Tierschutz ernstnehmen – CO2-Betäubung bei Schlachtschweinen endlich beenden!

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Norwich Rüße

I.        Tierleid muss aufhören
Nordrhein-Westfalen ist ein regionaler Schwerpunkt der Schweinehaltung und -schlachtung in Deutschland und Europa. Wöchentlich werden allein hier ca. 400.000 Schweine geschlachtet, jährlich über 18 Millionen (https://www.it.nrw/im-mai-wurden-nrw-zwoelf-prozent-weniger-schweine-geschlachtet-als-im-april-100097). Der überwiegende Teil dieser Tiere wird in wenigen Großschlachtereien geschlachtet. Insbesondere diese Schlachthöfe sind im Rahmen der Corona-Krise erneut durch massive Verstöße gegen den Arbeitsschutz, aber auch durch teilweise völlig inakzeptable Arbeits- und Wohnbedingungen aufgefallen. Aus tierschutzfachlicher Sicht sind die dort etablierte Akkordarbeit und die rationalisierten Arbeitsmethoden ebenfalls problematisch, weil es immer wieder zu tierschutzrechtlichen Verstößen, insbesondere bei der Betäubung, kommt.
Auch die am häufigsten eingesetzte Betäubungsmethode bei der Schlachtung von Schweinen, ist aus tierschutzfachlicher Sicht sehr problematisch: die Betäubung unter Einsatz von Kohlendioxid (CO2). Die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4242 (Drs. 17/10739) belegt, dass insbesondere die sechs großen Schlachtbetriebe in NRW Schweine mittels CO2 betäuben. Dabei handelt es sich um Betriebe mit einer jährlichen Schlachtkapazität von 405.600 bis 7.280.000 Schweinen. Dadurch, dass die großen Schlachthöfe einen Großteil der Schweineschlachtungen in NRW auf sich vereinen und dort dieses Betäubungsverfahren eingesetzt wird, werden jährlich etwa 16 Millionen Schweine in NRW mit Kohlendioxid betäubt. Dies entspricht einem Anteil von fast 90 Prozent an allen Schlachtungen. Insofern haben etwaige Funktionsdefizite bei der CO2-Betäubung tierschutzrechtlich erhebliche Auswirkungen.
Bei der Betäubung mit Kohlendioxid werden die Schweine in Metallgondeln getrieben, die anschließend in eine Grube mit einer hohen CO2-Konzentration abgesenkt werden. Die Schweine atmen dort das CO2 ein. Dies führt zu einer Senkung des Blut-pH-Wertes, einer Übersäuerung des Blutes und einer Ansäuerung der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit des zentralen Nervensystems. Die Weiterleitung von Nervenimpulsen wird verringert. Schließlich werden die Tiere bewusstlos. Die Tiere verlieren ihr Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögen allerdings erst nach einer sogenannten „Einleitungsphase“ von zehn bis dreißig Sekunden. In dieser Zeit verbindet sich das CO2 über die Feuchtigkeit mit den Schleimhäuten der Atemwege zu Kohlensäure (H2CO3), was eine starke Reizung der Schleimhäute erzeugt. Zusätzlich führt die durch das CO2 verursachte Übersäuerung des
Blutes zu einer Stimulierung des Atemzentrums im Gehirn und verursacht eine reflektorische Steigerung der Atemfrequenz der Tiere. Dies führt schließlich zu Hyperventilation, Atemnot und einem Erstickungsgefühl bei den Tieren. Beides äußert sich vor Eintritt der Bewusstlosigkeit in deutlichen Abwehrreaktionen der Schweine in Form von Lautäußerungen, Zurückdrängen, Kopfschütteln, Maulatmung, Sprüngen in die Luft und Fluchtversuchen.
Gemäß den geltenden tierschutzrechtlichen Vorgaben wie dem Tierschutzgesetz oder auch der Tierschutzschlachtverordnung dürfen Tiere nur unter Vermeidung von Schmerzen oder Leiden getötet werden. Somit müssen Tiere zur Schlachtung in einen bis zum Tod anhaltenden Zustand der Empfindungs- und Wahrnehmungslosigkeit versetzt und von jedweden vermeidbaren Schmerzen, Stress und Leiden verschont werden. Bei der CO2-Betäubung kann der Verlust des Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögens bis zu 30 Sekunden dauern. Untersuchungen im Rahmen eines BMEL-Forschungsauftrages in 35 Betrieben haben ergeben, dass nach dem Verlassen der CO2-Anlage 12 Prozent der Tiere unzureichend betäubt waren.
Aus tierschutzfachlicher Sicht ist die Betäubung mittels Kohlendioxid wegen der in der Anfangsphase der Betäubung auftretenden Wirkungen abzulehnen. Darüber hinaus besteht auch die tierschutzrechtliche Problematik, dass bei dieser Betäubungsmethode bei größeren Tiergruppen der zwischen Betäubung und Tötung vorgesehene maximale Zeitraum von 20 Sekunden nicht eingehalten werden kann. Auch die Landesregierung kommt in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zu dem Schluss, dass der Elektrobetäubung aus Tierschutzsicht Vorzug einzuräumen wäre. Die Elektrobetäubung kommt derzeit vor allem in kleinen und mittelgroßen Landschlachtereien, aber teilweise auch in großen Schlachthöfen zum Einsatz. Sie wirkt – bei korrekter Anwendung – sofort beim Ansetzen der Betäubungselektroden. Diese Methode ist jedoch mit den enormen Schlachtzahlen in den nordrhein-westfälischen Großbetrieben kaum vereinbar. Andererseits sind mit Blick auf regionale Vermarktung und Arbeitsbedingungen dezentrale Strukturen anzustreben. Ebenso ist ein resilientes Netz an mittelgroßen Schlachthöfen, insbesondere mit Blick auf die Tierseuchenproblematik, wünschenswert. Daher braucht es Alternativen und neue Ansätze, die darauf hinwirken, dass diese Arbeit in sämtlichen Schlachtstätten entschleunigt und, unabhängig von der Art der Betäubungsmethode, mit der tierschutzrechtlich gebotenen Sorgfalt ausgeführt wird.
II.       Alternativen prüfen und voranbringen
Bereits vor der Zulassung der Betäubungsmethode mit CO2 lagen wissenschaftliche Erkenntnisse darüber vor, dass die CO2-Begasung bei den Tieren Erstickungsangst und Panikreaktionen auslöst und darüber hinaus zu schmerzhaften Schleimhautreizungen führt. Die Zulassung erfolgte allein aus wirtschaftlichen Gründen, da dieses Verfahren den Großschlachtbetrieben das weitere Wachstum ermöglichte.
Gemäß Art.20a GG ist der Tierschutz erklärtes Staatsziel. Zur Erfüllung dieses Ziels gebietet es sich, bereits bestehende Gesetze so auszulegen und anzuwenden, dass der Schutz der Tiere bestmöglich verwirklicht wird. Das damit verbundene Optimierungsgebot schließt auch eine permanente staatliche Nachbesserungspflicht mit ein. Dementsprechend sind Genehmigungen, wie die der CO2-Betäubungsmethode den bestehenden Tierschutznormen und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Leidensfähigkeit der Tiere anzupassen.
Auch den Wandel der gesellschaftlichen Sensibilität und der ethischen Standards gilt es hier zu berücksichtigen. Dies ist auch deshalb wichtig, weil die gesellschaftlichen Erwartungen einen Kompromiss zulasten des Tierschutzes mittlerweile als inakzeptabel einstufen und eine nicht tierschutzkonforme Schlachtung den Ruf der gesamten Wertschöpfungskette und so auch der landwirtschaftlichen Tierhaltung massiv gefährdet.
Die Landesregierung ist daher gefordert, ein Verbot des Betäubungsverfahrens gemäß Anhang I Kap. I EU-Tierschlacht-VO zu prüfen, denn es ist äußerst fraglich, ob das Gebot der größtmöglichen Schmerz-, Leidens- und Stressvermeidung nach Art. 3 Abs.1 mit der CO2-Betäubung erfüllt wird.
Sollte sich bestätigen, dass die CO2-Betäubung nicht tierschutzkonform ist, könnte die Landesregierung die Bundesregierung bitten, auf EU-Ebene entsprechend tätig zu werden. Denn in Art. 26, Absatz 3 heißt es: „Hält ein Mitgliedstaat es auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse für erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen in Bezug auf die Betäubungsverfahren gemäß Anhang I ein umfassenderer Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung sichergestellt werden soll, so setzt er die Kommission über die vorgesehenen Maßnahmen in Kenntnis. (…) Innerhalb eines Monats ab ihrer Unterrichtung muss die Kommission den in Artikel 25 Absatz 1 genannten Ausschuss mit dieser Frage befassen und die betreffenden nationalen Maßnahmen auf der Grundlage eines Gutachtens der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und gemäß dem Verfahren des Artikels 25 Absatz 2 genehmigen oder ablehnen.“
Dieser Absatz der EU-Tierschlacht-VO bietet den Mitgliedsstaaten und somit auch der Landes- und Bundesregierung die Möglichkeit, aktiv gegen die praktizierte CO2-Betäubung vorzugehen.
Aus mehreren Studien (https://docplayer.org/20932901-Kohlendioxid-betaeubung-beim-schwein-gibt-es-eine-tierschutzgerechtere.html) ist bekannt, dass es tierschutzgerechtere Gasbetäubungsverfahren, etwa mit Argon oder Helium, gibt. Bislang haben diese Erkenntnisse jedoch keinen Eingang in die Praxis der Routineschlachtungen gefunden. Ein Grund für den langsamen Fortschritt sind möglicherweise die höheren Kosten und der deswegen fehlende Wille der Branche, im Interesse des Tierschutzes entsprechende Veränderungen vorzunehmen. Aufgrund dieser ökonomisch bedingt fehlenden Optimierung der CO2-Betäubung wird nicht nur praktiziertes Tierleid geduldet. Gleichzeitig führt dies – neben anderen Faktoren – auch dazu, dass mittels einer extrem kostengünstigen, aber tierschutzmäßig sehr zweifelhaften Betäubungsmethode die Großschlachthöfe sehr preiswert schlachten und so kleinere, mittelständische Schlachtbetriebe verdrängen.
Neben der nicht tierschutzgerechten CO2-Betäubungsmethode, zeigt sich insgesamt, dass tierschutzrechtliche Probleme auf Schlachthöfen vor allem dann auftreten, wenn die Arbeiten unter Akkorddruck und eben nicht mit der notwendigen Ruhe durchgeführt werden. Dann fehlt die Zeit, den Zutrieb der Tiere möglichst ruhig zu gestalten und auch den Entblutungsstich so gewissenhaft zu setzen, dass er zu 100 Prozent zum raschen Tod des Tieres führt. Auch eine Vorgabe der maximalen Produktionsgeschwindigkeit in den sensiblen Bereichen Zutrieb, Betäubung und Tötung in den Schlachtbetrieben wäre hier eine Möglichkeit, Arbeitsstress als eine wesentliche Ursache von Fehlern in der Schlachtung zu eliminieren.
III.      Der Landtag stellt fest:
·                Die Betäubung von Schlachtschweinen mit CO2 ist aufgrund der bis zu 30 Sekunden andauernden Schmerzen und Erstickungskämpfe der Tiere in der sogenannten Einleitungsphase abzulehnen.
·                Das Instrument der CO2-Betäubung wird beinahe ausschließlich von Großschlachtbetrieben angewandt, was dazu führt, dass der weitaus überwiegende Teil der jährlich in NRW getöteten Schweine auf diese Weise unter tierschutzrechtlich äußerst fragwürdigen Bedingungen betäubt wird.
·                Die in den Schlachtbetrieben in den Bereichen Zutrieb, Betäubung und Tötung etablierte Akkordarbeit führt – auch im Zusammenhang mit der CO2-Betäubung – dazu, dass es immer wieder zu tierschutzrelevanten Verstößen bei der Schlachtung kommt.
IV.     Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
1.         Zu prüfen, ob die derzeitige Methode der CO2-Betäubung entsprechend Art. 3 Abs. 1 der EU-TierschlachtVO und in Verbindung mit Art. 20a GG zu untersagen ist, da andere Betäubungsmethoden rascher wirken und deshalb für die Tiere deutlich weniger schmerzhaft sind.
2.         Mit Verweis Artikel 26 Abs. 3 der EU-Tierschlacht-VO über den Bundesrat die Bundesregierung dazu aufzufordern, gegenüber der EU-Kommission aktiv zu werden, so dass der Einsatz der CO2-Betäubung bei Schlachttieren vor dem Hintergrund tierschutzrechtlicher Kritikpunkt gutachterlich überprüft wird. Ziel muss ein Verbot dieser Betäubungsmethode gemäß EU-Tierschlacht-VO sein.
3.         Zu prüfen, ob ein Unternehmen rechtswidrig handelt, wenn es ein Verfahren einsetzt, das zwar in Anh.1 Kap.1 der EU-TierschlachtVO genannt ist, aber bei den Tieren mehr Schmerzen, Leiden und/ oder Stress erzeugt, als dies nach dem aktuellen Wissenstand notwendig bzw. bei anderen Betäubungsmethoden der Fall ist.
4.         Sich auf Bundesebene für ein Verbot der Betäubung mittels des Einsatzes von reinem CO2 bei Schlachttieren mit einer Übergangsfrist von drei Jahren einzusetzen.
5.         Sich für eine konsequentere Erforschung wie auch raschere Implementierung weiterer alternativer tierschutzgerechter Betäubungsmethoden in der Praxis einzusetzen.
6.         Eine maximale Produktionsgeschwindigkeit in den Bereichen Zutrieb, Betäubung und Tötung in einem Schlachtbetrieb betriebsindividuell festzulegen, um die maximale Wahrung des Tierschutzes in diesen sensiblen Bereichen zu gewährleisten.