Arndt Klocke: „Es ist gut, dass das Stigma schwindet“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zu seelischer Gesundheit

Arndt Klocke (GRÜNE): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, allein an der Zunahme der Beratungen zum Thema „seelische Gesundheit, mentale Gesundheit“ in den letzten zwei Jahren sieht man, dass dieses Thema in der Öffentlichkeit ernster genommen wird und dass Menschen sich mehr trauen, über Dinge zu reden.

Es ist ja nicht so, als wäre das jetzt ein Trendthema. Das hätte man vor 10 und 20 Jahren genauso intensiv diskutieren können. Die Lage hat sich natürlich durch die Pandemie noch mal zugespitzt. Aber auch schon vor 20, 30 Jahren gab es deutlich zu wenige Therapieplätze, Behandlungsangebote etc.

Es ist gut, dass das Stigma schwindet. Ich hatte die Ehre, im Oktober Schirmherr der „KölnBonner Woche für Seelische Gesundheit“ zu sein – 150 Einzelveranstaltungen, zumeist sehr gut besucht. Ich war bei einigen dabei.

Die Fülle an Veranstaltungen und Anbietern – Volkshochschulen, Krankenkassen, Einzelinitiativen – zeigt einfach, wie stark die Nachfrage und auch die Notwendigkeit ist, in diesem Bereich etwas zu machen.

Deswegen ist der SPD-Antrag eindeutig begrüßenswert. Da steckt viel Arbeit drin; er ist sehr umfangreich und enthält sehr viele Detailforderungen. Aber was mir nicht an dem Antrag gefällt, wenn man ein bisschen in die Tiefe geht, will ich klar sagen. Es heißt immer wieder: „die Landesregierung muss, die Landesregierung muss, die Landesregierung muss“.

Ich habe heute Morgen das Interview der Kollegin Kapteinat auf WDR 5 gehört. Da wurde sie von der Moderatorin gefragt: Sie werfen der Landesregierung vor, es gibt zu wenige Therapieplätze. Was könnte die Landesregierung hier machen? – Dann antworten Sie, Frau Kapteinat, gar nicht auf die Frage,

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

sondern sagen, man müsse in der Schule mehr Prävention und Vorsorge betreiben etc.

(Rodion Bakum [SPD]: Dann haben Sie nicht alles gehört!)

– Ich habe sehr genau zugehört. Ich habe es im Podcast gehört.

Die Landesregierung kann einzelne Kassensitze mit Gemeinden verhandeln. Aber die Frage des Therapeutenschlüssels, also die Frage zusätzlicher Angebote, liegt eindeutig bei der Kassenärztlichen Vereinigung, bei der Bundesärztekammer und beim Bundesgesundheitsministerium.

(Beifall von den GRÜNEN)

Da muss man ansetzen. Wenn man acht Seiten …

(Rodion Bakum [SPD]: Aber die Ausbildung liegt im Land! Die Ausbildung ist hier!)

– Herr Bakum, Sie können gern eine Zwischenfrage stellen, aber Sie müssen nicht dazwischenreden.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege, das war dann mein Stichwort.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Der Wunsch nach einer Zwischenfrage liegt von der Kollegin Kapteinat vor.

Arndt Klocke (GRÜNE): Wunderbar.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herzlichen Dank, Herr Kollege Klocke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Sie sagen, Sie haben das ganze Interview gehört. Dann haben Sie auch gehört, dass die Anzahl der Psychiaterinnen und Psychiater und Psychotherapeuten in den nächsten Jahren zurückgehen wird, da einige in Rente gehen werden. Insbesondere im Bereich der Ausbildung müssen wir daher ganz viel machen. Da ist vielleicht auch das Land in der Verantwortung. Oder sind Sie der Meinung, darum sollte sich vielleicht besser Berlin kümmern, und wir sollten hier eigentlich gar nichts tun? Ich bin wirklich entsetzt darüber, dass Sie, der Sie ansonsten immer vorgeben, dass Ihnen das Thema sehr, sehr wichtig sei, hier jetzt suggerieren, man müsste eigentlich gar nichts tun und es würde so ausreichen.

Arndt Klocke (GRÜNE): Liebe Frau Kollegin Kapteinat, ich gebe nicht vor, dass mir das Thema wichtig ist, sondern es ist mir sehr wichtig.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege, darf ich Sie kurz unterbrechen?

Arndt Klocke (GRÜNE): Ach, bin ich noch nicht dran?

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Nein, erst wenn ich sage, Sie sind dran, sind Sie dran. – Aber der Hinweis an die Kollegin Kapteinat lautet: Ich bitte Sie, die Zwischenfrage auf eine Zwischenfrage zu konzentrieren. Das ging schon fast in die Richtung einer Kurzintervention. – Herr Kollege Klocke, jetzt dürfen Sie.

Arndt Klocke (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe das Interview ausführlich gehört und den Antrag ausführlich gelesen. In dem Antrag suggerieren Sie, dass die Landesregierung dafür sorgen könnte, dass wir flächendeckend eine bessere therapeutische Versorgung bekommen. Das ist nicht der Fall.

(Rodion Bakum [SPD]: Doch!)

Das müssten Sie auch wissen, wenn Sie fachlich im Thema sind.

Ich gebe das auch nicht nur vor, sondern es ist ein Herzensanliegen. Ich bin selbst Betroffener und mache das politisch als Fachsprecher. Der Schlüssel für eine deutlich verbesserte therapeutische Versorgung liegt in Berlin. Das müssten Sie eigentlich auch wissen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales)

Wir können hier in Nordrhein-Westfalen einzelne Kassensitze anbieten. Das ist im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe auch passiert. Aber dass wir in Köln 50 oder 100 Kassensitze mehr bekommen, muss in Berlin organisiert werden. Der Bundesgesundheitsminister ist Sozialdemokrat. Wir unterstützen das aus Nordrhein-Westfalen heraus gerne. Aber man sollte die Adressaten schon richtig benennen und nicht so tun, als wenn hier von Landesseite alles in dem Bereich möglich wäre, was Sie im Antrag fordern.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich habe den Antrag durchaus grundsätzlich gelobt und freue mich auch auf die Debatte und die Aussprache im Ausschuss.

(Jochen Ott [SPD]: Ich glaube, die wird differenzierter!)

Mir gefällt es allerdings nicht, so zu tun, als wäre alles getan, wenn das Land entsprechend initiativ würde. Sie geben zum Beispiel die psychiatrischen Kliniken an. Ein großer Träger psychiatrischer Kliniken in diesem Land sind die Landschaftsverbände. Wenn man also zur Verbesserung der Versorgung, zu einer Modernisierung von Kliniken und zu verbesserten Angeboten kommen will, dann muss man das im Dialog und im Austausch mit den Landschaftsverbänden tun. Das kann nicht eins zu eins aus dem Gesundheitsministerium heraus gemacht werden. Das noch als zweiten Punkt.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege, Ihre motivierte Rede verleitet zu einer Zwischenfrage. Es ist der Kollege Bakum. Lassen Sie die Zwischenfrage zu, Herr Klocke?

Arndt Klocke (GRÜNE): Ja, selbstverständlich.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Danke sehr.

Rodion Bakum (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege Klocke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich muss leider noch mal nachfragen: Wer ist denn Ihrer Meinung nach für die Ausbildung der Mediziner – Mediziner der Fachpflege – zuständig, wenn nicht das Land Nordrhein-Westfalen, um am Ende die Kassenarztsitze, aber auch die Stellen in den Krankenhäusern zu besetzen?

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Bitte schön, Herr Klocke.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ach Leute! – Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales)

Arndt Klocke (GRÜNE): Gut, jetzt kommen wir in die Verästelungen der Verästelungen.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Das liegt doch an den Versorgungsschlüsseln!)

Also, für die Medizinerausbildung sind die Universitäten zuständig. Wir haben eine Hochschul…

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Und die gehören nicht dem Land?– Zuruf von Rodion Bakum [SPD])

– Frau Kapteinat, Sie sind ganz aufgeregt bei dem Thema.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Natürlich, weil das emotional ist!)

– Es ist auch ein Thema, das der Leidenschaft bedarf. Aber ich verstehe gar nicht, warum Sie mich die ganze Zeit angreifen. Ich habe Sie doch für den Antrag gelobt. Irgendwie merke ich so eine sonderbare Unruhe bei Ihnen.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Es wäre schön, wenn man das auch am Abstimmungsverhalten merken würde von CDU und Grünen! – Widerspruch bei CDU und GRÜNEN – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Mangelnde Präzision führt eben nicht zu einem Ergebnis!)

– Liebe Frau Kollegin, das Abstimmungsverhalten ist doch bei diesem Antrag wohl klar. Es ist eine Überweisung geplant. Ich freue mich sehr auf die Debatte im Ausschuss.

(Zuruf von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

– Der Überweisung werden wir mit Sicherheit zustimmen. Davon können Sie ganz sicher ausgehen.

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN – Rodion Bakum [SPD]: Bekomme ich noch eine Antwort? – Weitere Zurufe – Glocke)

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist eine Zwischenfrage gestellt worden. Der Kollege Klocke ist bei der Beantwortung. Wir sind hier das Parlament, in dem in erster Linie vom Redepult aus geredet wird. Die bilateralen Gesprächen können Sie dann gerne anschließend und auch im Ausschuss führen, aber jetzt hat erst mal ausschließlich der Kollege Klocke das Wort.

Arndt Klocke (GRÜNE): Ich freue mich doch, dass wir das so intensiv diskutieren. Erst einmal sind zahlreiche Kolleginnen und Kollegen anwesend. Es sind viele auf den Zuschauertribünen. Das ist dem Thema angemessen, und das ist auch gut so. Ich habe Ihre Frage beantwortet.

(Rodion Bakum [SPD]: Das stimmt einfach nicht!)

Für die Frage der Ausstattung und der Fortschreibung unserer Kliniken sind im Wesentlichen die Landschaftsverbände zuständig. Da muss man in den Dialog treten; das kann und sollte das Ministerium auch machen. Aber Ihr Antrag suggeriert, dass das ausschließlich aus dem Ministerium heraus möglich ist.

Herr Kollege Bakum, wenn man einen kurzen Antrag mit einer Seite stellt, dann kann man das verknappen. Aber wenn man neun Seiten vorlegt, dann erwarte ich schon eine gewisse Detailschärfe. Diese haben Sie in einer ganzen Reihe von Punkten nicht vorgelegt. So, das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall von den GRÜNEN – Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Es spricht der Fachmann!)

Ich komme zum letzten Teil meiner Rede. Ich teile an diesem Antrag, dass es jetzt darum geht, die 65 Handlungsempfehlungen aus der Enquetekommission Einsamkeit umzusetzen. Ich würde mir wünschen, dass wir das als Parlament gemeinsam hinbekommen und es hier nicht im Parteienstreit machen. Das ist ein Thema, das alle etwas angeht. Es ist auch gut, wenn das entsprechend formuliert wird.

Ich finde auch – das sage ich als grüner Redner auch –, dass wir an der Stelle einen Zahn zulegen können. Die Enquetekommission ist jetzt seit etwa zwei Jahren beendet. Ich meine, dass die Umsetzung der entsprechenden Maßnahmen und die Administrierung – die Notwendigkeit ist sowieso da – jetzt entsprechend vorangetrieben werden müssen.

Für mich ist ein ganz entscheidender Punkt – in dem Moment war ich leider gerade draußen, als Herr Kollege Bakum mich angesprochen hat – und ganz klar: Ein wichtiger Schlüssel in diesem Bereich liegt in den Schulen. Die Schule ist eine ganz wichtige Sozialisationsinstitution, in der alle Menschen – oder fast alle jungen Menschen – zehn bzw. 13 Jahre verbringen.

(Jochen Ott [SPD]: Deswegen ist es so traurig, dass es abgelehnt wurde!)

Deswegen ist es ein ganz wichtiges Anliegen. Daher hat es mich auch nicht gefreut, dass wir auf der einen Seite den Antrag der SPD-Fraktion ablehnen mussten, auf der anderen Seite aber keinen eigenen vorgelegt haben.

(Lachen von Thorsten Klute [SPD])

An der Stelle müssen wir noch nachlegen; davon bin ich absolut überzeugt.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Die Thema „Mental Health“ muss in die Schulen. Das Programm „Mental Health Coaches“ von Ministerin Paus bzw. der Bundesregierung ist dafür ein wichtiger Schritt. Es ist ein Anfang. Es sind 100 Mental Health Coaches bundesweit. Wenn man weiß, wie viele Schulen existieren, dann weiß man, dass das nicht ausgesprochen viel ist.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Die Redezeit, Herr Kollege.

Arndt Klocke (GRÜNE): Aber in diesem Bereich müssen wir mehr tun. Wir müssen den Schülerinnen und Schülern mehr vermitteln, damit sie präventiv für ihre Gesundheit sorgen können. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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