Wie wirkt die Inklusionsbremse an Gymnasien?

Kleine Anfrage von Sigrid Beer

Der Aufbau eines inklusiven Bildungssystems ist eine völkerrechtliche Aufgabe, die sich aus der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ergibt. Es richtet sich an alle Ebenen und alle Schulformen. Es erfordert ein schrittweises und gleichzeitig zielgerichtetes Handeln, damit das separierende, traditionelle Schulsystem überwunden werden kann. Der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat 2015 erklärt, dass die Umsetzung des Rechts auf inklusive Bildung als transformativer Prozess im Rahmen einer systemischen Reform zu begreifen sei, die einen tiefgreifenden Wandel der Bildungssysteme nach sich ziehe. 2016 hat der Ausschuss erneut hervorgehoben, dass Staaten, die neben dem regulären Schulsystem ein Sonderschulsystem weiter aufrechterhalten, ihre Verpflichtung nicht erfüllen.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist für die Bundesrepublik und explizit auch für NRW die Monitoringstelle, die die Umsetzung der UN-Konvention begleitet und bewertet. Auch nach Ansicht des Deutschen Instituts für Menschenrechte ist ein Weiterbestand der Schulformen mit der UN-Konvention vereinbar, allerdings nur für den Übergang und nicht auf Dauer. Die Monitoringstelle hat in ihrem letzten Bericht deshalb bemängelt, dass die neue Landesregierung den Fortbestand der Förderschulen erleichtert hat, ohne zu erkennen zu geben, wie das Ziel des Aufbaus eines inklusiven Bildungssystems verfolgt wird.
Neben dem Erhalt auch kleinster Förderschulen verbunden mit ineffizientem Ressourceneinsatz hat die Landesregierung auch eine weitere Schulform sonderbehandelt. Gymnasien sollen nach den Eckpunkten zur Neuausrichtung der Inklusion in Zukunft in der Regel nur zielgleich unterrichten. Zieldifferent lernende Schülerinnen und Schüler sollen außen vor bleiben – obwohl so viele Gymnasien in NRW wie in keinem anderen Bundesland sehr wohl gezeigt haben, dass sie zieldifferent arbeiten können. Das gilt nicht nur für das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim, das mit dem Jakob Muth-Preis im Jahr 2016 ausgezeichnet wurde.
Diese Ausgrenzung der Gymnasien aus der inklusiven Entwicklung im Bildungssystem widerspricht dem menschenrechtlichen Verständnis von Inklusion.
Gymnasien, die (weiterhin) auch zieldifferent unterrichten wollen, dürfen dies nur bei Vorliegen eines Konzeptes. Gemäß der Eckpunkte zur Neuausrichtung der Inklusion kann die Schulaufsicht solche Gymnasien bei der regionalen Planung berücksichtigen. Die Formulierung legt nahe, dass die Schulaufsicht davon Gebrauch machen kann oder nicht.
Weiter heißt es: „Wenn es die örtliche Situation nach gemeinsamer Einschätzung von Schulaufsicht und Schulträger zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Gemeinsames Lernen nach § 19 Absatz 5 SchulG erforderlich macht, ist eine Beteiligung von Gymnasien auch bei zieldifferenter Förderung anzustreben. Entsprechende Fälle sind der obersten Schulaufsicht anzuzeigen.“
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
1.           Wie viele Gymnasien haben erklärt, dass sie weiter Schülerinnen und Schüler auch zieldifferent unterrichten wollen (bitte nach Kommunen aufgeschlüsselt)?
2.           Welche Unterstützung erhalten die Gymnasien, die weiterhin zieldifferentes Lernen anbieten, seitens der Bezirksregierungen bzw. des Landesinstituts?
3.           Wie viele Fälle wurden der obersten Schulaufsicht angezeigt, in denen Schulaufsicht und Schulträger zu der Einschätzung kamen, dass es zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Gemeinsames Lernen nach §19 Abs.5 SchulG erforderlich ist, eine Beteiligung von Gymnasien auch bei zieldifferenter Förderung anzustreben?
4.           Sofern solche Gymnasien nicht von der jeweiligen Bezirksregierung bei der regionalen Planung berücksichtigt werden: Worin ist das begründet?
5.           Mit welchen Begründungen sind die Gymnasien, die bislang zieldifferent arbeiten, und jetzt davon Abstand nehmen, ausgestiegen?