Antje Grothus: „Die Zeit der Kohle geht zu Ende – wir beschleunigen die Energiewende“

Zum Antrag der FDP-Fraktion zum Strukturwandel im Rheinischen Revier

Portrait Antje Grothus

Antje Grothus (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Nordrhein-Westfalen steigt spätestens 2030 aus der marktlichen Nutzung der Braunkohle aus. Das ist Realität, weil eine engagierte Klimabewegung und die Umsiedlungsbetroffenen im Rheinischen Revier jahrelang hartnäckig dafür gearbeitet haben, und es ist Realität, weil der Bundeswirtschaftsminister und unsere Wirtschaftsministerin Mona Neubaur zusammen mit ihren Teams endlich die Blockaden der Energiewende gelöst und den Turbo beim Ausbau der Erneuerbaren eingelegt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich weiß, dass es für die Fossilfans der Opposition schwer zu verkraften ist; aber die Zeit der Kohle geht zu Ende. Wir beschleunigen die Energiewende. Wir bringen sie an ihr Ziel. Denn dafür wurden wir gewählt, und das setzen wir auch um.

Wir in Nordrhein-Westfalen haben eine schrittweise Solarpflicht eingeführt, die Flächenkulisse für Freiflächen-PV erweitert, die pauschale 1.000-m-Abstandsregel abgeschafft und mehr Platz für die Windenergie geschaffen. Mit dem Bürgerenergiegesetz stellen wir gleichzeitig eine breitere und finanzielle Beteiligung der Anwohnenden sicher.

Das hat viel gebracht. Es gab einen Boom beim Ausbau der Solaranlagen auf Dächern. Der Zubau hat sich 2023 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres sind 173 Windanlagen genehmigt worden. Das entspricht in etwa der Leistung eines Kohlekraftwerks.

Der Erfolg kann sich sehen lassen. Die Tagebaue des Rheinischen Reviers haben in den 2010er-Jahren in der Spitze knapp 100 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr gefördert. Letztes Jahr waren es nicht einmal mehr 50 Millionen Tonnen Kohle. Zeitgleich stieg der Anteil der Erneuerbaren von rund 25 % im Jahr 2013 auf über 51 % im Jahr 2023. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind wir schon bei fast 60 %. Nicht zu vergessen: Der gelungene Atomausstieg kommt noch obendrauf.

Gleichzeitig haben sich die Strompreise an der Börse wieder normalisiert. Sie liegen nur noch leicht über dem Niveau vor der Energiekrise.

Der Kohleausstieg ist klimapolitisch alternativlos. Jede Tonne Kohle, die im Boden bleibt, ist eine gute Tonne Kohle. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, dazu verlieren Sie in Ihrem Antrag aber kein einziges Wort – kein einziges Wort dazu, wie Sie die Menschheitsaufgabe „Klimaschutz“ ohne einen Kohleausstieg vollbringen wollen. Das finde ich angesichts der eskalierenden Klimakrise unverantwortlich von Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN – Lena Teschlade [SPD]: Das ist aber Quatsch!)

All die Entwicklungen passierten zu einer Zeit, in der aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die geopolitischen Dimensionen unserer Energieversorgung von Krisen und Unsicherheiten geprägt waren. Daher wurde in der Vereinbarung zum Kohleausstieg 2030 als Ultima Ratio eine Kohlereserve bis 2033 eingeplant und festgelegt, dass manche Kraftwerke bis März 2024 und damit länger als geplant laufen, um Gas in der Stromerzeugung einzusparen.

Hierbei war auch die Option enthalten, bestimmte Kohleblöcke im Rheinischen Revier bis März 2025 noch einmal zu verlängern. Aber – das ist die gute Nachricht – es war gar nicht nötig, die Blöcke länger laufen zu lassen, weil die Stromversorgung auch ohne sie jederzeit gesichert war und ist.

Dass die Energiewende in solch stürmischen Zeiten voranschreitet und ein Zwischenziel nach dem anderen erreicht, ist für mich Mutmacher und Bestätigung zugleich. Wir sind auf Kurs, und wir halten auch den Kurs.

(Beifall von den GRÜNEN)

Werte Kollegen der FDP, ich muss zugeben, dass mich Ihr Antrag ein wenig stutzig macht. Sie sagen einerseits, dass schon heute viel weniger Kohle als gedacht benötigt wird, und andererseits, dass der Kohleausstieg gar nicht gelingen könne. Ja, was denn nun?

Sie kritisieren auch an vielen Stellen bundespolitische Beschlüsse, zum Beispiel den Beschluss des Bundestags zum früheren Kohleausstieg in NRW.

(Zuruf von Dr. Dennis Maelzer [SPD])

Wer regiert noch mal in Berlin mit? Ihre Parteikollegen im Bund haben doch auch der Anpassung des Kohleausstiegsgesetzes zugestimmt. Es ist im Übrigen Ihr Finanzminister, der die Mittel für eine umfangreichere Kraftwerksstrategie zurückhält.

Wenn Ihnen diese Maßnahme hier also zu klein ist, dann schreiben Sie das doch nicht in einen Antrag. Nehmen Sie Ihr Telefon, rufen Sie Ihren Parteikollegen an, und erklären Sie ihm, dass er endlich seine Finanzblockade bei der großen Kraftwerksstrategie und auch an anderen Punkten aufgeben soll.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihr Antrag fordert darüber hinaus auch weitgehend Dinge, die schon längst in der Realität passieren.

Checkpoints und gesetzlich vorgesehene Überprüfungen – dieser Schritt ist deutlich sinnvoller als Ihr einfältiger Vorschlag, den gesamten Kohleausstieg einfach pauschal zu verschieben.

Es werden bereits an Kraftwerksstandorten im Revier planerisch H2-Ready-Gaskraftwerke vorbereitet. In ganz NRW bereiten sich diverse Energieversorger auf die Teilnahme an Ausschreibungen im Zuge der Kraftwerksstrategie vor.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass der Bericht der Bundesnetzagentur, auf den Sie sich auch beziehen, sogar davon ausgeht, dass auch ohne staatliche Subventionen – ich zitiere – wirtschaftliche Investitionen möglich sind.

Auf Bundesebene werden aktuell die Bedingungen für eine flexiblere Bereitstellung der Fördergelder geschaffen. Diese zeitliche Entzerrung ist gut. Auch nach 2030 gibt es noch viel Arbeit mit der Gestaltung der Tagebaufolgelandschaften, dem Umgang mit den Kohlelangzeitschäden und der Nachnutzung der Kraftwerksstandorte und Tagebauflächen.

Daher wird der Strukturwandel nicht 2030 und auch nicht 2033 plötzlich aufhören. Vielmehr wird es eine behutsame Übergabe des Staffelstabs geben – das Alte geht, und das Neue kommt.

Ihre Forderungen bestehen aus einer Auflistung von Punkten, die schon längst in Umsetzung sind. Dass Sie darüber hinaus nichts Substanzielles haben, liegt wahrscheinlich daran, dass der Strukturwandelprozess in dieser Legislaturperiode richtig gut läuft.

Kürzlich hatte ich einen interessanten Austausch mit Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern der „Revierwende“ aus allen drei Kohlerevieren. Die Vertreterin aus Nordrhein-Westfalen erzählte mir, wie wichtig es sei, durch den gesetzlich beschleunigten Kohleausstieg Klarheit und Planungssicherheit zu haben. Während der Strukturwandel im Osten oft durch die zeitliche Unsicherheit geprägt ist, sind im Rheinischen Revier die Leitplanken klar definiert und die Weichen auf Zukunft gestellt.

Bislang wurde viel darüber gesprochen, dass viele neue Arbeitsplätze im Revier geschaffen werden müssen. Jetzt zeichnet sich ab, dass so viele Jobs im Revier entstehen, dass es eine Fachkräftelücke geben wird. Ich weiß gar nicht, Herr Brockes, wo Sie waren, als wir im Wirtschaftsausschuss darüber gesprochen haben und uns dies vorgetragen wurde. Wir haben also nicht zu wenige Jobs, sondern zu wenige Menschen, die all diese vielen Jobs werden ausführen können.

Diese Situation bringt uns zu zwei für den Strukturwandel sehr wichtigen Punkten, die von meinen Vorrednerrinnen auch schon genannt wurden: Aus- und Weiterbildung sowie die Schaffung einer möglichst lebenswerten und auch attraktiven Region.

Transformative Phasen gelingen nur, wenn die Bevölkerung entsprechend beteiligt wird; denn Strukturwandel ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daher ist es unerlässlich, dass das im Revier liegende Potenzial an gut ausgebildeten Fachkräften und Hilfskräften durch Weiterbildung gehalten wird und dass neue Fachkräfte entsprechend aus- und fortgebildet werden.

Wir sind auf einem guten Weg, damit die vielen offenen Arbeitsplätze im Revier ausgefüllt werden, die Menschen in guter Arbeit sind, die Menschen von guter Arbeit in gute Arbeit gehen und der Wirtschaftswandel in der Region gelingt.

Das Rheinische Revier muss aber auch als Lebensort attraktiv werden, damit Fachkräfte mit ihren Familien aus ganz Deutschland und auch aus Europa und darüber hinaus ins Revier ziehen und dort auch bleiben. Dazu gehört die Wiederherstellung einer ökologisch hochwertigen Landschaft. Das bedeutet unter anderem, dass der revierweite Biotopverbund schleunigst in die Umsetzung kommt und zur Verbesserung der Lebensqualität vor Ort beiträgt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dazu gehört die gute Anbindung des gesamten Reviers an den öffentlichen Nahverkehr.

Dazu gehört auch, die Rolle von Kunst und Kultur im Strukturwandel wertzuschätzen. Was wäre beispielsweise das Ruhrgebiet ohne eine IBA Emscher Park?

Schließlich braucht es die Wertschätzung der Rolle von Frauen im Strukturwandel, sei es bei der Frage, welche Arbeit und welche Arbeitsplätze als relevant für den Strukturwandel angesehen werden und welche unsichtbar bleiben und gemacht werden – unbezahlte Care- und Sorgearbeiten –, oder bei der Frage der familienfreundlichen Region mit guten Kitas, Schulen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.

Meine Damen und Herren, das Rheinische Revier befindet sich inmitten einer großen Veränderung. Diese Veränderung gut zu steuern, klare Ziele und Prozesse zu kommunizieren sowie Zuversicht, Mut und Lust auf Innovation zu machen, sei sie technisch, wirtschaftlich oder sozial, ist Aufgabe guter Strukturpolitik.

Leider leistet der vorgelegte Antrag der FDP hierzu keinen Beitrag, weswegen wir ihn ablehnen werden. Stattdessen werden wir unsere gute Strukturwandelpolitik, mit der wir vor zwei Jahren begonnen haben, fortführen, um ein gutes Leben, gute Arbeit und gute Landschaft in unser aller Revier zu schaffen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)