Christina Osei (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als am 18. und 19. Juni 2007 der Orkan „Kyrill“ über NRW fegte, entwurzelte er auch einige große Bäume auf dem Ehrenfriedhof des ehemaligen Stammlagers Stalag 326 in Schloß Holte-Stukenbrock.
Zusammen mit dem nun freiliegenden Wurzelwerk entblößte er knapp unter der Erde liegende Gebeine und Erkennungsmarken ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener dieses Lagers. Einige Angehörige der ehemaligen Gefangenen erlangten so traurige Gewissheit über den Verbleib ihrer Väter, Söhne und Brüder.
Insgesamt ein Drittel aller sowjetischen Kriegsgefangenen für den Arbeitsdienst im damaligen Deutschen Reich durchlief das Lager in Stukenbrock. Das waren knapp 300.000 Menschen. Stukenbrock – dieser Begriff erregt noch heute Beklemmung und Angst bei vielen Menschen der ehemaligen Sowjetrepubliken.
Das am 10. Juli 1941 gegründete Lager war ein Rekrutierungs- und Durchgangslager. Es war mit das größte Kriegsgefangenenlager des damaligen Deutschen Reiches und diente zur Bereitstellung von billigen Arbeitskräften. Für viele Menschen war es der erste Ort auf einer langen menschenverachtenden Reise. Von hier an wurden sie ihrer Rechte beraubt, unmenschlich behandelt und selektiert.
Wer von Ihnen hier im Plenum schon einmal dort war und die alten Fotos gesehen hat, der hat gesehen, dass das Lager zunächst nur ein eingezäuntes Stück Landschaft war. Die Gefangenen hatten nichts außer den Sachen, die sie am Leibe trugen. Sie haben sich Mulden zum Schlafen als Schutz vor der Kälte in den Boden gegraben und sich mit den wenigen Zweigen, die sie gefunden haben, zugedeckt. Ihr Tod wurde von den Nationalsozialisten billigend in Kauf genommen.
Heute befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Lagers eine Einrichtung des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen. Einige wesentliche Bestandteile des alten Lagers, wie die Entlausungsstation und der Arrestblock, sind heute noch erhalten und erinnern mahnend an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte.
Der Ehrenfriedhof mit ca. 65.000 Toten in zumeist Massengräbern, die jeweils gut 2 m breit, etwa 110 m lang und lediglich 50 cm tief von Mitgefangenen ausgehoben werden mussten und in denen die halbverhungerten Toten gestapelt wurden, zeigt eindrucksvoll die Gräuel des Krieges und das menschenverachtende Gedankengut der Nazis. Es nahm den bestatteten Menschen selbst im Tod noch die Würde. Die Gräber ermahnen und beauftragen uns, die Geschichte lebendig zu erhalten und an sie zu erinnern; denn sie sind Teil einer Geschichte, die bleibt, auch wenn sie lange vergessen war.
Ein Friedhof mit Massengräbern dieser Größe, dessen Vorgeschichte und Bedeutung im Kontext des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion so wenig aufgearbeitet wurde, ist einmalig in Deutschland. Denn obwohl die Kriegsgefangenen zu einer der größten Opfergruppen des Zweiten Weltkrieges gehören, ist ihre Geschichte weitgehend unterrepräsentiert. Das soll sich durch den Bau des Gedenkzentrums Stalag 326 in Stukenbrock ändern.
Es ist erfreulich, dass sich schon vor Langem ein Lenkungskreis vor Ort gegründet hat, der in Zusammenarbeit mit dem LWL Variantenuntersuchungen für den Aufbau eines Gedenkzentrums angestoßen sowie eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben hat.
Dieser Ort ist vor allem wichtig, um an die Verbrechen zwischen 1940 und 1945 zu erinnern. Der Fokus sollte auf den hier Ausgebeuteten und Ermordeten liegen. Das war auch in der bisherigen Gedenkarbeit der Fall, die in mühsamer und jahrzehntelanger Arbeit durch die Zivilgesellschaft vorangetrieben wurde und das Interesse von Historiker*innen neu entfacht hat.
Stalag 326 soll als authentisches Zeugnis der Geschichte erhalten bleiben und als Gedenkstätte von nationaler und internationaler Bedeutung die Geschichte des Dritten Reiches und seiner Opfer vermitteln. Durch die Authentizität des Ortes wird hier das Erlebte greifbar und als Ort der erinnerungskulturellen sowie der historisch-politischen Bildungsarbeit von großer Bedeutung sein. Außerdem ist dieser Ort als bedeutender Standort der NS-Zeit in OWL ein historischer Gewinn für die Region.
Mit Ihrer Unterstützung des vorliegenden Antrags unterstützen Sie ganz direkt die Realisierung und Weiterentwicklung des Stalag 326 zu einer Gedenkstätte von nationaler und internationaler Bedeutung. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der FDP)