Arndt Klocke: „Es war ja völlig klar, dass Brüssel einschreitet“

Aktuelle Stunde gegen die Einführung der PKW-Maut

Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wäre jetzt ja leicht, hier eine Rede zu halten und sich darin über die Bundesregierung oder Herrn Dobrindt lustig zu machen und das Ganze auf eine nonchalante Art abzutun.
Das Problem bei der Geschichte ist, dass in mindestens zwei Regierungsjahren in Berlin wertvolle Zeit vertan worden ist, in der man sich dringend um die Finanzierungsfrage bei der Infrastruktur hätte kümmern müssen. Das ist das eigentliche Problem.
(Beifall von den GRÜNEN)
Man könnte die Story gut als Kindergeschichte erzählen: Klein Fritzchen kommt in die Küche. Der Herd ist an. Mutti sagt: Pack nicht auf die Herdplatte! – Papa sagt: Geh vom Herd weg! – Klein Fritzchen packt voll drauf, verbrennt sich die Finger, schreit und sagt: Die blöde Herdplatte!
Genauso ist es gelaufen. – Es war ja völlig klar, dass Brüssel einschreitet. Die entsprechenden Stellungnahmen gab es schon direkt nach Ausarbeitung des Gesetzentwurfes. Es ist doch ein Stück aus dem Tollhaus, wenn jetzt der CSU-Generalsekretär Scheuer sagt: Das ist alles nur diese Einmisch-EU. Die Einmisch-EU in Brüssel soll mal ruhig sein! – Das sind aber Argumente aus der AfD-Mottenkiste.
(Beifall von den GRÜNEN)
Demnach wären nicht die CSU, nicht Herr Dobrindt und nicht der Gesetzentwurf in irgendeiner Weise zu kritisieren, sondern die Tatsache, dass die EU da irgendwo reingrätscht.
Das Grundsatzproblem ist, dass wir in der ganzen Infrastrukturfinanzierungsdebatte nicht weitergekommen sind. Wir hatten 2011/2012 die Daehre-Kommission – Karl-Heinz Daehre ist der ehemalige CDU-Verkehrsminister in Sachsen-Anhalt –, daran anschließend in 2013 die Bodewig-Kommission. Beide Kommissionen haben mit 16 zu null, mit allen Länderverkehrsministern jeglicher Couleur – damals war auch noch ein FDP-Mann aus Hessen mit dabei – festgestellt, dass es ganz klar 7,2 Milliarden € Unterfinanzierung allein bei der Sanierung geben wird. Es gab zudem klare Handlungsoptionen.
Dann kam die neue Bundesregierung, die Große Koalition. Was passierte? – Der Adler kreiste um den Berg und gebar eine Maus: 1,5 Milliarden € zusätzlich für Infrastruktur, noch nicht einmal festgelegt auf Sanierung, sondern gedacht für den gesamten Verkehrsbereich, also Neubau und Sanierung. Diese 7,2 Milliarden € Unterfinanzierung auf vier Jahre gerechnet bedeuten knapp 30 Milliarden €, die für eine Legislaturperiode fehlen. Diese Bundesregierung hat aber nur 6 Milliarden € zusätzlich bereitgestellt. Viel zu wenig!
Welche Schritte sind unternommen worden? – Die Daehre-Kommission und die Bodewig-Kommission haben eine Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Straßen ab 3,5 t vorgeschlagen. Was hat die Bundesregierung gemacht? – Sie hat diese Maut auf einige zusätzliche Bundesstraßen erweitert und die Tonnage von 12,5 auf 7,5 t abgesenkt. Das ist zwar ein Schritt, aber immer noch viel zu wenig.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Bundesregierung beantwortet auch nicht, wo das Geld herkommen soll. Eine Regierung, die sagt: „keine Steuererhöhungen, schwarze Null schon vor 2019“, die dann aber nicht beantwortet, wo denn die zusätzlichen Milliarden für die Infrastruktur herkommen sollen, versagt auf ganzer Linie. Es ist eine Schande!
(Beifall von den GRÜNEN)
Es ist zudem ein absolutes Vergehen an unserem Wohlstand, weil sowohl die Industrie als auch die tagtägliche Mobilität der Menschen davon abhängen, ob wir unsere Brücken, Straßen und Schienenstrecken saniert bekommen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das hat Dobrindt damit verbunden, zu sagen: Wir schaffen die Pkw-Maut, und dann regelt sich das alles, denn dann kommt Geld rein. – Es war von Anfang an klar, dass maximal 200 Millionen € bis 300 Millionen € dabei reinkommen würden.
Konsequenter wäre gewesen – auch wenn ich das aus verschiedenen Gründen inhaltlich falsch finde –, zu sagen: Wir schaffen eine allgemeine Pkw-Maut. Die gibt es in anderen Ländern auch. Die ist auch EU-rechtlich nicht zu kritisieren. Damit hätte man 4 Milliarden € bis 5 Milliarden € zusätzlich im Jahr eingenommen.
Aber nein, die Kanzlerin hatte sich ja in der Runde mit Herrn Steinbrück festgelegt: Mit mir keine Pkw-Maut! – Herr Seehofer hatte genau das gefordert, um auch die AfD in Bayern kleinzuhalten und einen Wahlkampfschlager zu haben. Dann kam diese sogenannte Ausländermaut dabei heraus – und es war von Anfang an klar, dass das nicht funktionieren kann und dass die EU einschreiten wird.
Jetzt haben wir das Dilemma. Wir haben keine weiteren Finanzmittel. Wir haben keine Schritte verabredet, und es sind nur noch zwei Jahre bis zur Bundestagswahl. Deswegen geht die dringende Aufforderung an alle, insbesondere an die CDU-Fraktion und ihren stellvertretenden Bundesvorsitzenden, die in Berlin Einfluss haben, Druck zu machen, damit hier endlich gehandelt wird und wir unsere Infrastruktursanierung schleunigst auf solide Füße stellen!
(Beifall von den GRÜNEN)
In der letzten Sitzung des Verkehrsausschusses hatten wir die Debatte zu PPP bzw. ÖPP. Das ist ja die neue Heilserwartung – insbesondere vonseiten der CDU, aber auch vonseiten der FDP, wie ich gelernt habe –, unsere Infrastruktur mit privater Finanzierung auf die Beine zu bekommen.
Ich bin nicht grundsätzlich dagegen. Es gibt Projekte, und an manchen Stellen es ist sinnvoll, mit öffentlich-privater Finanzierung zu operieren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber es ist doch so, dass ein Großteil der Projekte, in denen bisher Private die Infrastruktur mitfinanziert haben ,den Steuerzahler und die Allgemeinheit mehr Geld gekostet hat, als wenn sie grundsätzlich von Anfang an öffentlich finanziert worden wären.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der Bundesrechnungshof und der Bund der Steuerzahler haben das detailliert vorgelegt. Von zehn Verkehrsprojekten an Bundesautobahnen mit ÖPP-Finanzierung waren sieben letztlich teurer, als wenn sie von Anfang an in öffentlicher Finanzierung gewesen wären.
Dann habe ich im Ausschuss gelernt, dass Kollege Rasche hierbei von „innovativen Modellen“ spricht. SPD und Grüne seien nicht offen für innovative Modelle bei der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung. Innovative Modelle, die Herr Wissmann Mitte der 90er-Jahre einführen wollte – da habe ich gelernt, was für die FDP „innovativ“ bedeutet: Sachen aus dem letzten Jahrtausend.
Auch Herr Voussem hat das zu einem großen Thema gemacht: Wir müssten endlich die Blockade bei ÖPP aufgeben. Ich bin gar nicht grundsätzlich gegen ÖPP, die Grünen auch nicht.
(Zuruf von der CDU: Aber?)
Aber man muss im Detail hinschauen, ob ein Projekt sinnvoll ist. Nach dem, was wir bisher von ÖPP-Projekten im Verkehrsbereich wissen, kostet das die Allgemeinheit mehr, als es uns einbringt. Deswegen muss man hierbei sehr kritisch sein. Ich bin absolut dagegen, dass man das zur neuen „Finanzierungsvariante at the top“ erklärt, wie das vonseiten von FDP und CDU gewünscht ist.
(Beifall von den GRÜNEN und Achim Tüttenberg [SPD])
Mich wundert das deswegen, weil die CDU immer Einsparungen fordert und so tut, als sei sie der Gralshüter unserer Kassen.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Arndt Klocke (GRÜNE): Oh, ich bin schon etwas über die Zeit.
Präsidentin Carina Gödecke: Genau.
Arndt Klocke (GRÜNE): Dann werde ich jetzt zum Ende kommen. – Wir Grüne unterstützen auf jeden Fall den Landesverkehrsminister dabei, eine zweite Bodewig-Kommission auf den Weg zu bringen und genau das zu tun, was jetzt dringend notwendig ist, nämlich mit schnellen Schritten zu verabreden, wie wir unsere Infrastruktursanierung auf den Weg bringen.
Wir plädieren dafür, dass Infrastruktur öffentlich finanziert wird – in Ausnahmefällen durch private Mitfinanzierung. Wir halten es nicht für den richtigen Weg, Private auf breiter Basis zu beteiligen. Wir haben große Bedenken bei dem, was von der Fratscher-Kommission jetzt vorgelegt wurde.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Klocke, die Redezeit!
Arndt Klocke (GRÜNE): Ebenso haben wir Bedenken, Tür und Tor für eine Mitfinanzierung durch große Versicherungskonzernen etc. zu öffnen. Wir unterstützen jedoch die Linie des Ministers für eine weitere Runde der Bodewig-Kommission. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD) 


Zweite Wortmeldung:
Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal kurz zu Wort gemeldet – ich werde jetzt auch nicht die Redezeit von fünf Minuten ausnutzen –, weil Kollege Voussem sagte, das wäre eine überflüssige Debatte und er hoffe, dass wir das heute hier zum letzten Mal debattieren.
Ich glaube, ehrlich gesagt, nicht, dass wir das heute hier das letzte Mal debattieren. Da bin ich eher beim Kollegen Rasche.
(Christof Rasche [FDP]: Da hat er recht, der Kollege!)
Wir werden eine grundsätzliche Debatte über die Pkw-Maut bekommen. Das wird erst nach der Bundestagswahl sein; ansonsten müsste die Kanzlerin zurücktreten. Das wird die CDU nicht riskieren. Aber mit Blick auf die Infrastrukturfinanzierung wird es eine Diskussion geben, ob wir in Deutschland eine allgemeine Pkw-Maut einführen.
Das würde ich kritisch sehen, und zwar einerseits aus ökologischen Gründen, weil ein solche Flatrate für Autofahrer keine Lenkungswirkung hat, andererseits mit Blick auf die an NRW grenzenden Nachbarn – diese Debatte hatten wir schon ausführlich geführt –, mit Blick auf die Niederlande und Belgien etc. Da würde sich eher die Frage stellen, ob – das wird wahrscheinlich nicht zustande kommen – man eine gesamteuropäische Maut einführt.
Aber bei der Finanzierungsfrage werden wir – da bin ich total sicher – eine Debatte um eine grundsätzliche Pkw-Maut bekommen, egal, wer 2017 Koalitionsverhandlungen führt. Spätestens dann wird uns hier die Debatte wieder erreichen.
Wir haben mit Blick auf 2019 noch ganz andere Debatten vor uns. Eigentlich müsste es ein Bündnis der vernünftigen Verkehrspolitiker aller Parteien geben –
(Beifall von Christof Rasche [FDP])
mit Blick darauf, dass alle relevanten Finanzierungsprogramme für den öffentlichen Nahverkehr 2019 auslaufen: die Entflechtungsmittel, GVFG, Regionalisierungsmittel. All das steht infrage. Es ist doch so, dass wir alle jetzt von den Nahverkehrsverbänden angesprochen werden: Wir bestellen keine neuen Züge, keine neuen S-Bahn-Linien etc., weil wir nicht davon ausgehen können, dass nach 2019 die Bundesfinanzierung noch sicher ist. Also macht entsprechend Druck beim Bund!
Ich meine auch, dass das spätestens 2017 in den Koalitionsverhandlungen ein großes Thema sein wird: Wie stellen wir sicher
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Welcher auch immer!)
– welcher auch immer –, dass der öffentliche Nahverkehr weiterhin anteilig bundesfinanziert wird? Infolge Koch/Steinbrück-Vereinbarung 2006, auslaufend 2019 mit der Erkenntnis von heute: Wir brauchen Mittel für den öffentlichen Nahverkehr, weil wir ansonsten ganze Linien, ganze Zugsektionen dichtmachen müssen. Ich glaube, da müssen alle Fraktionen, die in Berlin Politik machen, nicht gegeneinander, sondern miteinander Druck machen, wie das in anderen Politikbereichen auch gelingt.
Da muss es ein Mehr geben. Ich glaube, dieses Mehr wird nur öffentlich finanzierbar sein. Es wird mit Blick auf die Bundestagswahl wieder ein großes Thema sein. Ich glaube, ohne Steuermehreinnahmen wird man, wenn man gleichzeitig 2019 die Schuldenbremse einhalten will, das nicht hinbekommen. Deswegen wäre ich für eine moderate Anhebung von Vermögensteuer und anderen Bereichen,
(Zurufe von der CDU: Aha!)
damit wir das in diesem Bereich finanziert bekommen. Ich bin auch für Vorschläge offen, Herr Schemmer.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es muss auch nicht die Vermögensteuer sein. Die Frage ist nur: Wo soll das Geld dafür herkommen?
(Zuruf von Bernhard Schemmer [CDU])
– However! – Wir warten auf Vorschläge. In Ihrer Rede waren Sie leider nicht, in der des Kollegen Rasche auch nicht.
Wo ich ihm aber recht gebe – das zum Abschluss –: Wir haben kein Erkenntnisdefizit. Es ist alles analysiert. Die Pläne liegen auf dem Tisch. Es muss umgesetzt werden. Ich bin nicht dagegen – das habe ich eben schon gesagt –, dass man noch einmal Bodewig bittet, sozusagen in einem zweiten Aufschlag mit Blick auf die Länderverkehrsministerkonferenz An-fang Oktober Vorschläge zu entwickeln. Aber eigentlich ist das alles diskutiert. Es liegt alles auf dem Tisch.
Die entscheide Frage ist, ob die Politik den Mut hat, das entsprechend umzusetzen. Da ist die Große Koalition in Berlin gefragt. Wir können aus NRW entsprechend Druck machen. Ich meine, das sollten wir alle miteinander machen. Mehr gemeinsam, statt gegeneinander! Wenn das das Ergebnis der heutigen Debatte ist, dann hätten wir auch etwas erreicht. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)