Andrea Asch: „Der Dialogprozess zwischen Kirchen, Arbeitnehmerinnen und Gewerkschaften muss weiter verstärkt werden.“

Antrag der CDU zu den Kirchen als Diener des Gemeinwohls

Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Prof. Sternberg, ich habe nicht erwartet, dass die Debatte, in der es darum geht, die Rolle der Kirche und der ihr angegliederten Sozialverbände in dieser Gesellschaft zu wertschätzen, von Ihnen parteipolitisch so instrumentalisiert wird.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)
Wir haben doch weitgehende Übereinstimmung darüber – das wird in dem Antrag der CDU-Fraktion genauso deutlich wie in dem Entschließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen –, dass wir einen gemeinsamen Wertekanon in unserer westlichen Gesellschaft haben, der auf dem Fundament der christlichen und auch jüdischen Tradition gewachsen ist und von ihr geprägt ist, und dass der Gedanke der christlichen Nächstenliebe und der Gedanke der Solidarität, das heißt die Sorge für arme, für kranke und für schwache Menschen in unserer Gesellschaft, eng miteinander verknüpft sind. Auf diesen Konsens sollten wir uns gemeinsam berufen und uns hier nicht in parteipolitischen Scharmützeln auseinanderdividieren.
Genauso wichtig ist es für unsere plurale, säkulare Gesellschaft, dass es die Überformung der Religion durch die Aufklärung des Humanismus hin zum säkularen Staat und hin zur religiös-weltanschaulichen Pluralität gab.
Herr Prof. Sternberg, wenn Sie uns Grünen vorwerfen, dass es in unserer Partei – wahrscheinlich wie in den meisten anderen Parteien auch – eine Diskussion über Pluralität gibt, die wir natürlich auch zulassen, dann sagt das einiges über Ihr demokratisches Grundverständnis.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Der Sozialstaat bundesdeutscher Prägung ist sicher genauso verbunden mit den Einflüssen der christlichen Soziallehre wie mit den Einflüssen der Arbeitnehmerbewegung, die sich natürlich auch untereinander befruchtet haben. Sie haben das in Ihrem Antrag, liebe CDU-Fraktion – ich habe das mit Interesse gelesen ,- mit einem Zitat von Kaufmann sehr deutlich gemacht, der neben den christlichen Werten – ich zitiere – ebenso den Einfluss des Sozialismus – man höre! – für die Entstehung des Sozialstaates hervorhebt.
Wir sollten uns darüber hinaus in Erinnerung rufen, dass es auch die Lehren aus der nationalsozialistischen Diktatur waren, die den subsidiär und plural verfassten Sozialstaat begründet haben, nämlich in Abgrenzung zu einer zentralistischen Erfüllung sozialer und gesundheitlicher Aufgaben. Auch das ist eine Wurzel unseres Subsidiaritätsprinzips, das nach dem Krieg weiterentwickelt und weiter ausgeformt wurde.
Aus dieser starken Rolle der Kirchen und der Sozialverbände in Deutschland erwächst eine ganz besondere Verantwortung. Und diese Verantwortung wird noch dadurch größer, dass die Sozialverbände neben dem Staat mittlerweile der größte Arbeitgeber im Land sind.
Wir müssen heute wahrnehmen – und das sind negative Entwicklungen –, dass der Sozial- und Gesundheitsbereich durch die Strukturveränderung seit Mitte der 90er-Jahre deutlichen Veränderungen unterworfen ist. Aufgrund der Ablösung des Kostendeckungsprinzips durch das Wettbewerbsprinzip sind die Dienstleistungen insgesamt sozusagen in den Wettbewerb geraten. Und das hat sich negativ auf die Vergütung der Mitarbeiter ausgewirkt. Es gibt heute keinen verbindlichen Flächentarifvertrag mehr. Der Wohlfahrtsbereich „Arbeit für Menschen und Arbeit am Menschen“ wird in Deutschland immer schlechter vergütet.
Wenn man sich heute die niedrigen Eingruppierungen von Erzieherinnen, Krankenpflegerinnen, Altenpflegerinnen, Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagoginnen anschaut, dann fragt man sich tatsächlich, welche Wertigkeit unsere Gesellschaft dieser Arbeit eigentlich beimisst.
Die Kirche ist an dieser Stelle gefordert, liebe Kolleginnen und Kollegen, an ihre eigene Tradition des Eintretens für eine Ethik der Arbeit anzuknüpfen und der Entwertung der sozialen Arbeit durch einen Lohnsenkungswettbewerb entgegenzuwirken.
(Beifall von den GRÜNEN)
Hierbei dürfen die eigenen Werte der Kirche nicht dem Wettbewerb geopfert werden.
Es gibt übrigens – und das sei, Herr Prof. Sternberg, auch noch mal gesagt – auch innerhalb der Kirchen eine lebendige Diskussion von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von vielen Angehörigen der Kirchenleitungen, die genau diese Frage bewegen, die zudem die Frage der Arbeitnehmerinnenrechte bewegen, die das Recht auf Streik für sich reklamieren und die die Rechte der Gewerkschaften innerhalb des Tarifgefüges der Kirchen bewegen. Ich finde, das müssen wir genauso wertschätzen wie die Arbeit der Kirchen insgesamt.
Dieser Weg und der Dialogprozess zwischen Kirchen, Arbeitnehmerinnen und Gewerkschaften muss weiter verstärkt werden, natürlich unter Achtung der verfassungsmäßig verbürgten Rechte der Religionsgemeinschaften auf der einen Seite – das ist klar – …
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, Ihre Redezeit.
Andrea Asch (GRÜNE): … und der Grundrechte der Arbeitnehmerinnen auf der anderen Seite. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN)

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