Vorausschauende Politik betreiben, unverzüglich handeln – eine Notlage in den Krankenhäusern nicht abwarten

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Mehrdad Mostofizadeh

I. Ausgangslage

Änderungen der Rechtsgrundlage für die Corona-Schutzmaßnahmen

Inmitten der aktuellen Omikron-Welle und der hohen Infektions- und Hospitalisierungszahlen sind Schutzmaßnahmen aufgrund der letzten Änderung des IfSG entfallen. Der neuen Fas­sung des IfSG nach können die Länder unmittelbar durch Rechtsverordnungen und unabhän­gig von der Feststellung einer epidemischen Lage nationaler Tragweite eine Verpflichtung zum Maskentragen in bestimmten Einrichtungen des Gesundheitswesens, im ÖPNV sowie in Ein­richtungen zur gemeinschaftlichen Unterbringung von Asylbewerberinnen und -bewerbern o­der obdachlosen Menschen anordnen. Darüber hinaus kann eine Testverpflichtung in ähnli­chen Einrichtungen zum Schutz vulnerabler Gruppen, einschließlich in Schulen und Kitas un­mittelbar durch Rechtsverordnungen angeordnet werden.

§ 28a Abs. 8 des IfSG (s.g. „Hotspotregelung“) sieht zudem vor, dass notwendige Schutzmaß­nahmen – wie die allgemeine Maskenpflicht, Abstandsregelung, Vorlage eines Test-, Genese­nen- bzw. Impfnachweises beim Zugang zur Einrichtungen und Angeboten oder Vorlage eines Hygienekonzepts durch Einrichtungen – ab dem 20. März 2022 grundsätzlich erst getroffen werden dürfen, nachdem das jeweilige Landesparlament einen hierzu erforderlichen Be­schluss gefasst hat. Hierfür muss der Landtag gemäß § 28a Absatz 8 n.F. das Vorliegen einer konkreten Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage in konkret zu benennen­den Gebietskörperschaften, sowie die Anwendung konkreter Maßnahmen des § 28a Abs. 8 in diesen Gebietskörperschaften feststellen.

Bis 19. März 2022 bestehende Maßnahmen der Corona-Länderverordnungen, die mit dem oben genannten Maßnahmenkatalog vereinbar sind, können ohne weitere Parlamentsbe­schlüsse bis zum 2. April 2022 verlängert werden. Von dieser Möglichkeit hat die Landesre­gierung bereits Gebrauch gemacht. Um die Anordnung weiterer in der aktuellen Lage noch immer notwendiger Schutzmaßnahmen nach dem 2. April lückenlos gewährleisten zu können, war es erforderlich, dass der Landtag die oben genannten Beschlüsse schon vorher trifft. Ein entsprechender Antrag der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 17/16834) wurde in der Plenarsitzung vom 23. März 2022 abgelehnt. Da die aktuelle Infektionslage weiterhin angespannt und der schnelle Zugriff auf die Schutzmaßnahmen der Hotspotregelung nach wie vor erforderlich und nicht abgesichert ist, werden die erforderlichen Beschlüsse mit diesem Antrag erneut zur Debatte und Abstimmung gestellt.

Die Notwendigkeit eines schnellen Zugriffs auf weitere Schutzmaßnahmen

Die Entwicklung der Infektionslage in den letzten drei Wochen zeigt, dass die Pandemie noch nicht vorüber ist. Ganz im Gegenteil: wir sind weiterhin mittendrin. Die Infektionszahlen und die Hospitalisierungsinzidenz sind aktuell auf Rekordniveau. Die Zahl der Covid-19-Patientin-nen und -Patienten in den Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen steigt weiter und liegt ak­tuell bei 5490 (Stand 27. März 2022). Es werden in NRW zurzeit so viele Patientinnen und Patienten behandelt wie nie zuvor seit der bisher schwierigsten Phase von Dezember 2020 bis Januar 2021 – also praktisch vor dem Beginn der Impfkampagne. Operationen werden aktuell wegen sehr hohen Personalausfalls infolge eigener Erkrankung bzw. Erkrankungen von eigenen Kindern verschoben1. Die Todeszahlen während der Omikron-Welle steigen ebenfalls und entsprechen der Zahlen während der Delta-Welle. So sind in den letzten sechzig Tagen laut Angaben des LZG fast so viele Menschen aufgrund der Corona-Erkrankung ge­storben, wie im November und Dezember 2021. In den letzten zwei Monaten sterben in NRW im Durchschnitt ca. 36,5 Menschen täglich; in den Monaten November und Dezember 2021 waren es 37 Menschen täglich im Durchschnitt. Das zeigt, dass die Pathogenität der Omikron-Variante (BA.1 und BA.2) in absoluten Zahlen sehr hoch ist.

Dem Gesundheitsminister Laumann sind die Gefährlichkeit der aktuellen Infektionslage und die besonders hohe Belastung in den Krankenhäusern bzw. im gesamten Land bewusst. Der Rheinischen Post sagte er: „Im Ergebnis sind die Krankenhäuser derzeit in allen Regionen von NRW wie auch bundesweit stark belastet“2. Gerade aus diesen Gründen forderte Gesund­heitsminister Laumann zusammen mit anderen Bundesländern die Bundesregierung dazu auf, die Übergangsfrist zu verlängern um notwendige Maßnahmen unabhängig von der s.g. „Hotspotregelung“ zum Schutz der Bevölkerung ohne weitere Beschlüsse des Parlaments treffen zu können3. Die Notwendigkeit des schnellen Zugriffs auf alle Schutzmaßnahmen des IfSG macht ebenfalls die Ausgangslage zum Beschlussentwurf der GMK von 28.03.2022 aus, der Folgendes vorsieht: „Die GMK ist der Auffassung, dass die Länder angesichts der enorm ho­hen Infektionszahlen einen möglichst weiten und rechtssicheren Instrumentenkasten benöti­gen, mit dem die jeweils erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie im Vollzug schnell und unbürokratisch wie bisher verantwortungsvoll angewendet werden kön-nen“4.

Die Feststellung der Voraussetzungen der „Hotspotregelung“ unverzüglich ermöglichen

Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass auch die Landesregierung davon ausgeht, dass der schnelle Zugriff auf die weiteren Schutzmaßnahmen des § 28a Abs. 8 in der aktuellen Situation notwendig ist. Insbesondere muss in der aktuell prekären Situation zumindest die Verpflich­tung zum Tragen von Masken in den Innenräumen gewährleistet werden. Hierfür muss das Bestehen der Gefahr einer sich dynamisch ausbereitenden Infektionslage sowie die Anwen­dung aller konkreten in § 28a Abs. 8 genannten Maßnahmen festgestellt werden.

Eine solche Gefahr liegt dem IfSG zufolge dann vor, wenn die Ausbreitung einer Virusvariante des Coronavirus festgestellt wird, die eine signifikant höhere Pathogenität aufweist oder wenn aufgrund einer besonders hohen Anzahl von bzw. eines besonders starken Anstiegs an Neuinfektionen eine Überlastung der Krankenhauskapazitäten in der jeweiligen Gebietskör­perschaft droht.

In dem oben genannten Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wurde detailliert darge­legt, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung des Maßnahmenkatalogs auf­grund der hohen aktuellen Zahlen vorliegen. Hier wird lediglich nochmal auf den weiten Ein­schätzungsspielraum des Landtags bei Erstellung der Gefahrenprognose sowohl im Hinblick auf das Vorliegen einer Virusvariante mit einer „höheren Pathogenität“ als auch auf die Über­lastung des Gesundheitssystems hingewiesen. Dabei ist es wichtig hier nochmal zu betonen, dass es nicht der Eintritt einer Notlage oder eine Überlastung der Krankenhäuser abgewartet werden muss, um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 28a Abs. 8 bejahen zu können. Der Eintritt einer solchen Lage muss viel mehr verhindert werden. Das ist der Sinn und Zweck der Gefahrenabwehr, im Vorfeld zu handeln um die Gefahr zu verhindern oder mindestens zu minimieren. In diesem Zusammenhang ist zudem auf folgende Punkte hinzuweisen:

  1. Der Bundesgesetzgeber geht laut der Gesetzesbegründung davon aus, dass die Delta-Variante die erforderliche „höhere Pathogenität“ im Sinne des IfSG aufweist. Da die Hospitalisierungsrate bei den Omikron-Welle höher als bei der Delta-Welle ist und die Todeszahlen fast gleich sind, kann der Landtag für die Omikron-Variante feststellen, dass diese Virusvariante eine höhere Pathogenität aufweist.
  2. Da die Krankenhäuser in NRW schon jetzt sehr stark belastet sind, ist davon auszugehen, dass sich diese Belastung bei Entfallen der Schutzmaßnahmen zuspitzen wird, sodass eine Überlastung des Gesundheitssystems schon jetzt droht.

Ist die Landesregierung der Meinung, dass die Voraussitzungen der Hotspotregelung nach § 28a Abs. 8 nicht vorliegen, dann muss die Landesregierung unverzüglich prüfen, unter wel­chen Voraussitzungen das Vorliegen der Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infekti­onslage in konkreten Gebietskörperschaften zu bejahen wäre. Um für die Anwendung eine Überlastungsgefahr in den Krankenhäusern festzustellen, nennt der Bundesgesundheitsmi­nister beispielweise folgende Kriterien: wenn in Krankenhäusern wegen Corona planbare Ein­griffe nicht mehr gemacht werden könnten, die Notfallversorgung gefährdet sei, in der Pflege Untergrenzen unterschritten würden oder Patienten in andere Krankenhäuser verlegt werden müssten. Diese Kriterien sind nicht abschließend. Denkbar wäre zudem, eine Hospitalisie-rungsrate festzulegen, bei deren Übersteigung in einer Gebietskörperschaft von einer derarti­gen Gefahr auszugehen wäre.

Die Landesregierung muss alle bestehenden rechtlichen Möglichkeiten erschöpfen um einen angemessenen Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten. Sie muss entscheiden: will sie le­diglich mit dem Finger auf die Bundesregierung zeigen oder eigene Verantwortung überneh­men und den Zugriff auf notwendige Maßnahmen auch nach dem 2. April 2022 absichern, um die Lage nicht aus der Hand zu geben. Die Landesregierung muss daher ein Konzept vorle­gen, wie sie nach dem 2. April 2022 den Infektionsschutz gewährleisten will, wenn sie die erforderlichen Beschlüsse für die Hotspotregelung im Landtag nicht unterstützen will.

II. Der Landtag stellt fest:

Die Pandemie ist noch nicht vorüber. Wir sind bei der Omikron-Welle noch nicht über den Berg. Die Fallzahlen und Hospitalisierungsinzidenzen sind seit Wochen extrem hoch. Die Zahl der Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern ist so hoch wie zuletzt vor Beginn der Impfkampagne Mitte Januar 2021. Bestehende Schutzmaßnahmen in NRW dürfen nicht er­satzlos auslaufen. Es muss ein lückenloser und situationsangemessener Schutz der Bevölke­rung und des Gesundheitssystems gewährleistet werden. Es muss ein schneller Zugriff auf die gesamten Schutzmaßnahmen des neuen § 28a Abs. 8 IfSG gewährleistet werden, um die Infektionslage nicht aus der Hand zu geben und unter Kontrolle zu behalten. Die Krankenhäu­ser sind aktuell in gesamten NRW stark belastet, sodass eine Überlastung der Krankenhäuser in allen Gebietskörperschaften in NRW droht. Die Omikron-Variante, einschließlich die herr­schende Subvariante BA.2 weist eine höhere Pathogenität auf.

III. Der Landtag beschließt:

Die Landesregierung wird aufgefordert, kurzfristig ein Konzept zu erarbeiten, wie der Infekti­onsschutz nach dem 2. April 2022 konkret gewährleistet werden soll. Die Landesregierung wird ferner aufgefordert, dem Landtag darzulegen, unter welchen konkreten Voraussetzungen die Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage in konkreten Gebietskörper­schaften zu bejahen ist.

1 https://rp-online.de/panorama/coronavirus/corona-nrw-kliniken-verschieben-operationen-personal-fehlt_aid-67385391, zuletzt abgerufen am 28.03.2022.

2 Ebd.

3 https://www.zeit.de/news/2022-03/25/minister-fordern-verlaengerung-der-corona-uebergangsregeln, zuletzt abgerufen am 28.03.2022.

4 https://m.tagesspiegel.de/politik/ein-gutes-gesetz-das-zu-wenig-genutzt-wird-lauterbach-nimmt-laen-der-in-die-pflicht/28206622.html