Arndt Klocke: „Wir müssen Erhalt voranbringen, Sanierung voranbringen und nicht unsinnigen Neubau“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zur schwarz-gelben Mobilitätsbilanz

Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte hätte mehr Publikum gebraucht. Es ist jedenfalls eine zentrale landespolitische Debatte, und ich hätte mir, insbesondere was die beiden großen Fraktionen in diesem Haus angeht, gewünscht, dass ein paar mehr Abgeordnete da wären.

Wenn man den Umfragen glaubt,

(Zuruf von Rainer Deppe [CDU])

beispielsweise von „Westpol“, Infratest, aber auch von forsa und jetzt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dann erkennt man: „Verkehr und Mobilität“ ist eines der Topthemen hier im Land hinter Corona und Schule/Bildung; es war auf Platz 3 gerankt. Wir haben jetzt eine längere Plenarwoche hinter uns. Es ist Freitagmittag, und alle haben vielleicht schon das Wochenende im Blick. Trotzdem hätte diese zentrale Mobilitätsdebatte mehr Aufmerksamkeit haben können.

Als heute Morgen der Präsident die Geburtstagswünsche ausgesprochen hat, habe ich gedacht, dass die SPD diese Debatte Carsten Löcker zu Ehren sozusagen zum Geburtstag schenke wollte. Jetzt ist er leider gar nicht da, sondern André Stinka hat gesprochen.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Ulrich Reuter [FDP]: Der weiß warum!)

– Ja, wie auch immer. Kommen wir doch jetzt zu den inhaltlichen Themen.

Die Debatte wäre deswegen lohnend und notwendig – wir haben in dieser Legislatur ja noch ein paar Wochen vor uns, und es gibt sicherlich noch ein paar Podiumsdiskussionen, ob sie nun digital stattfinden oder in Präsenz –, weil natürlich die verkehrspolitische Bilanz nach fünf Jahren zu ziehen wäre. Das erfolgt logischerweise am Ende jeder Legislatur, das ist immer so. Wir haben eine intensive schulpolitische Debatte, und da wird auch Bilanz gezogen. In der Verkehrspolitik ist es ebenso.

Alle, die 2017 schon dabei waren – das sind ja die meisten –, erinnern sich sicherlich noch an den damaligen Landtagswahlkampf. Auch damals war die Verkehrspolitik eines der wahlentscheidenden Themen. Wenn man sich jegliche Wahlauswertungen noch einmal ansieht, dann stellt man fest, dass neben der inneren Sicherheit und der Schulpolitik der zentrale Punkt bei der Stimmabgabe die Verkehrspolitik war.

Die beiden heute regierenden Parteien – wenn auch nur mit einer Stimme Mehrheit, aber immerhin hat es fünf Jahre funktioniert – haben im Wahlkampf zentral auf das Thema „Mobilität“ gesetzt. Ich sehe noch Christian Lindner, damals noch in NRW, jeden Morgen an irgendeiner anderen Autobahnauf- oder -abfahrt mit Brötchentüten mit dem Schriftzug: Gegen den Stau – FDP wählen. Und ich sehe noch die CDU-Großflächenplakate: Wer will denn weiterhin ins Lenkrad beißen? – Damit NRW mobil wird: CDU.

(Zuruf Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Die Mehrheit war ja nun knapp. Eine Stimme Mehrheit ist dünn.

(Ulrich Reuter [FDP]: Aber es reicht!)

Das heißt, FDP und CDU haben sich mit diesem Thema vielleicht massiv ihre eigene Mehrheit erarbeitet.

Dann muss man nach fünf Jahren prüfen: Was ist aus dem Versprochenen geworden? Da gebe ich schon der SPD recht: Es ist viel dünne Suppe dabei gewesen. Die Situation in Nordrhein-Westfalen ist nicht so viel besser, als sie es vor fünf Jahren war. Wir haben immer noch massiven Stau auf den Straßen. Bei den Radschnellwegen ist kaum etwas vorangekommen. Der ÖPNV, natürlich durchaus coronabedingt, ist momentan ein Stück ausgedünnt. Es hat jedenfalls nicht die großen Fortschritte gegeben.

In der Gesamtbilanz kann sich das eben nicht sehen lassen. Das wäre ehrlich. Der Kollege der FDP hat gerade gesagt, er sähe eine zweite Legislaturperiode heraufziehen. Die sehen, wenn man den Umfragen glaubt, die Wählerinnen und Wähler nicht, und ich persönlich sehe sie auch nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Jedenfalls wäre es für die Mobilität in Nordrhein-Westfalen gut, wenn es am 15. Mai zu einem Regierungswechsel käme.

(Ulrich Reuter [FDP]: Das hat letztes Mal auch keiner gesehen! – Zuruf von Markus Diekhoff [FDP])

Jetzt reden wir mal über inhaltliche Punkte bzw. über das, was wir Grüne zu kritisieren haben. Ich habe es über die Jahre – und das wissen alle – im Verkehrsausschuss immer so gehandhabt: Wir sind eine kritische, aber auch konstruktive Opposition. Es waren durchaus Sachen dabei – das wissen auch alle –, die wir miteinander bearbeitet haben, denen wir Grüne zugestimmt haben.

Ein Stichwort hat Uli Reuter eben genannt: die NE-Bahnen. Wir fanden es damals schon falsch, die auslaufen zu lassen; es hatte haushalterische Sparsamkeitsgründe. Das war ein politischer Fehler.

Dass die Landesregierung die wieder eingeführt hat und diese Förderung läuft, ist politisch eindeutig richtig – keine Frage. Auch das Aufwachsen des Etats im Radverkehrsbereich war richtig. Das haben wir damals selber auch schon gemacht. Der ist massiv ausgebaut worden.

Das Problematische ist, dass die Mittel in den Kommunen nicht abgerufen werden, jedenfalls in Teilen. Jedes Jahr geht ein Drittel bis ein Viertel wieder zurück an den Landesfinanzminister – der freut sich. Aber Geld macht im Haushalt nur dann Sinn, wenn real auch Radwege gebaut werden. Wie auch immer, aber den Etatansätzen haben wir von grüner Seite zugestimmt.

Jetzt reden wir aber einmal über den Straßenbau – das hat André Stinka eben auch angesprochen – und die Frage der Priorisierung. Da haben wir einen klaren politischen Dissens. Wenn man im Sommer mit Grün regieren will – je nachdem, mit wem man dann redet –, werden wir darüber zu diskutieren haben. Da haben wir eine klare Konfliktstellung, weil wir das deutlichere Setzen auf Straßenausbau … Die Summen sind eben genannt worden: Es ist mehr als eine Verdoppelung im Landesstraßenneubau – beim Neubau von 32 Millionen auf 72 Millionen Euro, und es sind gut 60 % mehr beim Erhalt.

Eine ganze Reihe von Straßenprojekten lag jahrzehntelang in den Schubladen. Ich nenne mal zwei Beispiele:

L821 Bergkamen: Ein Projekt, das über 40 Jahre geplant wurde – wir hatten es auf Rot gesetzt, weil wir die Planung unsinnig fanden –, ist jetzt gerade in Bau gegangen.

Wuppertal – Marcel Hafke kennt es sicherlich; die SPD ist aber auch dafür – L419: Ich hatte kürzlich einen Termin als digitale Schalte mit den Bürgern vor Ort. Dabei war ein älterer Herr, der seit zehn Jahren im Ruhestand ist und der im Stadtplanungsamt von Wuppertal gearbeitet. Der hat im Jahre 1973 die Strichzeichnung für dieses Straßenprojekt gemacht.

Diese Sachen, die 40, 50 Jahre geplant worden und nie im Bau gegangen sind, hat Hendrik Wüst als damaliger Verkehrsminister – Stichwort „Investitionshochlauf“ – wieder in die Planung gegeben.

(Zuruf von Rainer Deppe [CDU])

Ich habe im Ausschuss zur Prioritätensetzung gefragt: Wenn wir an den Brücken mehr Kontrollen machen wollen, wenn wir die jährlich kontrollieren wollen und wenn wir das verhindern wollen, was jetzt an der Rahmede-Talbrücke stattgefunden hat, wo ist dann das Personal? Da hat uns Frau Sauerwein-Braksiek gesagt: Dann müsste ich die Leute aus dem Neubau abziehen. – Das ist eine politische Konfliktlage.

(Zuruf von Ulrich Reuter [FDP])

Diese Landesregierung hat nicht Erhalt vor Neubau weitergeführt, sondern hat massiv auf Neubau gesetzt und hat dort das Personal eingesetzt. Diese Leute fehlen uns beim Straßenerhalt, bei der Kontrolle von Brücken.

(Zuruf von Ulrich Reuter [FDP])

Eine zentrale Frage für die Zukunft ist eine Veränderung beim Landesbetrieb Straßenbau bzw. bei der Autobahn GmbH. Wir brauchen mehr Leute, die sich um Sanierung kümmern, die unsere Brücken kontrollieren. Umgehungsstraßen, die seit 40, 50, 60 Jahren in irgendwelchen Schubladen liegen, können aus grüner Sicht da auch weiterhin die nächsten 20 Jahre liegen, weil die zentrale Frage Priorisierung ist.

Priorisierung heißt: Wir müssen Erhalt voranbringen, Sanierung voranbringen und nicht unsinnigen Neubau, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Das ist eine rein planerische Debatte. Natürlich heißt Mobilitätsplanung für uns auch Klimaschutzplanung.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Es ist uns immer vorgeworfen worden, wir würden die Frösche retten wollen, die Sträucher retten wollen etc.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Wir wissen: Wenn wir unsere Klimaschutzziele in diesem Land einhalten wollen, können wir nicht das ganze Land mit irgendwelchen unsinnigen Umgehungsstraßen vollbetonieren.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Wir brauchen den Ausbau von Radwegen. Wir brauchen sicheren Radverkehr. Wir brauchen einen guten ÖPNV mit guten Ticket-Angeboten.

(Zurufe von Ulrich Reuter [FDP] und Marcel Hafke [FDP])

Wir brauchen vor allen Dingen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP – das haben wir jetzt gemeinsam verabredet im Koalitionsvertrag in Berlin –,

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

eine Priorisierung von Erhalt. Wir werden immer Straßenneubau haben, aber nicht mehr in der Form, wie er jetzt betrieben wird.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Das war ein politischer Fehler, und dafür werden Sie am 15. Mai die Quittung bekommen, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

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