Wissenschaftsfreiheit und Internationalisierung der Forschung sind unverzichtbar und elementar für NRW und weltweit

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der PIRATEN

I.

Insbesondere in den vergangenen Monaten sind wir Zeugen von politischen Entwicklungen geworden, welche die bisherige internationale Architektur der Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern massiv in Frage stellen. Vielmehr ist die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre in manchen Ländern in Gefahr geraten, die ansonsten nicht zu den Krisenregionen der Welt gehören. Die Wissenschaftsfreiheit, wie sie in Deutschland in Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes verbrieft ist, ist leider in vielen Ländern keine Selbstverständlichkeit (mehr). Noch schlimmer: in zahlreichen Ländern werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegängelt, bedroht oder müssen um ihr Leben fürchten.
In der Türkei ist es im Nachgang des Putschversuches 2016 zu massiven Eingriffen in die demokratischen Rechte und Strukturen sowie die Menschenrechte gekommen, so auch in die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) berichtet in ihrer Mitteilung vom 17. November 2016 von der „Schließung von 15 Universitäten, der Entlassung von mehreren Tausend Hochschulmitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Verhängung von Ausreiseverboten, Verhaftung von mehreren Hundert Hochschulangehörigen, die Absetzung von frei gewählten Rektoren.“ HRK-Präsident Prof. Dr. Horst Hippler spricht in diesem Zusammenhang von „unerträglichen Eingriffen in die akademischen Freiheiten“. Leider hat sich die Lage unter dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei seitdem noch weiter verschlechtert. Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden aus dem Ausland zurück in die Türkei berufen – und suchten daher Schutz in anderen Staaten –, es gab weitere Entlassungen und Festnahmen. Zuletzt wurde durch ein Notstandsdekret vom 7. Februar die weitere Entlassung von tausenden Staatsbediensteten aus Schulen und Hochschulen veranlasst. Eine Rückkehr zur gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit erscheint derzeit unmöglich, die Fortsetzung vieler Kooperationen ist nicht gewährleistet.
In den USA werden die Anweisungen des US-Präsidenten Donald Trump an die Umweltbehörde EPA, sämtliche Inhalte und Forschungsergebnisse künftig vor der Veröffentlichung einem politischen Vertreter oder einer politischen Vertreterin vorzulegen, zu Recht als Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit bewertet. Offen formuliert Doug Erickson, der Sprecher des neuen EPA-Übergangsteams, „man strebe an, dass die Veröffentlichungen der EPA auch zur Haltung der neuen Regierung passen.“ In einem Gastbeitrag für das US-amerikanische Magazin New Yorker spricht Lawrence M. Krauss, Vorsitzender des Bundes Amerikanischer Wissenschaftler, von Trumps „Krieg gegen die Wissenschaft“. Schon seine ersten Ankündigungen zeugten von einem „größeren Bestreben, die Institution der Wissenschaft und ihren Einfluss auf politische Entscheidungen zu untergraben“. Die sich abzeichnende Konfliktlinie betrifft dabei das Kernelement wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens. In einer Welt, in der nicht mehr Fakten das politische Handeln bestimmen, wird die Grundlegitimation wissensbasierter Entscheidungsfindung negiert. Damit wird auch die Möglichkeit der internationalen Zusammenarbeit massiv in Frage gestellt. Gleichzeitig steht zu befürchten, dass ebenso die Finanzierung der Wissenschaft eingeschränkt wird, was sich ebenfalls existenziell auf die Wissenschaftsfreiheit auswirken würde, denn rund vier Fünftel der Grundlagenforschung in den USA werden vom Staat finanziert. Schon vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten wurde beispielsweise bekannt, dass es Überlegungen des Präsidenten und seiner Beraterinnen und Berater gibt, die staatliche Förderung der Geisteswissenschaften einzustellen. Den National Endowment for the Humanities (NEH), ein Fonds der jährlich 148 Millionen US-Dollar an die Geisteswissenschaften vergibt, solle aufgelöst werden. Hinzu treten die – zurzeit glücklicherweise von der Justiz ausgesetzten – Einreisebeschränkungen für Bürgerinnen und Bürger mehrerer Staaten. „Das vom US-Präsidenten (…) erlassene Dekret ist eine pauschale Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft und damit ein Angriff auch auf die Grundwerte der Wissenschaft. (…) Gerade in Zeiten internationaler Krisen ist die Wissenschaft ein wertvolles zwischenstaatliches Bindeglied, welches dringend erhalten werden muss“, so die Stellungnahme der deutschen Wissenschaftsorganisationen, in der sie fordern, dass das Einreiseverbot in die USA umgehend zurückgenommen wird.
Es gibt über diese beiden aktuellen und sehr unterschiedlichen Beispiele hinaus noch viele andere Länder, in denen eine negative Entwicklung der Wissenschaftsfreiheit zu befürchten oder bereits zu beobachten ist. In der Regel ist zudem die Zivilgesellschaft in den entsprechenden Ländern insgesamt betroffen. Dabei geht es um weit mehr, wenn Menschen bedroht werden oder gar um ihr Leben fürchten müssen. Wo Andersdenkende und Andersgläubige verfolgt werden, existiert keine Meinungs- oder Wissenschaftsfreiheit. Nicht allein offene Kriege und Konflikte, auch das Erstarken von nationalistischen, fremdenfeindlichen und autoritären Bewegungen gefährden diese Freiheiten und vieles mehr.
Neben einer offenen Wissenschaftsfeindlichkeit oder der Verfolgung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gefährden auch andere Entwicklungen den so wichtigen internationalen Austausch und die grenzüberschreitende Kooperation von Wissenschaft und Forschung. In einem Referendum hatte die britische Bevölkerung im Juni 2016 für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union gestimmt. Die Auswirkungen des bevorstehenden „Brexit“ sind bisher noch unklar, auch was die Zusammenarbeit zwischen dem Vereinigten Königreich und den Wissenschaftsorganisationen in der EU betrifft. Die britische Premierministerin Theresa May will bis spätestens Ende März 2017 den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU erklären. Allerdings wolle sie prüfen, wie das Land nach dem Ausstieg dennoch an bestimmten EU-Programmen weiter teilhaben kann, beispielsweise am Forschungsprogramm Horizont 2020. Ob dies gelingen wird, ist derzeit noch offen. Der Brexit, so warnen 150 renommierte britische Forscherinnen und Forscher, könne zu einer wissenschaftlichen Isolation Großbritanniens führen. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Martin Stratmann, hat dazu in einem Interview mit der WELT ausgeführt: „Die britischen Universitäten sind herausragende Forschungs- und Bildungseinrichtungen, die in mehrfacher Hinsicht vom gemeinsamen europäischen Forschungsraum profitieren. Zum einen von der Mobilität der Studierenden und Professoren innerhalb der EU, zum anderen von der europäischen Forschungsfinanzierung, insbesondere den Mitteln des European Research Council (ERC). Kein anderes EU-Land erhält so viele ERC-Fördermittel aus Brüssel wie Großbritannien. Da ist es verständlich, dass die britischen Wissenschaftler befürchten, nun von der europäischen Forschungslandschaft ausgeschlossen zu werden.“ Umgekehrt wäre der Verlust der tiefen inhaltlichen Zusammenarbeit aber auch für die EU und ihre Wissenschaftslandschaft nicht folgenlos. Stratmann weiter: „Das ERC als europäisches Flaggschiff-Programm konnte doch nur deshalb ein weltweit anerkanntes Markenzeichen werden, weil hier die absolut besten europäischen Forschungseinrichtungen gefördert werden – in Frankreich das Centre national de la recherche scientifique, in Deutschland die Max-Planck-Institute und in Großbritannien die Universitäten Oxford und Cambridge, das University College London sowie das Imperial College London. Wenn Großbritannien aus der EU austritt, wird dies zu einem erheblichen Substanzverlust beim European Research Council führen. Das ERC wäre dann im Kern gefährdet.“
Der Landtag betrachtet all diese Entwicklungen mit großer Sorge. Er begrüßt ausdrücklich, dass sich Wissenschaftsorganisationen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit gegen die Einschränkungen der Wissenschaft in vielen Staaten ausgesprochen und sich mit den betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern solidarisch gezeigt haben. Der Landtag solidarisiert sich ebenfalls mit den verfolgten und geflüchteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und spricht sich ausdrücklich für die Internationalisierung der Wissenschaft aus. Auch wenn die Entwicklungen für sich genommen sehr unterschiedlich sind, so richten sie sich doch alle gegen die unverzichtbare Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie die Notwendigkeit internationaler Wissenschaftskooperationen.

II. Der Landtag stellt fest:

Die in Deutschland grundgesetzlich verbriefte Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre ist, ebenso wie die Meinungsfreiheit allgemein, nicht selbstverständlich, sondern eine wichtige Errungenschaft, die immer wieder hervorgehoben und bestätigt werden muss. Kein Land und keine Gesellschaft kann sich eine gegeißelte Wissenschaft leisten. Die Freiheit der Wissenschaft ist notwendig, damit diese ihrer Verantwortung für die Gesellschaft gerecht werden kann.
Wissenschaftsfreiheit und Internationalisierung der Forschung sind unverzichtbare und elementare Grundpfeiler der Wissenschaftspolitik in NRW. Die gemeinsam mit den Hochschulen des Landes im Landeshochschulentwicklungsplan festgeschriebene Internationalisierung ist unverzichtbarer Bestandteil einer erfolgreichen Zukunftsperspektive für die Hochschulen des Landes. Der Landtag begrüßt deshalb ausdrücklich die zahlreichen Kooperationen mit internationalen Partnern und fordert die Hochschulen auf, diesen Weg konsequent fortzuführen.
Die durch den Bund aufgesetzte Internationalisierungsstrategie muss fortgeführt, intensiviert und, gemeinsam mit dem Parlament, weiterentwickelt werden. Die Wissenschaftsfreiheit muss zum Markenkern der Strategie gemacht werden. Auch die Fortführung des Erasmusprojektes auf höchstmöglichem Niveau muss gewährleistet sein.
Der Landtag ist sich der Verantwortung für verfolgte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bewusst. Nordrhein-Westfalen ist der größte Forschungs- und Wissenschaftsstandort in Deutschland und Europa und viele Hochschulen in Nordrhein-Westfalen helfen bereits aktiv, beispielsweise indem sie Arbeitsmöglichkeiten für verfolgte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schaffen.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung vor diesem Hintergrund auf:

sich gemeinsam mit Bund und Ländern weiterhin nachdrücklich für eine freie und international kooperierende Wissenschaft einzusetzen, sowohl auf europäischer Ebene, als auch international.
die internationalen Kooperationen in Zusammenarbeit mit den Hochschulen fortzusetzen und auszubauen.
gemeinsam mit den Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen weiterhin und intensiv dafür zu werben, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus anderen Ländern bei uns niederlassen, um frei und erfolgversprechend forschen und lehren zu können.
zu prüfen, ob Hochschulen und Forschungseinrichtungen zusätzliche Unterstützung benötigen, um verfolgten und geflüchteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Nordrhein-Westfalen Arbeitsmöglichkeiten zu bieten und zu eruieren, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihren Aufenthalt verbessert werden müssen.