Mehrdad Mostofizadeh: „Was Sie vorlegen, ist jedoch weder tragfähig noch zukunftsgerecht“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der SPD-Fraktion zur Coronaschutzverordnung

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Untrieser hat sein juristisches Seminar mit den Worten enden lassen, er sei für die ruhige, besonnene Art der Landesregierung dankbar. – Herr Minister Laumann, ich danke Ihnen, dass Sie gestern ein paar Punkte in der Debatte klargestellt haben.

Zu der ruhigen, besonnenen Art der Landesregierung: Ich habe einen solchen Vorgang – und ich bin immerhin auch schon über 50 Jahre alt – in meinem Leben noch nicht mitbekommen. Während einer Plenarsitzung wird die Kernentscheidung zur Pandemiebekämpfung zurückgenommen. Der Ministerpräsident stellt sich hierhin und bringt die Entschuldigung der Bundeskanzlerin mit. Das beschreiben Sie als ruhige und klare Handlung der Landesregierung? Ich meine, das war ein kommunikatives Desaster.

(Bodo Löttgen [CDU]: Was?)

Das, was Sie hier gemacht haben, ist eine völlige Verkennung dessen, was hier zu diskutieren ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE] – Bodo Löttgen [CDU]: Worüber reden wir denn?)

Ich will das auch juristisch hinterlegen. Sie haben gesagt: Ach ja, man kann mal richtig, mal falsch liegen. Das OVG hat im Kern entschieden: Diese Landesregierung hat die Unterschiede nicht begründet.

(Beifall von der SPD und Verena Schäffer [GRÜNE])

Das ist doch der Kern. Das steht in Randnummer 125. Das heißt – übersetzt für Nichtjuristen und für Normalos –: Euer Konzept ist nicht erklärt worden, es hat weder Hand noch Fuß. Es stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Das hat das Gericht entschieden, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das möchte ich an der Stelle noch mal genauso sagen.

Herr Minister Laumann, mir ist es wichtig, zwei Dinge zu sagen, weil das gestern in der Debatte zur Sprache kam:

Erstens. Ich habe hohen Respekt vor Ihrer Arbeit, vor der Arbeit Ihres Hauses. Ich möchte auch einen herzlichen Gruß an alle schicken, die sich damit befassen. Ich beneide Sie nicht um Ihren Job; das ist völlig klar. Ich weise aber jede Anschuldigung in Richtung unserer Fraktion zurück, wir würden diese Arbeit diskreditieren oder nicht schätzen wollen. Das will ich hier festhalten.

Zweiter Punkt – jetzt ist er nicht hier, aber eigentlich müsste er sich entschuldigen –: Wir haben Ihnen keinen öffentlichen Brief geschrieben und um Auskunft über die Frage gebeten, wie es sich mit den Impfdosen verhält. Wir haben das nicht der Presse gegeben. Wir haben keine Sache daraus gemacht.

Herr Ministerpräsident hat in öffentlicher Debatte gestern behauptet, wir würden Fake News verbreiten. Ich finde das ungeheuerlich. Das sage ich an dieser Stelle sehr deutlich, auch im Nachklapp zu der Debatte.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE] – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Ich möchte das noch einmal aufgreifen, weil es wichtiger Punkt ist, Herr Kollege Höne. Der WDR berichtet heute Morgen: 1 Million Impfdosen sind nach Impfdashboard nicht verimpft worden.

(Zuruf von Henning Höne [FDP] – Bodo Löttgen [CDU]: Sprechen Sie auch noch zum Thema?)

Die „Rheinische Post“ hat gestern berichtet, dass 900.000 Impfdosen nicht verimpft worden sind.

(Bodo Löttgen [CDU]: Wissen Sie, wie der Tagesordnungspunkt heißt? – Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

– Ja, Herr Löttgen. Der Tagesordnungspunkt heißt „OVG-Urteil“. Das OVG hat aus meiner Sicht geurteilt, dass diese Landesregierung ihr Konzept nicht dargelegt hat.

Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen:

Ich habe Mitte Februar eine Anfrage im AGS gestellt. Sie haben dazu gesagt – Herr Kollege Körfges hat es ausgeführt und Herr Kollege Untrieser letztlich auch –: Wenn man Dinge unterschiedlich behandeln will, muss man das gut begründen. Das heißt, das OVG hat nicht geurteilt: „Ihr dürft das nicht“, sondern: „Ihr müsst es begründen.“

Eine Frage lautete:

„Wäre es denkbar, dass bestimmte gesellschaftliche Bereiche (z. B. Gastronomie oder Kultur) bei Nachweis eines negativen Corona-Tests wieder geöffnet werden? Welche technischen Lösungen wären dafür Voraussetzung?“

Darauf antwortete die Landesregierung:

„Die der abschließenden Willensbildung der Landesregierung hierzu vorgelagerte ethische und rechtliche Prüfung und Bewertung dauert noch an.“

Das heißt auf Deutsch: Wir haben dazu keine Meinung, wir haben dazu keine Konzepte. – Deswegen ist das Desaster, das letztlich der MPK vorausgegangen ist, logische Konsequenz für die schlampige Vorbereitung des Gesundheitsministeriums und der Landesregierung. Das ist doch die Wahrheit, die auch in dem OVG-Urteil zum Ausdruck kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Es war so schön und eigentlich auch so bedrückend, Herr Minister. Sie haben am 5. März im WDR erklärt: Wir haben keine dritte Welle. Sie haben im August letzten Jahres gesagt: Ich weiß noch gar nicht, ob es eine zweite Welle geben wird. – Jetzt könnte ich Ihre Prognosefähigkeit infrage stellen. Doch Sie haben etwas viel Deutlicheres schriftlich zum Besten gegeben. Die Frage war:

„Welche Erkenntnisse konnte das LZG“

– also das Landeszentrum Gesundheit für die Landesregierung –

„zu wirksamen Infektionsschutzkonzepten in den Bereichen Kultur, Einzelhandel, Gastronomie etc. gewinnen? Wären z. B. gestaffelte Einkaufszeiten … eine Lösung? Wann legt das LZG seine Konzepte dem Landtag vor?“

Die Antwort der Landesregierung darauf:

„Die Landesregierung hat diese allgemeinen Anforderungen in früheren Fassungen der CoronaSchVO branchenspezifisch umgesetzt, die Entwicklung betriebsorganisatorischer Schutzkonzepte ist zudem Aufgabe der jeweiligen Betriebe und ihrer Interessensverbände.“

Weiter: „Hat das LZG Konzepte aus anderen Ländern zur Kontaktnachverfolgung“ – also luca-App und andere Dinge – „bei Gastronomiebesuchen … untersucht?“ Antwort: „Nein.“

Warum erzähle ich Ihnen das?

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

– Weil es der Beleg dafür ist, Herr Kollege Löttgen, dass diese Landesregierung nicht bereit ist, differenziert zu handeln, zum Beispiel Fußballspielen draußen anders zu behandeln als sexuelle Dienstleistungen, Homeoffice anders zu behandeln als den Einzelhandel, Schule, die draußen stattfindet, anders zu behandeln als das, was innen stattfindet.

Deswegen ist es zu diesem OVG-Urteil gekommen. Das OVG hat Ihnen gesagt, Sie hätten alles über einen Kamm geschoren. Sie hätten sich nicht die Mühe gemacht, ein gutes Konzept vorzulegen, in Deutschland anders mit der Pandemie umzugehen.

An der Stelle will ich Ihnen auch noch sagen, Herr Kollege Löttgen:

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Die Ausschreibungen für die Testungen, die notwendig sind, um zum Beispiel im Gericht verhandeln zu können …

(Bodo Löttgen [CDU]: Nach dem Motto: Was Sie uns schon immer erzählen wollten, nur nicht zum Tagesordnungspunkt!)

– Herr Kollege Löttgen, es mag ja sein, dass Sie das nicht verstehen, aber ich sage es trotzdem. Die Ausschreibungen für die Justiz sind bis jetzt noch nicht rausgegangen. Wir haben noch keine Testungen, keine Testmöglichkeiten in den Gebäuden. Das alles sind Voraussetzungen, um die Pandemie bekämpfen zu können.

Das sind auch die Voraussetzungen dafür – auch wenn Sie das nicht verstehen wollen, Herr Kollege Löttgen –, differenziert mit dieser Pandemie umzugehen.

Herr Minister Laumann, wir haben jetzt den Unterausschuss im AGS; wir hätten uns einen Pandemierat gewünscht. Meine Bitte ist: Nehmen Sie unsere Hand entgegen. Lassen Sie uns gemeinsam Konzepte entwickeln, wie wir diese Pandemie bekämpfen können. Dafür müssen wir aber nicht nach hinten, sondern nach vorne blicken, denn klar ist: Die Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, dass diese Konzepte erarbeitet werden, dass Kinder zur Schule und die Leute wieder zur Arbeit gehen können und dass diese verdammten Einschränkungen, die aufgrund der Fantasielosigkeit vieler bei der Bekämpfung der Pandemie nötig sind, nicht mehr da sind.

Herr Kollege Untrieser, die Frage ist nicht: Machen wir es so oder so? Geht der eine zum Blumenladen und der andere zum Bäcker? – Es muss juristisch handfest begründet werden, und es muss ein gutes inhaltliches Konzept dahinterstehen. Dann ist das tragfähig. Was Sie vorlegen, ist jedoch weder tragfähig noch zukunftsgerecht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte den freundlichen Ball des Herrn Ministers aufgreifen, aber auch von Herrn Körfges und auch Teile von dem, was Herr Löttgen gestern gesagt hat. Das werde ich auch gleich tun. Nach der Rede von Herrn Kehrl fühle ich mich aber ein bisschen im falschen Film.

Ich habe vorhin vorgetragen, was wir noch vor drei, vier Wochen hier diskutiert haben. Da war all das, was Sie, Herr Kollege Kehrl, hier vorgetragen haben, nämlich Öffnung usw. … Ich habe es Ihnen wörtlich vorgetragen.

Auf die Fragen, ob es denkbar wäre, dass bestimmte gesellschaftliche Bereiche, namentlich Gastronomie oder Kultur, bei Nachweis eines negativen Coronatests wieder geöffnet werden, und welche technische Lösungen dafür Voraussetzung wären, kriegen wir als Antwort: Die Landesregierung hat ihren Diskussionsprozess noch nicht abgeschlossen. – Sie hat noch nicht einmal angefangen mit den Themen, wie Sie uns hier eben suggeriert haben. Das ist doch die Wahrheit, und das ist das Bedauerliche an der ganzen Geschichte.

Natürlich wären wir dabei, diese Öffnungen zu machen, wenn die Voraussetzungen geschaffen sind. Deswegen möchte ich an das anknüpfen, was gestern in der Debatte eine Rolle gespielt hat. Herr Kollege Löttgen hat richtigerweise auf die Expertise aus Berlin hingewiesen, wo untersucht wurde, wo und in welchem Ausmaß man sich ansteckt. Darauf könnte man doch aufbauen. Dazu könnte diese Landesregierung Konzepte entwickeln. Man könnte doch feststellen, Herr Minister Laumann, dass es achtmal wahrscheinlicher ist, sich im Großraumbüro anzustecken als zum Beispiel beim Frisör, selbst mit Maske. Das wissen wir doch. Warum machen wir dann keine Konzepte? Warum stehen wir wieder hier? Dann wird ein OVG-Urteil geändert. Und Herr Untrieser sagt noch: Ja, das ist ja egal. Einer geht mal zum Frisör, der andere geht Blumen kaufen. – Das ist nicht der Punkt.

Dieses Land, Nordrhein-Westfalen und Deutschland, steht vor einer existenziellen Krise, wenn wir diese Fragen nicht gelöst bekommen. Deswegen: Rabotti, ran an die Kartoffeln, arbeiten und die Konzepte auf den Tisch legen! – Das ist die Aufgabe, die hier zu bewerkstelligen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Herr Kollege Bombis, ich bin Ihnen sehr dankbar. Bei den Sonntagsöffnungen sind wir sicherlich unterschiedlicher Auffassung, das ist okay, aber bei allen anderen Punkten bin ich völlig bei Ihnen. Wir müssen diese Konzepte entwickeln.

Das OVG-Urteil ist in der Tat ein Hilferuf. Wir müssen darauf aufbauen und sagen: Wir müssen dieses Grundrechtseingriffe – und darum geht es – vermeiden und nicht, wie die Landesregierung es gemacht hat, den schlimmen Zustand auf alle verteilen. Ziel muss es doch sein, diese Grundrechtseingriffe zurückzunehmen und dafür zu sorgen, dass Kinder wieder in die Schule gehen können, dass die Kinder sich in der Kita treffen können und dass der Einkauf möglich ist. Und das ist jetzt nicht möglich unter diesen Bedingungen. Es ist nicht möglich, weil die Tests nicht vorliegen, wie Herr Kollege Bombis das völlig zu Recht als Voraussetzung für den Einkauf und für andere Zwecke angemahnt hat.

Wir haben bis jetzt einen Test pro zwei Wochen für die Schulen. Wir haben die Ausschreibungen nicht für die Justiz. Ich habe das alles gesagt. Ich sage es an dieser Stelle ganz kollegial und ganz offen: Lassen Sie uns die nächsten Tage nutzen, genau diese Konzepte auszuprobieren, nicht Tübingen zur Modellstadt zu machen, zu akzeptieren, sondern Nordrhein-Westfalen muss führendes Land in Bereich der Exit-Strategie und einer Strategie des Umgangs mit der Pandemie sein. Das muss doch unser Ziel sein, das muss die Lehre aus dem OVG-Urteil sein, anstatt Juristen im Hause zu loben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Letzte Bemerkung: Die CDU-Fraktion merkt es hoffentlich langsam selber, dass das, was die Kolleginnen und Kollegen von der FDP ihr offensichtlich immer wieder sagen, nämlich die ziellosen Grundrechtseingriffe und das Gucken auf die Inzidenzwerte, nicht mehr ausreicht, dass der Staat selbst gefordert ist, zu begründen, warum Grundrechtseingriffe vorgenommen werden.

An der Stelle will ich sehr deutlich werden. Ich möchte nicht, dass Schulen geschlossen sind. Ich möchte, dass Präsenzunterricht stattfindet. Aber ich möchte nicht, dass Präsenzunterricht mit 50 oder 20 Leuten in einem Klassenraum stattfindet, in dem die Infektionsgefahr achtmal so hoch ist, weil die Voraussetzungen nicht geschaffen wurden. Das ist der Unterschied, der uns möglicherweise trennen mag.

Wenn die Voraussetzungen da sind, werden wir die Coronapandemie in den Griff bekommen. Darum müssen wir uns kümmern. Dann wird es diese Urteile gar nicht mehr geben, weil diese Grundrechtseinschränkungen gar nicht mehr in der Verordnung stehen. Das ist die Lehre, die ich daraus ziehen würde. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

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