Arndt Klocke (GRÜNE): Schönen guten Morgen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und auch liebe Genossinnen und Genossen!
(Heiterkeit)
Kollege Hausmann ist in Oberhausen groß geworden, das prägt natürlich, was die Sicht auf die Welt angeht – auch wenn die Mehrheitsverhältnisse da mittlerweile andere sind.
Wir reden über die Situation bei Abellio, und die ist in der Tat schwierig und auch eine Debatte wert. Beim Blick auf die heutige Beantragung der SPD sah ich „Super-GAU“ – meine Güte, es geht schon eine Nummer kleiner. Es ist notwendig, darüber zu diskutieren, aber man muss auch keine Panik verbreiten, weil die Gespräche längst laufen.
Wenn man in die Verkehrsverbünde guckt, dann stellt man fest, da gab es in der letzten Woche eine Versammlung im VRR, auf der SPD, Grüne und CDU gemeinsam zu einem Vorgehen gekommen sind und jetzt aktiv sind. Deswegen habe ich mich ein bisschen über die Tonalität gewundert. Ich glaube, es geht eine Nummer kleiner.
Gut, man muss wissen, in einem halben Jahr ist Landtagswahl. Ich glaube, es ist die Debatte wert, aber es ist keiner besonderen Aufregung wert.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD)
Das ist meine grundsätzliche Einschätzung.
Betroffen sind etwa 20 % der Fahrgäste. Es geht um zentrale RRX-Linien, es geht um den wichtigen RB35, um RB40, um RB49, es geht um S-Bahn-Linien, die auch von hoher Relevanz sind, wie die S9 und die S7.
Das heißt, es ist auf jeden Fall eine zentrale Weichenstellung, die hier vorzunehmen ist. Unsere Bitte und unsere Forderung an die Landesregierung, an die neue Verkehrsministerin ist, stärker in diese Diskussion hineinzugehen und das nicht so sehr vom Spielfeldrand aus zu sehen.
Wir hatten im Juni eine Sitzung im VRR, als schon klar war, dass Abellio große Schwierigkeiten hat, und eine mögliche Vertragskündigung im Raum stand. Da gab es eine Äußerung vonseiten des dort anwesenden Vertreters aus dem Verkehrsministerium: Wir beobachten die Lage, aber eher vom Spielfeldrand. – Ich meine, das ist jetzt zu wenig.
Die Landesregierung und die Ministerin müssen vom Spielfeldrand aufs Spielfeld wechseln und sich stärker dieser Situation annehmen und stärker moderativ in diese Situation eingreifen. Das ist eine zentrale Forderung von uns.
(Beifall von den GRÜNEN)
Jetzt aber nach vorne: Worum geht es jetzt? – Es geht jetzt um die Notvergaben, die kommen werden. Die drei großen Fraktionen SPD, CDU und Grünen haben sich verständigt, die Variante B zu ziehen. Wir hatten das auch als Thema in der letzten Verkehrsausschusssitzung. Dort waren die Verbünde anwesend und haben uns im Ausschuss berichtet. Es wurden Variante A und Variante B vorgestellt. In der jetzigen Situation ist klar, Variante A wird nicht mehr ziehen, Variante B kommt jetzt in den Mittelpunkt.
Natürlich ist es eine wichtige Frage, was aus den über 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird. Die sind auch bei der Versammlung vom VRR aufgetreten – mit Sorge, mit Not. Wir gehen auf Weihnachten zu, es gibt Arbeitsplatzunsicherheit. Natürlich ist diese Frage, wie es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeht, relevant.
Aber jetzt einmal nach vorne gerichtet – und da unterscheide ich mich möglicherweise vom Kollegen Hausmann –: Wir Grüne wollen auch nicht zurück zu einer Preußischen Staatsbahn. Ich erinnere mich daran, dass wir schon Anfang der 2000er-Jahre – Fritz Kuhn war grüner Bundesvorsitzender – eine große Offensive auf Bundesebene in der damaligen rot-grünen Bundesregierung für mehr Wettbewerb auf der Schiene gemacht haben.
Dass wir jetzt Abellio, Keolis oder FlixTrain und andere als Anbieter haben, ist eine Folge dieses Wettbewerbs auf der Schiene, den wir auch wollen, weil wir das wirtschaftlich für richtig halten.
Die Frage ist aber: Können wir in Zukunft in der jetzigen Situation der Verbünde, mit dieser bekannten, manchmal belächelten Kleinstaaterei der drei größeren Verbundräumen und ganzen Unterorganisationen in den Verkehrsverbünden diese Fragen lösen? – Ich oder wir Grüne meinen: Nein.
Wir meinen: Wir müssen uns zusammensetzen und offen darüber reden, auch wenn das bei den einzelnen Verbünden und bei manchen Akteuren vielleicht nicht so gut ankommt. Ich habe gestern Nachmittag noch mit dem VDV, Volker Wente und anderen zusammengesessen und darüber diskutiert.
Auch in dieser Frage gibt es eine klare Präferenz und Offenheit. Ich meine, wir müssen über eine Landesverkehrsgesellschaft bzw. eine Landeseisenbahngesellschaft sprechen, so wie das in Niedersachsen, in Bayern und in manchen ostdeutschen Ländern der Fall ist. Dass wir in diese Situation gekommen sind, liegt auch ein Stück weit daran, wie unsere Verkehrsverbünde miteinander agieren, wie sie aufgestellt sind – und wie sie oft auch nicht miteinander agieren, sondern gegeneinander. Deshalb meinen wir Grüne, diese Frage ist zu stellen.
Wir haben demnächst einen Programmparteitag. Es gibt einen Antrag dazu. Lassen Sie uns über eine solche Landeseisenbahngesellschaft bzw. Landesverkehrsgesellschaft sprechen; denn dann kann man in diesen Situationen und mit den Vergaben einfacher agieren, und es gibt nicht dieses ständige Gegeneinander. Ich weiß, dass es ein ständiges Thema ist und es Vorbehalte gibt, gerade bei jenen, die seit 20, 30 Jahren in diesem System unterwegs sind. Aber wenn man einmal offen an die Situation herangeht, glauben wir, es wäre ein guter Schritt, wenn man mehr sozusagen aus Düsseldorf steuern und lenken würde. Das ist aber nicht die Preußische Staatseisenbahn, sondern es ist das, was in anderen Bundesländern gang und gäbe ist, und wir bitten Sie, einmal darüber nachzudenken, sehr geehrte Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Jetzt geht es noch ums Geld. Mein Stand ist: Es gibt die Zusage der Landesregierung – und das ist auch gut so – in Höhe von 380 Millionen Euro. Das ist viel Geld, das hier im Raum steht. Die Einschätzung unserer Leute und jener im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr ist, dass dies nicht ausreichen wird und es wahrscheinlich über 400 Millionen Euro sind, die notwendig sind; die Ministerin wird sich gleich äußern. Trotzdem bin ich der festen Überzeugung und bin auch guter Dinge, dass es daran nicht scheitern wird und dass es auch Unternehmen geben wird, die im nächsten Jahr in diese Verträge hineingehen werden, sodass die Verkehrsversorgung der Menschen sichergestellt sein wird.
Dann muss man rückblickend – um auch nach vorn schauen zu können – bei der Vergabe neuer Verträge; und dabei wird einiges auf uns zukommen – darüber diskutieren: War das Vertragswerk, auf das man sich damals mit Abellio verständigt hat, so ausgereift und tragfähig, dass wir künftig nicht mehr in diese miserable Situation kommen? Ohne Schaumschlägerei müssen wir sachlich auf die Frage schauen: Wie gestalten wir künftige Verträge – auch mit Privatbahnen – aus?
Ich bin nicht dafür, dass die Zukunft allein bei DB Netz liegt und wir zu dem zurückgehen, was wir noch vor 20 Jahren hatten, sondern wir wollen Wettbewerb auf der Schiene, wir wollen verschiedene Anbieter haben, aber es muss eine gute Strukturierung und Steuerung geben, meiner Meinung nach von einer Landeseisenbahngesellschaft in Zusammenarbeit mit einem handlungsfähigen Verkehrsministerium. Dann können wir zukünftig solche Situationen umgehen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsident André Kuper: Vielen Dank, Kollege Klocke. –
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war eigentlich schon durch, aber die Rede des Kollegen André Stinka hat mich doch motiviert, noch einmal in die Debatte einzusteigen.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Heiterkeit von Matthias Kerkhoff [CDU] und Josef Hovenjürgen [CDU])
– Ja. Ich finde, ehrlich gesagt, das Thema ist zu wichtig – die Sorgen der Leute, der Fahrgäste, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter –, um hieraus solch eine Wahlkampfnummer zu machen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)
Es ist schon bemerkenswert, dass der ehemalige SPD-Generalsekretär zu diesem Punkt spricht. Ich habe das Thema „Panikmache“ genannt, weil ihr in eurer Überschrift von einem Super-GAU, und zwar nicht in Anführungsstrichen, sprecht. Ein Super-GAU ist ein atomarer Unfall, bei dem mehrere Zehntausend Menschen sterben.
Wir haben im Nahverkehr eine schwierige Situation.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Aber so wie ihr hier versucht, das Thema hier hochzujazzen – auch André Stinka in seiner Rede vorhin –, ist es der Lage in Nordrhein-Westfalen und bei Abellio nicht angemessen.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der FDP)
Zu dieser Verschiebebahnhofgeschichte: Blicken wir zurück auf die letzten 15 Jahre in Nordrhein-Westfalen, von 2005 an. Man braucht nicht gut in Mathematik sein, um darauf zu kommen, dass die jetzige Landesregierung, jedenfalls die Parteien, die sie tragen, neuneinhalb Jahre in der Verantwortung in NRW waren und Rot-Grün sieben Jahre. Man kann immer sagen: Das habt ihr versäumt. Das hat der Kollege Hausmann im ersten Redebeitrag auch versucht und erklärt: Das ist versäumt worden, und das ist versäumt worden. – Das bringt in der aktuellen Lage überhaupt nichts.
Die Fragen lauten: Wie kommen wir da jetzt möglichst vernünftig raus? Wie wird das finanziert? Wie sind die Übergänge? Wie läuft die Vergabe?
Und nach vorne gerichtet: Wie umgeht man eine solche Situation unter Wahrung des notwendigen und richtigen Wettbewerbs in Zukunft? Das ist die entscheidende Frage, die sich stellt. Es geht um neue Rezepte, und wir müssen auch, glaube ich, ein bisschen aus der Komfortzone heraus.
Ich erinnere mich an ein gutes Gespräch, dass wir in rot-grüner Regierungszeit hatten. Horst Becker war Staatssekretär, Jochen Ott war verkehrspolitischer Sprecher, und Oliver Wittke war noch Geschäftsführer des VDV NRW. Wir haben damals in unserem Fraktionssaal gesessen und drei bis vier Stunden genau über diese Frage, über die Landeseisenbahngesellschaft, diskutiert. Wir hatten eine gute Idee und ein gutes Konzept. Das ist zehn Jahre her.
Wir haben es nicht umgesetzt, weil der Widerstand in den Verbünden, der Widerstand in den Versammlungen des VRR, des VRS etc. massiv war. Die Leute sind ständig untereinander und gegeneinander aktiv. NWL, VRR und VRS waren sich aber in einer Sache einig, nämlich dass Sie ein stärkeres Eingreifen, eine stärkere Vorgabe oder ein stärkeres Lenken des Landes nicht wollten. Ich meine, dass wir diese Debatte führen müssen.
Ich bin noch nicht an dem Punkt, zu sagen: Wir brauchen unbedingt eine Landeseisenbahngesellschaft, wie es sie in Niedersachsen gibt. Aber es würde sich lohnen, diese Debatte einmal miteinander zu führen. Das wäre viel, viel zielführender als das Gefecht, das heute Morgen stattgefunden hat. Das bringt uns nämlich in der konkreten und realen Sache nicht weiter.
Das zu erwähnen war mir noch wichtig, deswegen habe ich mich ein zweites Mal zu Wort gemeldet. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)