I. Ausgangslage
Die Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung (FJW) ist das wildbiologische Kompetenzzentrum des Landes Nordrhein-Westfalen mit Sitz in Bonn. Die FJW konzentriert sich in ihrer Arbeit auf Säugetiere und Vögel, die primär dem Jagdrecht unterliegen sowie deren Lebensräume. Leitmotiv ist der Schutz von Landschaften durch nachhaltiges Management von Wildtierbeständen, Wildökologie, wildbiologischer Landschaftsinformation in Verbindung mit der Wildbestandsbewirtschaftung zur Schadensverhütung in Wald und Flur sowie das Monitoring von Wildtierkrankheiten. Durch die hohe Bevölkerungsdichte unseres Bundeslandes ergeben sich in den einzelnen Regionen diverse Herausforderungen aus Interessen-und Nutzungskonflikten in den Bereichen Wohnen, Mobilität, Landwirtschaft, Forstwirtschaft sowie Freizeitnutzung und Tourismus bis hin zu gravierenden Akzeptanzproblemen, wenn beispielsweise Wildschweinrotten Hausgärten devastieren oder große Rotwildrudel Anpflanzungen verbeißen.
Es ist deshalb unerlässlich, Wildtiere und ihr Verhalten zu erforschen und Arten, die bewusst oder unbewusst häufiger in Kontakt zu Menschen treten, zu monitoren. Diese Daten liefern wichtige Grundlagen, um ein angepasstes und zeitgemäßes ökologisches Wildtiermanage-ment umsetzen zu können. Die Kenntnisse über Ausbreitung, Reproduktionsverhalten und Lebensraumnutzung helfen, Konflikte mit einer anthropogenen Lebensraumnutzung besser zu verstehen und Lösungswege aufzeigen zu können.
Die FJW bietet eine breite Beratung zu allen wildbiologischen Fragestellungen für alle Bürgerinnen und Bürger und speziell für verschiedenste Interessengruppen wie Jägern, Kommunen, Vereinen sowie Landeigentümerinnen und -eigentümern. Dies erfordert eine vielfältige Zusammenarbeit mit der Jägerschaft, Land- und Forstwirtschaft, dem Naturschutz und öffentlichen Trägern wie Straßen.NRW sowie der Autobahn GmbH des Bundes.
Zur Wissensvermittlung dienen die verschiedenen Angebote zur Aus- und Fortbildung. Neben verschiedenen Schriften und Publikationen soll ein vielseitiges Angebot an Kursen, Seminaren und Ausbildungseinheiten das Verständnis für einen artgerechten und zeitgemäßen Umgang mit Wildtieren verbessern und effektive Möglichkeiten zu Konfliktlösungen aufzeigen. Nicht zuletzt ist dies ein wichtiger Baustein, um breites Verständnis für das Netzwerk von Lebensräumen, Pflanzen und Tieren zu schaffen. Damit leistet die FJW eine Ergänzung des
bestehenden Angebots an Informationsmöglichkeiten der Biologischen Stationen, Einrichtungen des BNE-Netzwerkes, der Forstbehörden und der Fachverbände zu klassischen Naturschutzthemen.
Eine leistungsfähige Wildforschungsstelle ist ein Schlüssel um den Herausforderungen einer sehr dynamischen Umwelt – zunehmend geprägt vom Klimawandel und seinen Folgen – in der Wald- und Landwirtschaft zu begegnen. Stürme, Dürren und Schädlingskalamitäten haben dem Wald sehr zugesetzt. Über 160.000 Hektar Kahlflächen bestimmen heute das Bild der Mittelgebirgslandschaften. Ob Naturverjüngung, Unter- oder Beipflanzung oder in Ausnahmefällen auch die flächige Neuanlage: Angepasste Wildbestände sind nur durch ein an den spezifischen Standort angepasstes Jagdmanagement sicherzustellen und in diesem Zusammenhang auch entsprechend zu kommunizieren. Verbissgutachten und waldökologische Forschung tragen dazu bei. Die Kompetenz und der wissenschaftliche Ansatz als Grundlage der Arbeit der FJW werden daher zukünftig noch wichtiger werden.
Zunehmend problematisch wird zudem der Umgang mit invasiven Arten in unseren Städten. Hier wächst der Bedarf an Informationen und Managementlösungen sowie an Forschung zu den Wechselwirkungen zwischen Tier und Mensch.
Auch in unserer landwirtschaftlichen Kulturlandschaft ist wachsender Beratungsbedarf zu erkennen. Dort, wo Flächen immer kleiner, die Nutzung intensiviert und das Nahrungsangebot stetig energiereicher wird, reagieren Wildtiere auch im Reproduktionsverhalten darauf. Einen Ausgleich zwischen wirtschaftlichen Interessen und den Ansprüchen von Wildtieren zu finden bei einer ökologischen Optimierung in der Lebensraumgestaltung – all dieses wird zukünftig noch mehr an Bedeutung gewinnen. Selbiges gilt natürlich auch bei der Frage, wie Lebensräume so vernetzt werden können, dass der Austausch von Populationen weiterhin ermöglicht oder verbessert werden kann.
Nicht zuletzt steigt der Wunsch, in unserer Gesellschaft die Natur zu erleben oder für Erholung und Freizeitaktivitäten zu nutzen. Insbesondere durch sportliche Betätigung wie Mountainbiken, Reiten oder Joggen nehmen Menschen Einfluss auf die Tiere. Dies gilt nicht nur in der Reproduktionszeit von Wildtieren wie Reh, Hase und Rebhuhn, sondern auch im Winter, wo viele Tiere in einem Ruhemodus die kalte Jahreszeit überstehen.
Ebenso ist ein Monitoring, aber auch die Weiterentwicklung von Handlungskonzepten bei Ausbruch von Wildtierkrankheiten eine Aufgabe, die aktiv durch die FJW begleitet wird. So ist nicht nur die Jägerschaft ein Partner bei der Prävention der Afrikanischen Schweinepest (ASP), sondern auch die FJW bei der Entwicklung von praxistauglichen Bejagungsmethoden und Beratung der betroffenen Personengruppen. Gerade der über die Landesgrenzen hinaus bekannte Fallwildbericht mit der Auswertung der Fallwilduntersuchungen des jeweiligen Jagdjahres ist ein wertvoller Beitrag zur Erkennung und Kontrolle auftretender Wilderkrankungen, ihrer Verbreitung und ihrer Häufigkeit.
Aus diesen Gründen ist die FJW als eine etablierte und unabhängige Forschungsstelle in Nordrhein-Westfalen eine zentrale Institution, um ein Miteinander von Natur und Wildtieren bei Berücksichtigung von gesellschaftlichen Ansprüchen und wirtschaftlichen Erwartungen sicherzustellen.
Wir wollen daher in den kommenden Monaten und Jahren die Arbeit der Forschungsstelle durch Ausbau – wo sinnvoll auch in Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern – der Ressourcen unterstützen.
Wir bekennen uns zu einem wachsenden Bedarf der Umweltbildung. Das Angebot der FJW sehen wir als einen wichtigen Baustein für ein breites Bildungsangebot. Die Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung soll das wildbiologische Kompetenzzentrum des Landes Nordrhein-Westfalen bleiben und ihre Expertise ausbauen. Bonn ist ein zentraler Standort der Biodiversitätsforschung. Mit den verschiedenen Forschungsinstituten der Universität Bonn, dem Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig, weiteren Instituten der Leibniz-Gemeinschaft und den diversen UN-Einrichtungen (IBPES Zwischenstaatliche Plattform für Biodiversität und Ökosystemleistungen, UNEP/EUROBATS Sekretariat des Abkommens zur Erhaltung der europäischen Fledermauspopulationen, UNEP/CMS Sekretariat des Übereinkommens zur Erhaltung der wandernden wild lebenden Tierarten u. a. mehr) ist eine umfassende Vernetzung sowie Nutzung von Synergien möglich. Wir sehen die Chance, diesen Standortvorteil für die Weiterentwicklung der Forschungsstelle positiv zu nutzen.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest, dass
- Wildtierforschung und -management zukünftig eine wachsende Bedeutung für Landnutzergruppen sowie für unsere gesellschaftliche Entwicklung auch im urbanen Raum erhält.
- Nutzungskonflikte und der wachsende Druck auf Lebensräume von Wildtieren es nötig machen, Forschung, Information und Beratung weiterzuentwickeln und zu verstärken.
- ein angepasstes Jagdmanagement notwendig ist für die Umsetzung weiterer gesellschaftlicher Ziele wie z. B. der Wiederbewaldung oder des Waldumbaus hin zu klima-resilienten und biodiversitätsreichen Mischwäldern.
- Nordrhein-Westfalen seiner Pflicht zum Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen für Wildtiere und Mensch nachkommen wird.
- mit der Bundesstadt Bonn ein Zentrum des internationalen Umwelt- und Biodiversitätsschutzes in unserem Bundesland liegt und die Vernetzung mit landeseigenen Einrichtungen sowie der dortigen Forschungslandschaft sinnvoll ist.
- mit Blick auf die hohe Bedeutung und Kompetenz der Wildforschung in anderen Bundesländern Potenziale zur Vernetzung und Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg für die Forschungslandschaft in Nordrhein-Westfalen bestehen.
Die Landesregierung wird beauftragt, aus vorhandenen Mitteln
- konzeptionell die Arbeit der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung weiterzuentwickeln.
- zur Nutzung von Synergien mit den benachbarten Bundesländern zu kooperieren und eine gemeinsame Grundlage für länderübergreifende Wildtierforschung zu ermöglichen.
- das UN-Nachhaltigkeitsziel (SDG) 15: „Leben an Land“ mit dem Aspekt der nachhaltigen Nutzung und Bewirtschaftung von natürlichen Ressourcen in der Arbeit der Forschungsstelle und der Verankerung in der Landesbehörde zu berücksichtigen und als gleichwertiges Ziel zu anderen Ansprüchen zu berücksichtigen.
- die Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung als das wildbiologische Kompetenzzentrum des Landes Nordrhein-Westfalen mit Sitz in Bonn in enger Kooperation mit weiteren Institutionen wie zum Beispiel dem Landesbetrieb Wald und Holz auszubauen.
- die Standortvorteile der FJW in Bonn mit der Nähe auch zur internationalen Biodiversitätsforschung und den Wissenschaftseinrichtungen zu nutzen und zu einem echten Wildforschungs-Knotenpunkt auszugestalten.
- der wachsenden Bedeutung der Aufgaben für die Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung Rechnung zu tragen und eine Anpassung der Ressourcen zu prüfen.