Unterstützung für Betroffene von Hate Speech ausbauen

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Hate Speech ist seit Jahren ein anwachsendes Problem in unserer Gesellschaft. Immer mehr Menschen werden mit Hassrede im Internet konfrontiert. Sie werden in diskriminierender Weise beleidigt, bedroht und angegriffen. Diese Taten verbleiben nicht nur in der digitalen Welt, sondern haben weitreichende Folgen für die Betroffenen und für die demokratische De­battenkultur. Daher ist aktives staatliches Handeln zur Unterstützung von Betroffenen und zur Stärkung der demokratischen Debattenkultur wichtig.

Die letzte forsa-Befragung zur Wahrnehmung von Hassrede im Netz, die seit 2016 von der Landesanstalt für Medien in Auftrag gegeben wird, hat im Jahr 2021 einen neuen Höchstwert gemessen (https://www.medienanstalt-nrw.de/themen/hass/forsa-befragung-zur-wahrnehmung-von-hass-rede.html). Im Jahr 2021 gaben 39 Prozent der Befragten an, dass sie häufig bzw. sehr häufig Hate Speech im Internet wahrnehmen. Im Jahr 2020 waren es 34 Prozent. Zu Beginn der Befragungen im Jahr 2016 waren es nur 26 Prozent. Gestiegen ist der Umfrage zufolge auch der Anteil der Personen, die Hasskommentare gemeldet haben von 25 Prozent im Jahr 2020 auf 28 Prozent im Jahr 2021.

Die steigende Wahrnehmung von Hassrede im Internet korrespondiert auch mit dem Anstieg der angezeigten Straftaten. Das Bundeskriminalamt misst einen Anstieg von 71 Prozent zwi­schen dem Jahr 2019 und dem Jahr 2020 bei Hasspostings. Dabei wird der größte Anteil dieser Straftaten der politisch motivierten Kriminalität Rechts zugeordnet. Hier gab es einen Anstieg von knapp 96 Prozent zwischen den Jahren 2019 und 2020.

Die polizeilichen Statistiken geben jedoch nur die Anzahl der tatsächlich angezeigten Strafta­ten wieder. Eine Vielzahl der Hasspostings wird gar nicht erst gemeldet oder sie werden nicht bekannt, weil sie in geschlossenen Gruppen gepostet werden. Zudem handelt es sich häufig um Antragsdelikte, zu denen nicht ohne Vorliegen eines Strafantrags ermittelt werden kann, wie etwa Beleidigungsdelikte. Es muss also von einem großen Dunkelfeld ausgegangen wer­den. Zusätzlich gibt es Hasspostings, die nicht die Grenze der Strafbarkeit erreichen. Sie sind aber nicht minder problematisch.

Betroffen sind vor allem Schwarze Menschen und People of Colour, Frauen, Medienschaf­fende, Politikerinnen und Politiker sowie andere Menschen, die sich für Minderheitenrechte und gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren. Rassistische, antisemitische, LSBTI*-feindliche, frauenfeindliche und andere menschenverachtende Beleidigungen treten dabei häufig gleichzeitig auf. Gegen Frauen gerichtete Hasskommentare enthalten zudem sehr häufig sexualisierte Gewaltandrohungen. Nach dem letzten bundesweiten Aktionstag gegen Hasspostings am 22. März 2022, bei dem es um Fällen von Hasspostings ging, die sich gezielt gegen Politikerinnen und Politiker richteten, teilte das Bundeskriminalamt mit, dass in zwei Drittel dieser Fälle Frauen betroffen waren.

Die Angriffe sollen die Personen einschüchtern und ihre Stimmen zum Verstummen bringen. Sie sind also immer auch ein Angriff auf die Meinungsvielfalt in digitalen Medien. Einer Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft aus dem Jahr 2019 zufolge bringen sich 54 Prozent der Befragten seltener mit ihrer politischen Meinung im Internet ein, weil sie Hasskom­mentare befürchten. Diese Einschränkung der Meinungsvielfalt ist ein besorgniserregender Schaden für die demokratische Debattenkultur insgesamt.

Hassrede im Netz kann für die Betroffenen weiterreichende Folgen haben als beispielsweise Beleidigungen im Analogen. Denn sie sind über einen langen Zeitraum oder gar dauerhaft für die breite Öffentlichkeit sichtbar und können durch Verlinkungen und Weiterleitungen weiter verbreitet werden. Zudem existieren rechtsextreme und rassistische Netzwerke, die gezielte Angriffe gegen bestimmte Personen organisieren. Betroffene Person werden zum Teil nicht nur überflutet mit Hassbotschaften, sondern auch ihre persönlichen Daten, wie die Privatad­resse oder die Telefonnummer, werden veröffentlicht. Das kann zu einer sehr konkreten Ge­fährdungslage führen, die beispielsweise einen Wohnortwechsel notwendig macht.

Sehr zu begrüßen sind die zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich mit Hate Speech ausei­nandersetzen, Hilfestellungen für Betroffene anbieten und Aufmerksamkeit für das Phänomen schaffen, wie „HateAid“, „Hassmelden“, „#ichbinhier“ oder „No Hate Speech Movement“. Sie leisten wichtige Arbeit gegen Hate Speech. Die Aufgabe Hass im Netz zurückzudrängen, kann aber nicht allein durch die Zivilgesellschaft geleistet werden. Es ist eine staatliche Aufgabe. In Nordrhein-Westfalen leisten Polizei und Justiz wichtige Arbeit, um gegen Hate Speech vorzu­gehen. In einigen Bundesländern, wie Baden-Württemberg oder Hessen, wurden eigene Mel­destellen für Hate Speech geschaffen, die strafrechtlich relevante Äußerungen zur Anzeige bringen, aber auch Beratung für Betroffene vermitteln.

Nordrhein-Westfalen hat bereits im Jahr 2016 mit der Einrichtung der Zentralen Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen bei der Staatsanwaltschaft Köln und der Initiative „Verfolgen statt nur Löschen“ unter Leitung des Landesmedienanstalt NRW im Jahr 2017 wichtige und bundesweit vorbildliche Strukturen zur Bekämpfung von Hasspostings geschaffen. Auch des­wegen belegt Nordrhein-Westfalen den dritten Platz in einem im März 2021 veröffentlichten Ranking der Bundesländer zu staatlichen Maßnahmen gegen Hate Speech, das vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft durchgeführt wurde. Im Bereich der polizeilichen Struktu­ren belegt Nordrhein-Westfalen sogar den ersten Platz, erreicht dabei jedoch nur 60 Prozent der möglichen Punktzahl. Zudem misst die Studie lediglich das Vorhalten von Strukturen, sagt jedoch nichts über die Wirksamkeit der staatlichen Maßnahmen aus. Diese müssten noch wei­ter evaluiert werden.

Trotz des zunächst einmal erfreulichen Ergebnisses für Nordrhein-Westfalen bedarf es weite­rer Maßnahmen des Landes. Die Studie verweist beispielsweise auf das Fehlen von ver­pflichtenden Fortbildungen in den Bereichen Schule, Polizei und Justiz, das Fehlen einer staat­lichen Meldeplattform und geschulten Ansprechpersonen für Opfer sowie das Fehlen von Lan­desmitteln für die Beratung von Opfern von Hate Speech. Diese Lücken sollte das Land schnellstmöglich schließen.

Insbesondere mit verbesserten Melde- und Beratungsmöglichkeiten für Betroffene von Hate Speech kann das Land schnell und wirksam auf das anwachsende Phänomen reagieren. Da­bei ist es sinnvoll, die bereits existierenden Beratungsstrukturen aus der Arbeit gegen Rechts­extremismus und Rassismus sowie aus der Antidiskriminierungsarbeit in die Entwicklung einer Melde- und Beratungsstruktur einzubinden. Die Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextre­mismus, die spezialisierten Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer und rassistischer Ge­walt und die Servicestellen für Antidiskriminierungsarbeit können wichtige Erkenntnisse aus der täglichen Arbeit in die Konzeption einbringen. Sie sollten ohnehin eingebunden sein in die zu schaffende Beratungsstruktur. Nordrhein-Westfalen hat ein großes Potenzial an staatli­chem und zivilgesellschaftlichem Engagement gegen Hass und Hetze. Diese Potenziale müs­sen mit weiteren Mitteln gestärkt und klug miteinander vernetzt werden.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • eine personell gut ausgestattete Melde- und Beratungsstruktur für Betroffene von Hate Speech in Nordrhein-Westfalen aufzubauen in Zusammenarbeit mit den Beratungsstruk­turen aus der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus sowie aus der Antidiskriminierungsarbeit.
  • verpflichtende Fortbildungen zu Hate Speech für die Polizei und die Staatsanwaltschaften einzuführen.
  • speziell geschulte Ansprechpersonen für Betroffene von Hate Speech bei der Polizei und bei den Staatsanwaltschaften einzurichten.
  • Angebote für Medienkompetenzschulungen in der Erwachsenenbildung auszubauen.
  • Mittel für Forschung zu Hate Speech zur Verfügung zu stellen.