Viertes Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN

A. Problem

Die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen genießt in der Bevölkerung ein hohes Maß an Vertrauen. Es beruht auf einer guten Ausbildung, der hohen Motivation der Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten (PVB) und vor allem auf ihrer rechtsstaatlichen und bürgernahen Arbeitsweise. Ausdruck des bürgernahen Handelns der Polizei ist es unter anderem, dass PVB bei ihrer täglichen Arbeit im Dienst persönlich ansprechbar sind.
Nachvollziehbarkeit für die Bürgerinnen und Bürger und ihr Vertrauen werden gestärkt, wenn sich PVB gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ausweisen bzw. in geeigneter Weise zu erkennen geben. Hindernisse für eine vertrauensbildende Kommunikation sollen möglichst abgebaut werden.
Eine persönliche Ansprache wird dadurch erleichtert, dass PVB ein Namensschild auf ihrer Uniform tragen. Namensschilder zu tragen, stellt keine Pflicht dar. PVB können dies gemäß einer Dienstverordnung auf freiwilliger Basis tun, und viele PVB machen von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch.
PVB in Bereitschaftspolizei- und Alarmeinheiten sind von dieser Möglichkeit ausgenommen. In ihrem Fall muss zugleich im Sinne der Fürsorgepflicht berücksichtigt werden, dass ihr Einsatz in Situationen erfolgt, die potentiell konfliktreich sind und in welchen PVB in höherem Maße Aggressionen von außen gegen sie selbst ausgesetzt sind. Bislang tragen sie eine anonymisierte taktische Kennzeichnung, die eine Zuordnung bis auf die kleinste Organisationsebene der Gruppe zulässt. Eine anonymisierte individuelle Kennzeichnung ist bisher nicht vorgesehen. Um das Vertrauen in die Tätigkeit von Bereitschaftspolizei- und Alarmeinheiten und in die Kontrolle staatlichen Handelns weiter zu stärken, soll mit der neugeschaffenen Regelung nun eine anonymisierte individuelle Kennzeichnung für PVB in Bereitschaftspolizei- und Alarmeinheiten eingeführt werden.
Obwohl Polizistinnen und Polizisten ein hohes Ansehen genießen, befinden sich Gewaltdelikte gegen sie bundesweit auf einem sehr hohen Niveau. Die Zahl der bundesweit im Jahr 2014 erfassten Widerstandshandlungen gegen PVB ist laut Bundeslagebild „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte“ des BKA auf 20.607 Fälle (+ 1,8%) gestiegen. Im Zusammenhang mit der Verübung von Landfriedensbruch bedeuten 1.785 registrierte Fälle im Jahr 2014 einen noch deutlicheren Anstieg um + 47,3 %. Auch in Nordrhein-Westfalen hat die Gewalt gegen PVB seit Jahren stetig zugenommen. Verzeichnete das Landeskriminalamt NRW im Jahr 2012 insgesamt 6610 und im Jahr 2013 7085 Gewaltdelikte gegen PVB so waren es im Jahr 2014 bereits 7902 Delikte und im Jahr 2015 immer noch 7840 Fälle.
Neben Einsätzen in sogenannten Brennpunktbereichen zeichnen sich insbesondere die alltäglichen Einsatzsituationen wie zum Beispiel Wohnungsverweisungen bei Häuslicher Gewalt, Einschreiten gegen Randaliererinnen und Randalierer und Ruhestörungen für die im Streifendienst eingesetzten PVB durch ein sehr dynamisches und emotionalisiertes Umfeld aus.
Die bisher in der Bundesrepublik durchgeführten Pilotprojekte scheinen eine deeskalierende Wirkung körpernah getragener Kameras, sogenannter Bodycams, auf das Verhalten des polizeilichen Gegenübers zu belegen. Insbesondere steigt laut Einsatzerfahrungsberichten die Kooperationsbereitschaft der von einer polizeilichen Maßnahme betroffenen Personen und die negativen Auswirkungen von Solidarisierungseffekten nehmen ab. Die beobachteten Wirkungen sprechen dafür, dass der Einsatz sogenannter Bodycams eine geeignete zusätzliche Möglichkeit der Sicherung für die PVB darstellt.
Diese Erkenntnisse sind als Grundlage für einen Einsatz in NRW jedoch bisher nicht ausreichend belegt. So wurden bei den bisherigen Versuchen verschiedener Länder und des Bundes die Bodycams jeweils in einem speziellen Maßnahmenkonzept für einen ausgesuchten, eng begrenzten Einsatzraum getestet. Die Erfahrungen insbesondere der Bundespolizei sind dabei zeitlich nur sehr kurz bemessen. Bei der Bewertung der verschiedenen Trageversuche wurde im Übrigen teilweise außer Acht gelassen, dass sich neben dem Einsatz der Bodycams auch noch weitere, gravierende Veränderungen der Einsatztaktik ergeben hatten. Die Tatsache, dass eine große Anzahl an Gewaltdelikten gegen PVB im Wohnungsbereich verübt wird, wurde in den bisherigen Pilotprojekten nicht berücksichtigt. Zudem wurden zumindest die in Hessen gewonnen Erfahrungen ohne ausreichende wissenschaftliche Begleitung durchgeführt. Welchen tatsächlichen Effekt die Videografie mittels körpernah getragener Aufnahmegeräte für die Eigensicherung zu erzielen vermag, ist aus den derzeit vorliegenden Informationen und ohne weitere fundierte wissenschaftliche Analyse insofern noch nicht ersichtlich.

B. Lösung

Um den hohen Wert, den bürgernahes und transparentes Handeln der Polizei aus Sicht des nordrhein-westfälischen Gesetzgebers haben, zu betonen, sollen die Pflicht von PVB, sich gegenüber betroffenen Personen zu legitimieren, und die Möglichkeit, im Dienst ein Namensschild zu tragen, im Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen selbst geregelt werden.
Die Möglichkeit, ein Namensschild zu tragen, besteht nicht für PVB in Bereitschaftspolizei- und Alarmeinheiten.
Um einen Bruch hinsichtlich des Selbstverständnisses von Bürgernähe und Transparenz in der Polizei insgesamt zu vermeiden, wird daher eine anonymisierte individuelle Kennzeichnung für PVB in Bereitschaftspolizei- und Alarmeinheiten eingeführt. Gerade PVB in Einsatzanzügen sind für die Bürgerinnen und Bürger kaum unterscheidbar. Mithilfe der anonymisierten individuellen Kennzeichnung wird eine nachträgliche Identifikation der PVB erleichtert und das Vertrauen in die Kontrolle staatlichen Handelns erhöht. Durch die Anonymisierung werden zugleich die Persönlichkeitsrechte der PVB von Bereitschaftspolizei- und Alarmeinheiten berücksichtigt.
Auf Grund der hohen Zahlen von Gewaltdelikten gegen PVB soll aufbauend auf den bisherigen internationalen und nationalen Erfahrungen auch in Nordrhein-Westfalen die Wirkung von Bodycams getestet werden. Anders als in den Pilotprojekten in den anderen Bundesländern und der Bundespolizei soll in Nordrhein-Westfalen der Einsatzraum von Bodycams jedoch nicht nur auf ein durch räumliche Indikatoren gekennzeichnetes Projektgebiet beschränkt werden. Die weitaus größere Notwendigkeit für einen besseren Schutz von PVB gegen gewalttätige Übergriffe ergibt sich hinsichtlich der alltäglichen Einsatzsituationen der Doppelstreifen im Streifendienst (z.B. Wohnungsverweisungen bei Häuslicher Gewalt, Randaliererinnen und Randalierer, Ruhestörungen).
In einem nordrhein-westfälischen Pilotprojekt soll PVB die Möglichkeit eingeräumt werden, Bodycams unabhängig von einem bestimmten Einsatzort einzusetzen, wenn in einer Situation eine Gefahr für sie oder Dritte droht. Hierzu bedarf es eines eigenen, einen möglichst breiten Einsatzbereich polizeilicher Tätigkeit umfassenden Pilotprojekts sowie einer begleitenden Grundlagenforschung.
Mit der vorliegenden Regelung in § 15c wird die erforderliche Rechtsgrundlage hierfür geschaffen, die einen offenen Einsatz von Bodycams sowohl im öffentlichen Raum als auch in privaten Räumen ermöglicht und die den Erfordernissen eines bestimmten und verhältnismäßigen Grundrechtseingriffs Rechnung trägt.

C. Alternative

Keine.

D. Kosten

Die Kosten für die Anschaffung geeigneter Kennzeichen für die Einsatzanzüge betragen 41.800,– Euro.
Im Rahmen des Pilotversuchs sollen 200 Bodycams beschafft werden. Die Kosten pro Kamera liegen zwischen 1000,– und 1.500,– Euro, so dass die Gesamtkosten circa 200.000,– bis 300.000,– Euro betragen.

E. Zuständigkeit

Zuständig innerhalb der Landesregierung ist das Ministerium für Inneres und Kommunales.

F. Auswirkungen auf die Selbstverwaltung und die Finanzlage der Gemeinden und Gemeindeverbände

Keine.

G. Finanzielle Auswirkungen auf die Unternehmen und die privaten Haushalte

Keine.

H. Geschlechterdifferenzierte Betrachtung der Auswirkungen des Gesetzes

Die beabsichtigten Gesetzesänderungen haben keine Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frauen und Männern. Die Wirkungen treten unabhängig vom Geschlecht der Betroffenen ein.

I. Befristung

Die Anwendbarkeit des neuen § 15c ist bis zum 31.12.2019 befristet. Die eingeräumte Frist bietet ausreichend Zeit, Erfahrungen mit den Einsätzen der Bodycams zu sammeln, diese projektbegleitend wissenschaftlich zu evaluieren und auf der Grundlage dieser Evaluation eine Entscheidung über die Wirksamkeit und Notwendigkeit des Einsatzmittels sowie einer entsprechenden Regelung zu treffen.