Andrea Asch: “ Es geht darum, das Prinzip umzusetzen, dass dem Staat jedes Kind gleich viel wert sein muss.“

Antrag der Piraten zur Kindergrundsicherung

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Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen, dass ich es sehr bedaure, dass die CDU-Fraktion zum wiederholten Male statt mit uns gemeinsam über gute Konzepte für Kinder zu diskutieren und darum zu ringen, hier wieder ihr eigenes parteipolitisches Süppchen kocht und nur im eigenen Interesse Wahlkampfgetöse veranstaltet. Das ist wirklich bedauerlich. Das liegt nicht im Interesse von benachteiligten Kindern in Nordrhein-Westfalen. So viel ist klar.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist besonders bedauerlich, weil Kinder, liebe Kolleginnen und Kollegen, das wertvollste sind, was wir haben. Deshalb dürfen wir es nicht hinnehmen, wenn ein Teil von ihnen in den Hinterhöfen unserer reichen Gesellschaft aufwachsen muss.
Die Folgen der materiellen Armut sind hinlänglich bekannt: mangelnde Teilhabe, mangelnde Chancengleichheit. Kinder erleben es schmerzlich, wenn sie wegen fehlenden Geldes nicht an einer Klassenfahrt teilnehmen können, wenn sie beim Kinoabend mit der Clique außen vor bleiben, wenn Eltern bei der Abiturfeier zu Hause bleiben müssen, weil sie nicht in der Lage sind, das Geld für die teuren Karten aufzubringen.
Diese damit verbundene Erfahrung der Ausgrenzung, der scheinbaren Minderwertigkeit prägt sich oftmals tief ins Selbstbild ein. Zu oft bestimmt sie den weiteren Lebensweg; nicht selten wird eine Spirale von vererbter Armut in Gang gesetzt. Genau das müssen wir ändern; das muss Ziel unserer gemeinsamen Politik sein.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Wir in NRW machen unsere Hausaufgaben, soweit es in unserer Länderkompetenz steht, nämlich unsere Hausaufgaben in Sachen Armutsprävention und Armutsfolgevermeidung.
Das sei auch noch mal in Richtung von Herrn Düngel gesagt, hier deutlich zu unterscheiden. Armutsprävention, Armutsfolgevermeidung, das ist unser Job als Landesebene. Die materielle Seite, die materielle Absicherung ist die Kompetenz der Bundesebene. – Das muss man doch langsam mal verstehen, wenn man fünf Jahre hier im Landtag gesessen hat.
(Daniel Düngel [PIRATEN]: Haben Sie in den Antrag reingeguckt?)
Das tun wir in Nordrhein-Westfalen. Wir machen unsere Hausaufgaben mit dem Programm „Kein Kind zurücklassen“. Das ist erwähnt worden. Das ist mittlerweile ein Best-Practice-Modell. Auch im Ausland stößt es auf Interesse und auf Nachahmung. Wir tun es mit guter Elementarbetreuung und hier vor allen Dingen mit den plusKITAs, die übrigens von der Opposition immer abgelehnt wurden. Wir tun es mit 50 Millionen € für die Schulsozialarbeit. Und wir tun es mit dem Programm „NRW hält zusammen“ und mit Vielem mehr.
Aber – ich habe es schon gesagt – bei der materiellen Stärkung der Familie liegt der Ball im Feld der Bundesebene.
(Zuruf von Michael Hübner [SPD])
Wir wissen, 150 Milliarden an Familienleistung pro Jahr werden fehlgesteuert, weil sie nichts dazu beitragen, die skandalöse Kinderarmut zu verhindern – fehlgesteuert, weil sie nach dem Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben, wer arm ist, muss in die Röhre gucken“ funktionieren.
Meine Damen und Herren, das ist eine schreiende Ungerechtigkeit; das ist absurd. Aber warum hat sich die Situation in den letzten Jahren eigentlich noch mal so verschärft? Da müssen wir alle miteinander selbstkritisch feststellen: Es war natürlich die Einführung der Hartz-IV-Gesetze, und es war insbesondere der Tatbestand, dass damit den armen Familien – übrigens damals auf Initiative der CDU im Bundesrat – das Kindergeld gestrichen wurde.
(Beifall von den GRÜNEN)
Und ein Weiteres kam hinzu, über das viel zu wenig gesprochen wird: Bis 2007 stand den Familien im Sozialleistungsbezug das Erziehungsgeld zu. Dann wurde dieser Grundbetrag mit der Umwandlung zum Elterngeld – übrigens unter Schwarz-Gelb – gestrichen. Auch dieses Geld – es waren 300 DM Erziehungsgeld – fehlt natürlich heute im Portemonnaie der benachteiligten Familien.
Es geht jetzt darum, den Familienleistungsausgleich einem Systemwechsel zu unterziehen und ihn vom Kopf auf die Füße zu stellen. Es geht darum, das Prinzip umzusetzen, dass dem Staat jedes Kind gleich viel wert sein muss.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Deshalb brauchen wir die Kindergrundsicherung. Dann reicht es aber auch nicht, liebe Piratenfraktion, einfach diese Forderung platt in den Raum zu stellen, sondern wir brauchen ein konkretes, differenziertes Konzept.
Und genau das legen wir mit unserem Entschließungsantrag vor. Wir orientieren uns an dem Bündnis Kindergrundsicherung mit dem Vorschlag der Zusammenführung von Kindergeld, Kinderfreibeträgen, SGB-II-Leistungen und Kinderzuschlag, kombiniert mit einer Abschmelzung des Ehegattensplittings. Damit wird ein am Kind orientiertes System geschaffen, das Kinder unabhängig von der Lebens- und Einkommenssituation der Eltern fördert.
Meine Damen und Herren, so ein Systemwechsel geht natürlich nicht von heute auf morgen. Bis dahin wird es noch ein Stück Weg sein. Deswegen brauchen wir zwingend Zwischenschritte. Zwischenschritt eins bedeutet, auf Bundesebene endlich einen eigenständigen, bedarfsgerechten Kinderregelsatz und zweitens ein vereinfachtes Bewilligungsverfahren im SGB II einzuführen, das die Eltern vor entwürdigenden und zeitaufwändigen Gängen zum Amt bewahrt. Das ist notwendig.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich freue mich, dass die Enquete „Chancen für Kinder“ sich zumindest mehrheitlich für eine Kindergrundsicherung ausgesprochen hat. Ich würde mich sehr freuen – das darf ich sagen, weil Sie alle wissen, dass meine Zeit hier im Landtag mit dieser Legislaturperiode endet –, wenn es in einer neuen Legislaturperiode gelingen würde, über Parteigrenzen hinweg tatsächlich Konzepte für Familien, für Kinder gemeinsam zu entwickeln und dieses Thema nicht immer wieder im Parteienstreit aufgehen zu lassen – im Interesse der Zukunft unserer Kinder und damit auch der Zukunft des Landes NRW. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD) 

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