Andrea Asch: „Wer über die Armutsberichte diskutieren will und über Lösungen schweigt, der führt keine ernsthafte Debatte“

Aktuelle Stunde auf Antrag der CDU zu Kinderarmut

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Andrea Asch (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Union fragt heute in der Aktuellen Stunde nach den Schlüssen aus den neuen Kinderarmutsstudien. Ich sage: Ja, wir müssen darüber diskutieren, ausführlich, ernsthaft und mit offenem Visier. Aber vor allen Dingen müssen wir faktenbasiert darüber sprechen.
Herr Laschet, zu den Fakten gehören die Armutsberichte, die die verschiedenen Fachverbände vorgelegt haben. Ich fordere Sie dazu auf, sie einmal ausführlich zu lesen.Aber das wissen wir ja schon aus Ihrer Zeit als Minister. Das ausführliche Studieren von Akten war noch nie Ihre Sache.
(Widerspruch von der CDU)
Wenn Sie es ausführlich lesen würden, dann könnten Sie feststellen, dass die Kinderarmut seit dem Jahr 2006 angestiegen ist. Wir wissen – ich erinnere mich ungern an diese Zeit –, dass die Regierungsverantwortung in den Jahren 2005 bis 2010 leider in den Händen von CDU und FDP lag. Das sind die Fakten. Diese Wahrheit können Sie hier nicht einfach unterschlagen.
(Zurufe von der CDU)
Wir müssen über die grundlegenden Ursachen von Kinderarmut reden. Dazu fordere ich die Union auf. Der Bericht sagt sehr eindeutig – wen wundert es? –, dass es die materielle Armut der Familien ist.
Meine Damen und Herren, wir müssen doch über die Lösungswege diskutieren, die uns die Fachleute in dem Armutsbericht aufzeigen. Da ist nachzulesen, dass die Einkommen das zentrale Mittel für Teilhabe- und Verwirklichungschancen darstellen. Daraus leiten die Fachverbände vier Hauptforderungen ab.
Erstens: mehr Umverteilung von oben nach unten.
Zweitens: gerechtere Besteuerung von hohen Einkommen.
Drittens: bedarfsgerechte Regelsätze für Kinder als kurzfristige Maßnahme.
Viertens: eine Kindergrundsicherung als langfristige Maßnahme.
Das sind die großen Stellschrauben, die uns die Fachverbände hier aufgeben. Darüber brauchen wir eine ernsthafte Debatte, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Deswegen rufe ich auch die CDU auf: Machen Sie es sich nicht so einfach! Ducken Sie sich nicht weg!
Ich frage: Wie stehen Sie denn genau zu den Lösungsansätzen der Fachverbände? Ich frage Sie auch: Wo sind die Initiativen der starken NRW-CDU, die doch sozialer sein will als andere in Nordrhein-Westfalen und natürlich als die Ellenbogenpartei FDP? Wo ist denn der Druck, den Ihre zahlenmäßig starke Landesgruppe in Berlin macht? Wo sind die Initiativen der von Ihnen geführten Bundesregierung gegen Kinderarmut? Vor allen Dingen frage ich Sie ganz konkret – das sind Sie uns heute Morgen wie immer schuldig geblieben, Herr Laschet –: Wo sind denn die Aktivitäten der CDU-Fraktion, der größten Oppositionsfraktion hier im Landtag? Wo sind Ihre Konzepte? Wo sind Ihre Lösungsvorschläge?
(Zurufe von der CDU)
Meine Damen und Herren, wer über die Armutsberichte diskutieren will und über solche Fragen und die Lösungen schweigt, der führt keine ernsthafte Debatte, sondern nur Scheingefechte.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Dabei ist das Thema sehr wichtig und brennend aktuell. Ja, es ist nicht hinnehmbar, dass in einem der reichsten Länder der Welt Kinder in Armut aufwachsen müssen; denn die Kinder können aus eigener Kraft nichts an ihrer prekären Lage ändern. Nur zu oft – das wissen wir – müssen sie ihr Leben lang die Folgen tragen. Weil wir die Zusammenhänge kennen, steht die Bekämpfung der Kinderarmut ganz oben auf der Prioritätenliste der rot-grünen Koalition.
(Zurufe von der CDU)
Seit dem Jahr 2010 – vielleicht hören Sie mal zu, wenn Sie sich nicht mehr erinnern – haben wir eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht.
(Zurufe von der CDU)
Mit dem Zweiten KiBiz-Änderungsgesetz haben wir wie schon mit dem Ersten das korrigiert, was Sie als Familienminister in der Kitalandschaft an verbrannter Erde hinterlassen haben, Herr Laschet. Das ist die Wahrheit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben speziell für die benachteiligten Kinder die plusKITA geschaffen. 45 Millionen € nehmen wir zusätzlich in die Hand, um den Kindern mehr frühe Bildung und Förderung zu ermöglichen. Wir finanzieren den Gebührenerlass in der Familienbildung für benachteiligte Familien. Wir haben das Modell „Kein Kind zurücklassen!“ auf den Weg gebracht, um gemeinsam mit den Kommunen Präventionsketten aufzubauen. Wir haben 2013 das Handlungskonzept gegen Armut und soziale Ausgrenzung beschlossen. Im Sommer 2015 hat NRW das Programm „NRW hält zusammen“ gestartet, auch hier mit dem Schwerpunkt Armutsbekämpfung.
Dann haben wir noch ein Weiteres gemacht, um die Fehler der Bundesregierung auszumerzen: Wir haben die Schulsozialarbeit mit 47 Millionen € weiterfinanziert. Ihre Bundesregierung hat sich geweigert, das fortzuschreiben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das alles sind wichtige und notwendige Maßnahmen, die aber in der Tat langfristig wirken. Wie hat sich die CDU verhalten, als wir diese Maßnahmen für die Kinder, für die benachteiligten Familien beschlossen haben? PlusKITA – NRW-CDU ist dagegen. Unser Haushaltsantrag zur Beitragsfreiheit und Familienbildung – NRW-CDU ist dagegen. Stattdessen fordern Sie – das ist besonders bitter –, dass 20 % aller freiwilligen Leistungen in der Familienhilfe gestrichen werden. Das ist Ihre Politik gegen Familien und Kinder. Das ist nicht hilfreich, sondern solche Maßnahmen werden die Kinderarmut noch weiter fortsetzen.
(Beifall von den GRÜNEN und Eva Voigt-Küppers [SPD])
Meine Damen und Herren von der Union, beim Kampf gegen die Armut haben Sie weder im Bund noch im Land etwas zu bieten. Sie sind hier nicht nur bei null, Sie sind tief im Minusbereich. Gerade deswegen finde ich es ganz schön mutig, um nicht zu sagen, tollkühn, dass Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Ich fordere Sie auf: Kochen Sie nicht auf dem Rücken von Kindern und Familien Ihre parteipolitischen Süppchen. Wir brauchen eine gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen. Das ist der Weg.
(Beifall von Jutta Velte [GRÜNE])
Nur so können wir die Kinderarmut wirkungsvoll bekämpfen. Zu diesem gemeinsamen Weg lade ich auch die CDU-Fraktion sehr herzlich ein. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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