Andrea Asch: „Schwarz-gelbes Geschacher statt politische Gestaltung im Bund“

Rot-Grüner Antrag auf Aktuelle Stunde zum Betreuungsgeld

Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun ist die Maus geboren. Nach jahrelangen Verhandlungen hat sich die Streitkoalition in Berlin nunmehr auf ein wahrlich „gewichtiges“ Ziel geeinigt. Und dieses „Megaprojekt“, über das seit Jahren gestritten wurde, das ist nicht die Reform der Pflegeversicherung, das ist auch nicht die Einführung eines gerechteren und niedrigeren Steuersystems à la Guido Westerwelle. Das ist auch nicht die Reform der Rentenversicherung mit der besseren Anerkennung der Erziehungszeiten, wie die CDU es eigentlich wollte. Nein! Man hat sich auf die Einführung einer „Herdprämie“ verständigt.
Dabei gab es diese angebliche Einigung schon öfter: in den Koalitionsverhandlungen im Bund 2009, in zwei Koalitionsausschüssen 2011, 2012, im Kabinett im Juni 2012. Zwischenzeitlich hat sich die CDU auch mal mit der CSU verständigt und dabei die FDP ganz vergessen.
Aber weil diese Streitkoalition in Berlin keinen inhaltlichen Fahrplan, keine gemeinsame programmatische Grundlage hat, ist das Thema wieder auf die Tagesordnung gekommen. Ich bin sehr gespannt, ob das Gesetz überhaupt eine Mehrheit bei den Mitgliedern des Deutschen Bundestages findet. Ich muss sagen: Ich habe Respekt vor Frau Pieper von der FDP. Sie hat bereits die Ablehnung dieses Gesetzes angekündigt. Ich bin mir ziemlich sicher: Sie wird nicht die Einzige aus dem Regierungslager sein.
Meine Damen und Herren, es ist schon ein Stück abstoßend, dass eine Partei wie die CSU aus rein parteitaktischen Gründen gegen jede sachliche Vernunft die Gesellschaft in Geiselhaft nimmt, nur um die bayerische Landtagswahl zu gewinnen.
Noch abstoßender ist es, wie in Berlin die Einzelinteressen von Parteien wie auf dem Basar gegeneinander verhandelt werden: Gibst du mir das Betreuungsgeld, gebe ich dir die Praxisgebühr! – Das, meine Damen und Herren, ist Geschacher statt politische Gestaltung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Viel ist in diesen Tagen die Rede vom Kuhhandel. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Viehhändler haben sich schon zu Wort gemeldet. Ich habe übrigens einen in meiner Familie, der hat sich das auch verbeten. Sie verbitten sich diesen Vergleich als beleidigend. Sie sagen: Im Geschäft der Viehhändler geht es ehrlicher und zielgerichteter zu als in dieser Streitkoalition in Berlin.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Führen wir uns das noch mal vor Augen. Auf allen Ebenen brandmarkt die FDP die „Herdprämie“ als fachlich unsinnig und vor allen Dingen als finanziell nicht darstellbar. Ich zitiere die Staatsministerin der FDP im Auswärtigen Amt:
„Für mich ist das Betreuungsgeld eine doppelte Rolle rückwärts in alte Zeiten. Das ist eine Rückkehr zum alten Familienmodell Kinder, Küche, Kirche.“
– So weit Frau Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, immerhin Justizministerin dieser Streitkoalition in Berlin, hat sich schon längst zu Wort gemeldet und mitgeteilt, dass dieses Gesetz wahrscheinlich verfassungswidrig ist und sie es anfechten wird.
So, das ist die Position von FDP-Politikerinnen.
Aber dann knickt genau diese Fraktion, diese Partei ein, weil sie sich politisch nicht durchsetzen kann und weil sie sich mit einem Bakschisch schmieren lässt.
Und der Herr Parteivorsitzende Rösler versteigt sich auch noch darauf – diese Wertung finde ich besonders „toll“ –, hier habe ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Aha! Will er damit zugeben, dass diese Streitkoalition drei Jahre lang nicht in der Lage war, gemeinsame Ergebnisse zu erzielen, oder was hat sich jetzt gewendet? Oder bezieht sich der Paradigmenwechsel auf die doppelte Rolle rückwärts in alte Zeiten, auf die Rückkehr zum alten Familienmodell Kinder, Küche, Kirche? Dann allerdings hätte er recht, der Herr Rösler – ausnahmsweise mal.
Meine Damen und Herren, das Betreuungsgeld wird von einer breiten Mehrheit der Gesellschaft abgelehnt. Sie wissen, dass Familienverbände, Kinder- und Jugendorganisationen, Frauenverbände, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Arbeitgeberverbände, Bildungsforscher die „Herdprämie“ ablehnen.
Gucken wir nach Norwegen; dort gab es solch ein Betreuungsgeld. Fazit ist: Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sind immer weniger in die Kita gegangen. Dadurch wurde der Spracherwerb beeinträchtigt und die Erwerbstätigkeit von Frauen behindert. Norwegen hat aus diesen Erfahrungen gelernt und dieses Geld für die Zweijährigen jetzt abgeschafft.
Es wäre schön, wenn sich die Politik in diesem Land, in Berlin auch einmal von der wesentlichen Frage leiten lassen würde. Und die lautet, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was bringt es unseren Kindern? – Die Antwort ist ganz einfach:Für die Kinder bringt es nichts, sondern es ist eine Gefahr. Es schadet den Kindern, weil ihnen die frühkindliche Bildung in der Kita vorenthalten wird.
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Das ist doch nicht wahr, was Sie sagen!)
Das Betreuungsgeld ist bildungspolitisch falsch. Es konterkariert zudem die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.
Aber es ist nun mal so: Zusätzliches Geld war schon immer ein gutes Schmiermittel für diese Koalition in Berlin. Deren Motor steht kurz vor dem Kolbenfresser und wird mit Schmiermitteln am Laufen gehalten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Mit dem neuen Modell wird zudem ein hoher bürokratischer Aufwand produziert. Wer soll denn eigentlich kontrollieren? Vielleicht kann hier jemand von CDU oder FDP erklären, wie dieses Bildungssparen, das jetzt eingeführt wird, überhaupt gesteuert werden soll. Die Kosten dieser Bürokratie, die Kontrolle in den Einzelfällen, die Meldepflicht – all das müssen wieder die Kommunen machen, all das produziert wieder Kosten für die Kommunen. Und die haben sich auch schon zu Wort gemeldet und sagen, sie könnten das nicht schultern.
Wir reden über ein neues Bürokratiemonster. Wir reden über unseriöse Haushaltspolitik.
(Henning Höne [FDP]: Unverschämtheit!)
Wir reden über die FDPö. FDP. – FDPö. ist auch schon.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vielleicht war die Assoziation zur FPÖ irgendwie da.
Fragwürdig ist die Rolle des Fraktionsvorsitzenden der FDP, Herrn Lindner. Er hat das Betreuungsgeld 2009 mitverhandelt.
(Christian Lindner [FDP]: Nein!)
Als Generalsekretär der Bundes-FDP hat er an weiteren Einigungen zum Betreuungsgeld teilgenommen und es anschließend auch verteidigt. – Lieber Christian Lindner, wir alle haben die Zitate aus der Zeitung, mit denen man das belegen kann.
Nachdem er aus der Bundespolitik ausgeschieden ist, will er von all dem auf einmal nichts mehr wahrhaben. Es ist ganz einfach: Christian Lindner ist das Spiegelbild der FDP.
(Zurufe von der FDP)
Da können Sie schreien, wie Sie wollen. Unangenehme Wahrheiten wollen Sie offenbar nicht hören.
Die FDP ist bereit, jede inhaltliche Position zu vertreten – aber kurze Zeit später auch das genaue Gegenteil davon. Hauptsache, es dient dem Machterhalt! Diese Prinzipienlosigkeit hat der FDP auch das Label „Umfallerpartei“ gebracht.
(Zurufe von der FDP: Oh!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Andrea Asch (GRÜNE): Meine Damen und Herren, in der CDU sieht es auch nicht viel besser aus. Nach jahrelangem Zickzackkurs vermeidet sie mittlerweile jede klare Aussage. Das wird von Herrn Tenhumberg wahrscheinlich gleich wiederholt.
Eine Hoffnung gibt es, meine Damen und Herren: Das ist die kurze Halbwertszeit dieses Gesetzes. Es soll einen Monat vor der Bundestagswahl eingeführt werden. Eine Hoffnung gibt es, nämlich dass wenige Wochen nach der Bundestagswahl eine neue rot-grüne Mehrheit diesen Unsinn ganz schnell wieder abschaffen wird. Das können wir Ihnen heute schon versprechen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

2. Runde:

Andrea Asch (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon sehr interessant, mit welchen rhetorischen Pirouetten und mit welchen Ablenkungsmanövern sowohl CDU als auch FDP versuchen, jede klare Positionierung zu einem Ja oder Nein zum Betreuungsgeld zu vermeiden.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Dazu haben Sie sich überhaupt nicht geäußert.
Die CDU befindet sich familienpolitisch auf einem Zickzackkurs. Ich möchte Ihnen gerne ein Zitat Ihres damaligen Regierungschefs, des Ex-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, aus 2007 vorlesen:
Die gesellschaftliche Wirklichkeit zeigt leider, dass das Betreuungsgeld für viele Kinder aus nicht intakten Familien keine Lösung sein kann.
Daraufhin hat Frau Kastner ihm plenar als Sprecherin für Familienpolitik widersprochen. Auch Herr Laschet hat sich als damaliger Familienminister gegen das Betreuungsgeld positioniert.
Sehr interessant fand ich, was Walter Kern und etwas abgeschwächt Herr Laumann heute gesagt haben. Walter Kern hat gesagt: Das Kind gehört zur Mutter. – Genau das – das sage ich als Mutter von drei Kindern – ist das überkommene Familienbild, das junge Leute, das junge Frauen in unserer Gesellschaft nicht mehr mittragen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Da haben Sie sich geoutet. Sie haben noch nicht mal die Väter erwähnt. Das ist für die Frauen ein Zurückkehren zu Kinder, Küche, Kirche. Das fällt Ihnen bei den jungen Frauen und bei den jungen Leuten, die dieses konservative Familienbild nicht mehr leben wollen, auf die Füße. Da müssen Sie sich nicht wundern, dass Sie gerade in den Großstädten so wenig Zustimmung erfahren.
(Zuruf von der CDU: 50 %!)
Und dann Christian Lindner. – Christian Lindner ist ja ganz toll:
(Beifall von der FDP)
Er hält sich mit Stilfragen auf und stellt Falschbehauptungen auf. Hier zu behaupten, Rot-Grün in Thüringen wäre für das Erziehungsgeld, ist schlichtweg falsch. Das ist die Unwahrheit. Sie können das nachlesen. Im „FOCUS“ vom 3. April steht deutlich, dass Grüne und FDP – in seltener Einmütigkeit – das Erziehungsgeld in Thüringen ablehnen. – Ihre Argumentation ist also schlichtweg unwahr.
Den Zickzackkurs der FDP möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. In der Plenarsitzung am 5. Juli 2012 hat sie einen Entschließungsantrag eingebracht. Darin steht:
„Der Entschuldung der öffentlichen Haushalte ist gegenwärtig oberste Priorität einzuräumen. Der Landtag fordert deshalb die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag auf, die weitere fachliche Debatte über das Betreuungsgeld auszusetzen, bis der Bundeshaushalt ausgeglichen ist.“
Und was genau ist in Berlin passiert? – Dazu gibt es von Ihnen kein klares Statement, nur Herumgeschwurbele. Nur Stilfragen werden von Ihnen thematisiert.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Meine Damen und Herren, man kann es der FDP auch nicht durchgehen lassen, dass sie sich jetzt auf einmal um die öffentlichen Haushalte bemüht.
(Lachen und Zurufe von der FDP)
Denn Sie haben durch „Mövenpick“, sprich: die Begünstigung von Hoteliers, dafür gesorgt, dass NRW 800 Millionen € weniger in der Kasse hat.
(Christian Lindner [FDP]: Lüge!)
Und jetzt schnüren Sie im Bund ein 5-Milliarden-Paket, was jährlich ausgezahlt wird. Im Gegensatz dazu – das muss man an jeder Stelle deutlich sagen – steht eine Einmalzahlung des Bundes von 4,5 Milliarden € an die Länder für den U3-Bereich. Das ist die Schizophrenie Ihrer Politik. Wenn Sie diese 5 Milliarden € jährlich in den U3-Bereich geben würden, wo sie hingehören, wenn Sie sie in die Struktur geben würden, dann wären wir bundesweit mit U3 auf einem völlig anderen Niveau, auf einem völlig anderen Level. Das ist falsche Politik. Sie verteilen mit den 5 Milliarden € Bonbons an die CSU und bittere Pillen an die Kinder, denen sie die Förderung und die Betreuung in der Kita vorenthalten. Das ist falsche Politik. Das ist Klientelpolitik. Das ist Politik gegen Kinder und Familien in diesem Land.
(Beifall von den GRÜNEN)

Mehr zum Thema

Kinder & Familie