern auf das, was tatsächlich funktioniert, etwa „Augen auf und Tasche zu!“ Das ist eine Kampagne der Polizei in Nordrhein-Westfalen, die dafür sensibilisiert.
(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])
– Herr Lienenkämper, geht es denn?
(Vereinzelt Heiterkeit – Michele Marsching [PIRATEN]: Nein, schon lange nicht mehr!)
Selbstverständlich hilft Information. Wie alle Bürgerinnen und Bürger wissen, welche Telefonnummer sie wählen müssen, wenn es brennt – die 112 ist die Telefonnummer, wenn sie die Feuerwehr brauchen –, müssen alle Bürgerinnen und Bürger auch wissen, dass 116116 die Telefonnummer ist, um Konten, Kredit- und EC-Karten zu sperren.
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Wie heißt die?)
Das muss ins Bewusstsein aller übergehen.
Opfer brauchen Beratung. Wir müssen die Opferhilfe weiter stärken. Selbstverständlich brauchen Opfer auch eine zügige Strafverfolgung. Sie müssen sicher sein, dass unsere Gerichte zügig und konsequent bei der Strafverfolgung vorgehen. Dafür brauchen wir eine gut ausgestattete Justiz.
Das Rechtsgefüge ist sensibel. Seit dem ersten Inkrafttreten des Strafgesetzbuchs 1871 gab es immer wieder Strafrechtsreformen. Das ist gut so. Wenn ich mir die letzte größere Strafrechtsreform ansehe, denke ich immer an Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die letzte FDP-Justizministerin, der insbesondere der Grundsatz wichtig war, dass Leib und Leben höher gewichtet werden als Hab und Gut. Das war ein Kern dieser Strafrechtsreform, den wir ausdrücklich unterstützen. Ich bin mir sicher, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger Ihren Antrag nicht unterstützen würde.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Michele Marsching [PIRATEN])
Während die CDU den Menschen etwas vorgaukelt – das hatten wir schon –, hat sich die FDP mit diesem Antrag quasi entschieden. Manchmal schwankt sie ja zwischen Bürgerrechtspartei und Law and Order. Mit diesem Antrag hat sie sich eindeutig für Law and Order entschieden. Das bedauern wir sehr.
Wir stimmen natürlich der Überweisung zu. Aber wir sind sehr skeptisch, was die Beratungen im Ausschuss angeht. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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