Arndt Klocke: „Was tut die Landesregierung, um die Folgen des Brexits abzumildern?“

Aktuelle Stunde u.a. auf Antrag GRÜNEN im Landtag zum Brexit

 Arndt Klocke (GRÜNE): Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Wo ist der Minis- terpräsident bei diesem wichtigen Thema? Das fragen wir uns.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Es ist ja schön, dass er die Zeit gefunden hat, zur wichtigen CDU-Regionalkonferenz zu gehen. Aber wenn der Landtag Nordrhein-Westfalen in einer Aktuellen Stunde über den Brexit mit den tief greifenden Auswirkungen, die hier drohen, diskutiert und der Ministerpräsident nicht anwesend ist, dann wüsste ich ganz gerne: Wo ist Herr Laschet?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU: Wo waren Sie denn gestern Morgen? – Beifall von der CDU und der FDP)
–  Wo ich gestern Morgen war? Das kann ich Ihnen sagen.
Erst einmal brauchen wir nicht miteinander zu diskutieren, wo ich meine Termine verbringe. (Zurufe von der CDU und der FDP: Ah!)
–  Haben wir hier denn neuerdings Anwesenheitspflicht? (Zurufe von der CDU und der FDP: Ah!)
Ich war gestern bei einer wichtigen Verkehrskonferenz. Ich bin der Fraktionsvorsitzende der Grünen. Die Kollegin Düker war hier. Ich glaube nicht, dass ich Ihnen Rechenschaft schuldig bin, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Zurufe von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
–  Hohe Aufgeregtheit bei den Regierungsfraktionen. (Unruhe – Glocke)
Das war ja gestern schon bei meiner Kurzintervention zu der Rede von Minister Wüst so. Meine Güte!
(Der Ministerpräsident betritt das Plenum. – Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP
–  Glocke)
–  Das ist ja schön, dass es der Ministerpräsident bei dem wichtigen Thema auch geschafft hat.
Ich fragte gerade nach Ihnen, und da musste ich Ihrer Fraktion Rechenschaft ablegen, wo ich gestern Morgen um 10:00 Uhr war.
(Zurufe von der CDU: Ja!)
Im Juni 2017 begannen die Gespräche zwischen EU und Großbritannien über den Austritt. Am 25.11.2018 haben die Staats- und Regierungschefs die Entwürfe über den Austrittsvertrag gebilligt. Am 29.03.2019 soll Großbritannien die EU verlassen, sofern das britische Parlament zustimmt.
Das wird zu einer tief greifenden Umwälzung im Verhältnis von Nordrhein-Westfalen zum Vereinigten Königreich führen, insbesondere im Bereich der Wirtschaft.
Wir Grüne – federführend mit Stefan Engstfeld – haben deswegen eine Enquetekommission beantragt, um dieses Thema breit zu diskutieren. Es ist auch gut, dass wir das heute in einer Aktuellen Stunde diskutieren.
Großbritannien ist das drittgrößte Exportland für Nordrhein-Westfalen und der viertwichtigste Handelspartner.
Unsere grüne Europafraktion hat federführend mit der Uni Magdeburg im Oktober ein Gutachten vorgelegt, um die Auswirkungen des Brexits für Nordrhein-Westfalen zu diskutieren. In diesem Gutachten finden sich besorgniserregende Zahlen.
Es gibt ein wirtschaftliches Gesamtrisiko, das 5 % der Wirtschaftsleistung Nordrhein-Westfalens betrifft. Es geht um einen Gesamtumsatz in der Wirtschaft in Höhe von 36 Milliarden Euro.
Fast 90 % der in dieser Studie befragten Unternehmen haben angegeben, dass sie Exportbeziehungen zu Großbritannien unterhalten. Aber nur 45 % der befragten Unternehmen haben sich mit den Folgen des Brexits, Stand: Oktober 2018, beschäftigt.
Das belegt und unterstreicht, dass der Brexit eine hohe Bedeutung für Nordrhein-Westfalen hat.
Das sind alarmierende Zahlen, und wir wollen heute in dieser Aktuellen Stunde wissen: Was tut die Landesregierung, um die Folgen des Brexits abzumildern?
Sie haben ein Brexit-Übergangsgesetz vorgelegt. Das sind zwei dürre Seiten mit sehr nichtssagenden und inhaltlich dünnen Aussagen.
Am letzten Sonntag – das ist der Grund für die Aktuelle Stunde – gab es diesen interessanten Bericht im WDR-Magazin „Westpol“.
Zu der Frage der Dependance, angeblich in London: Es gibt die Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums von Herrn Pinkwart mit der Überschrift „Nordrhein-Westfalen eröffnet Büro in London zur Förderung der Wirtschaftsbeziehungen mit Großbritannien“.
Stattdessen verbirgt sich dahinter eine Agentur, eine Briefkastenadresse zwei Stunden vor London. Das ist genauso, als wenn die Landesregierung in Emsdetten eine wichtige Einrichtung etablieren und behaupten würde, in der Landeshauptstadt Düsseldorf wäre ein wichtiges Unternehmen oder eine wichtige Agentur angesiedelt worden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vor allen Dingen haben Sie, Herr Pinkwart, noch ein Foto im Netz veröffentlicht, auf dem Sie in London vor einem Hotel stehen, mit der Überschrift: Agentur in London eröffnet. – Das macht wirklich misstrauisch, und es macht deutlich, dass hier möglicherweise mehr im Argen liegt als nur die Frage, unter welcher Adresse diese Agentur in London oder eben nicht in London firmiert.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Arbeitsergebnisse – auch das machte der „Westpol“-Bericht deutlich – sind bisher mehr als dünn. Es gibt sieben konkrete Anfragen zu Unternehmensansiedlungen; es geht hier um knapp 850 Arbeitsplätze. Aber bisher ist noch nichts unterschriftsreif.
Im Gegensatz dazu haben im Land Hessen mittlerweile 50 Unternehmen klar signalisiert und unterschrieben, von Großbritannien nach Hessen wechseln zu wollen. Der Wirtschaftsminister, Herr Al-Wazir, war insgesamt fünfmal in London – auch im Financial District –, um entsprechende Gespräche zu führen.
Uns interessiert, wenn Sie es denn nicht selber machen, Herr Pinkwart: Was macht Herr Merz als Brexit-Beauftragter?
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Merz hat dem WDR im O-Ton gesagt: Die Monate des vierten Quartals 2018 sind die entscheidensten meiner Aktivitäten als Brexit-Beauftragter. – Jetzt tourt er durchs Land als Kandidat für den CDU-Vorsitz.
Wir möchten gerne von der Landesregierung wissen: Wie sind aktuell Ihre Kontakte zu Herrn Merz – außer bei Regionalkonferenzen? Welche Gespräche führt Herr Merz? Was unternimmt Herr Merz, um die Folgen eines Brexits für Nordrhein-Westfalen abzumildern? Das muss heute in der Aktuellen Stunde auf den Tisch, liebe Landesregierung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir wollen auch von Ihnen wissen: Wie sieht der Plan B aus? Es könnte ja sein, dass Herr Merz CDU-Vorsitzender wird. Wird er dann in den entscheidenden Monaten weiter als Brexit-Beauftragter im Amt bleiben – sozusagen als weiteres Ehrenamt? Oder was unternehmen Sie, wenn Herr Merz in der nächsten Woche gewählt wird? Haben Sie einen Plan B? Das sollten Sie uns hier mitteilen.
Ich würde gern noch eine Kleine Anfrage meines Kollegen Horst Becker ansprechen. Es wurde im Oktober im WDR vermeldet: Auch die Landesregierung hat ein eigenes Gutachten zur Frage der Brexit-Folgen in Auftrag gegeben. Kollege Horst Becker hat dazu Mitte Oktober eine Anfrage an die Landesregierung gestellt, um herauszubekommen: Was hat es mit diesem Gutachten auf sich? Was beinhaltet das Gutachten?
Bis heute liegt keine Antwort zu dieser Anfrage vor. Es gab seitens der Landesregierung nur die Rückmeldung, das Gutachten würde im Februar 2019 vorgelegt werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, der Brexit wird im Frühjahr 2019 durchgeführt. Sie müssen doch heute wissen: Wie ist der Kompass? Wie sieht der Handlungsrahmen für das Land Nordrhein-Westfalen aus? Was sind die wirtschaftlichen Auswirkungen?
(Beifall von den GRÜNEN)
Was tun Sie, um die betroffenen Unternehmen zu unterstützen? Wir haben eben gehört: 90 % der befragten Unternehmen haben Geschäftskontakte zu Großbritannien. – Was tun Sie, um die Unternehmen zu unterstützen, damit der Brexit nicht zu einem tief greifenden Einbruch für Arbeitsplätze und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen führt?
Ich bin sicher, sehr geehrte Damen und Herren: Wenn die rot-grüne Landesregierung damals in einer solch entscheidenden Frage ein solches Bild abgegeben hätte, hätten Herr Lindner und Herr Laschet
(Zurufe von der FDP)
hier mit großem Tremolo am Pult gestanden. Herr Laschet hätte hier gewippt und gefragt: Frau Kraft, was tun Sie hier? – Wir wollen heute wissen, Herr Laschet: Was tun Sie? Und was tut die Landesregierung,
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
um die Folgen des Brexits abzumildern? Das ist heute Ihre Chance, hier Farbe zu bekennen.
–  Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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