Arndt Klocke: „Wir sprechen nicht von einem Randphänomen“

Aktuelle Stunde auf Antrag der SPD-Fraktion zur Wohnungssituation

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD beruft sich in Ihrem Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde auf die Empfehlungen bzw. den Bericht des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass insbesondere Haushalte ohne Rücklagen von den derzeitigen Problemen am Wohnungsmarkt stark betroffen und überlastet sind, da der Mietanteil entsprechend hoch über dem verfügbaren Haushaltseinkommen liegt.
Mit dem Aufweichen des Mieterschutzes in Nordrhein-Westfalen, den wir gerade an einigen Punkten erleben, wäre leider das Gegenteil von dem gegeben, was aktuell notwendig ist. Die Wohnkostenbelastungsquote in Deutschland lag vor Corona bundesweit bei 26 %. Ab 40 % spricht man von einem überlasteten Haushalt. Das ist insbesondere problematisch für Haushalte ohne finanzielle Rücklagen. Es betrifft nach Statistiken 25 % der Haushalte in diesem Land.
Problematisch ist es auch für selbstnutzende Wohnungseigentümer, da oft keine flüssigen Rücklagen vorhanden sind und Kredite zur Wohneigentumsbildung abgezahlt werden müssen. Ab 450 Euro Einkommensverlust spricht man von einer Überlastung.
Das heißt, wir sprechen nicht von einem Randphänomen hierzulande, sondern von einem großen Bevölkerungsanteil in Deutschland und damit auch in Nordrhein-Westfalen, der mit hohen Mietzahlungen und hohen Wohneigentumskrediten belastet ist; man kann auch sagen: überlastet ist.
Der Bund hat coronabedingt einen Kündigungsstopp veranlasst, was ausbleibende Mietzahlungen angeht. Dieser Kündigungsstopp läuft am 30. Juni 2020 aus. Das heißt, Mietrückstände müssen bis zum 30. Juni 2022 beglichen werden.
Eine Forderung, die ganz klar von Nordrhein-Westfalen an den Bund gestellt werden sollte, ist, dass dieser vom Bund ausgesprochene Kündigungsstopp bezüglich der Mietrückstände unbedingt verlängert werden muss. Uns ist klar, dass die Auswirkungen der Pandemie auf den Wohnungsmarkt eindeutig länger anhalten werden. Die Krise, die wir aktuell auf dem Wohnungsmarkt erleben, spielt da auch noch mit hinein.
Die Auswirkungen der Pandemie auf den Wohnungsmarkt werden nicht Ende Juni enden, sondern in den nächsten Monaten und wahrscheinlich auch Jahren fortwähren. Deswegen muss der Bund, muss die Bundesregierung – das muss ein Signal aus dem nordrhein-westfälischen Landtag sein – diesen Kündigungsstopp bei Mietrückständen eindeutig verlängern.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich würde mich freuen, wenn es hier eine Gemeinsamkeit des Parlaments geben und dies als Signal aus der heutigen Debatte nach Berlin gesendet würde. Ich würde mich auch sehr freuen, wenn sich unsere Ministerin dafür bei der Bundesregierung starkmachen würde.
Es ist eben schon vom Kollegen Becker angesprochen worden, dass das Agieren der Landesregierung, was den Mieterschutz und die Mieterschutzverordnungen angeht, in der jetzigen Situation kontraproduktiv ist.
Wir können feststellen, dass der Druck der Mieterverbände in den letzten Monaten und Jahren eindeutig gewirkt hat. Darüber haben wir auch in der letzten Ausschusssitzung debattiert. Der ursprüngliche Plan der Landesregierung war – das war im Koalitionsvertrag festgelegt –, dass alle Mieterschutzverordnungen, die über dem grundsätzlichen Mietrecht liegen, auslaufen sollen. Diese Vereinbarung hat Schwarz-Gelb 2017 in den Koalitionsvertrag geschrieben.
Es gab einige Verbände, wie Haus & Grund, die gejubelt haben. Es gab andere Verbände, wie der Mieterschutzbund, die entsprechend protestierten. Ich meine, man kann feststellen, dass die Proteste und Initiativen – die Volksinitiative „Wir wollen wohnen!“, die 40.000 Unterschriften, die im letzten Jahr innerhalb kürzester Zeit zusammengekommen sind und viele Veranstaltungen und auch Demonstrationen nach sich gezogen haben – gewirkt haben, da die Landesregierung mit der Vorlage des Gutachtens bekannt gegeben hat, dass eben nicht alle Mieterschutzverordnungen in Nordrhein-Westfalen auslaufen sollen.
Erwarten Sie nicht zu viel Lob von der Opposition, aber wir Grüne haben klar gesagt, dass diesen Plänen aus Ihrem Koalitionsvertrag an manchen Stellen die Zähne gezogen worden sind, und das ist gut so.
Das ist aber kein Erfolg von Schwarz-Gelb, sondern das ist ein Erfolg der Mieterschutzinitiativen in Nordrhein-Westfalen, das ist ein Erfolg der Opposition hier im Landtag, das ist ein Erfolg von vielen Veranstaltungen und Demonstrationen. Deswegen können wir feststellen, dass ursprünglich geplante Dinge so nicht umgesetzt werden.
Trotzdem soll die Umwandlungsverordnung auslaufen. Die Gebietskulissen sollen entsprechend geschrumpft werden, die Mieterschutzverordnung soll nur noch in 18 statt in 37 Gebieten gelten. Dafür sehen wir keinen Anlass. Die Lage auf dem nordrhein-westfälischen Wohnungsmarkt, insbesondere in den Schwarmstädten, hat sich in den letzten Monaten und Jahren nicht verändert.
Mieterinnen und Mieter brauchen gerade in der Situation der Pandemie, des großen Drucks durch die großen sozialen Problemlagen Rückhalt und Sicherheit. Wenn Einkommensverluste, Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit drohen, dann braucht es eine starke Stimme für den Mieterschutz.
Wir bitten die Landesregierung und fordern Sie auf: Seien Sie diese Stimme! Schleifen Sie nicht weiter Verordnungen! Geben Sie den Mieterinnen und Mietern den Rückhalt, den sie in der jetzigen Situation brauchen! Machen Sie Druck beim Bund, dass entsprechende Bestimmungen hier auch über den Tag hinaus gelten!
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Studie des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen führt sehr anschaulich vor Augen, wie prekär viele Haushalte aufgestellt sind. Es trifft vor allen Dingen auch die systemrelevanten Berufsgruppen wie Altenpflegerinnen und Altenpfleger, wie die Reinigungskräfte, die sich heutzutage in den Schwarmstädten hohe Mieten gar nicht mehr leisten können. Dies führt insbesondere zur Abwanderung und zum Fachkräftemangel.
Die Menschen, für die wir uns jeden Abend um 21 Uhr ans Fenster gestellt und geklatscht haben, sind diejenigen, die unter hohen Mieten und unter dem Druck in den Schwarmstädten leiden. Deswegen muss es verstärkte Anstrengungen der Landesregierung geben, diesen Druck auf den Wohnungsmärkten insbesondere in den Großstädten Köln, Düsseldorf, auf der Ruhrgebietsschiene, in Münster, Bielefeld, Aachen zu mindern und den Menschen gerade aus diesen Berufsgruppen bezahlbare Wohnungen in den Städten zu ermöglichen.
Das sind wir den Menschen schuldig. Klatschen um 21 Uhr ist gut, das habe ich auch gemacht. Aber jetzt kommt es darauf an, dass wir diesen Menschen bezahlbare Mieten ermöglichen. Das ist klare und vernünftige Hilfe. Hier muss die Landesregierung stärker handeln als bisher.
(Beifall von den GRÜNEN)
Alle anderen Ausblicke, die den Wohnungsbau angehen, und was wir Grüne uns wünschen, was die Landesregierung machen sollte, trage ich Ihnen in der zweiten Runde vor. – Ich danke erst einmal für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Ministerin, Sie haben Ihre Rede damit eingeleitet, es werde für Studien viel Papier verbraucht, wir wüssten doch eigentlich schon vieles und könnten auf Erfahrungen aufbauen.
Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass ich die Studie, die dieser heutigen Aktuellen Stunde zugrunde liegt, doppelseitig ausgedruckt und nicht am Rechner gelesen habe. Das ist jetzt Altpapier.
Die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Coronapandemiekrise auf den Wohnungsmarkt und das, was wir aktuell in dieser Gesellschaft und auch auf dem Wohnungsmarkt erleben, ist schon etwas ganz Außergewöhnliches und Außerordentliches. Ich meine, dass es durchaus wert ist, sich damit intensiv zu beschäftigen.
Es ist nicht alles schon einmal da gewesen, und wir können auch nicht nur aus Erfahrungen schöpfen, sondern die derzeitige Situation ist für uns alle – privat und am Arbeitsmarkt – schon so herausfordernd, das es sich durchaus lohnt, darauf zu schauen. Deshalb habe ich mich auch gefreut, dass die SPD heute diese Aktuelle Stunde beantragt hat.
In der Studie stehen durchaus einige spannende Zahlen. Dass 25 % der Menschen, die in Mietwohnungen leben, ein so geringes Haushaltseinkommen haben, dass sie jetzt aufgrund von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit etc. massive Probleme haben, ihre Miete zu bezahlen, finde ich schon beachtlich.
Dies gilt zwar bundesweit, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass die Zahlen in Nordrhein-Westfalen deutlich geringer sind. Ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung lebt aktuell in einer Krisensituation, und es ist wirklich notwendig, diese Menschen mit Mietstundungen auch weit über den 30. Juni hinaus zu unterstützen.
Weiterhin haben Menschen, die in systemrelevanten Berufen arbeiten – ich habe sie auch in meinem ersten Redebeitrag schon genannt – große Probleme, insbesondere in den Schwarmstädten bezahlbaren Wohnraum zu finden. Das hat nicht erst begonnen – das gestehe ich gerne zu –, als Schwarz-Gelb die Regierung übernommen hat, aber es ist auch in dieser Zeit nicht deutlich besser geworden.
Von der NRW.BANK bekommen wir regelmäßig Wohnungsmarktzahlen, so auch in der nächsten Woche. Die Zahlen sind in Nordrhein-Westfalen nicht besser geworden. Trotz vermehrter Bundesgelder ist die Anzahl der fertiggestellten Wohnungen im Bereich des bezahlbaren Mietwohnungsbaus in Nordrhein-Westfalen rückläufig. Damit müssen Sie sich auseinandersetzen, Frau Ministerin.
(Beifall von Monika Düker [GRÜNE])
Das ist die Bilanz nach drei Jahren Schwarz-Gelb – und wir haben noch zwei Jahre vor uns. Es wird wohl nicht weitergehen, was immer auch kommen mag. Das sind schon Zahlen – Sie waren ja auch schon zwischen 2005 und 2010 in dieser Konstellation an der Regierung –, mit denen Sie sich auseinandersetzen müssen.
Wenn ich dann von den geschätzten Kollegen Schrumpf und Paul immer von der NRW-Koalition und ihrem Neustart hören muss, es sei alles ganz innovativ und neu, muss ich sagen, dass sich in diesem Bereich leider substanziell nichts verändert hat. Vielmehr sind die positiven Zahlen, die wir vorher hatten, jetzt rückläufig. Das ist eine ziemlich dünne Erfolgsbilanz, sehr geehrte Frau Ministerin. Hier muss dringend gehandelt werden.
(Monika Düker [GRÜNE] und Jochen Ott [SPD])
Ich will Ihnen im letzten Teil meines Redebeitrags ein paar Beispiele aus Nordrhein-Westfalen nennen, anhand derer man sehen kann, dass gut gehandelt werden kann.
Das ist zum Beispiel in Münster der Fall, einer Stadt mit einer sympathischen Ratsmehrheit, mit einem sympathischen grünen Stadtentwicklungsdezernenten. Die Zahlen am Wohnungsmarkt sind dort sehr gut.
Die öffentliche Hand ist sehr aktiv, und es wird deutlich mehr preiswerter Wohnungsbau realisiert. Die Stadt hat die höchste Neubauquote Nordrhein-Westfalens mit 53,4 fertig gestellten Wohnungen je 10.000 Einwohner. Damit ist die Stadt Münster ganz vorne. Von Münster könnten sich andere Städte eine Scheibe abschneiden.
Das Land muss einfach stärker in die Schaffung von bezahlbarem und preiswertem Wohnraum einsteigen. Es muss Kommunen insbesondere bei der Haushaltssicherung stärker unterstützen. Die Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, wieder aktiv Flächenmanagement zu betreiben und mit kommunalen Wohnungsbaugesellschaften verstärkt Wohnraum gerade auch für mittlere und untere Einkommensgruppen zu schaffen.
Das gelingt in Münster. Man hatte immer das Bild vom reichen Münster vor Augen, das die Nase oben trägt. Nein, Münster schafft gut bezahlbaren Wohnraum gerade für mittlere und untere Einkommensgruppen. Dort ist die Stadtverwaltung sehr aktiv; davon könnten sich manche Städte etwas abschneiden.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
– Genau, Josefine Paul. Ich hatte eigentlich etwas mehr euphorischen Applaus von der Kollegin erwartet, aber zumindest hat sie geklatscht. Das ist die westfälische Bescheidenheit; sie wollte sich nicht in den Vordergrund stellen.
Also: Münster liegt bei dieser Frage vorne.
Aus unserer Sicht dürfen Flächen nur an Investoren vergeben werden, wenn sie Anforderungen erfüllen wie zum Beispiel der Umsetzung mehr geförderten Wohnungsbaus, Wohnungen für sozialbenachteiligte Gruppen, Vergabe nur nach Konzepten und nicht mehr nach Höchstgebot, wobei es auch hier Beispiele aus Münster gibt.
Zudem wollen mehr Wohnungsneubau aus nachhaltigen Baustoffen wie Holz. Das haben wir damals in der neuen Landesbauordnung geregelt, die Sie ausgesetzt haben; aber zum Glück haben Sie diesen Passus übernommen. Es geht dabei um die Förderung von Holzbau, von Niedrigenergie- und Passivhäusern und von energetischer Sanierung im Bestand. All das muss in den nächsten Jahren vorangebracht werden.
Es bleibt viel zu tun. Wir würden uns freuen, wenn Sie einige Anregungen aus unseren Beiträgen in Ihre Arbeit übernehmen würden, Frau Ministerin. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)

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