Arif Ünal: „Das Konzept, durch Verbotspolitik den Cannabiskonsum einzudämmen, ist gescheitert. Das müssen wir endlich akzeptieren.“

Antrag der Piraten zu einem Modellprojekt für Cannabisabgabe

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Arif Ünal (GRÜNE): Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der Koalition müssen wir nicht immer die gleiche Meinung haben.
(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])
Was die Cannabispolitik angeht, müssen wir uns von den Piraten überhaupt nicht belehren lassen.
(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])
Es hat die Grünen mit einer Cannabispolitik schon gegeben, als die Piraten überhaupt noch nicht existiert haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
So gesehen, werde ich jetzt versuchen, mich ein bisschen unaufgeregt und wirklich fachlich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Seit der Steinzeit hat es keine Gesellschaft gegeben, die drogenfrei war. Es geht nicht darum, einfach eine drogenfreie Gesellschaft zu machen, sondern ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, wie man kontrolliert mit den Drogen umgeht.
Cannabis ist tatsächlich nach wie vor die beliebteste illegale Droge in Europa. Das sage nicht ich, sondern zu dieser Bewertung kommt die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in ihrem Jahresbericht 2011.
Es wird auch so sein, dass wir in der Bundesrepublik wie jede Gesellschaft Drogen haben, egal, ob es legal oder illegal ist.
In der Tat, Cannabis ist heute flächendeckend frei verfügbar unter den Bedingungen eines unregulierten illegalen Drogenmarktes. Es ist nicht so, dass wir ihn unter Kontrolle hätten.
Die gesundheitlichen Gefahren von Drogen, egal, ob es legale oder illegale Drogen betrifft, dürfen nicht geringgeschätzt und verharmlost werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Eine der zentralen Fragen in der Drogenpolitik lautet daher nach wie vor: Mit welchen Maßnahmen kann einem gesundheitsgefährdenden Cannabiskonsum wirksam begegnet werden? Wichtig ist es, mit diesem Konsum die Substanzen verschiedener Risiken so gering wie möglich zu halten.
Das Konzept, durch Verbotspolitik den Cannabiskonsum einzudämmen, ist gescheitert. Das müssen wir endlich akzeptieren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die bisherigen Erfahrungen zeigen deutlich, dass das Verbot weder Jugendliche noch Erwachsene wirksam vom Konsum abhält. Im Moment gibt es in der Bundesrepublik 2,3 Millionen Menschen, die Cannabis konsumieren. 20 Millionen Menschen haben irgendwann mit Cannabis Berührung gehabt. So gesehen müssen wir uns mit der Realität auseinandersetzen. So gesehen ist der Cannabiskonsum in der Bundesrepublik eine Volksdroge.
Sie können das leugnen und sagen: Wir wollen das nicht. – Aber diese Situation wird sich nicht ändern, wenn wir unsere Umgangsformen mit Cannabis und anderen Drogen überhaupt nicht kritisch reflektieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb wollen wir eine kontrollierte Abgabe in der Bundesrepublik vorantreiben, damit man Präventionsarbeit und Jugendschutz vorantreiben kann. Anonyme Präventionsarbeit können Sie nicht leisten, wenn Sie die Konsumenten kriminalisieren,
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
zwei oder drei Broschüren herausgeben. Präventionsarbeit funktioniert nur, wenn Sie gezielt mit den Menschen Kontakt aufnehmen. Jede Sucht hat eine Geschichte. Cannabis alleine verursacht keine Abhängigkeit, vielmehr muss eine Persönlichkeit dahinterstehen. So gesehen können wir tatsächlich Präventionsarbeit nur leisten, wenn wir eine kontrollierte Abgabe ermöglichen und die Diskriminierung und Kriminalisierung der Konsumentinnen und Konsumenten abschaffen. Deswegen ist unsere Idee der Präventionsaktionsarbeit Jugendschutz und Verbraucherschutz.
Sie wissen ja, was Cannabis und seinen Derivaten im Moment beigemischt wird; das geht von Blei bis hin zu noch ganz anderen Stoffen. Das ist ein gesundheitsgefährdendes Risiko, das wir minimieren müssen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Trotz dieser inhaltlichen Übereinstimmung können wir mit dieser Art und Weise Ihrem Antrag nicht zustimmen, erstens, weil …
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Ünal …
Arif Ünal (GRÜNE): … von der Präventionsarbeit keine Rede ist und
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von den PIRATEN)
weil Sie Jugendschutz überhaupt nicht erwähnen. Zweitens geht es Ihnen überhaupt nicht darum, das Thema voranzutreiben,
(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Unglaublich!)
sondern einfach nur darum, Ihre Duftmarke zu setzen. Deswegen schreiben Sie schnell zwei Sätze von unserer Bundestagsfraktion ab und legen sie als Antrag hier vor. So kann man mit einem gesellschaftlich sehr polarisierenden Thema nicht umgehen.
Deswegen müssten wir uns fachlich damit auseinandersetzen. Sie hätten mindestens die Überweisung beantragen können, dann hätten wir fachlich darüber reden können. Aber die Art und Weise, wie Sie mit diesem Thema umgehen, schadet der Angelegenheit. Deswegen werden wir Ihren Antrag trotzdem ablehnen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Ünal, bleiben Sie bitte einen kleinen Moment da. Es ist mir nicht gelungen, Ihren engagierten Redefluss am Schluss so zu unterbrechen, dass ich Sie hätte fragen können, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen wollen. Deshalb möchte ich das an dieser Stelle noch einmal nachholen wollen.
Arif Ünal (GRÜNE): Ja, bitte.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Schulz, dann haben Sie jetzt das Mikro.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin und Herrn Ünal! Ja, ich teile Ihre Auffassung, Frau Präsidentin. Es war mir auch durchaus wert, den Beitrag bis zum Ende zu hören, und ich danke Ihnen für die Zulassung der jetzt nachgezogenen Zwischenfrage.
Herr Kollege, dürfen wir nach Ihren Ausführungen davon ausgehen, dass vonseiten der regierungstragenden Fraktionen, insbesondere aber auch von Bündnis 90/Die Grünen, in den nächsten Wochen, nachdem Sie voraussichtlich und gemäß Ankündigung unseren Antrag ablehnen werden, einen im weitesten Sinne gleichlautenden, vielleicht um die von Ihnen erwähnten ergänzenden Punkte erweiterten Antrag hier im Landtag behandeln dürfen?
Arif Ünal (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Schulz, ich habe am Anfang erwähnt, dass man natürlich nicht verleugnen kann, dass es in dieser Sache unterschiedliche Meinungen gibt.
Deswegen müssen wir miteinander diskutieren und uns fachlich auseinandersetzen. Aber wir haben natürlich das Ziel vor Augen, dass wir mit diesen Situationen anders umgehen müssen. Deshalb gibt es auch einen Entwurf, den wir intern abstimmen müssen.
Hier kann ich nicht mehr sagen. Nach der Diskussion in unterschiedlichen Arbeitskreisen sowohl bei der SPD als auch bei den Grünen werden Sie die Ergebnisse präsentiert bekommen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Nicolaus Kern [PIRATEN])

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