Umbau der Nutztierhaltung: Handeln ALDI & Co. zukunftsorientierter als die Landesregierung?

Kleine Anfrage von Norwich Rüße

Portrait Norwich Rüße

„So schwer es auch wird, wir glauben daran, das Richtige zu tun: für Tierwohl, für nachhaltiges Wirtschaften, für unsere Kunden und aus Überzeugung”, werden Vertreter der Einzelhandelsketten ALDI Nord und ALDI Süd zum Vorhaben von ALDI zitiert. Sie wollen bis 2030 nur noch Frischfleisch der Haltungsstufen 3 und 4 der Handelsketten-Initiative „Haltungsform“ anbieten.1 Die Pläne seien auch eine Konsequenz des steigenden Umsatzes mit nachhaltig erzeugter Ware.

Die Ankündigung dieses Vorhabens hat in der Agrarbranche und im Lebensmitteleinzelhandel für Furore gesorgt. Andere Ketten haben mittlerweile nachgezogen und öffentlich ähnliche Pläne angekündigt.2 Dies wird voraussichtlich viel Bewegung in die Branche bringen, denn bis dato handelt es sich bei Fleisch der Stufen 3 und 4 eher um Nischenprodukte: Nur 13 Prozent des gekennzeichneten Fleisches stammt aus diesen Haltungsformen, so das Ergebnis eines bundesweiten Marktchecks der Verbraucherzentralen.3

Der Vorstoß des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Tierhaltung, so wie sie derzeit noch ganz überwiegend betrieben wird, mittelfristig keine Zukunft mehr hat. Während der Vorstoß als solcher von vielen Stimmen als wichtiger Schritt für den Tierschutz gewertet wird, kritisieren andere, dass dies ein Zeichen dafür sei, dass die Politik angesichts der gesamtgesellschaftlichen Herausforderung „Umbau der Nutztierhaltunguntätig bleibe und der LEH den politischen Zielen weit voraus sei. Dem widerspricht das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): „Es ist keinesfalls so, dass wir von dieser unternehmerischen Entscheidung überholt wurden“, wird eine Sprecherin des BMEL zitiert.4

Der aktuellen Bundesregierung war es allerdings nicht möglich, trotz entsprechender Vereinbarung und mehrerer Ankündigungen der Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner, den geplanten Umbau der Tierhaltung auf den Weg zu bringen: Weder das staatliche Tierwohl-Label noch erste Schritte zur Umsetzung des Borchert-Konzeptes wurden eingeleitet. Als Zielmarke ist bislang das Jahr 2040 definiert worden, d. h. zehn Jahre später als die von ALDI angekündigte Umstellung.

Die fehlende politische Umsetzung verwehrt Bäuerinnen und Bauern die notwendige Planungssicherheit, Tiere haben weiterhin nicht mehr Platz und auch die Frage des sozialen Ausgleichs für gegebenenfalls steigende Lebensmittelpreise ist nicht gelöst.

Auch auf Landesebene scheint der Markt die Politik überholt zu haben: Der zurzeit geplante und auf seine Genehmigung wartende „Stall der Zukunft“ auf Haus Düsse soll als Ausbildungs- und Demonstrationsstall für zukunftsweisende Haltungskonzeptein der Schweinemast fungieren. Er besteht aus zwei Stallabschnitten, die sich an den Stufen 2 und 3 des geplanten staatlichen Tierwohlkennzeichens orientieren. Gebaut wird er mit Fördermitteln des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MULNV).5 Da Stallneubauten grundsätzlich alleine schon aufgrund des hohen Finanzaufwandes Investitionen weit in die Zukunft gehen, müssen innovative Beispielställe so geplant werden, dass sie entsprechende Zeiträume von mindestens zwei Jahrzehnten in den Blick nehmen. Ein heute gebauter Stall sollte daher vor dem Hintergrund der langen Abschreibungszeiträume prinzipiell auch im Jahr 2046 noch funktional und in Bezug auf die Anforderungen an die Nutztierhaltung auf der Höhe der Zeit sein.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Wie bewertet die Landesregierung mit Blick auf die Zukunft der Nutztierhaltung die Ankündigungen führender Handelsketten, das Angebot im Frischfleischsektor perspektivisch schrittweise auf die Haltungsstufen 3 und 4 umzustellen?
  2. Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus den Ankündigungen führender Handelsketten, das Angebot im Frischfleischsektor perspektivisch schrittweise auf die Haltungsstufen 3 und 4 umzustellen?
  3. Wie beabsichtigt die Landesregierung, die Nutztierhalterinnen und -halter in NRW bei der Umstellung zu unterstützen, u. a. vor dem Hintergrund der genehmigungsrechtlichen und finanziellen Anforderungen eines Stallum- bzw. -neubaus?
  4. Inwiefern ist der „Stall der Zukunft“ auf Haus Düsse tatsächlich noch ein „Stall der Zukunft“ und ein Beispiel für „zukunftsweisende Handlungskonzepte“ in der Schweinemast?
  5. Inwiefern beabsichtigt die Landesregierung, auch seitens der Politik für die Landwirtschaft wegweisende Impulse zu setzen, bei gleichzeitiger Gewährleistung von Planungssicherheit?

 

1 https://www.topagrar.com/schwein/news/aldi-erklaert-umstieg-auf-haltungsformen-3-und-4-12601976.html?utm_campaign=related&utm_source=topagrar&utm_medium=referral;  https://www.aldi-sued.de/de/nachhaltigkeit/lieferkette/produktionsstandards/tierwohl/haltungsform.html.

2 https://www.topagrar.com/schwein/news/aldi-erklaert-umstieg-auf-haltungsformen-3-und-4-12601976.html?utm_campaign=related&utm_source=topagrar&utm_medium=referral.

3 https://www.merkur.de/wirtschaft/aldi-will-billigfleisch-verbannen-umstellung-bis-2030-zr-90824270.html.

4 https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/kloeckner-warnt-aldi-beim-tierwohl-vor-einem-pr-gag-12618285.html?utm_source=Maileon&utm_medium=email&utm_campaign=2021-07-05+top+agrar+NEWS+Montag&utm_content=https%3A%2F%2Fwww.topagrar.com%2Fmanagement-und-politik%2Fnews%2Fkloeckner-warnt-aldi-beim-tierwohl-vor-einem-pr-gag-12618285.html.

5 https://www.landwirtschaftskammer.de/duesse/tierhaltung/schweine/aktuelles/stall-der-zukunft/index.htm.