Josefine Paul: „Lassen Sie uns endlich besser um die sorgen, die sich um unsere Gesellschaft sorgen“

Zum Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Care-Arbeit

Portrait Josefine Paul

Der Antrag

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Krise hat schonungslos und jetzt mit Sicherheit auch für den Letzten erkennbar offengelegt, welche strukturellen Probleme in der professionellen Care-Arbeit bestehen. Natürlich wird ein Großteil der Care-Arbeit im privaten, im ehrenamtlichen und im nachbarschaftlichen Kontext geleistet, aber ein Großteil eben auch im professionellen Kontext.

In den letzten Wochen und Monaten haben wir viel über diesen Sektor gesprochen. Jetzt müssen wir vor allem etwas für diesen Sektor tun; denn es hat sich herausgestellt, dass unsere soziale Infrastruktur fragil ist. Das liegt an strukturellen Mängeln, das liegt an einer Unterfinanzierung der Systeme, das liegt an einer schlechten Bezahlung und damit einhergehend an mangelnder Attraktivität, aber auch an mangelnder Attraktivität aufgrund schlechter oder schwieriger Arbeitsbedingungen.

Dabei sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Care-Berufen auf der einen Seite hochengagiert, und sie üben ihre Tätigkeit meist aus Berufung und Überzeugung aus. Das führt im Umkehrschluss dazu, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereit sind, über Belastungsgrenzen hinwegzugehen, weil sie eben eine hohe Verpflichtung für ihre Patientinnen und Patienten, für die zu Pflegenden, für die Kinder in den Kitas und in der Kindertagespflege fühlen.

Das heißt auf der anderen Seite aber nicht, dass die Politik das als systemstabilisierend einfach einpreisen darf. Wir dürfen nicht einpreisen, dass diese Menschen durch ihr hohes Engagement viele Lücken im System gestopft haben, die strukturell endlich durch die Politik und konsequentes Handeln geschlossen werden müssten.

Pflegekräfte, Erzieherinnen und Erzieher, Tagespflegepersonal und Sozialarbeiterinnen wurden in der Krise als systemrelevant anerkannt und mit viel Beifall bedacht. Der Beifall ist mittlerweile längst verklungen, und das, was daraus an strukturellen Veränderungsbedarfen erwächst, wird bislang leider nicht konsequent aufgegriffen.

Es braucht jetzt aber einen strukturierten Aufbruch, um dem Applaus wirkliche Wertschätzung und damit einen tatsächlichen Beitrag zur Fachkräftegewinnung, aber auch zur Fachkräftesicherung folgen zu lassen. Wir müssen nicht nur mehr Menschen für die sozialen Berufe gewinnen, sondern wir müssen diejenigen, die in sozialen Berufen tätig sind, darin halten.

Drei Faktoren sind dabei ganz entscheidend. Diese müssen wir mehr in den Blick nehmen und an den Stellschrauben drehen.

Das ist einmal die Frage von Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Auch Menschen in sozialen Berufen wollen sich beruflich weiterentwickeln und Entwicklungsperspektiven haben. Das ist ein wichtiger Punkt, um Menschen dauerhaft in diesem Bereich zu halten.

Zu nennen sind die Arbeitsbelastung bzw. die Arbeitsbedingungen. Oft ist in dieser Krise gesagt worden, dass es jetzt noch einmal mehr war gegenüber einer Situation, die schon vorher eigentlich unzumutbar gewesen ist.

Nicht zuletzt ist die gesellschaftliche und finanzielle Wertschätzung zu nennen. Das bedeutet, Applaus allein reicht nicht, sondern es muss wirkliche Wertschätzung geben. Die drückt sich eben auch in einer gerechten Bezahlung, also monetär aus.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dabei sind die Care-Berufe durchaus beliebt. Wenn man sich Umfragen anschaut, dann stellt man fest, dass junge Menschen durchaus bereit sind, Berufe in diesem Segment zu ergreifen. 21 % der jungen Menschen können sich vorstellen, in den Pflegebereich zu gehen. 24 % können sich vorstellen, in die Kindertagesbetreuung zu gehen. Bei einem Blick auf die realen Verhältnisse stellen sie allerdings fest, dass das, was ihnen dort an anspruchsvoller Tätigkeit offeriert wird, nicht unbedingt mit der Bezahlung und den persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten einhergeht.

Dementsprechend müssen wir dafür sorgen, dass die jungen Menschen, die sich das vorstellen können, ein attraktives Arbeitsfeld vorfinden, damit sie am Ende des Tages wirklich einen Beruf im Care-Bereich ergreifen.

Die Realität zeigte in den letzten Wochen und Monaten noch einmal sehr viel deutlicher als zuvor, dass bei diesem Thema auf Verschleiß gefahren worden ist. Auch diese Landesregierung ist in der Krise auf Verschleiß gefahren. Diesen Verschleiß tragen vor allem die Fachkräfte in den Kitas, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern.

Deshalb spricht die Vorsitzende des Errichtungsausschusses der Pflegekammer, Sandra Postel, angesichts von 9.000 Pflegekräften, die im Jahr 2020 ihren Beruf aufgegeben haben, die aus dem System ausgestiegen sind, gar von einem „Pflexit“. Das ist etwas, was wir uns nicht leisten können und nicht leisten dürfen.

In einer aktuellen Befragung der GEW NRW haben Beschäftigte aus dem Bereich der Kitas zu 87 % erklärt, sie hätten wahrgenommen, dass der Fachkräftemangel während der Coronakrise zugenommen hat. Auch hier wurde das System auf Verschleiß gefahren. Die hohe Arbeitsbelastung, die schon vorhanden war, ist in der Coronakrise noch einmal angestiegen, und die Beschäftigten nehmen deutlich wahr, dass es nicht die Wertschätzung und Unterstützung gibt, die sie sich insbesondere seitens der Landesregierung gewünscht hätten.

Das bedeutet, wir müssen die Lehren daraus ziehen und zu einer vernünftigen Personalbemessung kommen. Für den Pflegebereich bedeutet das, überhaupt zu einer Personalbemessung zu kommen. Für den Kita-Bereich bedeutet das eine Personalbemessung, die an der Realität ausgerichtet ist.

Ich sehe Marcel Hafke schon wieder schmunzeln. Auch Sie, Herr Kollege, wissen ganz genau, dass das KiBiz eine Fachkraft kennt. Eine Fachkraft ist eine Fachkraft, aber es wird nicht aufgenommen, dass sich Menschen auf Fortbildung befinden, Urlaub haben oder krank sind. Das sind Dinge, die wir angehen müssen, damit wir dieses Arbeitsfeld attraktiv gestalten können. Wir müssen die Vereinbarkeit auch in den Berufen stärken, die die Vereinbarkeit für andere stärken.

Lassen Sie uns jetzt ein gemeinsames Paket schnüren, Lehren aus der Coronapandemie ziehen und uns endlich besser um die sorgen, die sich um unsere Gesellschaft sorgen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

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