Arndt Klocke. „Wir haben Dinge vorangebracht, die Nordrhein-Westfalen mobiler machen“

Aktuelle Stunde auf Antrag der SPD- und der "AfD"-Fraktion zur Staustatistik des ADAC

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Voussem beginnt seine Reden gerne mit Zitaten und Weisheiten. Ich habe mir für die heutige Rede eine Weisheit aus dem Sportbereich herausgesucht: Wer die Latte besonders hoch legt, muss entweder darüberspringen, oder er läuft darunter her.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich glaube, dass diese Debatte heute keinen Anlass für Häme bietet. Es geht vielmehr darum, NRW mobil zu machen, die Straßen intakt zu halten und den Verkehr zu beschleunigen. Die Wirtschaft und die Menschen in NRW warten darauf. Deswegen gibt es überhaupt keinen Anlass zu einem politischen Pingpongspiel in dieser Angelegenheit.
Die Zahlen – das hat Kollege Löttgen eben in einer kleinen Zwischenbemerkung gesagt – kennen wir seit 2003. Es gibt immer Zahlen aus dem Verkehrsministerium und vom ADAC. Aber Sie haben mit den ADAC-Zahlen beim letzten Mal Wahlkampf gemacht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Hierzu muss und möchte ich den Kollegen Voussem zitieren; das war in der letzten Legislaturperiode. Die „Welt“ berichtete im Frühjahr 2016:
„Mit rund 323.000 Kilometern“
– heute sind wir laut ADAC bei 454.000 Kilometern –
„habe die Staulänge im vergangenen Jahr ‚eine astronomische Dimension‘, kritisiert der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Klaus Voussem, am Mittwoch in Düsseldorf.“
Die Länge aller Staus pro Jahr in NRW reicht fast bis zum Mond, sagte Voussem. Minister Groschek hat angesichts dieser Zahlen vor der Verkehrssituation in Nordrhein-Westfalen kapituliert.
(Zurufe von der SPD und der CDU)
Sie haben mit den ADAC-Zahlen Wahlkampf gemacht und Polemik verbreitet,
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
und jetzt versucht Ihr neuer Minister Wüst, mit den Zahlen aus dem Verkehrsministerium zu operieren. Wenn man sich einmal für eine Wahrheit entscheidet, dann muss man das auch entsprechend durchhalten, sehr geehrte Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)
Sie sind jetzt seit gut anderthalb Jahren an der Regierung, die Halbzeit wird in diesem Jahr erreicht. Eine deutliche Stauminderung war in dieser Zeit nicht zu schaffen, das gestehe ich Ihnen zu.
Es gibt aus dem Verkehrsministerium heraus den einen oder anderen Vorschlag im Bereich der Digitalisierung oder – gestern vorgeschlagen – wie das Azubiticket. Das ist vernünftig und findet auf jeden Fall unsere Unterstützung. Nur, die dauernde Polemik, die Sie im Wahlkampf und auch danach verbreitet haben – Rot-Grün hätte alles vor die Wand gefahren und hätte Nordrhein-Westfalen eindeutig „verstaut“ – , ist nachweislich nicht richtig.
(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])
– Jetzt hören Sie einmal zu. Ich habe mir ein paar Beispiele aus der letzten Legislaturperiode aufgeschrieben.
Umwidmung: Erhalt von Neubau, Verdopplung der Sanierungsmittel; Radschnellwege: das Gesetz auf den Weg gebracht, die ersten Radschnellwege projektiert; Vertragsabschluss beim RRX und Startschuss zum Bau der RRX-Teilstrecken; Beauftragung des Neubaus der Leverkusener Brücke, dadurch Veränderungen beim Planungsrecht; Neuordnung entsprechend der Regionalisierungsmittel; deutlich mehr Geld für Nordrhein-Westfalen über den Kieler Schlüssel; Einrichtung der Verkehrsleitzentrale in Leverkusen.
All das waren Schritte in rot-grüner Regierungszeit.
(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU] – Weitere Zurufe von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)
Wir haben Dinge vorangebracht, die Nordrhein-Westfalen mobiler machen, die nachhaltig sind und die jetzt vom neuen Verkehrsminister weitergeführt werden. Das heißt, die Legendenbildung, die Sie hier betrieben haben, sowohl im Wahlkampf als auch in dieser Legislaturperiode, ist nachhaltig nicht richtig. Sie haben Verkehrspolitik und Stau zu einem Wahlkampfthema gemacht, das Ihnen jetzt auf die Füße fällt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)
Wenn es in der letzten Legislaturperiode wenigstens so gewesen wäre, dass Sie all die Schritte, die ich eben aufgezählt habe, unterstützt hätten.
Herr Kollege Rehbaum guckt mich mit neugierigen Augen an. Sie bekommen gleich Ihr Zitat zum Thema „Radschnellwege“.
Kollege Rehbaum, in der letzten Legislaturperiode verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, in der „Rheinischen Post“:
Scharfe Kritik am Bau von Radschnellwegen kommt von der CDU. Radschnellwege könne sich das Land nicht leisten, teilte Henning Rehbaum, fahrradpolitischer Sprecher, mit: In Zeiten knapper Kassen müssen wir das wenige Geld für den Neubau von Straßen einsetzen. Brücken sowie herkömmliche Radwege sind sinnvoll, keine Radschnellwege.
Oder ein Zitat von Herrn Stamp, in der letzten Legislaturperiode stellvertretender Fraktionsvorsitzender, heute stellvertretender Ministerpräsident:
Die Ideologie des Fahrrades der rot-grünen Landesregierung wird am Ende zulasten des Industriestandorts Nordrhein-Westfalen gehen. Wir brauchen keine Radschnellwege in Nordrhein-Westfalen.
So Stamp in einer entsprechenden Mitteilung, die sich auch im Dokumentenarchiv des Landtags findet.
Ich könnte weitere Zitate anführen: Christof Rasche, heute FDP-Fraktionsvorsitzender, sagte damals:
Radschnellwege bieten keine Lösung für die drängenden Verkehrsprobleme. Das sind alles Prestigeobjekte der Grünen. Der Wirtschafts- und Logistikstandort NRW wird damit zugrunde gerichtet. – So äußert sich Christof Rasche und kritisiert damit das Projekt des Neubaus von Radwegen und Radschnellwegen.
Das war Ihre Philosophie in der letzten Legislaturperiode. Damit sind Sie in den Wahlkampf gegangen. Und all das fällt Ihnen heute auf die Füße,
(Zurufe von der CDU)
weil Sie genau wissen, dass eine vernünftige Verkehrspolitik nur mit einem vernünftigen Mobilitätsmix funktioniert. Dazu gehört eben auch der Bau von Radwegen und Radschnellwegen. All das wird heute vom Verkehrsminister weiter vorangebracht.
Sie haben in diesem Haus fünf Jahre Polemik betrieben und stehen heute nicht zu den Zahlen, die offensichtlich sind. Das ist Ihr Problem.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Was wäre heutzutage richtig? Wir müssen über die Entzerrung von Verkehren reden, also über Flexibilität bei Arbeitszeiten, Homeoffice, Bündelung von Lieferverkehren – Stichwort
„Citylogistik“ –, mehr Güter auf die Schiene – wo sind hier die entsprechenden Initiativen? –, (Zuruf von der CDU)
mehr Carsharing und mehr Mobilitätsstationen. All das würde Entlastung bringen.
Einiges machen Sie. Das will ich Ihnen zugestehen. Aber die Breite, um zu erreichen, dass die Straßen in Nordrhein-Westfalen entlastet werden, damit man morgens schneller von A nach B kommt, ist nicht gegeben. Das spüren die Bürgerinnen und Bürger. Wenn man jeden Morgen das Radio einschaltet und die Staunachrichten hört oder sich die ADAC-Zahlen anguckt, weiß man, dass in den zwei Jahren, in denen Sie hier die Verantwortung haben, zu wenig vorangekommen ist.
Gestehen Sie es wenigstens ein. Sagen Sie ehrlich: Wir haben damals den Bürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen gestreut. Wir haben das Thema zu hoch gehängt. Es ist in dieser Kürze der Zeit nicht zu leisten. – Das wäre wenigstens ehrlich.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Die Vorgängerregierung hat viel auf den Weg gebracht. Wir führen manches davon weiter. Wir legen auch noch eine Schippe drauf. All das wäre ehrlich.
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
– Sie sind doch gleich dran. Sie können das, was ich gesagt habe, gleich widerlegen. Ich bin gespannt auf Ihre Antworten.
(Zuruf von der SPD: Brockes bei Verkehr, das passt nicht!)
Sie haben im Verkehrsausschuss in den letzten Wochen und Monaten mitbekommen: Vernünftige Ideen und Vorschläge haben auch unsere grüne Unterstützung. Wir haben manchem zugestimmt, was die jetzige Regierungskoalition vorgelegt hat. Das werden wir auch so weiterführen. Es geht darum, NRW mobiler und flüssiger zu bekommen. Das hat unsere grüne Unterstützung. Aber seien Sie wenigstens so ehrlich, zuzugeben, dass Ihr Wahlkampfschlager aus 2017 voll vor die Wand gefahren ist.
(Zurufe von der CDU)
Ich habe die ganzen Plakate auch noch dabei. Jetzt habe ich aber keine Zeit mehr. Es gibt eine zweite Runde.
(Zurufe: Zeigen! Zeigen!)
– Die Plakate …
Präsident André Kuper: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist um.
Arndt Klocke (GRÜNE): … wie zum Beispiel „Wozu noch Frühstück? Ich beiß bei jedem Stau ins Lenkrad“ behandeln wir in der zweiten Runde.
Entschuldigung, Herr Präsident. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Verkehrsminister, Sie haben es mit Ihrem Beitrag eben nicht geschafft, den Verdacht bzw. den Eindruck, der im Land vorhanden sind, zu entkräften, dass es sich hier um einen klaren Wahlbetrug seitens CDU und FDP gehandelt hat.
(Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Sie haben ihn ja nicht mal belegt!)
Denn dieser Verdacht steht ja nun eindeutig im Raum. Ich habe Ihnen angekündigt, Wahl- kampfmaterialien dabeizuhaben.
(Arndt Klocke [GRÜNE] hält ein Blatt Papier in die Höhe.)
Zum Beispiel dieses schöne FDP-Plakat – ich hätte es noch größer ziehen können, die Grafik eben war ja auch nicht gut erkennbar.
Das FDP Plakat: Tschüss, Stillstand! Am 14. Mai FDP wählen, damit in Nordrhein-Westfalen schnell wieder alles vorankommt. – Dazu ein Posting von Christian Lindner: Hast Du den täglichen, ständigen Stau in NRW auch satt? Dann teile mein Posting, damit morgen der Politikwechsel beginnt und der Stau verschwindet.
(Bodo Löttgen [CDU]: Ja! – Matthias Kerkhoff [CDU]: Ja!)
Christian Lindner! – Wissen Sie, wenn wir das auch so machen würden, wie Sie das im Wahl- kampf betrieben haben, dann würde ich mich zusammen mit den Kollegen Horst Becker, Mo- nika Düker und Johannes Remmel jeden Morgen an die Ausfallstraßen stellen und im Stau Brötchentüten verteilen, auf denen steht: Wüst wirkt!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Ja, mach doch!)
Das wäre genauso, wie Sie hier den letzten Wahlkampf betrieben haben. (Widerspruch von der FDP)
Das fällt Ihnen jetzt auf die Füße, und immer mehr Leute merken es. Was natürlich zweifellos richtig ist: Es fließt mehr Geld. Aber Sie haben auch mehr Geld zur Verfügung. Wir haben 2010 die Landesregierung mit einer Nettoneuverschuldung von 6,8 Milliarden Euro von Ihnen übernommen. Der damalige Finanzminister hat es auf null runtergefahren. Wir haben gespart, damit Sie jetzt Geld ausgeben können.
(Matthias Kerkhoff [CDU]: Das wird ja immer besser!)
Lieber Kollege Moritz von der CDU, Sie haben mich gebeten … (Unruhe – Glocke)
–  Ich merke, dass es trifft, sonst würden Sie nicht so reagieren. Lieber Kollege Moritz, Sie haben eben ein bisschen scherzhaft gesagt, Sie würden sich auch über ein Zitat von sich freuen. Ich lege Ihnen ein Zitat aus Ihrer Rede vor. Eben haben Sie gesagt: 46 Jahre Still- standspolitik der SPD – und das ist die Folge.
Ich erinnere mich daran – wir sind, glaube ich, fast gleich alt –, dass es mindestens fünf Jahre zwischendurch gab, in denen CDU und FDP die Regierung gestellt haben.
(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])
Ich erinnere mich an Verkehrsminister namens Wittke und Lienenkämper, und ich erinnere mich sehr genau daran, dass im Rahmen Ihres „Privat vor Staat“-Programms die meisten Stellen bei Straßen.NRW abgebaut worden sind.
(Wolfgang Jörg [SPD]: Die Straßenplaner wurden alle rausgeschmissen!)
680 Planerstellen sind weggefallen in diesen Jahren. Sie haben in diesen Jahren nirgendwo so viele Planerstellen gestrichen wie im Verkehrsministerium.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist auch Teil der Wahrheit. Der Verkehrsminister oder Sie in Ihren Reden halten uns immer noch diese 2013er-Zahl vor, als 40 Millionen zurück nach Berlin gegangen sind – das stimmt, das war ein politischer Fehler. Aber Sie haben so viele Stellen abgebaut, dass in Nordrhein-Westfalen nicht vernünftig geplant werden konnte. Das ist eine politische Wahrheit, lieber Kollege Löttgen.
(Beifall von den GRÜNEN – Bodo Löttgen [CDU]: Falsch! Es war Herr Voigtsberger!)
–  Nein, das war nicht Herr Voigtsberger. Das war Ihr Kollege Lienenkämper, der heute Finanzminister ist. Das war Ihr Kollege Lienenkämper – 680 Stellen bei Straßen.NRW!
Zum Abschluss: Gegen Stau hilft nur Bau. – Da haben wir Grüne gegenüber SPD und CDU eine andere Auffassung: Gegen Stau hilft nämlich nicht nur Bau, sondern auch schlau.
(Zuruf von der FDP)
Wir müssen über vernetzte Mobilität reden. Wir müssen über intelligente Mobilität reden. Wir werden den Verkehr in Nordrhein-Westfalen nicht flüssiger bekommen, wenn wir ständig nur Straßen und eine Umgehungsstraße nach der anderen bauen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir brauchen intelligente Verkehrsträger. Wir werden uns als Fraktion damit in der nächsten Woche beschäftigen. Wir haben Michael Mronz zu unserer Fraktionssitzung eingeladen. Da geht es nicht nur um die Olympiabewerbung des Landes, sondern Herr Mronz hat mit seinen Leuten ein sehr spannendes Konzept vorgelegt, wie man – wenn man Nordrhein-Westfalen in Richtung Olympia bringen will – die Verkehrssysteme in NRW zukunftsfähig macht. Es gab einen spannenden Kongress in Aachen; der Verkehrsminister war auch dabei.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Zuruf von der FDP)
Wir werden uns das sehr genau anschauen, weil darin Substanz steckt: Digitalisierung, Ver- netzung der Verkehrsträger, Mobilitätsstationen, mehr Radverkehr. Professor Schuh ist mit dabei, die Aachener Leute etc. Das ist Mobilität der Zukunft, aber nicht reiner Straßenbau, wie er hier von CDU, SPD und FDP propagiert wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie haben uns – das habe ich eben schon gesagt – bei klugen Vorschläge auf Ihrer Seite. Ich bin skeptisch, wenn ich mir die letzten Wochen anschaue. Allein die Debatte um das Tempolimit: Jedes europäische Nachbarland hat ein Tempolimit. Es gibt gute Gründe für ein Tempolimit. Wenn ich mir die hysterischen, aufgeregten Reaktionen von Herrn Lindner und Herrn Scheuer anschaue, dann habe ich wenig Hoffnung, dass wir auf dem Weg Richtung Mobilität der Zukunft an einem Punkt sind, an dem wir in die Zukunft schauen können und vorankommen. Vielmehr ist das alles 70er-, 80er-Jahre, mit den entsprechenden Plattitüden.
Das ist bedauerlich. Für intelligente Politik haben Sie ganz klar unsere grüne Unterstützung.
–  Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall von den GRÜNEN)

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