Arif Ünal: „Sie können die Gefahren des Alkohols in der Schwangerschaft nicht von der gesellschaftlichen Diskussion über Sucht insgesamt trennen“

Antrag der CDU zum Thema Alkohol in der Schwangerschaft

Arif Ünal (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich habe lange überlegt, was wir mit Ihrem Antrag machen sollen. Die in Ihrem Antrag beschriebene Grundproblematik ist sicherlich zutreffend. Darüber gibt es keine Diskussion. Es ist alles auch schon lange bekannt.
Es ist bekannt: Alkohol, das heißt Ethylalkohol und dessen Abbauprodukte wie Acetaldehyd, können die Plazenta durchdringen und natürlich bei den Föten irreversible Schäden verursachen. Das ist eine Wahrheit, die, glaube ich, jeder Medizinstudent im ersten Semester lernt.
Es ist auch bekannt, dass Ethylalkohol und Acetaldehyd Gifte sind, die natürlich in den Organismen sowohl bei den Föten als auch in den weiteren Schwangerschaftsmonaten Schäden verursachen, die man durch therapeutische Maßnahmen überhaupt nicht beheben kann. Obwohl dem größten Teil der Schwangeren die schädigende Wirkung von Alkohol bekannt ist, unterschätzen viele die Gefahren, die auch von einem nur geringen Konsum von Alkohol verursacht werden können.
Dem Robert-Koch-Institut nach konsumieren 20 % der schwangeren Frauen mehr oder weniger Alkohol. Das ist eine erschreckende Zahl. Es ist auch keine Diskussion. Aber eine der Ursache für den Konsum während der Schwangerschaft ist, dass zum einen sehr viele junge Frauen überhaupt nicht wissen, ob sie während dieses Alkoholkonsums schwanger sind. Das heißt, sie erfahren sehr spät, dass sie schwanger sind. Zum anderen werden von den schwangeren Müttern die Risiken unterschätzt, die von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft ausgehen. Aufklärung und Information über die Risiken ist daher richtig und wichtig.
Dabei gilt es besonders junge Menschen durch gezielte Ansprache zu erreichen. Die Landesinitiative „Mutter und Kind“ bearbeitet bereits seit mehreren Jahren in diesem Bereich zielgruppenspezifische Suchtprävention besonders bei den jungen Müttern oder Vätern. Ich glaube, Alkohol und Schwangerschaft ist in diesen Präventionsmaßnahmen seit Jahren ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit. Dabei kooperieren sie natürlich mit der Ärzteschaft, mit den Hebammen, mit anderen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, weil sie allein diese Mammutaufgabe nicht bewältigen können.
Dabei nutzen sie natürlich Plakate, Flugblätter und andere Materialien. Es gibt Hunderte von Filmmaterialien in diesem Bereich, die zielgruppenspezifisch sowohl in den Schulen als auch in Jugendzentren eingesetzt werden können. Prophylaxe-Fachkräfte bei den Sucht- und Drogenberatungsstellen gehen mit ihren Informationen und Aktivitäten auf die unterschiedlichen Zielgruppen und auf die Schwangeren zu, um über die Gefahren von Alkohol in der Schwangerschaft aufzuklären. Das heißt, geschlechterspezifische, zielgruppenspezifische Angebote in diesem Bereich gibt es schon lange.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Arif Ünal (GRÜNE): Ja, gerne.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist sehr freundlich von Ihnen. – Frau Birkhahn von der CDU-Fraktion. Bitte schön.
Astrid Birkhahn (CDU): Vielen Dank, Herr Ünal, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Zu-nächst bedanke ich mich für die differenzierte Problemsicht, die Sie aufgezeigt haben. Ich denke, es ist deutlich geworden, dass man in der Vergangenheit gewiss auf diese Problempunkte hingewiesen hat. Würden Sie mir auch zustimmen, dass sich diese Erkenntnisse nicht „vererben“ lassen, sondern in jeder Generation neu implementiert werden müssen und man deswegen die Kampagnen immer wieder neu an die entsprechende Generation heranbringen muss?
(Arif Ünal [GRÜNE]: Ja!)
Die Leute, die ihre Kinder geboren haben, können die Gefährdung ja nicht mehr weitergeben. Aber diejenigen, die neu schwanger werden, müssen immer wieder neu für die Problemstellung sensibilisiert werden. Können Sie mir da zustimmen?
(Ministerin Barbara Steffens: Deswegen machen wir das ja!)
Arif Ünal (GRÜNE): Ja, das könnte ich aufklären. Aber ich mache das nicht.
(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN – Michele Marsching [PIRATEN]: Gutes Zi-tat!)
Spaß beiseite!
(Zuruf)
– Genau; das wollte ich eigentlich. – Sie haben zwar recht. Aber die Drogenprophylaxe-Fachstellen arbeiten ständig daran und haben nicht nur vor 2010 diese Materialien zur Verfügung gestellt, sondern tun das auch heute noch. Sie machen diese Arbeit ja ständig. Das ist keine Arbeit, die für eine Generation angeboten worden ist und danach abgebrochen wurde. Diese Arbeit geht weiter. Insofern sehe ich überhaupt keine Notwendigkeit, jetzt eine besondere Aktivität in diesem Bereich zu entwickeln.
In diesem Zusammenhang kann ich beispielhaft auch zwei Gesellschaften noch einmal nennen. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe arbeitet ständig daran. Genauso arbeitet der Berufsverband der Frauenärzte ständig an diesem Thema. Sie machen Internetseiten und stellen verschiedene Informationsmaterialien zur Verfügung. Wir können, glaube ich, ohne Wenn und Aber sagen, dass die Verantwortlichen in diesem Bereich sehr aktiv arbeiten. Natürlich ist auch die Aufklärungsbroschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung immer noch im Umlauf. Informationen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen gibt es in diesem Bereich ebenfalls genügend. So gesehen haben wir hier keinen Nachholbedarf.
Zum Thema „Alkohol und Schwangerschaft“ existieren bereits sehr viele Untersuchungen. Sie haben in Ihrer Rede auch bestätigt, dass es sehr viele Untersuchungen gibt und alles bekannt ist. Insofern halten wir auch keine zusätzliche Untersuchung in diesem Bereich für notwendig.
Wir stimmen aber natürlich der Überweisung Ihres Antrags an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu. Ich freue mich darauf, im AGS-Ausschuss mit Ihnen fachlich darüber zu diskutieren. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank. – Herr Ünal, bleiben Sie bitte am Pult; denn es gibt eine Kurzintervention. Ich muss sagen: Unsere rote Warnlampe funktioniert eins a; jeder rennt weg.
(Heiterkeit von der CDU – Arif Ünal [GRÜNE]: Das übersieht man hier!)
– Ja. Ich habe das eben schon einmal erlebt. Wir geben uns hier oben richtig Mühe. Vielleicht lassen wir noch ein akustisches Signal ertönen, oder wir lassen etwas aus dem Rednerpult herausspringen. Da müssen wir uns noch etwas einfallen lassen. – Jedenfalls ist von Frau Kollegin Birkhahn eine Kurzintervention angemeldet. Bitte schön.
Astrid Birkhahn (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte die Gelegenheit wahr-nehmen, um noch einmal deutlich zu machen, dass es in unserem Antrag nicht um eine Suchtproblematik und nicht um Menschen geht, die durch das Umfeld in eine Sucht gekommen sind und dann schwanger werden. Vielmehr lag uns vor allem der Aspekt am Herzen, dass man aus Unkenntnis oder aus Verharmlosung heraus die Gefahren nicht richtig einschätzen kann, die für den Fötus entstehen, weil die Abbauproblematik bezüglich der Alkoholmengen eine ganz andere ist.
Es betrifft eine völlig andere Situation, zu sagen, welche Beratungsstellen es für Erwachsene oder für Jugendliche gibt. Hier ist ein wichtiges Informationsdefizit aufzuholen und eine Sensibilisierung für die Gefahren vorzunehmen, die davon ausgehen können, wenn man sich in einer geselligen Situation befindet. Das muss deutlicher ins Bewusstsein gerückt werden.
Das ist der entscheidende Unterschied, denke ich. Es geht hier nicht um die gesamte breite Suchtproblematik. – Vielen Dank.
Arif Ünal (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Birkhahn, Sie haben recht; natürlich ist das hier eine spezifische Problematik, die mit Alkohol zu tun hat. Sie können aber diese Gefahren des Alkohols in der Schwangerschaft nicht von der gesellschaftlichen Diskussion über Sucht insgesamt trennen. Beides hängt eng zusammen. So gesehen muss man das gemeinsam diskutieren.
Die spezifischen Angebote, die ich erwähnt habe, waren ja nicht nur Suchtpräventionsarbeiten. Ich kann drei Beispiele nennen.
Erstens: „Starke Kinder brauchen starke Eltern – Familienbezogene Suchtprävention“. Die Mütter, die schwanger sind, und die Väter müssen ihre Verantwortung übernehmen. In dieser Broschüre thematisiert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung genau diese familienspezifische Suchprävention.
Zweitens: „Alkoholspiegel“. In der Ausgabe vom Oktober 2010 ging es genau um das The-ma „Alkohol und Schwangerschaft“. Diese Broschüre ist immer noch im Umlauf.
Drittens: „Kinder stark machen – Gemeinsam gegen Sucht“.
Insofern werden von diesen Fachgesellschaften sowohl allgemein über die Suchtprävention als auch speziell zur Alkoholproblematik in der Schwangerschaft gezielte und zielgruppen-spezifische Angebote gemacht. – Mehr kann ich nicht sagen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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