Andrea Asch: „Wahlfreiheit durch ausreichend viele Betreuungsplätze“

Kita-Ausbau

Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allen ist bekannt, dass der unsinnigen familienpolitischen Maßnahme „Betreuungsgeld“ eine gesellschaftliche Mehrheit fehlt. Es gibt eine große Allianz von gesellschaftlichen Gruppen. Verbände – angefangen bei den Arbeitgeberverbänden –, eine Vielzahl von Wissenschaftlerinnen, katholische Familienverbände, Gewerkschaften, die OECD und die Kirchen sagen alle: Das ist eine nicht zielführende familienpolitische Maßnahme, die Fehlanreize setzt und Kinder von der Förderung in der Kita fernhält.
Wir wissen auch aus den Großversuchen in Thüringen, Schweden und Norwegen, dass sich das Betreuungsgeld in der Tat negativ auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen auswirkt, dass es sich negativ auf den Spracherwerb von Kindern mit Migrationshintergrund auswirkt, dass es sich negativ auf die Inanspruchnahme der Kita und damit die Förderung der Kinder auswirkt.
Zur Rechtfertigung wird von der CDU ins Feld geführt – wir haben das in den Debatten hier schon vermehrt gehört –: Wir wollen mit dieser Maßnahme Wahlfreiheit für die Eltern schaffen. – Aber wir wissen doch ganz genau, dass Wahlfreiheit für die Eltern erst dann hergestellt wird, wenn wir die Infrastruktur bedarfsgerecht ausbauen, wenn Eltern sich für einen Betreuungsplatz entscheiden können und wenn dieser Betreuungsplatz dann auch tatsächlich vorhanden ist.
Das sind die Punkte, mit denen Wahlfreiheit hergestellt wird, und daran arbeiten wir intensiv hier in Nordrhein-Westfalen.
Es ist doch ein völlig absurdes Argument, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, zu behaupten, irgendjemand halte einen Vater oder eine Mutter davon ab, zu Hause zu bleiben, wenn er oder sie sich dafür entscheidet, das Kind zu Hause zu betreuen.
Seitdem der Gesetzentwurf vorliegt, wissen wir nun auch, dass ein anderer Rechtfertigungsversuch für diese Fehlmaßnahme ins Leere läuft. Familienministerin Schröder hat ja immer behauptet, sie wolle mit dem Betreuungsgeld die Erziehungsleistungen der Eltern anerkennen. Aber es wird ja auch bezahlt, wenn die Nanny, wenn das Au-pair oder wenn die private Einrichtung das Kind betreut. Und was ist eigentlich mit den Erziehungsleistungen der SGB-II-Empfängerinnen, die das Geld nicht bekommen? Das ist doch abgründig und an Zynismus nicht zu überbieten, dass diesen Familien der Wert ihrer Erziehungsleistung durch die Nichtzahlung des Betreuungsgeldes aberkannt wird.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Nehmen wir das Beispiel der alleinerziehenden Krankenpflegerin! Sie wird, wenn sie ihr Kind ein- bis zweimal die Woche in der Kita betreuen lässt, weil sie halbtags arbeiten gehen muss, das Betreuungsgeld nicht bekommen. Aber die Chefarztgattin, die zu Hause eine Nanny anstellen kann, bekommt die 150 € quasi als Taschengeld und kann damit ihre Freundin zum Champagner einladen. Das ist eine krasse soziale Schieflage,
(Beifall von den GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU]: Oh Gott!)
die mit der Ausgestaltung dieses Gesetzes, Herr Laumann, produziert wird. Es folgt dem gleichen Muster wie das Erziehungsgeld. Den Reichen wird das Geld gegeben, und die Armen, die SGB-II-Empfänger, die Hartz-IV-Empfänger, bekommen es nicht.
Es gibt aber noch eine andere sehr schwerwiegende, fatale Nebenwirkung dieses familienpolitischen Fehlinstruments: Ein gesellschaftlicher Konsens, den wir nach langen Jahren mühsam erzielt haben, wird wieder infrage gestellt. Der Konsens lautet: Es ist gut für die Kinder, wenn sie in der Kita, der ersten Stufe der Bildungskette, betreut werden. Es ist gut für ihren späteren Bildungserfolg. – Dieser Konsens wird infrage gestellt.
Die Eltern werden doch völlig verwirrt. Einerseits sagt man ihnen: „Lass dein Kind in der Kita fördern!“ und andererseits bietet man ihnen einen Anreiz, das Kind zu Hause zu betreuen.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Das ist keine konsistente Familienpolitik; das ist Verwirrung. Und damit unterstützen Sie Eltern in ihrer Entscheidung, Kinder zu bekommen, nicht.
(Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU])
Das können wir uns angesichts der niedrigen Geburtenrate in Deutschland nicht leisten.
Wir wissen alle: Das Geld, das hier zum Fenster hinausgeworfen wird – wahrscheinlich wird diese Maßnahme 2 Milliarden € kosten –, brauchen wir dringend für den Ausbau der Infrastruktur, um die notwendigen Kitaplätze zur Verfügung zu stellen.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Viele von Ihnen in der CDU-Fraktion sehen das genauso. Der ehemalige nordrhein-westfälische CDU-Familienminister und jetziger Landesvorsitzender – er ist heute nicht hier, sodass ich ihm nicht gratulieren kann –, Herr Laschet, hat in seiner Zeit als Familienminister diese Maßnahme als unsinnig abgelehnt. Genauso hat es der damalige Ministerpräsident von der CDU, Herr Rüttgers, getan. Wir wissen doch auch, dass hinter vorgehaltener Hand viele aus der CDU-Fraktion im Bundestag nichts lieber machen würden, als dieses Gesetz zu beerdigen. Wir wissen genau, dass Herr Seehofer dahintersteht, der mit dem Kopf durch die Wand will, damit er 2013 seine Wahlen in Bayern gewinnt. Das ist der eigentliche Grund.
(Zurufe von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluss.
Andrea Asch (GRÜNE): Interessant ist auch, …
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
– Beifall aus der CDU-Fraktion –,
(Heiterkeit von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Abgeordnete, ich darf es wiederholen: Ihre Redezeit ist überschritten. Kommen Sie bitte langsam zum Schluss.
Andrea Asch (GRÜNE): Interessant ist auch, was der frischgebackene FDP-Fraktionsvorsitzende hier im Landtag Nordrhein-Westfalen macht. Er, Christian Lindner, hat das Betreuungsgeld in den Koalitionsvertrag in Berlin mit hineingeschrieben.
(Christian Lindner [FDP]: Nein!)
– Du kannst es ja gleich richtigstellen. – Er, Christian Lindner, hat in der namentlichen Abstimmung diesem Betreuungsgeld zugestimmt,
(Christian Lindner [FDP]: Das stimmt!)
und jetzt macht er sich vom Acker. Wendehals, kann ich da nur sagen, weil du feststellst, dass das jetzt nicht opportun ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Abgeordnete, Sie müssen bitte wirklich zum Schluss kommen!
Andrea Asch (GRÜNE): Rücken Sie davon ab! Nutzen Sie Ihren Einfluss in Berlin, wenn Sie ihn denn haben, um diese familienpolitische Katastrophe abzuwenden! – Ich danke Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

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