Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, zunächst einmal finde ich gut, dass wir durch den Aufschlag mit diesem Antrag in dieser Woche zu diesem Thema debattieren.
Wenn ich hier herumgucke, freut mich auch visuell gesehen, dass von Dietmar Brockes über Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion bis hin zu uns und vor allen Dingen auch in der ersten Reihe der SPD viele diese grüne Schleife tragen, weil sie gar nicht so wahnsinnig vielen Leuten bekannt ist. Das fällt mir jedenfalls bei Terminen draußen immer auf. Manche halten sie auch für ein grünes Parteisymbol. Es ist aber eben das Zeichen für das Thema „mentale Gesundheit“. Genau wie die rote Aidsschleife, die gelbe Schleife, die Solidarität mit Israel oder mit Soldatinnen und Soldaten ausdrückt, oder die pinke bei Brustkrebs etc. ist diese Schleife das Symbol. Ich finde gut, dass wir das heute deutlich machen und viele Leute sie tragen.
Ich meine, dass das Thema nicht für Parteienstreit geeignet ist. Das habe ich auch schon bei der letzten Rede gesagt. Streit – natürlich hat die Opposition den Auftrag, einzufordern, dass die Regierung Sachen umsetzt. Das ist in diesem Antrag auch der Fall. Im Umgang miteinander sollte man aber immer den Ton wahren.
Am Montag haben wir alle eine Nachricht erhalten, die uns mit Sicherheit nicht nur überrascht, sondern auch erschüttert hat. Ein Kollege von uns, ein Politiker in Berlin, hat seinen Rückzug aus der Politik erklärt. Wenige Stunden später war klar, vor welchem Hintergrund er das getan hat. Er ist psychisch, seelisch erkrankt und muss sich zurückziehen.
(Rodion Bakum [SPD]: Nicht klar!)
Das ist leider so und wird von der SPD auch bestätigt. Ich finde, man kann das auch hier am Redepult so formulieren. Mir tut das für Kevin Kühnert entsetzlich leid. Dass es zusätzlich an dem Tag war, an dem die Woche für seelische Gesundheit startete – eine Woche, die in diesem Jahr unter dem Thema „Arbeitsplatz“ steht –, ist eine bemerkenswerte Situation.
Ich meine – das ist nicht Teil dieses Antrags und sollte wohl auch nicht Teil einer Plenardebatte, aber vielleicht eines fraktionsübergreifenden parlamentarischen Abends sein –, dass es uns allen gut zu Gesicht stehen würde, uns damit zu beschäftigen, wie wir hier miteinander umgehen.
Aber auch wenn es eben witzig gemeint war: Wir sind mit dieser Debatte eine halbe Stunde vor der Zeit, und der Minister saß noch nicht da.
(Thorsten Klute [SPD]: Richtig!)
Das ist nachvollziehbar, der TOP sollte nämlich um 12:45 Uhr losgehen. Dann kommt er rein,
(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Aber wir anderen waren doch auch da!)
und hier gibt es Häme nach dem Motto „Wo ist er denn?“. Ich bin mir relativ sicher – egal, wer für welche Fraktion und welche Partei Minister ist –: Die Leute haben eine 90- bis 100-Stunden-Woche und sind ständig im Land unterwegs, unter Druck – Fernsehinterviews, Untersuchungsausschüsse, was auch immer. Wenn man hier nicht zu jeder Abstimmung sitzt, gibt es keinen Grund für Häme und irgendwelche Unterstellungen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Das habe ich am konkreten Beispiel erklärt, weil wir das eben erlebt haben. Mir fällt das …
(Marcel Hafke [FDP]: Jetzt machen Sie es sich aber ein bisschen einfach! Da muss man seinen Terminkalender anders organisieren!)
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage, und zwar von Herrn Klute.
Arndt Klocke (GRÜNE): Selbstverständlich, gerne.
Thorsten Klute (SPD): Vielen Dank, lieber und sehr geschätzter Herr Kollege Arndt Klocke. Bei der Gelegenheit drängt sich eine Frage auf: Halten Sie es bei einem so wichtigen Thema wie „seelische Gesundheit und Schutz vor Erkrankungen am Arbeitsplatz“ für richtig, dass die Landesregierung zu Beginn des Tagesordnungspunkts über viele Minuten, während der Antragsteller spricht, mit nicht einer einzigen Person – weder mit einem Minister noch mit einem Staatssekretär, einer Staatssekretärin – vertreten ist?
Arndt Klocke (GRÜNE): Ich glaube, ich habe das eben beantwortet.
(Zurufe von der SPD: Nein!)
Wir sind deutlich eher in diese Debatte eingestiegen. Ich will gar nicht zu lange über diesen Punkt reden. Nur, für mich ist das exemplarisch. Wir reden über den Arbeitsplatz. Für alle Abgeordneten, jedenfalls vorübergehend, ist das hier unser Arbeitsplatz. Wie wir untereinander und miteinander umgehen, nicht nur zwischen den Fraktionen, sondern auch innerhalb der Fraktionen, mit welcher Konkurrenz und mit welchen Umgangsformen – ich bin jetzt 15 Jahre Abgeordneter und habe einiges erlebt, ich könnte das erzählen, mache es aber nicht –, auch das gehört zum Thema „Schutz der mentalen Gesundheit am Arbeitsplatz“.
Ich habe das Beispiel Kevin Kühnert nicht genannt, um hier jemanden vorzuführen, sondern weil es so konkret wird. In welcher Tretmühle hat dieser junge Mann über Jahre gesteckt? Er hat offensichtlich kein Handwerkszeug gehabt, um sich vor einer solchen Erkrankung zu schützen. Mir tut das aufrichtig leid. Ich hoffe, dass er gute Hilfe findet und sich wieder stabilisieren kann. Aber offensichtlich ist die Erkrankung so schwerwiegend, dass er für sich entschieden hat, auch nicht mehr für den Deutschen Bundestag zu kandidieren. Das heißt, es wird eine längere Auszeit geben.
Meine persönliche Erfahrung ist – eben war von persönlichen Erfahrungen die Rede, Herr Kollege Berger hat es angesprochen –: Wir fangen nicht irgendwann mitten im Leben an, über seelische Gesundheit zu reden. Der Einstieg, den die SPD mit diesem Antrag gewählt hat, ist die aktuelle Aktionswoche mit dem Thema „Arbeitsplatz“. Das ist nachvollziehbar und legitim.
Aber Gespräche über mentale Gesundheit müssen im Kindergarten und in der Schule beginnen. Wir müssen mit jungen Menschen darüber reden. Das sind die wichtigsten Sozialisationsinstitutionen. Es findet sehr viel Sport in der Schule statt, von den Bundesjugendspielen bis hin zur Kajak-AG. Nach 13 Jahren verlässt man die Schule mit den kompliziertesten physikalischen und chemischen Formeln. Aber was ist, wenn es einem seelisch nicht gut geht?
Was ich am runden Tisch der Kölner Schulen mit der Bezirksschülervertretung, mit dem Kölner Jugendring etc. von jungen Leuten gehört habe – nach der Pandemie, aber auch grundsätzlich –, was in Schulen los ist, das ist erschütternd.
Dass hinter jeder zweiten Krankschreibung heutzutage eine mentale Störung, Erkrankung, was auch immer, steckt, zeigt, dass wir nicht über ein Randthema reden, wie es noch vor vielleicht 20 Jahren der Fall war, sondern wir reden über die Mitte der Gesellschaft. Seelische Erkrankungen treffen die Mitte der Gesellschaft. Wir könnten hier abzählen – das machen wir jetzt nicht –, wie viele es in diesem Raum sein müssten, die damit zu tun haben.
(Rodion Bakum [SPD]: Jeder Zweite!)
Ich finde es hervorragend, mit solch einem Antrag in die Debatte einzusteigen. Aber es wäre auch gut, einmal selbstreflektiert zu überlegen, was das für uns alle bedeutet, bevor wir an große Firmen herantreten oder Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auffordern, das zu machen. Es ist auch unsere Aufgabe, hier darüber zu reden, wie wir miteinander umgehen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Jetzt zu dem Antrag: Mich freut, dass er zur Überweisung gestellt wurde. Das meine ich so, wie ich es sage. Der letzte Antrag der SPD-Fraktion zum Thema „mentale Gesundheit“ stand zur direkten Abstimmung, und es gab ein bisschen Tohuwabohu. Das war der Debatte nicht angemessen.
Im Antrag sind viele Einzelforderungen. Es wäre gut, im Ausschuss im Rahmen einer Anhörung mit Expertinnen und Experten ausführlich darüber zu reden.
Ich will das jetzt nicht im Einzelfall bewerten. Ich weiß, dass es von Landesseite eine ganze Reihe von Dingen gibt, die schon geschehen. Seit Anfang der 90er-Jahre werden Selbsthilfestrukturen in den Kommunen intensiv gefördert und finanziert. Selbsthilfegruppen und -anlaufstellen in den Städten sind ein wichtiger Baustein. Ich kenne noch die zentrale Selbsthilfestelle aus Münster – dort habe ich studiert –, wo sich Leute mit bipolarer Störung, mit Depressionen usw. treffen und austauschen können, wo sie angeleitet werden. Das läuft intensiv über die Landesebene.
Es gibt eine Landesrahmenvereinbarung zur Gesundheitsförderung und -prävention, die sich an Unternehmen richtet. Die daraus entstandene Arbeitsgruppe für betriebliche Gesundheitsförderung konzentriert sich besonders darauf, dass Menschen in kleinen und mittleren Betrieben unterstützt werden. Auch das ist ein Beispiel.
Wir hatten zum Ende der letzten Legislatur gemeinsam die Enquetekommission „Einsamkeit“ eingerichtet – mit einem sehr umfangreichen Maßnahmenplan, der jetzt schrittweise umgesetzt wird. Es gibt die Stabsstelle „Einsamkeit“ in der Staatskanzlei. Es gab einen sehr guten und absolut gut besuchten Kongress kurz vor der Sommerpause in der Staatskanzlei. Da mussten immer noch Klappstühle reingetragen werden, weil sich so viele Leute angemeldet hatten.
Das war aus meiner Sicht ein hervorragendes Signal. Ich kenne bundesweit keinen anderen Ministerpräsidenten, der beim Thema „Einsamkeit und mentale Gesundheit“ so klar Farbe bekennt und sich nach vorne stellt, wie es Hendrik Wüst macht.
(Thorsten Klute [SPD]: Er hat bloß keine Mittel bereitgestellt, aber Kekse!)
– Das kann man ja kritisch einfordern. Das ist auch Aufgabe der Opposition. Darüber sollten wir dann im Ausschuss diskutieren.
Der Antrag macht ein bisschen den Eindruck, als hätte die SPD das Ei des Kolumbus entdeckt. Das ist nicht so. Denn es gibt vielfältige Maßnahmen, die laufen, die auch vernünftig finanziert werden.
Jetzt müsste man darüber diskutieren, was ausgebaut werden kann und was mehr getan werden muss. Ich habe in meiner Rede schon deutlich gesagt: In diesem Bereich hat sich bei den Menschen in den letzten Jahren vieles zum Nachteil entwickelt und sich in einer seelischen Krise zugespitzt. Das hat mit internationalen Krisen zu tun, mit der Situation in der Ukraine, im Gazastreifen, mit den Nachwirkungen der Pandemie usw. usf.
Es muss ausreichende Möglichkeiten geben, dass Menschen Hilfe finden. Wenn das in diesem reichen westlichen deutschen Land nicht funktioniert, wo soll es sonst funktionieren? Sicherlich nicht in Ländern, die einer völlig anderen wirtschaftlichen Situation sind. Ich meine, man muss Prioritäten setzen und sollte auch Mittel dafür bereitstellen. Darüber werden wir im Ausschuss diskutieren. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)