Arndt Klocke: „Unter den Aspekten ‚Nachhaltigkeit‘, ‚Baufortschritt‘ und ‚Fertigstellung‘ war es nicht das beste Angebot“

Aktuelle Stunde auf Antrag der SPD-Fraktion zur Leverkusener Brücke

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen hier im Plenum heute zum wiederholten Male über das Thema „Leverkusener Brücke“. Ich muss sagen, Kollege Voussem, ich war sieben Jahre Fachabgeordneter für Verkehrspolitik in der rot-grünen Regierungszeit und jetzt in der Opposition.
Sie haben uns sieben Jahre lang vorgehalten – oft fälschlich, manchmal auch zu Recht –, was Rot-Grün und die Verkehrsminister, insbesondere Mike Groschek, falsch machten. Sie müssen auch damit umgehen können, dass Sie jetzt regieren und dass wir Ihnen Ihre Versäumnisse und Fehler vorhalten.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich habe immer wieder den Eindruck, das grenze an Majestätsbeleidigung. Vor allem habe ich die Rede von Bodo Löttgen in dieser Woche in Erinnerung. Mit welcher Verve hat er ausgeteilt gegen Kritik von SPD und Grünen an der Politik der Landesregierung und des Ministerpräsidenten!
(Zuruf: Zu Recht!)
Da muss ich sagen: Sie haben zweieinhalb Jahre gebraucht, um überhaupt in der Regierung anzukommen. Sie haben uns immer vorgehalten – damals waren Sie noch im Oppositionsmodus –, was wir in diesem Land alles verbockt hätten und was Sie jetzt mühsam aufarbeiten müssten.
Jetzt in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode hat es immerhin den Anschein, Sie hätten kapiert, dass Sie in der Landesregierung sind und nicht mehr in der Opposition. Aber Sie müssen es sich gefallen lassen, dass wir Themen und Fragen zum Mittelpunkt von Debatten machen,
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
bei denen Sie in Ihrer Regierungspolitik nachweislich Fehler machen. Das müssen Sie sich gefallen lassen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich habe immer wieder den Eindruck, wir seien eine Monarchie geworden und jeder, der irgendwie Kritik äußert, müsse an den Rand gestellt werden. So geht es nicht.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Jetzt zum Thema. Zweifelsfrei haben die Landesregierung und der Verkehrsminister das Haus und die Fachabgeordneten zu diesem Thema viel zu spät informiert. Die erste Information kam im Verkehrsausschuss Ende April. Da hatten Medien – der „WDR“, der „Kölner Stadtanzeiger“ – vorher schon wochenlang ausführlich über diese Thematik berichtet.
Man darf schon die Frage stellen – so oft wie wir zusammenkommen im Verkehrsausschuss, in Obleuterunden oder zu anderen Themen, ob zu Bahnstrecken-Reaktivierungen, zum Bau von Radschnellwegen oder zu sonst etwas –, warum das Gespräch zumindest mit den verkehrspolitischen Sprechern nicht gesucht wurde.
(Zuruf)
Ich weiß, dass es hier auch um Verträge geht. Es geht auch um Vertragsgeheimnisse etc. Aber man kann auch informell oder unter Geheimhaltungsaspekten zusammenkommen und sagen: Wir müssen euch informieren. – Aber so lange, wie das Haus schon über Fehler und Versäumnisse der Baufirma informiert war, nämlich mindestens seit Herbst 2018, hätte das Gespräch mit den Fachabgeordneten gesucht werden müssen – vertraulich –, um zu informieren, was da eigentlich vor sich geht.
Das ist ein klares Versäumnis dieser Regierung und auch dieses Verkehrsministers. Das müssen Sie sich schon anhören.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dann die Frage des Staatssekretärs. Ich habe in meiner Rede in der letzten Aktuellen Stunde zu dem Thema ganz vorsichtig gesagt: Der Job bei PORR im Vorfeld und die folgende Auftragsvergabe an das Unternehmen könnten ein Geschmäckle haben.
Man kann im Protokoll eine große Empörung nachvollziehen. Bodo Löttgen hing fast unter der Decke.
(Zuruf von der SPD: Das tut er doch immer!)
Auch Herr Voussem hat mit hochrotem Kopf gesagt: Wie kann man davon sprechen, es habe möglicherweise eine Verquickung gegeben?
Nach der E-Mail von gestern Abend, die Kollege Löcker angesprochen hat, wissen wir jetzt doch, dass der Staatssekretär lange vorher über die Vorgänge informiert war und auch Gespräche geführt hat, als es bis jetzt eingeräumt worden ist.
(Zuruf von Jochen Ott [SPD])
Warum wurden wir darüber nicht informiert? Das ist eine Unverschämtheit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das hätte man durchaus offenlegen können; zumindest ich habe das im letzten Plenum ganz vorsichtig angesprochen. – Bei der CDU gab es Empörungswellen.
Ich habe diese E-Mail aus dem Büro von Herrn Wüst gestern Abend auf dem Weg nach Hause im Zug gelesen. Dabei dachte ich: Oh, das war doch eine ganze Reihe von Gesprächen. – Damit ist zwar nicht belegt, dass irgendetwas Unrechtmäßiges passiert ist, was nach den Abläufen nicht möglich gewesen wäre, aber zumindest wurde uns verheimlicht, dass Gespräche geführt worden sind. Man darf dann schon die Frage stellen, warum uns das verheimlicht worden ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Jetzt zum Blick nach vorne, denn die Situation ist, wie sie ist. Wir haben zu dem Thema keinen Untersuchungsausschuss und befinden uns nicht in der Sachverhaltsklärung.
Für mich stellt sich die Frage: Sind ausreichende Bedingungen geschaffen worden, damit wir zu einem schnellen Weiterbau dieser Brücke kommen? Das ist die entscheidende Frage für dieses Land, für die Verkehrsverbindungen und auch für die Umweltbedingungen.
Natürlich gibt es in den nächsten drei bis vier Jahren auch weiterhin die Umgehungsverkehre, die wir schon seit ein paar Jahren haben. Das ist auch für mich als Grüner, der sehr stark auf die Schadstoffbelastung und die Umweltsituation achtet, schwer erträglich.
Deshalb lautet die entscheidende Frage für uns: Ist die vertragliche Situation, die geschaffen werden soll, die beste Grundvoraussetzung dafür, diese Brücke möglichst schnell weiterzubauen und zu Ende zu bauen? Wie schaffen wir es, weitere Bauverzögerungen im Prozess zu verhindern?
Wie schaffen wir es auch, finanzielle Mehrbelastungen zu verhindern? Der Bericht bei „Westpol“ hat doch klar offengelegt, dass wir fast von einer Verdoppelung der ursprünglichen Bausumme sprechen, von mehreren Millionen Euro. Das muss schon im Parlament diskutiert werden. Es muss auch die Frage gestellt werden, wie wir es schaffen, dass nicht mehr als bisher passiert.
Als letzten Punkt in der ersten Runde möchte ich das Vergaberecht ansprechen. Mir ist klar, dass Ausschreibung und Auftragsvergabe nach dem gültigen Vergaberecht gelaufen sind. Auch die Vergabe an den chinesischen Anbieter ist sehr streng nach dem gültigen Recht geschehen.
Für mich gehört deshalb auch eine Debatte über das europäische Vergaberecht dazu. Ist es weiterhin richtig, es so zu handhaben, oder müssten wir nicht bei dem Umstand nachjustieren, dass für die Vergabe von Bauprojekten alleine Preiskriterien den Ausschlag geben? Müsste das Qualitätskriterium nicht entscheidend für die Frage sein, an wen man einen Auftrag vergibt?
Nach Preiskriterien sprechen wir eindeutig über das günstigste Angebot, aber unter den Aspekten „Nachhaltigkeit“, „Baufortschritt“ und „Fertigstellung“ war es nicht das beste Angebot; danach hätte man an einen anderen Anbieter vergeben müssen.
Kollege Voussem, dabei ist es für mich nicht entscheidend, ob dieser Stahl in China, in Deutschland oder sonst wo produziert wird, denn die entscheidende Frage lautet: Ist dieser Stahl unter deutschen Qualitätskriterien geeignet, um an dieser Stelle eingesetzt zu werden? Haben wir damit eine Brücke, die die nächsten 50 bis 60 Jahre einwandfrei und nachhaltig funktioniert?
Darüber sollten wir ausführlich und in Ruhe diskutieren – nicht nur anhand der Leverkusener Brücke, sondern auch mit Blick auf künftige Vergaben; wir haben in diesem Land noch Hunderte Brückensanierungen vor uns. Das Qualitätskriterium wird in unserem Vergaberecht meiner Ansicht nach nicht hinreichend berücksichtigt.
Der Bund der Steuerzahler findet es großartig, weil Geld eingespart werden kann, aber ich meine, dass wir am Ende viel mehr draufzahlen. Die Projekte werden später fertiggestellt, und wir haben noch mehr Arbeit und noch mehr Zeitverzögerungen, als wenn wir nachhaltig geplant hätten.
Jetzt bin ich gespannt, was uns der Minister zum Sachverhalt berichten wird. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Der zweite REdebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Verkehrsminister Hendrik Wüst, ich habe in meiner Rede nicht behauptet, Sie hätten das Plenum oder den Ausschuss falsch informiert.
Vielmehr lautet der Vorwurf: Sie haben uns zu spät informiert. – Das ist ein entscheidender Vorwurf.
Ich erinnere mich genau an die Information im Ausschuss im letzten Sommer, als es um die Kampfmittelräumung ging. Wäre das nicht der Anlass gewesen, eine Obleuterunde einzuberufen – gerne auch unter Vertraulichkeitsgesichtspunkten – und zu sagen: „Passt auf, da kommt noch etwas ganz anderes auf uns zu. Es steht die Frage im Raum, ob wir der Baufirma möglicherweise kündigen müssen; jedenfalls ist der Stahl eventuell mängelbehaftet. Wir haben da vielleicht ein viel größeres Problem vor der Brust“? Das wäre eine Geste der Transparenz gewesen, auch der Einbindung der Opposition. Das ist mein Vorwurf, und den haben Sie nicht ausgeräumt.
Eben haben Sie auf die Aktuelle Stunde am 29.04. rekurriert, in der Sie breit informiert haben. Diese Aktuelle Stunde haben Grüne und SPD beantragt.
(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])
Das war keine Unterrichtung der Landesregierung, sondern eine Aktuelle Stunde, die wir beantragt haben, weil „Westpol“ und der „Kölner Stadt-Anzeiger“ umfassend berichtet haben.
(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])
Es steht außer Frage, dass der Verkehrsminister im Ausschuss sehr breit informiert hat. Ich habe mich sogar zu Wort gemeldet und gesagt: Ich habe zum jetzigen Zeitpunkt keine Fragen mehr und bedanke mich für die Informationen. – Das ist passiert. An diesen Punkt zu kommen, war aber doch ein langer Prozess.
Wir – SPD und Grüne – haben schon sehr frühzeitig nachgefragt, welche Rolle der Staatssekretär in diesem Zusammenhang gespielt hat. Das wurde weit weggewiesen. Es sei eine Unverschämtheit, überhaupt in den Raum zu stellen, dass es da Verquickungen gegeben haben könnte. Seit gestern Abend wissen wir aus der Mail aus dem Verkehrsministerium, dass es zahlreiche Gespräche gegeben hat.
Das erinnert mich an Herbert Reul, der zuerst gesagt hat: Mit RWE hat es zum Hambacher Wald nie Gespräche gegeben. Dann gab es einen WDR-Bericht, für den gut recherchiert worden war: Die waren im Haus. Auf einmal fiel Innenminister Herbert Reul ein: Ach ja, es hat zwei oder drei persönliche Treffen mit RWE im Ministerbüro zum Hambacher Wald gegeben. – Schau an! Siehe da! Auf einmal ist die Erinnerung wieder da.
Das erinnert mich daran, dass uns am Abend vor einer Aktuellen Stunde im Landtag mit einer Mail eine Liste vorgelegt wurde, welche Gespräche der Staatssekretär mit PORR geführt hat. Ich finde, das ist zu brandmarken; das ist unanständig.
Damals, in rot-grüner Regierungszeit, hätten Sie uns das nie und nimmer durchgehen lassen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ministerpräsident Laschet, damals Fraktionsvorsitzender, hätte hier wild wippend am Rednerpult gestanden und uns all das mit empörter Stimme vorgehalten. Christian Lindner hat mit erhobenem Zeigefinger und großer Geste jahrelang versucht, uns das aufs Butterbrot zu schmieren.
Und Sie fühlen sich beleidigt, wenn wir heute solche Fragen stellen. Das geht einfach nicht. Wir sind eine Demokratie, und Sie müssen dem Parlament Auskunft geben, sehr geehrte Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Jetzt noch einmal der Blick nach vorne: Bei Straßen.NRW – das ist angesprochen worden – war schon damals, als ich in Regierungszeiten Fachpolitiker war, mein Eindruck, dass dieser Betrieb ein Eigenleben hat und man vieles nicht durchschaut.
Es steht der aus meiner Sicht durchaus interessante Vorschlag im Raum – er kommt von den IHK hier im Land, unter anderem von Ulrich Soénius, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Köln, Mitglied Ihrer Partei, also der Regierungspartei CDU –, ein Beiratsgremium einzuführen. Meines Erachtens gibt es gute Gründe, dies zu überlegen.
Zum Beispiel gibt es ein gutes Beiratsgremium im Bereich der Wohnraumförderung. Wir sitzen regelmäßig in der NRW.BANK zusammen und lassen uns dort detailliert die Berichte zum Fortgang der Wohnraumförderung, des sozialen Wohnungsbaus, der Eigenheimförderung usw. vorstellen.
Ich meine, es wäre spätestens an diesem Punkt sinnvoll, darüber nachzudenken, wie wir in diesen Laden Straßen.NRW, in den Straßenbau in Nordrhein-Westfalen mehr Transparenz bekommen. Das wäre ein Vorschlag nach vorne zu der Frage, wie wir mit Blick auf die Zukunft solche Vorgänge verhindern, damit es mehr Transparenz, mehr Akteneinsicht gibt. Natürlich kann man nicht in aller Breite über vertrauliche Verträge reden.
Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich die Vertragskündigung richtig finde. Ich würde mich, weil mir dafür die Sachkenntnis, die juristische Kenntnis fehlt, auch nicht aufspielen und sagen, dass der Minister schneller hätte kündigen müssen. Das ist überhaupt nicht mein Vorwurf.
Meiner Meinung nach hätten der Minister und die Landesregierung eher über die Probleme, die im Raum stehen, die uns erwarten, informieren müssen. Das wäre fair und anständig gewesen.
Die Vertragskündigung zum jetzigen Zeitpunkt ist aus meiner Sicht richtig und unausweichlich gewesen. So musste man vorgehen.
Blick nach vorne – ich habe es eben angesprochen –: Beiratsgremium. Wir haben zukünftig die Bundesautobahnengesellschaft. Ich habe vom Minister bei einer Schalte mit den IHK vom Niederrhein vor Kurzem wahrgenommen, dass auch er nicht der größte Fan dieses neuen Konstruktes auf Bundesebene ist.
Es gibt viele gute Gründe, dass wir in diesen Bereich mehr Transparenz und mehr Beteiligung – insbesondere mit Blick auf die Neuorganisation – hineinbekommen. Deswegen ist es ein guter Vorschlag, wenn heute von hier das Signal ausgehen könnte, dass wir ein solches Beiratsgremium schaffen und die Wirtschaftsverbände, die Städte und Kreise, den Städte- und Gemeindebund sowie die Opposition einbinden. Dann könnten wir solche Angelegenheiten in Zukunft besser und transparenter besprechen, als es in der Vergangenheit der Fall war. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)

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