Arndt Klocke: „Unambitioniert und mutlos“

Aussprache zur Regierungserklärung

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Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Herr Ministerpräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befinden uns gegenwärtig in durchaus unruhigen Zeiten, in denen vieles in unserem Land, in denen vieles weltweit in rasanten Veränderungen begriffen ist. Mit „Maß und Mitte“ haben Sie gestern, Herr Ministerpräsident, Ihre Regierungserklärung überschrieben. Viele Zeitungen zitieren das heute. Maß und Mitte – ist das nicht in Zeiten internationaler Krisen, in Zeiten der Wetterextreme und der großen globalen Veränderungen etwas unambitioniert und etwas mutlos? – Ich meine, ja.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir stehen in vielen internationalen Problemlagen. Wir erleben die Zuspitzung der Klimakrise mit dem, was wir in den USA gerade beobachten, mit den Stürmen, aber auch hierzulande mit vielen Wetterphänomenen.
Aber wir stehen auch vor einer Bundestagswahl, die in zehn Tagen ansteht.
Herr Ministerpräsident – das haben wir ja gerade bei der Rede von Herrn Lindner erlebt –, Sie sind mal als Politiker als Teil einer schwarz-grünen Pizza-Connection gestartet. Sie sind jetzt als Ministerpräsident sehr, sehr, sehr eingegrenzt durch das, was Ihnen der Koalitionspartner an Spielräumen lässt. Herr Lindner hat eben klargemacht, wer eigentlich der tonangebende Faktor in dieser Koalition ist. In der Pizza-Connection gestartet, als gelber Bettvorleger gelandet, Herr Ministerpräsident!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU: Oh!)
Ich möchte gerne einen Punkt herausgreifen, und zwar das Thema „Mieten“. Sie haben ja ein ganzes Portfolio an Themen geliefert, Herr Lindner. Wir haben den Drang in die großen Städte. Wir haben Menschen, die dringend nach Wohnraum suchen. Da hat die letzte Landesregierung vieles getan. Wir sind im letzten Jahr mit 40 % der fertiggestellten Wohnungen in Nordrhein-Westfalen deutscher Meister beim sozialen Wohnungsbau gewesen. Fördermittel werden massiv abgegriffen. Aber wenn Sie, Herr Lindner, hier gegen die Mietpreisbremse zu Felde ziehen,
(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
glauben Sie wirklich, dass das deutsche Mietrecht ausreichend ist, um Mieterinnen und Mieter vor unberechtigten Mieterhöhungen zu schützen? Ich lade Sie gerne mal nach Köln ein. Sie haben ja eben auf Herrn Kollegen Ott reagiert. Das sind nicht nur Wähler der Grünen mit irgendwelchen schicken Altbauwohnungen, sondern es sind die einfachen Leute, die auf Wohnungssuche sind,
(Beifall von den GRÜNEN)
die sich dringend danach sehnen, modernisierten und dennoch bezahlbaren Wohnraum zu finden.
(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
Teilweise erhöhen Vermieter die Miete im Quadratmeterpreis um 5 oder 6 €. Aber es gibt keine Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme. Sie sagen, das Mietrecht sei ausreichend, um Menschen vor unberechtigten Mietsteigerungen zu schützen. Diese Auffassung teilen wir in keiner Weise, sehr geehrte Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich habe mich eben bei Ihrer Rede gewundert. Der Applaus der CDU-Fraktion war ja an einigen Stellen sehr dünn. Ich habe auch mal zu Herrn Laumann herübergeguckt, wie er das alles verfolgt hat.
Die wohnungspolitische Frage ist eine der zentralen sozialpolitischen Fragen in diesem Land. Die beantworten Sie nicht. Dazu haben Sie gestern in Ihrer Regierungserklärung nichts gesagt. Sie wollen alle Instrumente abschaffen, die die Vorgängerregierung eingeführt hat, um Wildwuchs, um Mietwucher einzugrenzen. Aber Sie sagen nicht, was kommen soll. Das ist ein schweres Versäumnis Ihrer Regierungserklärung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das werden wir in den nächsten Jahren in Nordrhein-Westfalen intensiv zu verfolgen haben.
Lieber Herr Laschet, Sie übernehmen – das war ja gestern auch auffällig bei Ihren Worten – mittlerweile auch die Rhetorik Ihres neuen Koalitionspartners, wenn Sie uns Grünen vorhalten, in der Mobilitätspolitik peinliche, dumme Vorschläge zu machen. Ihr ganzer Auftritt hier gestern war ja davon geprägt, uns vorzuhalten, dass wir der Bremsklotz der deutschen Automobilindustrie seien.
(Ministerpräsident Armin Laschet: Ausstieg!)
– Lieber Herr Laschet, man kann über Instrumente intensiv diskutieren. Aber was ist denn in den letzten Jahren in diesem Bereich passiert?
Ich will Ihnen mal ein persönliches Erlebnis aus dem Jahr 2000 schildern. In Münster fand ein Bundesparteitag der Grünen statt, und zum ersten Mal – das war bei den Grünen revolutionär und nicht unstrittig – haben dort alle großen deutschen Automobilaussteller ausgestellt. VW war da, BMW war da, Mercedes war da.
Ich arbeitete seinerzeit für die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Bei einem Messerundgang habe ich gesehen: VW war mit dem Drei-Liter-Lupo da, BMW mit der Wasserstofftechnologie, Mercedes mit Erdgaswagen. Die Aussage der führenden Automobilmanager war: 2005 sind unsere Modelle marktreif, und wir wollen bis 2010 – das unterschied sich von Konzern zu Konzern – 20 % bis 25 % Marktanteil bei den Elektro- und Wasserstoffantrieben erreichen. – Und jetzt, im Jahr 2017, sind es noch nicht mal 0,5 %.
Herr Ministerpräsident, wollen Sie uns jetzt sagen – und auch Sie, Herr Lindner –, dass der Markt und die Konzerne es schon richten werden, dass es keine politischen Leitsetzungen und keine politischen Zielsetzungen braucht und dass die Innovationskraft der Konzerne ausreicht, um Antworten auf diese Frage zu finden? Wir glauben das nicht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ob das dann 2030 oder 2040 geschieht – dazu haben sich jetzt Frankreich und Großbritannien, immerhin führende Industrieländer im europäischen Kontext, entschlossen; Norwegen hat sich auf 2025 festgelegt –, ist letztlich egal. Ich glaube, wir brauchen politische Rahmensetzungen und Orientierungspunkte für die Wirtschaft. Und selbst wenn wir erst 2032 aus der Verbrennungstechnologie aussteigen, ist das auch gut!
Die Frage ist: Wie organisieren wir einen politischen Rahmen für eine prosperierende Automobilindustrie, die in Richtung emissionsfreier Antrieb geht? Da haben Sie, Herr Ministerpräsident, gestern deutlich gemacht, dass Sie mit Ihrer Regierungserklärung, mit dem Koalitionsvertrag für diesen Bereich nichts zu sagen, nichts zu bieten haben. Sie wollen uns anhängen, dass wir sozusagen der Bremsklotz für die Automobilindustrie sind. Das ist faktenfreier Unsinn, sehr geehrter Herr Laschet!
(Beifall von den GRÜNEN)
Das, was Sie uns hier vorgetragen haben, war durchzogen von einer Melodie aus Vergangenem, fehlendem Mut, Restauration, Klientelinteressen und vor allen Dingen wenig Aufbruch. Ihr Festhalten an der Kohleverstromung, insbesondere an der Nutzung der heimischen Braunkohle, Ihr Abwürgen der Förderung der erneuerbaren Energien – das hat uns gerade noch einmal Christian Lindner in seiner Rede deutlich gemacht, der den Windkrafterlass in den Mittelpunkt gestellt hat – und Ihr Insistieren auf den Verbrennungsmotor zeigt uns, dass Sie nicht bereit sind, mutige Schritte in die Zukunft und in die Moderne zu gehen.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Wenn Sie, Herr Ministerpräsident, uns Grünen vorwerfen, dass wir in der rot-grünen Koalition nicht genug erreicht hätten bei der Frage des Kohleausstiegs – das haben Sie gestern gemacht; Sie haben gesagt, das sei auch unsere Braunkohle –, dann ist es doch nur fair und ehrlich, einmal ganz klar zu sagen: Sie haben selbst der Verkleinerung des Braunkohlentagebaus in Garzweiler nicht zugestimmt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie haben scharfe Kritik geübt und haben sich auf die Seite derer gestellt, die in diesem Bereich überhaupt nichts voranbringen wollen.
(Henning Höne [FDP]: Es kommt darauf an, wie Sie das gemacht haben! Hinter verschlossenen Türen am Ende einer Plenarwoche! – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU]:Manchmal kommt es auf das Wie an!)
Herr Ministerpräsident, es geht vor allen Dingen um das Ob.
(Bodo Löttgen [CDU]: Es geht um das Wie!)
– Es geht nicht um das Wie, sondern es geht um die Frage, in welche Richtung die Energiepolitik in diesem Lande geht.
(Bodo Löttgen [CDU]: Also bitte!)
Es geht um die Menschen in den Dörfern vor Ort. Vorhin wurde erwähnt, dass die Grünen bei der Demonstration dabei waren. Gehen auch Sie mal in die Dörfer und sprechen Sie mit den Menschen, die dort leben, die ihre Heimat verlassen müssen,
(Bodo Löttgen [CDU]: Die sich auf die Entscheidungen verlassen müssen!)
die aus ihren angestammten Häusern raus müssen. Auch die Kirchen werden verlassen. Diese Menschen warten auf politische Leitentscheidungen und Rahmensetzungen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das wollen Sie doch überhaupt nicht! Sie gehen mit Ihren energiepolitischen Vorstellungen in eine völlig andere Richtung.
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Meine feste Überzeugung ist, dass wir im Bereich der Mobilität vor einer ähnlich großen Transformation stehen wie im Bereich der Energie und der Energiewende.
Ich habe am letzten Sonntag mit großem Interesse die Sendung „ANNE WILL“ gesehen, wo Herr Schäuble mit Cem Özdemir diskutiert hat. Herr Schäuble brüstete sich damit, wie modern Deutschland geworden sei: Über 30 % Strom aus erneuerbaren Quellen. Wir sind auf dem richtigen Weg in der Energieversorgung.
Es wäre doch nur fair und ehrlich, einmal zu sagen, wer denn über Jahre und Jahrzehnte für diesen Kurs eingetreten ist. Das war eben nicht die CDU. Sie haben es blockiert, und Sie haben versucht, das zu verhindern.
(Zuruf von Jochen Ott [SPD])
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz bei grüner Regierungsbeteiligung in der rot-grünen Koalition war eine entscheidende Weichenstellung im Bereich der erneuerbaren Energien. Ich finde es bemerkenswert und eigentlich auch folgerichtig, wenn die CDU das heute verteidigt und dahintersteht.
Sie bringen jetzt die gleichen Argumente, mit denen damals in den 90er-Jahren gegen die Energiewende argumentiert wurde: Dann geht in Deutschland das Licht aus! Hunderttausende von Arbeitsplätzen sind gefährdet! Maximal 5 % erneuerbare Energien sind möglich! Sie verhindern Industriewachstum! Sie sind Blockierer und Verhinderer! –
Mit den gleichen Argumenten, lieber Herr Laschet, sind Sie heute im Bereich von Verkehr und Mobilität unterwegs. Das sind exakt die gleichen Argumente.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Ob es nun 2030 oder 2035 ist – ich bin fest davon überzeugt, dass wir in Zukunft ein modernes Verkehrssystem bekommen werden. Wir werden vom Verbrennungsmotor Abschied nehmen. In 15 bis 20 Jahren werden Sie sich schämen für das, was Sie gestern vorgetragen haben; denn es ist die falsche politische Weichenstellung, heute nicht auf Antriebstechnologien der Zukunft zu setzen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich will Ihnen noch ein Beispiel nennen. Vor Kurzem haben Sie Reiner Priggen, unserem langjährigen Fraktionsvorsitzenden, den Landesverdienstorden überreicht. Reiner Priggen war grüner Kreistagsabgeordneter in meiner Heimat, in Ostwestfalen, und ich kannte ihn, weil er der Lebensgefährte meiner Klassenlehrerin war.
Reiner Priggen war schon damals innovativ im Energiebereich unterwegs; er hat damals die ersten Anträge in Richtung Kraft-Wärme-Kopplung, in Richtung erneuerbare Energien etc. gestellt. – „Revolutionär!“, „Ein Schaden für das Land!“, „Deindustrialisierung!“, „Wirtschaftsfeind Reiner Priggen!“ titelten damals die Zeitungen. So hat es ihm auch die CDU entgegengehalten.
Heute, fast 25 Jahre später, verleihen Sie ihm den Landesverdienstorden, lieber Herr Laschet. Das ist ein honoriger Schritt. Das Beispiel von Reiner Priggen zeigt, dass es Pioniere braucht. Es braucht Pioniere in dieser Gesellschaft, die mutig vorangehen. Sie haben gestern in Ihrer Regierungserklärung leider gezeigt, dass Sie keinen Pioniergeist für dieses Land haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn ich mir die zahlreichen Versprechungen vergegenwärtige, die Sie im Wahlkampf gemacht haben – der Kollege Norbert Römer ist schon darauf eingegangen –, so halte ich fest: Sie haben keinen Wahlkampf in der Breite geführt, sondern ihn auf drei, vier zentrale Themensetzungen zugespitzt: die Verkehrspolitik – insbesondere die Staus –, die Schulpolitik und die Unterrichtsversorgung, die Schulden und die innere Sicherheit. In all diesen Feldern rudern Sie – nicht einmal hundert Tage nach Regierungsübernahme – deutlich zurück. Sie können nichts von dem halten, was Sie im Wahlkampf versprochen haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich will Ihnen das an einigen Beispielen deutlich machen. Wenn sich Ihr Verkehrsminister in seinen ersten Presseinterviews hinstellt, in die Zukunft blickt und sagt: „Ob es bis 2022 weniger Staus in Nordrhein-Westfalen gibt oder eher mehr, lässt sich heute nicht mit Bestimmtheit sagen“, dann ist das doch ein Hohn mit Blick auf das, was Sie den Wählerinnen und Wählern im Wahlkampf versprochen haben.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf: Intellektueller Stau!)
Das wäre die Erkenntnis, dass das, was die Vorgängerregierung dazu gesagt hat, richtig ist: Wir haben ein Jahrzehnt der Baustellen vor uns, und die großen Versäumnisse in der Verkehrspolitik liegen in den 90er- und 2000er-Jahren. Sie sind unter unterschiedlichen Regierungskonstellationen entstanden. In diesen Jahren hat man vor allen Dingen versäumt, Engpässe zu beseitigen und Sanierungen vorzunehmen, egal ob das Brücken oder Straßen betrifft.
In der Regierungszeit der schwarz-gelben Vorgängerregierung – bei der Sie auch schon am Kabinettstisch saßen, Herr Laschet –, wurden massiv Stellen bei Straßen.NRW abgebaut. Das hat dazu geführt, dass wir heute deutlich weniger Planerinnen und Planer in dem Landesbetrieb haben, und das hat ebenfalls zur beschriebenen Situation beitragen. Das ist auch ein Teil der Wahrheit. Es ist eine Erblast der vorherigen Koalition, dass nicht im erforderlichen Maße agiert werden konnte. Ich bin daher sehr gespannt, ob Sie Ihre Versprechungen nun halten.
Die Vorgängerregierung hat es geschafft, den Anteil der Mittel im Landeshaushalt für Straßensanierung und -erhalt zu verdoppeln. Ich bin mal gespannt, ob Sie Ihre Versprechungen mit dem ersten Haushalt, den Sie demnächst vorlegen, halten und wir wirklich – wie im Gutachten vorgesehen – 200 Millionen € im Landeshaushalt für Sanierungen haben werden.
Bisher haben Sie sich all diesen Fragen nicht gestellt. Sie haben die Vorgängerregierung kritisiert. Herr Löttgen – er ist gerade nicht im Saal –: Sie sind jetzt Vorsitzender einer Regierungsfraktion – aber die Rede, die Sie eben hier geboten haben, war eher eine Mischung aus CDU-Generalsekretär und Oppositionspolitiker. Sie müssen, glaube ich, erst mal im Regierungshandeln ankommen.
Es geht nämlich nicht darum, alles bei den Vorgängern abzuladen, sondern auch darum, anzunehmen, was man übernommen hat, und uns darüber zu informieren, was man vorhat. Im Bereich der Verkehrspolitik – auch das war ein Versäumnis in Ihrer gestrigen Regierungserklärung – haben Sie uns keine klaren Ziele genannt. Auch der Verkehrsminister hat das bisher nicht getan.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es sind noch zehn Tage bis zur Bundestagswahl. Herr Lindner hat mit erfreulicher Offenheit, wie das häufiger bei ihm der Fall ist, auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Koalitionsvertrages – Herr Laschet schwadronierte über das Land und sagte, wo es hingehen könnte – gleich im ersten Satz gesagt, worum es geht: In hundert Tagen ist Bundestageswahl. Wir wollen mit der Mehrheit in Nordrhein-Westfalen deutlich machen, dass diese Konstellation auch eine Perspektive für Berlin ist.
Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich nach 80 Tagen Regierungsverantwortung von Schwarz-Gelb doch mal anschauen, was denn von den Wahlkampfversprechungen, von den großen Worten auf den Plakaten umsetzt wurde, was reale Politik geworden ist. – Man kann ihnen doch nur abraten, am 24. September eine solche Wahlentscheidung treffen. Wir sind sicher, dass es dort nicht zur gleichen Konstellation kommen wird, auch wenn Sie, Herr Laschet, intensiv dafür werben und gerne in Berlin durchregieren wollen. Berlin und Düsseldorf zeitgleich schwarz-gelb: Das wäre Ihre Wunschkonstellation; das haben Sie uns deutlich gemacht.
Noch haben wir zehn Tage Wahlkampf, und wir Grüne werden jedenfalls sehr deutlich machen, was die Bürgerinnen und Bürger zu erwarten hätten, wenn sie nach dem 24. September die gleiche Konstellation auch in Berlin vorfänden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Jetzt aber ein Blick zurück: Wir Grüne sind aus der Regierungsverantwortung abgewählt worden. Wir haben eine schwere Wahlniederlage erlitten; das ist völlig unstreitig. In den letzten Jahren wurden politische Fehler begangen, für die auch die Grünen mitverantwortlich sind. Wir werden uns der Auseinandersetzung stellen; wir arbeiten das auf. Wir wollen auch programmatisch nachlegen und nacharbeiten.
Wir wollen keine Opposition sein, die per se und – wie die AfD das hier geboten hat – durchgängig auf die Regierung eindrischt. Wir wollen eine konstruktive Opposition sein, die sich sehr genau anschaut, was Sie hier vorlegen. Bei dem, was Sie beispielsweise im Bereich von Kultur und Kulturförderung im Koalitionsvertrag angekündigt haben, oder auch bei Ihren klaren Worten, die Sie, Herr Ministerpräsident, gestern gefunden haben, was die Gesellschaft und den Kampf gegen rechts angeht, haben Sie unsere volle – grüne –Unterstützung.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf bei der AfD: Und den Kampf gegen links!)
Das heißt, wir wollen eine konstruktive, eine streitbare, aber vor allen Dingen faire und sachliche Opposition sein.
(Zuruf von der AfD: Aha!)
– Doch, doch, das werden wir sein; warten Sie mal ab!
Ich werde noch einmal die verschiedenen Bereiche Ihrer Regierungserklärung durchgehen und zu den einzelnen Punkten Stellung nehmen.
Im Bereich Klima/Energie – das hat der zuständige Minister gestern schon gesagt – werden wir bis 2020 die Klimaschutzziele in Nordrhein-Westfalen mit großer Wahrscheinlichkeit erreichen: 25 % weniger CO2-Ausscheidungen im Land. Das ist deswegen erreichbar, weil es eine intensive grüne Vorarbeit gab.
Lieber Kollege Lindner, Sie haben gesagt, das seien alles Windkraftanlagen, die schon ab dem Jahre 2002 hier gearbeitet hätten. Natürlich ist Repowering eine richtige Maßnahme, aber es hat in den letzten Jahren zentrale Weichenstellungen im Bereich der Energiewende gegeben, und diese machen es möglich, dass Nordrhein-Westfalen in 2020 das Klimaschutzziel von -25 % einhalten kann.
(Beifall von den GRÜNEN)
Fraglich ist jedoch – und fraglich bleibt es auch in Ihrem Koalitionsvertrag –, ob die jetzige Landesregierung das zweite große Ziel, das sich die Vorgängerregierung gesetzt hat, nämlich – 80 % bis zum Jahre 2050, erreichen kann. In der Energiepolitik ist dies angesichts dessen, was Sie vorgelegt haben, sehr zweifelhaft. Und auch im Bereich der Verkehrspolitik – das ist der einzige Bereich, in dem es in den letzten 25 Jahren Zuwächse bei den klimaschädlichen Gasen gegeben hat – gibt es keine Anzeichen dafür, dass Sie zentrale Maßnahmen einleiten, um diese Klimaschutzziele zu erreichen.
Das ist nicht nur eine Aussage seitens der grünen Landtagsfraktion. Der WWF hat im Juli eine Studie vorgestellt und darin detailliert nachgewiesen, dass die Klimaschutzziele in Nordrhein-Westfalen verfehlt werden, wenn dieses Land Ihren schwarz-gelben Koalitionsvertrag umsetzt. Sie reden zwar in Ihrem Koalitionsvertrag und auch in Ihrer Regierungserklärung, Herr Ministerpräsident, vom Klimaschutz, aber Sie sind gestern absolut unkonkret geblieben, was konkrete Maßnahmen angeht. Es ist nicht klar, mit welchem Maßnahmenpaket Sie hier an den Start gehen.
Sie haben als ersten Schritt schon direkt in den Koalitionsverhandlungen entschieden, dass Sie den Klimaschutz aus dem Namen des Ministeriums streichen. Nun ist dieser Bereich nicht mehr dem Ministerium zugeordnet, das jetzt Frau Schulze Föcking leitet, sondern er ist im Wirtschaftsministerium angesiedelt. Der Begriff „Klimaschutz“ würde durchaus auch Herrn Minister Pinkwart gut zu Gesicht stehen, wenn er den Klimaschutz mit einer entsprechenden Politik umsetzen würde.
Sie stellen sich gegen einen Ausbau der Windenergie; das ist vielfach deutlich geworden. Sie wollen keinen Kohleausstieg. Sie sagen nicht, mit welchem Maßnahmenplan und nach welchem Zeitplan Sie die Kraftwerke im Rheinischen Braunkohlerevier stilllegen wollen. Das sind Kraftwerke aus der Zeit von Sepp Herberger! Diese Kraftwerke sind 50 oder 60 Jahre am Netz.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Es ist an der Zeit, diese Kraftwerke abzuschalten. Es ist an der Zeit, dem Klima etwas Gutes zu tun. Es ist an der Zeit, noch mehr Strom aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen. Nordrhein-Westfalen verursacht heute immer noch 30 % der deutschen Treibhausemissionen.
Zudem ist der Kohleausstieg für Nordrhein-Westfalen nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondern auch eine Frage der Planungssicherheit. Besonders die neuen Kohlekraftwerke, die in den letzten Jahren gebaut wurden, schreiben rote Zahlen, weil es auf dem Markt ein Überangebot an Strom gibt. Der Markt muss zunächst von alten, ineffizienten und abgeschriebenen Kraftwerken bereinigt werden. Deswegen wollen wir Grüne zusammen mit zahlreichen Klimaschutzaktiven die 20 dreckigsten Meiler schleunigst abschalten.
Herr Laschet, Sie sprechen in Ihrer Regierungserklärung davon, dass Sie die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen stärken wollen und dass Sie den Wirtschaftsstandort attraktiv machen wollen. Die Ersten, die Ihnen aus der Wirtschaft entgegentreten, sind über 60 Windenergieunternehmen, die den von Ihnen vorgegebenen Kurs scharf kritisieren. Mit dem, was Sie im Bereich der Windenergie angekündigt haben, zerstören Sie jede Menge Arbeitsplätze, und Sie verhindern wirtschaftliche Innovationen.
Das sagen übrigens nicht nur die Grünen, sondern das sagen auch die von dieser Entwicklung betroffenen Unternehmerinnen und Unternehmer. Das hat man Ihrer Regierung in den letzten Wochen deutlich aufs Butterbrot geschmiert und mit dem an Sie gerichteten Brief auch schriftlich kundgetan.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Windenergiebranche ist in den letzten 20 Jahren zu einem sehr wichtigen Wirtschaftsfaktor in Nordrhein-Westfalen geworden. Fast 20.000 Menschen arbeiten in diesem Bereich. Herr Lindner hat es eben in weiten Teilen seiner Rede etwas abschätzig formuliert; nach seiner Rhetorik war sehr klar, wer auf der guten und wer auf der schlechten Seite steht. Menschen, die im Bereich der Windkraft arbeiten, gehören eben nicht zu denjenigen, um die Sie sich gerne kümmern. Da gibt es andere, die das aus Ihrer Sicht eher verdient hätten.
(Christian Lindner [FDP]: Nein, das stimmt nicht!)
Herr Ministerpräsident, Sie haben mit dem Windkrafterlass, der im Kabinett verabschiedet wurde, angekündigt, dass der Mindestabstand von Windkraftanlagen auf 1.500 m ausgeweitet werden soll. Das hätte zur Folge, dass 90 % aller möglichen Windenergieflächen in Nordrhein-Westfalen nicht mehr für die Windkraft infrage kämen. Und Sie nennen den Windkraftunternehmen, den Windkraftinitiativen und den Genossenschaften auch keine Alternativen. Wenn Sie den Wirtschaftsstandort wirklich stärken wollen, dann dürfen Sie sich nicht nur um die Sorgen der Großkonzerne kümmern.
(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
Sie müssen eine Wirtschaftspolitik machen, die allen nordrhein-westfälischen Unternehmerinnen und Unternehmern eine realistische Perspektive bietet. Das, was Sie im Bereich der Windenergie vorgelegt haben, vernichtet Arbeitsplätze.
(Beifall von den GRÜNEN – Unruhe)
Ich will zu einem weiteren Bereich kommen, nämlich zur Verkehrspolitik. Ich habe eben schon angesprochen, dass die Transformation, die hier ansteht, genauso weitreichend und umfangreich ist wie die Transformation im Energiesektor. Man muss sagen: Was Ihr neuer Landesverkehrsminister bisher in diesem Bereich vorgelegt hat, ist gleich null. Die Zukunft der Verkehrspolitik liegt in einem Mix der Verkehrsträger. Herr Wüst hat sich in dieser Woche beim ADAC positioniert und alles auf die Vorgängerregierung geschoben: das angeblich vorhandene Planungsdefizit, die anstehenden Dieselfahrverbote. – Er verhindert mit dem, was er bisher auf den Weg bzw. nicht auf den Weg gebracht hat, dass es wirkliche Innovationen gibt.
Die Radschnellwege in Nordrhein-Westfalen beispielsweise sind ein wirklicher Innovationsfaktor in diesem Land. Wir haben als Vorgängerregierung sieben Radschnellwege geplant. Die Landesregierung trifft in ihrem Koalitionsvertrag – ebenso wie Sie in Ihrer Regierungserklärung, lieber Herr Laschet – keinerlei Aussage dazu, ob der Radverkehr eine zentrale Stütze im Verkehrsmix von Nordrhein-Westfalen sein soll. Sie sagen nichts zur Stärkung des ÖPNV. Sie sagen nichts zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Sie sagen auch nichts zum Carsharing. Sie belassen die Leute in der Individualmobilität mit den Diesel-Pkws, mit denen sie unterwegs sind.
Warum wagen Sie in Ihrer Regierungserklärung nicht den großen Wurf? Warum sagen Sie den Menschen nicht, wo wir 2030 stehen können und welche Schritte auf dem Weg dahin nötig sind? Da sind Sie in Ihrer Regierungserklärung gestern wirklich jede Aussage schuldig geblieben. Da verhindern Sie, dass Zukunftsinvestitionen auf den Weg gebracht werden.
Ich will noch einmal auf den Bereich „Bauen und Wohnen“ zurückkommen. In Ihrer Wohnungspolitik – das haben Sie mit Ihrer Regierungserklärung ebenso deutlich gemacht wie in Ihrem Koalitionsvertrag – geht Ideologie leider vor Sachverstand und Notwendigkeit. Das hat der Kollege Lindner vorhin mit seiner Rede noch einmal deutlich unterstrichen. Es wäre programmatisch notwendig gewesen, Maß und Mitte zu wahren. Wir aber lesen lediglich in einschlägigen Publikationen, dass die Wohneigentümer über den Koalitionsvertrag jubilieren. Dort ist von einer hervorragenden Koalitionsvereinbarung die Rede, die man nur unterstützen könne.
Was sagen die 10 Millionen Mieterinnen und Mieter in diesem Land über Ihren Koalitionsvertrag? Es wäre dringend notwendig, mehr bezahlbaren und preiswerten Wohnraum zu schaffen; schon allein deshalb, um die Wohnungen zu ersetzen, die jährlich aus der Preisbindung fallen. Im letzten Jahr ist es Nordrhein-Westfalen gelungen, mehr Wohnungen zu bauen, als jährlich aus der sozialen Preisbindung fallen. Dieser Weg muss fortgesetzt werden. Sie sagen in Ihrer Rede aber nichts dazu, und auch im Koalitionsvertrag bleiben Sie jede Aussage schuldig.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Zur Frage der Novellierung der Landesbauordnung: In der letzten Legislaturperiode ist nichts so intensiv diskutiert worden wie die Landesbauordnung. Wir haben dreieinhalb Jahre an diesem Werk gesessen. Es gab zwei große Verbändeanhörungen. – Christof Rasche runzelt die Stirn. Es war tatsächlich so, wir haben mit wirklich allen Verbänden intensiv zusammengesessen.
Das Moratorium, das Sie jetzt angekündigt haben, ist in keinster Weise begründet. Die Landesbauordnung sollte schleunigst in Kraft treten. Die Verwaltungen arbeiten längst an der Umsetzung der entsprechenden rechtlichen Maßgaben.
Gestern haben vor dem Landtag die Behindertenverbände protestiert. Das hat deutlich gemacht, dass die Neuregelung der Landesbauordnung dringend erwartet wird. Es gilt, mehr Wohnraum zu schaffen – gerade für Menschen mit Handicap, gerade für Menschen, die im Rollstuhl sitzen. Lassen Sie doch diese Landesbauordnung in Kraft treten! Sie enthält ein umfangreiches, gutes Regelwerk, das intensiv diskutiert worden ist. Es gibt keinen Grund, diese Landesbauordnung nicht in Kraft setzen zu lassen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Sie, Herr Ministerpräsident, und auch Sie, Herr Lindner, sprechen immer wieder von Entfesselung. „Entfesselung“ steht jetzt für das, was in der vorherigen schwarz-gelben Regierung für „Privat vor Staat“ stand. Es geht um die Abschaffung von Umwelt- und Arbeitnehmerstandards. Es geht um Abschaffungen bei Verbraucherschutzstandards. Das ist das – Herr Lindner hat es uns noch mal in aller Intensität vorgetragen –, was die FDP immer predigt. Sie wollen zum Beispiel das moderate Ladenöffnungsgesetz aufweichen und das Tariftreue- und Vergabegesetz praktisch abschaffen. Damit bauen Sie nicht nur hier Sozialstandards ab, sondern auch in anderen Ländern. Sie sorgen dafür, dass menschenwürdige Arbeitsbedingungen nicht mehr vom Land gefördert und unterstützt werden.
Die bemerkenswerteste Stellungnahme habe ich von der Vorsitzenden der Christlichen Initiative Romero aus Münster gelesen, die dringend davor warnte, diese Standards wieder abzuschaffen. Die Mahnung einer christlichen Initiative sollten Sie sich zu Herzen nehmen, Herr Ministerpräsident. Lassen Sie das Tariftreue- und Vergabegesetz in Kraft!
(Beifall von den GRÜNEN)
Kommen wir zum Bereich der Digitalisierung. Herr Laschet und Herr Lindner, Sie haben bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags behauptet, Nordrhein-Westfalen würde jetzt stärker, moderner und digitaler. Herr Lindner hat es eben noch mal wiederholt.
Aber was wird denn jetzt digitaler? Wird NRW mit Ihnen zu dem Start-up-Land, von dem Sie gesprochen haben? – Wohl kaum. Denn eine der ersten Amtshandlungen des neuen sogenannten Digitalministers Pinkwart war es ja, den Beauftragten für die Digitale Wirtschaft des Landes zu entlassen. Mit der Unterstützung von Prof. Kollmann sind in den letzten drei Jahren mehr als 1.000 neue digitale Start-ups entstanden.
(Zuruf von der CDU)
Schwarz-Gelb haut jetzt diese Struktur für eine Handvoll Euro einfach weg. Sie begründen es nicht; Sie schaffen schlechtere Rahmenbedingungen als zuvor.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Begründung, die Sie dafür bieten, ist hanebüchen. Sie machen ohne Not funktionierende Strukturen kaputt. Das merkt jetzt auch die Start-up-Szene.
(Beifall von den GRÜNEN)
Kommen wir noch mal zur Umwelt. Sie wollen nicht nur die Windkraft bremsen, Nachhaltigkeitskriterien abschaffen und den Arbeitnehmerschutz rückabwickeln, sondern auch das Landesnaturschutzgesetz rückgängig machen. Statt auf Vorgaben wie beim Vertragsnaturschutz wollen Sie jetzt auf freiwillige Maßnahmen im Bereich der Förderung der Biodiversität setzen. Das hat schon in der Vergangenheit nicht geklappt. Das Artensterben wurde beschleunigt. Statt Artenschutz und biologischer Vielfalt droht Nordrhein-Westfalen eine fortschreitende Zerstörung von Lebensraum durch Überdüngung, Überackerung, Monokulturen und Pestizideinsatz.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
In diesem Sommer war das Bienen- und Insektensterben in aller Munde.
Sie wollen nun auch das Landeswassergesetz rückabwickeln. Sie bezeichnen das Landeswassergesetz als falsche Weichenstellung. Wie kann ein Gesetz, mit dem wir unser Trinkwasser in einen ökologisch und chemisch einwandfreien Zustand bringen, eine grundsätzlich – so bezeichnen Sie es – falsche Weichenstellung sein? Lassen Sie das Landeswassergesetz in Kraft!
(Beifall von den GRÜNEN)
Es bietet gute Rahmenbedingungen für chemisch einwandfreies Wasser hier in diesem Land. Trinkwasser ist ein zentraler, wichtiger Faktor für eine lebenswerte Umwelt und im Leben der Menschen.
Kommen wir noch einmal zum Tierschutz. Die zuständige Ministerin ist nicht da. Aber wir haben ja gestern in der Debatte gemerkt, wie dünn ihre Aussagen sind und wie wenig sie auf die Fragen antworten kann und will, die wir ihr vorlegen.
Wenn man den Koalitionsvertrag nach Aussagen zum Thema „Tierschutz“ durchsucht, wird man bitter enttäuscht. Das liegt möglicherweise daran, dass diese Frage bei Ihnen einen äußerst geringen Stellenwert hat, und das hat die Ministerin deutlich gemacht.
In der letzten Legislaturperiode hat besonders die CDU-Fraktion bis zuletzt dafür gekämpft, dass das von uns eingeführte Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände wieder abgeschafft wird. Eine der Wortführerinnen damals war die heutige Landwirtschaftsministerin Schulze Föcking. Sie haben viel Porzellan zerbrochen, Frau Schulze Föcking, auch wenn Sie das jetzt hier nicht hören. Daher fordern wir Sie auf: Kehren Sie in den Dialog zurück! Der Dialog zum Tierwohl darf durch die neue Regierung nicht ausgesetzt werden. Beziehen Sie die Tierschützer und die Tierschutzverbände mit ein, und suchen Sie den konkreten Dialog – so, wie ihn die vorherige Landesregierung geführt hat!
(Beifall von den GRÜNEN)
Als zuständige Ministerin sollten Sie an der Spitze der Tierschutzbewegung in diesem Land stehen und nicht in deren Fokus.
Ich komme zum Bereich „Hochschule und Wissenschaft“. Die jetzt auch nicht anwesende Wissenschaftsministerin hat direkt nach ihrer Vereidigung ihr Amtsverständnis deutlich gemacht. Als Ministerin wolle sie sich schwerpunktmäßig um die Kultur kümmern, führte sie in der „Rheinischen Post“ aus.
Herr Ministerpräsident, Nordrhein-Westfalen hat die dichteste Hochschullandschaft in Europa. Die neue Ministerin ist auch in diesem Bereich ihres Amtes als Ministerin gefragt. Sie sollte nicht nur im Bereich von Kultur unterwegs sein – auch wenn sie das mit ihrer Vorkenntnis sicherlich engagiert tun wird –, sondern sich ebenfalls intensiv um die Wissenschafts- und Hochschulpolitik in Nordrhein-Westfalen kümmern.
Jetzt will ich zu den Studiengebühren für Nicht-EU-Bürger kommen. Monetär ist das ein sehr geringer Posten, aber diese Studiengebühren werden junge Menschen abschrecken, nach Nordrhein-Westfalen zu kommen. Nicht nur die grüne Fraktion und die SPD-Fraktion, sondern auch der Senat der Universität zu Köln mit einem Kanzler, der schon einmal Staatssekretär bei Herrn Pinkwart war, fordern Sie auf: Ersparen Sie uns die Studiengebühren für Nicht-EU-Bürger, weil sie dazu führen, dass junge Menschen vom Studium in Nordrhein-Westfalen abgehalten werden.
Herr Lindner hat uns soeben das Beispiel des reichen Chinesen genannt, der seine Kinder nach Nordrhein-Westfalen schicken kann. Sagen Sie das doch mal dem Arbeiterkind aus Großbritannien, das in Zukunft durch die Studiengebühren, die Sie einführen, von einem Studium in Nordrhein-Westfalen abgehalten wird.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Diese Position wird von allen Studierendenwerken …
(Zuruf: Die Idee der Grünen!)
– Ja, das ist eine Idee, die die baden-württembergische Landesregierung beschlossen hat. Aber die nordrhein-westfälischen Grünen behalten sich vor, hier eine andere Ansicht zu haben. Wir bitten Sie: Lassen Sie die Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer fallen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Lieber Herr Dr. Stamp und lieber Herr Laschet, in den Wahlprogrammen und selbst in den Aussagen zur Landtagswahl haben Sie sich klar positioniert – auch die FDP-Fraktion im März dieses Jahres – und Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer als diskriminierend bezeichnet. Die CDU-Fraktion hat sich in ihrem Wahlprogramm deutlich gegen Studiengebühren ausgesprochen. Es wäre im Sinne der Wissenschaftslandschaft ein fataler Einschnitt, wenn Sie die Ausländer-Campus-Maut einführen. Wir können Sie nur bitten: Ersparen Sie uns diese Studiengebühren in Nordrhein-Westfalen!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich will zur Innenpolitik kommen, das ist ein weites und vielfältiges Feld. Ein Bereich, der uns wichtig war, ist eine bürgernahe Polizei. Sie haben angekündigt, dass die Kennzeichnungspflicht für Beamtinnen und Beamte bei der Bereitschaftspolizei, die für Bürgernähe sorgt, abgeschafft wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie haben immer noch nicht verstanden, dass diese Regelung nichts, aber auch gar nichts mit einem vermeintlichen Generalverdacht gegen Polizistinnen und Polizisten zu tun hat.
(Daniel Sieveke [CDU]: Doch!)
– Nein, es geht darum, dass in unserem Rechtsstaat die Inhaber des Gewaltmonopols den Bürgerinnen und Bürgern mit offenem Visier entgegentreten
(Zuruf von der AfD: Leider nicht immer mit offenem Visier!)
und Menschen die Möglichkeit haben, den Schutzmann, der ihnen gegenübersteht, zu identifizieren.
(Zuruf von der AfD)
Wir unterstützen nachdrücklich, dass Sie sich zu Präventionsprojekten und Maßnahmen gegen den gewaltbereiten Salafismus bekennen; dazu haben wir auch einen entsprechenden Antrag eingebracht. Schade ist aber, dass Sie keine Beispiele oder wenigstens grobe Eckpunkte nennen, was Sie genau vorhaben. Bei dem Vorhaben, entsprechende Maßnahmen einzuführen, haben Sie die Unterstützung der Grünen, Konzepte für konkrete Präventionsmaßnahmen müssen Sie entsprechend vorlegen. Auch wir haben einen umfangreichen Antrag in diese Richtung vorgelegt.
Kommen wir zum Thema „Integration und Flüchtlinge“. Herr Ministerpräsident, Sie waren selber fünf Jahre Integrationsminister in diesem Land, Herr Dr. Stamp ist ein langjähriger Integrationspolitiker. Vor diesem Hintergrund entsetzt uns Grüne Ihre Haltung zum Thema „Familiennachzug“. Unter anderem Innenminister Reul hat sich kürzlich für eine Fortsetzung der Regelung ausgesprochen, dass subsidiär geschützte Flüchtlinge ihre Familien erst nach zwei Jahren nachholen können. Hinzu kommen die Zeit des Asylverfahrens und die langen Wartezeiten bei den Botschaften für die Visa. Das bedeutet, der Familienvater muss gegebenenfalls mehrere Jahre warten, bis seine Familie nachkommen kann.
Was macht das mit den Menschen? Sie, Herr Laschet, müssten aus Ihren persönlichen Begegnungen und den Rückmeldungen von Flüchtlingsbetreuern wissen: Ein Familienvater, der Frau und Kinder in Gefahr und größter Not weiß, der sich darum sorgt, wie es seinen Familienmitgliedern geht, der seine Heimat verlassen hat, kann sich in Nordrhein-Westfalen oder in einem anderen Land nicht integrieren. Der Schutz von Ehe und Familie steht in unserer Verfassung, und die gilt auch für Zuwanderer, ob sie nun als Flüchtlinge oder als Arbeitskräfte zu uns kommen.
Integration verzögert sich auch, wenn man die Asylsuchenden während ihrer Verfahren, die – wie wir ja wissen – ein bis zwei Jahre dauern, in zentralen Landeseinrichtungen unterbringt. Diese Menschen nicht auf die Kommunen zu verteilen, bedeutet keine Schule für die Kinder, keine Arbeit, keine Integrationskurse, sondern Warteschleifen. Das Ankommen wird verzögert. Das ist von Anfang an das Gegenteil von Integration.
(Beifall von den GRÜNEN)
Kommen wir noch einmal zum Haushalt. Der Nachtragshaushalt, den Sie vorgelegt haben – wir werden ihn nachher noch debattieren –, ist ein beispielloser Offenbarungseid. Von dem, was Sie in Oppositionszeiten – das wurde schon mehrfach angesprochen, insbesondere von dem Kollegen Römer – lautstark gefordert haben und was in den Wahlprogrammen von CDU und FDP zur Haushalts- und Finanzpolitik steht, ist in diesem Nachtragshaushalt nichts mehr übrig. Die Landesregierung macht genau das Gegenteil davon.
Im CDU-Wahlprogramm steht – ich zitiere –:
„Bei notwendigen Mehrausgaben in den Bereichen Bildung, Innere Sicherheit und Zukunftsinvestitionen ist strikt darauf zu achten, dass ihre Finanzierung durch Einsparungen an anderer Stelle dauerhaft gesichert ist.“
Die FDP schrieb:
„Neue Ausgaben müssen durch bestehende Steuereinnahmen oder Einsparungen in anderen Bereichen finanziert werden. Die Finanzierung neuer Ausgaben durch höhere Steuern … oder durch neue Schulden muss beendet werden.“
Und jetzt: Trotz Steuermehreinnahmen haben Sie in diesem Jahr 1,3 Milliarden € als Neuverschuldung in den Nachtragshaushalt hineingeschrieben. Das heißt, es gibt keine relevanten Einsparungen. Alle neuen Ausgaben werden durch Schulden finanziert, kein Euro der Mehreinnahmen fließt in den Schuldenabbau.
So viele und so klare Wahlversprechen zu brechen, das ist wirklich eine Kunst, Herr Laschet. Von der ominösen 1 Milliarde € Einsparmöglichkeiten, die Sie noch im Wahlkampf angekündigt haben, ist nicht mehr die Rede. Warum ist davon nicht mehr die Rede? Weil es diese Einsparmöglichkeiten im Haushalt nicht gibt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Maß und Mitte – davon war gestern sehr viel die Rede. Maß und Mitte – das gilt jedenfalls beim Geldausgeben nicht mehr. Es ist eine Wünsch-dir-was-Liste vorgelegt worden, angeblich als Erblast der Vorgängerregierung.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: So ist das!)
Diese Wünsch-dir-was-Liste summiert sich letztlich auf mehrere Milliarden Euro. Die Gegenfinanzierung beruht bislang auf dem Prinzip Hoffnung. Es ist nicht klar, wie Sie Ihre zahlreichen Versprechen aus dem Wahlkampf und aus Ihrem Koalitionsvertrag umsetzen wollen.
Es wäre nur fair gewesen, wenn Sie in Ihrer gestrigen Rede, Herr Ministerpräsident, oder auch Sie, Herr Lindner, die Vorgängerregierung zumindest an einer Stelle gelobt hätte, und zwar für den reformierten Länderfinanzausgleich, der Nordrhein-Westfalen zahlreiche Einnahmen bringt. Wenigstens an der Stelle wäre ein Lob für die Vorgängerregierung, insbesondere für die vorherige Ministerpräsidentin, mehr als angebracht gewesen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Meine Damen und Herren, Sie haben es geschafft, einen Wahlkampf zu führen, in dem Sie negative Themen gesetzt und so getan haben, als sei dieses Land auf dem Weg nach unten. Sie haben teilweise den Eindruck erweckt, als sei Nordrhein-Westfalen eine einzige Ruine. Damit haben Sie ein Image geschaffen, von dem Sie jetzt in Ihrer Regierungsarbeit wieder loskommen können, sogar müssen.
Wie ich schon zu Anfang gesagt habe: Die grüne Landtagsfraktion wird Ihr Regierungshandeln konstruktiv begleiten. Wir werden sehr intensiv darauf hinweisen, wo Sie falsche Prioritäten setzen.
Schaffen Sie ein Nordrhein-Westfalen der Zukunft mit Mut, mit klaren Visionen. In Ihrer Regierungserklärung gestern sind Sie weit dahinter zurückgeblieben. Werfen Sie nicht mit Nebelkerzen, wie Sie es in der Vergangenheit getan haben. Ich denke, dass beide Fraktionen, insbesondere die CDU-Fraktion, noch in der Regierungsverantwortung ankommen müssen.
Herr Ministerpräsident, es wäre wichtig, den Menschen reinen Wein einzuschenken, ihnen zu sagen, was in den nächsten Jahren auf sie zukommt. Ich habe einige Themenfelder skizziert.
Insbesondere bei der Frage der anstehenden Mobilitäts- und Verkehrswende ist der Kurs Ihrer Regierung unklar. Es wäre nur fair und vernünftig, den Menschen zu sagen, welche Veränderungen hier in den nächsten Jahren anstehen.
Legen Sie einen Masterplan für Nordrhein-Westfalen vor, der wirklich Mut hat, der zukunftsorientiert, nachhaltig und durchfinanziert ist.
Dafür braucht es nicht immer Maß und Mitte, auch wenn das in manchen Situationen sicherlich nicht verkehrt ist. Dafür braucht es vor allen Dingen Mut, Zukunftsgewandtheit und Innovationskraft. Ihre gestrige Regierungserklärung ist leider deutlich hinter diesem Anspruch zurückgeblieben.
Wir werden Ihre Arbeit intensiv begleiten und den Finger dort in die Wunde legen, wo es notwendig ist, wo Nordrhein-Westfalen mutiger und weitergehender sein kann als das, was Sie uns vorgestellt haben. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)