I. Ausgangslage
Die „Maskenaffäre“ der Unions-Bundestagsfraktion hat sich inzwischen zu einem weitreichenden Skandal um mutmaßliche Korruptionsfälle entwickelt, der dem Vertrauen in die Demokratie und ihrer Institutionen nachhaltigen Schaden zufügt. Dass Bundestagsabgeordnete der Union für ihre Vermittlung von Aufträgen zur Beschaffung von Schutzmasken Geld erhalten haben sollen, ist vollkommen inakzeptabel. Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind dem Gemeinwohl verpflichtet, sie haben die Aufgabe, an der politischen Meinungsbildung und der Gesetzgebung mitzuwirken sowie die Regierung zu kontrollieren. Um diese Aufgaben unabhängig erfüllen zu können, erhalten Abgeordnete eine gesetzlich vorgeschriebene Entschädigung. Es verbietet sich daher, für ihre Tätigkeit zusätzlich Geld von Dritten anzunehmen – für reine Abgeordnetentätigkeiten darf es keine Gegenleistungen von Dritten geben. Aus dem Grund ist die bezahlte Vertretung von Partikularinteressen gemäß § 16 Absatz 2 Satz 3 des Abgeordnetengesetzes NRW unzulässig. Im Mittelpunkt der Arbeit als Mitglied des Landtags soll die Ausübung des Mandats der Abgeordneten stehen.
Vertrauen in ihre demokratische Aufgabenerfüllung können Parlamente und Regierungen durch weitreichende Transparenz und Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungen stärken. Dabei geht es aufgrund der unterschiedlichen Skandale durch Unions-Abgeordnete in den vergangenen Jahren längst nicht mehr allein um mehr Transparenz und Offenlegung von Lobbyarbeit. Es geht um das Vertrauen in und das Ansehen von Politik, eine saubere Politik, Anstand und Haltung.
Bei Entscheidungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zeigte Ministerpräsident Armin Laschet, dass ihm die Sensibilität für transparentes Handeln fehlt. Neben den Aufträgen für Schutzkleidung an das Unternehmen van Laack, die zumindest Fragen und Raum für Spekulationen offen lassen, stellte die Staatskanzlei den ehemaligen Cheflobbyisten des Pharma-konzerns Sanofi im Impfmanagement ein, obwohl Sanofi selbst an der Entwicklung eines Impfstoffs arbeitet und damit konkrete wirtschaftliche Interessen verfolgt. Vor dem Hintergrund des Maskenskandals auf Bundesebene besteht hinsichtlich dieser mindestens unsensiblen Vorgänge ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis. Insbesondere sollte die Landesregierung zu allen Vergabeverfahren im Zusammenhang mit der Beschaffung von Materialien zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie vollständige Transparenz schaffen.
- Einführung eines Lobbyregisters
Die Haltung einer sauberen und transparenten Politik muss institutionell abgesichert werden. Zuvorderst steht hierfür die verbindliche Einrichtung eines Lobbyregisters, das beim Landtagspräsidenten geführt werden und für die Bürgerinnen und Bürger online aufrufbar und einfach bedienbar sowie maschinenlesbar sein soll.
Politische Interessenvertretung ist Bestandteil der Demokratie, sie muss jedoch transparent und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein. Für den Landtag und die Landesregierung soll dies durch ein Lobbyregister geschehen, in dem sich Lobbyistinnen und Lobbyisten registrieren müssen. Aus dem Lobbyregister ergibt sich eine Transparenz darüber, welche Lobbyein-flüsse gegenüber Abgeordneten und gegenüber der Landesregierung stattgefunden haben. Hierbei sind Bürgerkontakte von Abgeordneten und professionelle Interessenvertretung klar zu trennen. Bürgerinnen und Bürger sollen sich weiterhin ohne Hindernisse an ihre Abgeordneten oder die Landesregierung wenden können und auch Abgeordnete sollen sich ohne Bedenken mit Bürgerinnen und Bürgern treffen und sich austauschen können.
Das auf Bundesebene geplante Lobbyregister ist absolut unzureichend. Ein solches Register kann seinen Zweck nur erfüllen, wenn dadurch volle Transparenz über Lobbykontakte in alle Ebenen der Regierung und in das Parlament zu jedem Zeitpunkt eines Gesetzgebungsverfahrens geschaffen wird. Das bedeutet, dass Kontakte von Lobbyistinnen und Lobbyisten auch zu Referentinnen und Referenten in der Landesregierung und nachgeordneten Behörden erfasst werden müssen. Das ist wichtig, weil gerade auf dieser Ebene der unmittelbarste und im Ergebnis wirksamste Einfluss bei der Ausarbeitung von Gesetzen und Verordnungen oder sonstigen Informationen stattfinden, die von der Landesregierung an das Parlament gegeben werden. Der Datenschutz der Beschäftigten kann ohne Weiteres gewahrt werden. Solche Veröffentlichungen hat die Union jedoch verhindert.
Lobbyregister in verschiedenen Ausprägungen gibt es in Thüringen, Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Baden-Württemberg und auf freiwilliger Basis in Sachsen-Anhalt. In Hessen und Berlin werden Regelungen angestrebt. Nordrhein-Westfalen als einwohnerstärkstes Bundesland kann es sich nicht leisten, keine gesetzlichen Grundlagen für effektive Transparenz zu schaffen.
Neben dem Lobbyregister helfen auch Transparenz- bzw. Informationszugangsgesetze, die Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungen zu erhöhen. Solche Gesetze entwickeln die heutigen Informationsfreiheitsgesetze weiter und gewährleisten, dass Bürgerinnen und Bürger Zugang zu allen Daten, die einer politischen Entscheidung zugrunde liegen, erhalten. Sie orientieren sich dabei in der Regel an den sogenannten Open- Data- Kriterien.
- Einführung des legislativen Fußabdrucks
Mit der Einführung des legislativen Fußabdrucks, soll in Entwürfen für Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften und Informationen, die von der Landesregierung an den Landtag gegeben werden, dokumentiert werden, welche Lobbyistinnen und Lobbyisten bei der Erarbeitung beteiligt waren, welche Informationen sie der Landesregierung lieferten und ggf. für welche Auftraggeberinnen oder Auftraggeber sie tätig wurden. Ebenso soll veröffentlicht werden, welche Informationen die Landesregierung bei der Erstellung dieser Unterlagen ihrerseits ohne Beteiligung von Lobbyistinnen und Lobbyisten verwendete (z.B. Stellungnahmen oder Veröffentlichungen von Unternehmen, Verbänden oder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern).
In den bisher geplanten Regelungen auf Bundesebene wurde der legislative Fußabdruck verhindert. Dabei kann nur mit diesem Instrument aufgezeigt werden, welche Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter in welcher Weise auf einen Gesetzentwurf oder eine Verordnung der Landesregierung Einfluss genommen haben. Das ist wichtig für die Arbeit der Abgeordneten – und zwar sowohl für die der Opposition wie die der Koalition. Wenn die Abgeordneten im Landtag über Gesetze abstimmen, müssen sie vorher wissen, wer die Formulierung der Gesetze maßgeblich geprägt hat, um mögliche Interessensabwägungen treffen zu können.
Die bisherigen internen Verfahren der Verbändeanhörung der Landesregierung sind nicht nur intransparent, sie sind auch nicht inklusiv und nicht beteiligungsorientiert. Dieses Defizit können auch die öffentlichen Anhörungen in den Fachausschüssen des Landtags nicht ausgleichen. Deshalb sollten öffentliche Online-Konsultationen im Vorfeld von Gesetzgebungsverfahren gestärkt werden, wie es sie auf EU-Ebene gibt. Die Konsultationen sind von den jeweils verantwortlichen Ministerien durchzuführen. Dabei können sich auch Bürgerinnen und Bürger aktiv in die Vorberatung von Gesetzen einbringen. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Beteiligungsverfahren durch ausreichend Personal und finanzielle Ressourcen begleitet werden.
- Verbot von entgeltlicher Lobbyarbeit von Abgeordneten
Die Verdachtsfälle, dass CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete Provisionen für die Vermittlung von Geschäften zur Auslieferung von SARS-CoV-2-Schutzausstattung erhalten haben sollen, oder die Aserbaidschan-Affäre von CDU/CSU-Bundestagsfraktionsmitgliedern ebenso wie der Fall Philipp Amthor gebieten es, die entgeltliche Lobbyarbeit sowie die entgeltliche Vermittlung von Gesprächen durch Abgeordnete insgesamt explizit zu verbieten. Abgeordnete sind dem Wohl der gesamten Bevölkerung verpflichtet, nicht einzelner Unternehmen. Zudem haben Abgeordnete aufgrund ihrer politischen Kontakte andere Zugänge zu Ministerien oder auch zu kommunalen Hauptverwaltungsbeamtinnen und -beamten. Die Vermittlung überteuerter Produkte, wie im Fall der so genannten „Maskenaffäre“ geschehen, führt auch zur Vergeudung von Steuergeldern. Lobbytätigkeiten durch Abgeordnete können auch nicht im Interesse der Wirtschaft sein, denn dieses Verhalten führt unweigerlich zu Wettbewerbsverzerrungen. Um die Einhaltung dieses Verbots wirksam kontrollieren zu können, müssen die Beschäftigten von Landesregierung und Landesverwaltung entsprechend sensibilisiert werden. Leistungen, die Mandatsträgerinnen und Mandatsträger durch rechtswidrige Lobby- und Vermittlungsarbeit erlangten, müssen abgeschöpft werden können.
- Schutz für Whistleblowerinnen und Whistleblower
Insbesondere im Sinne der Korruptionsprävention ist ein besserer Schutz für Whistleblowerin-nen und Whistleblower notwendig. Sie geben der Öffentlichkeit Hinweise über Missstände in Unternehmen, Organisationen und Behörden und sorgen damit für Verbesserungen für alle Bürgerinnen und Bürger. Whistleblowerinnen und Whistleblower schützen die Beachtung der Rechtsordnung und das Funktionieren des demokratischen Systems. Sie benötigen deswegen gesetzlichen Schutz.
Das Land NRW kann den Whistleblowerschutz vor allem für seine Behörden und Landesbe-triebe gewährleisten. Hierfür sind gesetzliche Schutzklauseln erforderlich, die allen Beschäftigten ein Recht zum Whistleblowing garantieren, ohne dass sie fürchten müssen, ihre Arbeitsstelle zu verlieren. Whistleblowing meint die Meldung von tatsächlichen oder gutgläubig angenommenen Verletzungen oder Gefährdungen öffentlicher Interessen – insbesondere Hinweise auf Rechtsverletzungen. Die Meldung muss auch außerhalb des Dienstwegs und anonym möglich sein. Wer Hinweise gibt, soll ein Recht auf eine ordnungsgemäße Prüfung des Hinweises haben und geschützt über den Fortgang des Verfahrens Informationen erhalten können. Eine unabhängige und neutrale Stelle innerhalb der Landesverwaltung soll die Hinweise prüfen. Diese Stelle muss die für ihre Arbeit notwendige Ausstattung zur Verfügung gestellt bekommen.
- Strafbarkeit der Bestechlichkeit und Bestechung von Abgeordneten
Damit rechtswidriges Handeln von Abgeordneten strafrechtlich verlässlicher geahndet werden kann, muss der § 108e des Strafgesetzbuchs überarbeitet und konkretisiert werden. Eine strafrechtliche Verfolgung von fragwürdigen Handlungen von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern scheitert zu oft an der im Moment zu ungenauen Formulierung der relevanten Strafvorschrift. Die Erfahrungen aus der Anwendung des Straftatbestands der Bestechung und Bestechlichkeit von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern, §108e Strafgesetzbuch, machen deutlich, dass es häufig Schwierigkeiten bei der Zuordnung gibt und eine deutlichere Bestimmung der Strafbarkeit von entgeltlichen Beratungsleistungen durch Abgeordnete aus dem Mandat heraus fehlen.
Der Vorschlag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das Strafmaß der Abgeordnetenbestechung und Abgeordnetenbestechlichkeit auf ein Jahr Freiheitsstrafe zur erhöhen, ist wirkungslos, wenn nicht klarer geregelt wird, welches Verhalten strafbar ist. Wenn laut dem Unions-Fraktionsvorstandsmitglied Gitta Connemann in dem geplante Fraktionskodex alle Fälle erfasst werden sollen, muss dies erst recht für das Strafgesetzbuch gelten. Nur so wird für effektive Strafermittlungen gesorgt. Den Fraktionen fehlen zur Überprüfung von Verstößen gegen den Kodex bereits die notwendigen Ermittlungsbefugnisse.
Die Landesregierung von Armin Laschet sollte – ausgestattet mit der Aufforderung durch das Landesparlament – eine entsprechende Bundesratsinitiative zur Änderung des §108e des Strafgesetzbuchs einbringen.
II. Der Landtag stellt fest:
- Die parlamentarische Demokratie lebt vom Vertrauen des Souveräns in die demokratischen Institutionen. Dieses Vertrauen hat durch die Skandale um verschiedene Bundestagsabgeordnete der Union erheblichen Schaden erlitten.
- Dieser Vertrauensverlust kann nur durch unverzügliches Handeln für mehr Transparenz, Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungen, klare Regeln für Interessenvertretung sowie für die Nebentätigkeiten von Abgeordneten ausgeglichen werden.
- Ministerpräsident Armin Laschet kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Er muss Transparenz um die Beschaffung von COVID-19- Schutzmaterialien im Zuständigkeitsbereich seiner Landesregierung unverzüglich herstellen.
- Der Landtag hat in verschiedenen Bereichen in den vergangenen Jahren selbst einen Beitrag zu mehr Transparenz geleistet, z.B. bei der Veröffentlichung von Nebeneinkünften in einem Stufenmodell, das präziser ist als etwa beim Deutschen Bundestag. Dennoch besteht weiter erheblicher Verbesserungsbedarf. Alle Arten von Nebeneinkünften sollten auf Euro und Cent genau veröffentlicht werden. Zudem sollten Einnahmen aus Beteiligungen wie Dividenden und Gewinnausschüttungen sowie alle Arten von Unternehmensbeteiligungen angezeigt werden.
- Weiterer Verbesserungsbedarf im Abgeordnetengesetz besteht darin, die entgeltliche Lobbyarbeit von Abgeordneten sowie die entgeltliche Vermittlung von Gesprächen mit der Landesregierung oder Verwaltungen durch Abgeordnete als Regelbeispiele zu verbieten und unter Strafe zu stellen.
III. Der Landtag beschließt:
- Der Landtag fordert den Ministerpräsidenten Armin Laschet auf, gegenüber dem Landtag vollständige Transparenz über alle Vergaben im Zusammenhang mit der Beschaffung medizinischer und sonstiger Schutzmaterialien zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu schaffen. Hierbei sind insbesondere die Auftragnehmer, Auftragsvolumina und mögliche Vermittler des Auftrags zu nennen.
- Der Landtag fordert die Landesregierung auf, unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, dessen Ziel die Errichtung eines verbindlichen öffentlichen Registers für Interessenvertreterinnen und -vertreter (Lobbyregister) ist. Im Lobbyregister sind Interessensvertreterinnen und Interessensvertreter zu registrieren, die professionell im Sinne ihrer Arbeit-bzw. Auftraggeberinnen und -geber bei Landtag und Landesregierung versuchen, auf politische oder gesetzgeberische Prozesse Einfluss zu nehmen. Ihre Tätigkeit und ihr Einfluss auf jedes einzelne Vorhaben, ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, ihre Auftraggeberinnen und Auftraggeber, die Kontaktaufnahmen zur Landesregierung und zum Landtag sowie ihre finanziellen Aufwendungen sollen anhand der Registereintragungen für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein.
- Der Landtag fordert die Landesregierung auf, unverzüglich einen Gesetzentwurf zur Einführung eines legislativen Fußabdrucks vorzulegen. Durch den legislativen Fußabdruck wird dokumentiert, welche Interessenvertretung bei der Landesregierung mit welchem Inhalt bei der Erstellung von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie bei anderen Informationen an den Landtag stattgefunden hat.
- Der Landtag fordert die Landesregierung auf, eine verbindliche gesetzliche Grundlage für Datentransparenz im Sinne der Open Data Prinzipien zu schaffen. Dabei ist die Veröffentlichung von öffentlich-rechtlichen Verträgen, insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge, besonders zu fokussieren.
- Der Landtag fordert die Landesregierung auf, für einen effektiven Schutz von Whistleblowerinnen und Whistleblowern im öffentlichen Dienst gemäß anerkannter Maßstäbe zu sorgen (Schutzklauseln), damit sie ohne Repressionen auf Missstände hinweisen können. Denn eine saubere und transparente Demokratie gelingt nicht ohne eine saubere Verwaltung, die in ihrem eigenen Sinne und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger effektive interne Kontrollmechanismen gewährleistet.
- Der Landtag fordert die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative für eine Überarbeitung und Präzisierung des Tatbestands der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern (§ 108e Strafgesetzbuch) zu erarbeiten und in den Bundesrat einzubringen, um so eine effektive Strafverfolgung zu gewährleisten.