Was unternimmt die Landesregierung, um die Sicherheit der Talsperren in Nordrhein-Westfalen sicherzustellen und die Bürgerinnen und Bürger zu schützen?

Kleine Anfrage von Norwich Rüße

Portrait Norwich Rüße

In Nordrhein-Westfalen (NRW) werden 169 Stauanlagen (Talsperren, Staustufen, Hochwasserrückhaltebecken, Pumpspeicherbecken, Sedimentationsbecken) betrieben, die unter der Aufsicht der Bezirksregierungen stehen.1 Aufgrund des außerordentlichen Gefährdungs- und Schadenspotenzials ist die Sicherheit dieser Stauanlagen von sehr großer Bedeutung.2 Stauanlagen bzw. Talsperren müssen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik errichtet, betrieben und unterhalten werden (vgl. § 36 Absatz 2 Satz 1 Wasserhaushaltsgesetz [WHG], § 76 Absatz 1 Satz 1 Landeswassergesetz NRW [LWG NRW]). In angemessenen Zeitabständen, etwa alle 10 Jahre (DVWK-Merkblatt 231), müssen Talsperren einer vertieften Prüfung unterzogen werden (DIN 19700).

Eine solche vertiefte Prüfung hätte auch an den als Talsperren geltenden Stauanlagen in der Agger, im Oberbergischen Kreis, durchgeführt werden müssen. Die hierfür von der Bezirksregierung Köln gesetzte Frist bis Ende 2016 ist aber inzwischen um über vier Jahre überschritten. Aktuell werden – mit Ausnahme der Stauanlage Ohl-Grünscheid, die zurzeit stillgelegt ist – Talsperren in der Agger betrieben, die nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Im Jahr 2014 hatte die Bezirksregierung Köln alle Talsperrenbetreiber in ihrem Zuständigkeitsbereich darüber informiert, dass die von ihnen betriebenen Talsperren bis Ende 2016 vertieft zu prüfen seien.3 Das Ausbleiben der vertieften Überprüfung einer Talsperre führe dazu, dass die Talsperre nicht nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik betrieben werde, weil eine materielle Anforderung der DIN 19700 nicht erfüllt sei. In den auf der Homepage der Bezirksregierung zu veröffentlichenden Überwachungsberichten/Umweltinspektionsberichten werde dieser Mangel als „erheblicher Mangel“ eingestuft. Bei den Stauanlagen Ehreshoven I und Ehreshoven II wurde am 19.11.2019, bei den Stauanlagen Ohl-Grünscheid und Wiehlmünden am 20.11.2019, bei der Stauanlage Osberghausen am 31.10.2018 und bei der Stauanlage Haus Ley am 09.09.2020 eine Inspektion durchgeführt und dabei jeweils erhebliche Mängel festgestellt.4 In der Rubrik „veranlasste Maßnahmen“ wurde jeweils vermerkt, dass der Abschlussbericht der vertieften Überprüfung nicht vorliege, derzeit jedoch keine akute Beeinträchtigung der Sicherheit vorliege.5

Die Stauanlage Ohl-Grünscheid ist seit September 2019 stillgelegt. Die Bezirksregierung Köln teilte in einer Pressemitteilung vom 17.09.2019 mit, dass aus Sicherheitsgründen eine vollständige Entleerung der Wehranlage Ohl-Grünscheid mit dem Betreiber vereinbart worden sei, bis eine Wehrklappe ausgetauscht worden sei, was voraussichtlich im Frühjahr 2021 der Fall sein werde.6 Noch im Dezember 2017 war die Bezirksregierung Köln der Auffassung, dass bei keiner der Stauanlagen in der Agger eine akute Beeinträchtigung der Sicherheit bestehe und nahm dabei insbesondere Bezug auf die regelmäßig stattfindenden Talsperrenschauen, aufgrund derer eine akute Gefährdung an den Talsperren in der Agger ausgeschlossen werden könne.7

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Wie ist der Stand der Umsetzung bezüglich der vertieften Überprüfung nach DIN 19700, die etwa alle zehn Jahre durchgeführt werden muss, bei den Talsperren in NRW? (Antwort bitte aufschlüsseln nach Regierungsbezirken und Talsperren und unter Angabe des Datums der Aufforderung zur Durchführung einer vertieften Überprüfung, der gesetzten Frist zur Durchführung der vertieften Überprüfung, der gegebenenfalls vorliegenden Ergebnisse bzw. festgestellten Mängel, der gegebenenfalls gesetzten Frist zur Beseitigung festgestellter Mängel nach § 76 Absatz 2 LWG NRW, der gegebenenfalls vorliegenden Gründe für die Überschreitung der Frist zur Durchführung der vertieften Überprüfung und des erwarteten Zeitpunkts des Abschlusses der vertieften Überprüfung bei Verfristung)
  2. Warum duldet die Landesregierung den Weiterbetrieb der im Text genannten Stauanlagen in der Agger, obwohl sie nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen?
  3. Warum kam es zwischen Ende 2017 und September 2019 zu einer gravierenden Veränderung der Einschätzung der Bezirksregierung Köln bezüglich der Sicherheit der Stauanlage Ohl-Grünscheid, die schließlich zur Stilllegung der Anlage führte? (Bitte alle entscheidenden Ereignisse wie beispielsweise stattgefundene vor-Ort-Prüfungen, Hinweise auf mögliche Sicherheitsmängel, Gerichtsbeschlüsse benennen)
  4. Wie bewertet die Landesregierung das Vorgehen der Bezirksregierung Köln hinsichtlich der Stauanlagen in der Agger? (Bei der Beantwortung der Frage bitte auch auf die deutliche Überschreitung der vorgesehenen Frist bis Ende 2016 für die vertieften Überprüfungen und die spät erfolgte Stilllegung der Stauanlage Ohl-Grünscheid eingehen)
  5. Schließt die Landesregierung einen Wiederaufstau der Stauanlage Ohl-Grünscheid aus, solange diese nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht? (Antwort bitte begründen)

 

1 https://www.lanuv.nrw.de/umwelt/wasser/oberflaechengewaesserfluesse-und-seen/stauanlagen-talsperren.

2 Ebd.

3 https://gruene-oberberg.de/userspace/NW/kv_oberberg/Dokumente/KTF/Anlagen_KTF/2017_Anlagen_KTF/Erlass  _MKULNV.NRW_07.11.2016.pdf (https://gruene-oberberg.de/archiv/aus-2017/).

4 https://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/umweltinspektionsberichte/bekanntmachungen_oberbergischerkreis/index. html.

5 Ebd.

6 https://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/presse/2019/042/index.html.

7 https://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/gremien/regionalrat/sitzungen_regionalrat/archiv/sitzung_15/17d.pdf; https://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/gremien/regionalrat/sitzungen_regionalrat/archiv/sitzung_16/03.pdf; http://session.obk.de/bi/vo0053.asp?__kvonr=2004039817.