Dagmar Hanses: „Dieser Reflex, nach Angriffen auf die Freiheit mit weniger Freiheit zu reagieren, bleibt grundfalsch.“

Antrag der FDP zur Vorratsdatenspeicherung

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Dagmar Hanses (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns Grüne ist überhaupt nicht nachvollziehbar, dass nach den schrecklichen Attentaten in Paris jetzt hier in Deutschland ernsthaft die Vorratsdatenspeicherung diskutiert wird. Dieser Reflex, nach Angriffen auf die Freiheit mit weniger Freiheit zu reagieren, bleibt grundfalsch.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir dürfen Terroristen nicht unsere Grundrechte opfern. Es ist maßlos, es ist unverhältnismäßig, die Grundrechte von 82 Millionen Menschen der Überwachung von einigen wenigen Kriminellen zu opfern. Die Vorratsdatenspeicherung greift in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, egal, wie lange sie dauert.
Wir Grüne lehnen schon immer anlasslose Totalüberwachung von Bürgerinnen und Bürgern ab. Für uns stellt die Vorratsdatenspeicherung einen massiven Eingriff dar, der mit unseren Vorstellungen von einer freien Gesellschaft nicht vereinbar ist. Die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen ist schlicht inakzeptabel.
Die Speicherung aller Verbindungsdaten würde Bürgerinnen und Bürger in fast allen Lebensbereichen durchsichtig machen. Soziale Kontakte würden dokumentiert, Bewegungen wären genau nachweisbar, persönliche Problemsituationen erkennbar, geschäftliche und private Kommunikation wäre nicht länger vertraulich.
Wenn wir das einmal für Berufsgruppen durchdenken: Bei Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Ärztinnen und Ärzten, Abgeordneten, Journalistinnen und Journalisten oder auch bei der Anwaltschaft würde das einen unnötigen Vertrauensverlust für Patientinnen, für Bürgerinnen, für Mandantinnen und für Informantinnen und Informanten bedeuten. Das können wir nicht zulassen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Golland zulassen, der auf dem Platz von Herrn Lienenkämper sitzt?
Dagmar Hanses (GRÜNE): Sehr gerne.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Gregor Golland (CDU): Ich möchte nur fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass sich am 18. Januar 2015 der Grünenchef Cem Özdemir eine Wiedereinführung der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung vorstellen konnte,
(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])
mit der Einschränkung, die Neuregelung müsse aber mit dem Grundgesetz vereinbar sein? – Also: Er kann sich das vorstellen. Ist Ihnen das bekannt? Ihr oberster Parteichef!
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Kollegin.
(Zurufe von den GRÜNEN – Gegenrufe von der CDU)
Dagmar Hanses (GRÜNE): Herr Golland, das war für mich nicht nachvollziehbar. Ich wäre darauf später noch im Zusammenhang damit eingegangen, wie Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
(Zuruf von Gregor Golland [CDU])
– ja, ich kenne das – und das Urteil des EuGH in Ihrem Redebeitrag vorhin interpretiert haben. Für uns sind diese Gerichtsurteile sehr eindeutig: dass sie die Vorratsdatenspeicherung anlasslos und massenhaft nicht zulassen. Wenn Daten von Kriminellen gespeichert werden – egal, wie Sie den Begriff definieren –, ist das für uns keine Vorratsdatenspeicherung. Deshalb brauchen wir dringend eine konsequente Strafverfolgung von Kriminellen sowie Prävention.
Lassen Sie mich jetzt bitte fortfahren.
Wenn wir einmal andenken, was denn passieren würde, wenn Vorratsdatenspeicherung eingeführt würde: Glauben Sie, Herr Golland, denn wirklich, dass Terroristen sich dadurch von ihrem Tun abhalten lassen würden?
Unsere Antwort muss eine rechtsstaatliche sein. Sie muss die konsequente Strafverfolgung in den Vordergrund stellen und wirksame Prävention in allen Lebensbereichen durchdeklinieren.
Das ist für uns nicht nur das von Herrn Kollegen Wolf genannte Projekt „Wegweiser“, über das wir sehr froh sind und das übrigens schon vor den Attentaten von Paris von der Landesregierung in Angriff genommen wurde. Wir brauchen im Bereich des Terrorismus auch Forschung. Wir brauchen Prävention in der Jugendarbeit. Wir sollten uns sicherlich auch in der Justiz Radikalisierungsprozesse im Strafvollzug ansehen und viele andere Bereiche genauer betrachten. Ihr reflexhaftes Verhalten ist völlig daneben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Präsident, gestatten Sie mir noch ein paar kurze Worte an den Kollegen Orth. Ich darf noch „Herr Kollege“ sagen, denn er bleibt ja noch bis Dienstag. Als Westfälin kann ich auch feste Karneval feiern. Deshalb freue ich mich, dass wir am Dienstag im Rheinland feiern können.
Herr Orth, oder: Lieber Robert, ich möchte dir ganz herzlich danken für dein Engagement in den letzten 15 Jahren. Noch dienstältester Ausschussvorsitzender, 15 Jahre, vier Justizminister erlebt – das ist schon beeindruckend! Ich danke dir für die Arbeit und deine Neutralität. Ich war sehr beeindruckt, wie du in Israel die Delegation des Rechtsausschusses geleitet hast, und danke dir für die guten Gespräche und Begegnungen.
Im Rechtsausschuss hatte ich ja die Pressemitteilung der FDP ein bisschen kritisiert, weil sie von der „Idee der Freiheit“ sprach. Ich dachte: Für uns ist Freiheit mehr als eine fixe Idee. Dann habe ich mich aber noch eines Besseren belehren lassen, dass nämlich „Idee“ aus dem Griechischen kommt,
(Zuruf: Ah!)
im Grunde „das Urbild“ ist. In diesem Sinne möchte ich der FDP sagen: Wenn die FDP an dem Urbild der Freiheit festhalten will, dann können wir sicher noch mal darüber sprechen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich wünsche dir persönlich alles Gute, beruflich wie privat. Ich denke, wir sehen uns wieder. – Vielen Dank.
(Beifall von allen Fraktionen)