Dagmar Hanses: „Die Justiz ist, historisch gesehen, lange Zeit eine männlich dominierte Arbeitswelt gewesen“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNEN im Landtag auf mehr Prüferinnen im juristischen Staatsexamen

Portrait Dagmar Hanses

Der Antrag „Mehr Prüferinnen im juristischen Staatsexamen“

Dagmar Hanses (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Justitia, die Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit aus der römischen Mythologie, steht auch symbolhaft für die Justiz.

Seit dem 16. Jahrhundert wird sie dargestellt mit einem Schwert, einer Waage und einer Augenbinde. Die drei Attribute Augenbinde, Waage und Richtschwert sollen verdeutlichen, dass das Recht ohne Ansehen der Person – die Augenbinde – nach sorgfältiger Abwägung der Sachlage – die Waage – gesprochen wird und schließlich mit der erforderlichen Konsequenz – dem Richtschwert – durchgesetzt wird.

Doch kann dieser hohe Anspruch in jedem Fall umgesetzt werden? Machen wir wirklich genug dafür? Gerade wenn angehende Juristinnen und Juristen sich in die mündliche Prüfung zum ersten oder zweiten Staatsexamen begeben, nimmt Justitia die Augenbinde ab. Mitglieder der jeweils dreiköpfigen Prüfungskommission und zu Prüfende treten sich selbstverständlich vis-à-vis gegenüber. Die Ausgangsstudie von Towfigh, Traxler und Glöckner aus dem Jahr 2018, die wir im Antrag hier noch einmal heranziehen, heißt: Geschlechts- und Herkunftseffekte bei der Benotung juristischer Staatsexamen.

Sie hat systematisch über 18.000 Ergebnisse von mündlichen Prüfungen ausgewertet. Dabei wurden anonyme schriftliche Prüfungen, Vornoten und weitere Daten herangezogen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in der Benotung der mündlichen Prüfung zu diskriminierenden Effekten aufgrund von Geschlecht oder zugeschriebenem Migrationsmerkmal kommen kann, ist signifikant.

Der Juristinnenbund veröffentliche eine weitere Studie mit dem deutlichen Titel: „Die mündliche Prüfung in den juristischen Staatsexamina – eine Blackbox mit Diskriminierungspotenzial.“ Ein Großteil der nicht männlichen oder nicht einen bestimmten Stererotyp entsprechenden Menschen schneidet also in einer so wichtigen Prüfung wie dem 1. und 2. Staatsexamen schlechter ab und hat damit auch schlechtere Chancen im weiteren beruflichen Werdegang.

Es ist wichtig, in diesem Zusammenhang die Chancengleichheit anzuerkennen und aktiv zu verbessern. Dennoch kann eine ausgeglichenere Prüfungskommission laut dieser Studien zu einer Verbesserung und Sensibilisierung der Lage beitragen. Merkmalbezogene Voreingenommenheit, auch wenn sie unbewusst, ungewollt und ohne Vorsatz stattfindet, können wir nicht hinnehmen.

Der Fachbegriff dafür ist Unconscious Bias. Wir alle haben Vorurteile im Kopf. Wir können uns nicht freimachen von Prägungen und eingeübten Mustern, die wir verinnerlicht haben. Es geht also nicht um Vorwürfe oder Schuldzuweisungen, sondern um echtes Bemühen, echte Veränderungen und Verbesserungen für eine diskriminierungsärmere Justiz zu erreichen.

Wir wissen um das Engagement erfahrener Prüfungsmitglieder der Abteilung V im Justizministerium – vielen Dank! – und dem Landesprüfungsamt. Sie sind sehr bemüht in dem Bereich. Aber wir müssen da deutlich nach vorne kommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir können diese Ungerechtigkeit nicht weiter akzeptieren.

Mit diesem Antrag möchten wir dazu beitragen, dass gezielt Frauen angesprochen werden. Nur so kann sich der Frauenanteil erhöhen, und es können diversere Prüfungskommissionen ermöglicht werden. Die Justiz ist, historisch gesehen, lange Zeit eine männlich dominierte Arbeitswelt gewesen.

Um diese Stereotypen und Rollenbilder aufzubrechen und Frauen dieselben Aufstiegschancen wie ihren männlichen Kommilitoninnen und Kollegen zu ermöglichen, möchten wir mit diesem Antrag gegen geschlechterbezogene Bewertungen vorgehen und die Chancen von Frauen erhöhen.

Die Justitia ist nämlich eine Frau, eine starke Frau, die für ausgleichende Gerechtigkeit steht. Lassen wir sie nicht länger nur ein Symbol, sondern die Verkörperung sein, ja ein Vorbild in der Rechtswissenschaft für mehr weibliche Anwältinnen, Richterinnen und Staatsanwältinnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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