Wie gut sind Datengrundlage und Methodik des Naturschutzberichts NRW?

Kleine Anfrage von Norwich Rüße

Portrait Norwich Rüße

Der Biodiversitätsverlust schreitet auch in Nordrhein-Westfalen unaufhörlich voran. Spätestens seit der Volksinitiative Artenvielfalt NRW ist das Thema auch in der breiteren Öffentlichkeit präsent. Vor diesem Hintergrund hat das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz am 01. März 2022 den ersten „Naturschutzbericht Nordrhein-Westfalen“1 vorgelegt. In einer Pressemitteilung2 teilte das Ministerium mit, dass es damit erstmals eine gebündelte Analyse umfangreicher Fakten zur biologischen Vielfalt in NRW vorlege.

Die Analyse der einzelnen Lebensräume habe sowohl negative als auch positive Entwicklungen aufgezeigt. Bei dem Indikator „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“ setze sich eine positive Entwicklung fort. Dieser Indikator bewerte den Zustand von Natur und Landschaft als Lebensraum für die Tier- und Pflanzenwelt. Er beruhe auf der Bestandsentwicklung von 61 Brutvogelarten, welche die Situation in den vier Hauptlebensräumen Agrarland, Wald, Siedlung und Gewässer repräsentierten. Darunter seien Arten wie Feldlerche, Kiebitz, Kleiber, Rauchschwalbe oder Eisvogel, die sensibel auf Veränderungen von Flächennutzungen reagierten und so Aussagen zur Nachhaltigkeit zuließen. In dem Naturschutzbericht wird zum Indikator „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“ unter anderem ausgeführt, dieser zeige zwar einen steigenden Trend, mit 74 Prozent seien zur Erreichung des Zielwertes von 100 Prozent jedoch noch große Anstrengungen zu leisten.3 In der „Abbildung 2: Artenvielfalt und Landschaftsqualität“ wird die „Zielerreichung in Prozent“ auch grafisch dargestellt.4

Eine wissenschaftlich solide und nachvollziehbare Datenerhebung und -verarbeitung ist eine Grundvoraussetzung dafür, valide Aussagen zum Zustand der Natur in NRW treffen zu können. Zur Datengrundlage für die Analyse der Entwicklung der Insektenfauna heißt es im Naturschutzbericht, diese stamme aus dem Insektenmonitoring5. Dazu setze das Monitoring „auf die Programme des bestehenden Biodiversitätsmonitorings: die Ökologische Flächenstichprobe (ÖFS) […] und das Biotopmonitoring (BM)“. 6 Es bestehe zudem ein Monitoringprojekt in Kooperation mit dem Entomologischen Verein Krefeld und eines mit der Universität Osnabrück.7 Der Naturschutzbericht nimmt auch Bezug auf das forstliche Umweltmonitoring8, das Monitoring zur Wasserrahmenrichtlinie9, das Monitoring der Artenvielfalt der Biologischen Station Düren10 und ein wissenschaftliches Monitoring auf verschiedenen Industriebrachen11. Über die allgemeine Information hinaus, dass der Indikator „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“ auf der Bestandsentwicklung von 61 Brutvogelarten beruht, bleibt unklar, von wem und wie Daten zur Ermittlung dieser Bestandsentwicklungen erhoben wurden.

Auch auf Bundesebene werden regelmäßig Daten erhoben, um eine Bewertung des Zustandes der Natur in Deutschland vornehmen zu können. Alle sechs Jahre wird ein sogenannter „Bericht zur Lage der Natur“12 erstellt, der die wesentlichen Ergebnisse von Berichten an die EU zur Erfüllung der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und der EU-Vogelschutz-Richtlinie zusammenfasst.13 Der Indikator „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“ wurde „2002 als Schlüsselindikator für die Nachhaltigkeit von Landnutzungen im Rahmen der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie 2002 entwickelt und in die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt übernommen“.14 Für jede Vogelart legte ein Expertengremium einen Bestands-Zielwert für das Jahr 2015 fest, der erreicht werden kann, wenn Naturschutzregelungen und Leitlinien einer nachhaltigen Entwicklung zügig umgesetzt werden. Die Zielwerte wurden so normiert, dass sich für den Gesamtindikator ein Zielwert von 100 ergibt.15 Die Frist wurde von der Bundesregierung im Jahr 2016 bis 2030 verlängert. Auffällig ist, dass auf Bundesebene die Teilindikatoren des Indikators „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“, z.B. „Wälder“ und „Agrarland“, andere Arten umfassen als in dem Naturschutzbericht NRW.16

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Wie wurden die zu erreichenden Zielwerte (S. 10, S. 47, S. 54, S. 72, S. 78), die im Naturschutzbericht NRW genannt werden, festgesetzt? (Bitte jeweils die Methodik erläutern und angeben, wer der Urheber der einzelnen Zielwerte ist)
  2. Wurden bei der Festlegung der in Frage 1 genannten Zielwerte – wie auf Bundesebene – auch externe Fachleute einbezogen? (Antwort bitte begründen)
  3. Woher stammen die Monitoringdaten, auf deren Grundlage beispielsweise die Abbildungen an den in Frage 1 genannten Stellen im Naturschutzbericht erstellt wurden? (Bitte jeweils den Urheber benennen und die Methodik erläutern)
  4. Flaggschiffarten wie der Schwarzstorch für den Lebensraum „Wald“ oder die Uferschnepfe für den Lebensraum „Agrarland“ wurden in dem Naturschutzbericht NRW, anders als auf Bundesebene, nicht berücksichtigt und durch häufiger vorkommende und nicht so stark spezialisierte Arten ersetzt. Warum wurde für den Naturschutzbericht Nordrhein-Westfalen ein solcher Artenkorb gewählt? (Bitte in der Begründung auch darauf eingehen, warum die Teilindikatoren des Indikators „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“ in dem Naturschutzbericht NRW nicht die gleichen Arten umfassen wie die, die auf Bundesebene verwendet wurden)

1 https://www.umwelt.nrw.de/fileadmin/redaktion/Broschueren/naturschutzbericht2021_web.pdf.

2 https://www.umwelt.nrw.de/presse/detail/erster-naturschutzbericht-nordrhein-westfalen-vorgelegt-1646122298.

3 https://www.umwelt.nrw.de/fileadmin/redaktion/Broschueren/naturschutzbericht2021_web.pdf, S. 7.

4 Ebd., S. 10.

5 Ebd., S. 7, S. 14f., S. 100.

6 Ebd., S. 15.

7 Ebd., S. 15.

8 Ebd., S. 45, S. 49, S. 104.

9 Ebd., S. 60.

10 Ebd., S. 75.

11 Ebd., S. 79.

12 https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Naturschutz/bericht_lage_natur_2020_bf.pdf.

13 https://www.bmuv.de/download/bericht-zur-lage-der-natur-2020.

14 https://www.umweltbundesamt.de/daten/umweltindikatoren/indikator-artenvielfalt-landschaftqualitaet.

15 Ebd.

16 https://www.dda-web.de/downloads/texts/publications/statusreport2014_ebook.pdf, S. 46ff.; https://www.umweltbundesamt.de/daten/umweltindikatoren/indikator-artenvielfalt-landschaftqualitaet#wie-ist-die-entwicklung-zu-bewerten.