Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen zukunftsfähig und inklusiv aufstellen

Antrag der Fraktionen von CDU und Grünen im Landtag

Portrait Dennis Sonne

I. Ausgangslage

Der Teilhabebericht NRW 2025 hat erneut ein sehr differenziertes Bild in Bezug auf die Teil­habe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben gezeichnet. Die Quote der Menschen mit Beeinträchtigungen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, ist mit 53 Prozent nach wie vor deutlich geringer als bei Menschen ohne Beeinträchtigungen (76 Prozent). Positiv ist dabei, dass der Anteil erwerbstätiger Menschen mit Beeinträchtigungen in NRW über dem Bundes­durchschnitt liegt (48 Prozent) und sich die Zahl der Beschäftigten mit einer Behinderung seit 2017 um 7 Prozent erhöht hat. Im Berichtsjahr 2023 waren immerhin 270.071 Menschen mit Behinderungen beziehungsweise diesen gleichgestellten Personen bei anzeigepflichtigen Ar­beitgebern beschäftigt. Hierzu sind auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behin­derungen bei nicht beschäftigungspflichtigen Arbeitgebern – also Betrieben mit weniger als 20 Arbeitsplätzen – einzubeziehen. Nach der letzten Erhebung von 2020 waren dies knapp 50.000 Personen. Auch bei den Betrieben, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen, liegt die Entwicklung in NRW über dem Bundesdurchschnitt. Die verpflichtende Beschäfti­gungsquote von 5 Prozent wird in NRW insgesamt seit Jahren verlässlich erfüllt. Trotzdem entspricht die Erfüllungsquote in der Privatwirtschaft noch nicht voll den gesetzlichen Vorga­ben und die Mindestquote kann grundsätzlich nur einen Minimalstandard abbilden.

Trotz dieser verhalten positiven Entwicklungen bleibt der erste Arbeitsmarkt vielen Menschen mit Behinderungen verschlossen. Auch die Arbeitsuche dauert für sie nach den Erkenntnissen aus dem Teilhabebericht NRW 2025 deutlich länger als für Menschen ohne Beeinträchtigun­gen.

Damit haben die Inklusionsbetriebe und Werkstätten nach wie vor eine zentrale Bedeutung für die Umsetzung des Anspruchs auf Teilhabe am Arbeitsleben. Erfreulicherweise ist die Anzahl der Inklusionsbetriebe und der dort beschäftigten Menschen ausweislich des Teilhabeberichts 2025 im Zeitraum bis 2020 leicht und ebenfalls oberhalb des Bundesdurchschnitts angestie­gen.

Allerdings ist ihr Anteil an der Gewährleistung von Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen nach wie vor gering und deutlich ausbaufähig: Im Jahr 2020 waren in Nord­rhein-Westfalen rund 4.250 Personen außerhalb der Werkstätten beschäftigt, gegenüber knapp 73.000 Beschäftigten in den Arbeitsbereichen der Werkstätten im Jahr 2021.

Der Teilhabebericht NRW 2025 macht deutlich, dass die Werkstätten für Menschen mit Behin­derungen weiterhin die größte Bedeutung bei der Gewährleistung von Teilhabe an Arbeit für voll erwerbsgeminderte Menschen haben. Dabei kann sich NRW mit den 106 Werkstätten und ihren Nebenstandorten auf eine landesweit gut ausgebaute und bewährte Struktur verlassen. Sie ist in NRW ein verlässlicher Garant dafür, dass vielen Menschen mit Behinderungen eine Teilhabe an Arbeit ermöglicht wird und gerade in NRW dieser Weg auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf offensteht (der sogenannte „NRW-Weg“).

Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass auch das System der Werkstätten einer Prüfung und Weiterentwicklung bedarf. Dabei sind die Interessen der Menschen mit Behinderungen nach einer möglichst selbstbestimmten und mit Wertschätzung der eigenen Tätigkeit verbundenen Teilhabe an Arbeit ebenso zu berücksichtigen wie die aktuellen personellen und finanziellen Rahmenbedingungen. Zwar sind nach einer aktuellen Statistik von IT.NRW1 die Aufwände der Leistungsträger für den Bereich der Werkstätten mit 2,2 Prozent von 2023 bis 2024 deutlich geringer angewachsen als die Kosten der Eingliederungshilfe insgesamt. Angesichts der in­zwischen auf 7,2 Milliarden Euro angestiegenen Gesamtausgaben (Anteil Werkstätten 1,59 Milliarden Euro) ist jedenfalls die finanzielle Belastung der kommunalen Aufgabenträger be­reits heute mehr als herausfordernd.

Leider hat der von der Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode eingeleitete Reform­prozess zur Zukunft der Werkstätten bisher keine Ergebnisse gebracht. Wenn der Bund hier Verbesserungen vor allem im Entgeltbereich umsetzen will, ist das aus Sicht der Menschen mit Behinderungen zu begrüßen. Die finanzielle Verantwortung muss dann aber auch auf Bun­desebene liegen.

Im Hinblick auf die Zukunft der Teilhabe an Arbeit wäre vor allem eine stärkere Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf den ersten Arbeitsmarkt wünschenswert. In Zeiten eines zunehmenden Fachkräftemangels muss dies auch ein dringendes Anliegen der Unternehmen sein, denn etwa die Hälfte der arbeitslosen Menschen mit Behinderung haben eine abge­schlossene berufliche oder akademische Ausbildung.

Das Erfordernis der besseren Inklusion im ersten Arbeitsmarkt hat auch die Selbsthilfe immer wieder, unter anderem durch einen gemeinsamen Beschluss aus dem Jahr 20232, deutlich gemacht. Die Landesregierung hat hierzu mit der „Gemeinsamen Initiative zur Stärkung der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt Nordrhein-Westfalens“3 gemeinsam mit den Partnern der lan­desweiten Fachkräfteoffensive und Vertreterinnen und Vertretern des Unterstützungssystems bereits erste wichtige Impulse gesetzt. Es bedarf dabei aber weiterhin einer gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten, um Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt inklusiver zu ge­stalten und auch emotionale Barrieren auf allen Seiten abzubauen. Auch die Übergänge von der Schule in Werkstätten oder eben in den allgemeinen Arbeitsmarkt sollten ebenso wie die nach wie vor sehr geringen Übergangsquoten aus einer Werkstatt in eine sozialversicherungs­pflichtige Beschäftigung dringend nochmals auf Verbesserungspotential hin untersucht wer­den. Dass bundesweit jedoch lediglich bei 447 Beschäftigten ein Übergang gelang, was einer Vermittlungsquote von nur 0,35 Prozent entspricht4, ist nicht zufriedenstellend.

Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Beschäftigten in Werkstätten aus guten Gründen über eine umfassende soziale Absicherung verfügen – etwa durch besondere Regelungen im Rentenrecht und den Anspruch auf einen geschützten Arbeitsplatz in der Werkstatt. Eine sol­che Absicherung gibt es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht. Dort finden sich für Men­schen mit Behinderungen häufig nur Beschäftigungen im Niedriglohnbereich, wie auch der Teilhabebericht NRW 2025 zeigt. Den Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbes­sern und mehr Inklusion zu erreichen, bleibt daher eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe. In der laufenden Legislaturperiode hat die schwarz-grüne Landesregierung bereits einige Schritte unternommen, um den Menschen mit einer Behinderung Perspektiven auf dem allge­meinen Arbeitsmarkt zu bieten. Neben der „Gemeinsamen Initiative zur Stärkung der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt Nordrhein-Westfalens“ und der Stabsstelle Inklusion, die dafür sorgt, dass mindestens 5 Prozent der Neueinstellungen in den Landesdienst mit Menschen mit Be­hinderungen besetzt werden, hat die Landesregierung bereits sehr gute Initiativen für behin­derte Menschen umgesetzt.

Um mehr Menschen mit Behinderungen sozialversicherungspflichtig zu beschäftigen, setzen verschiedene Projekte darauf, dass diese Menschen die notwendige Unterstützung bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz erhalten. In diesem Bereich unternimmt das Land NRW bereits erfolgreiche Maßnahmen, wie das Programm „KAoA-STAR“ (Schule trifft Arbeitswelt). Dieses ist ein integraler Bestandteil der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA), die darauf abzielt, Schülerinnen und Schüler systematisch auf den Übergang von der Schule in den Beruf vorzubereiten. Die Initiative richtet sich an Jugendliche mit Behinderungen oder sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf. Auch die theorieredu­zierte Ausbildung, die sogenannte Fachpraktikerausbildung, ist ein wichtiges Mittel, um behin­derten Menschen den Weg in eine Ausbildung zu ermöglichen.

Hier ist auch die Aktion „100 zusätzliche Ausbildungsplätze für Jugendliche und junge Erwach­sene mit Behinderungen in Nordrhein-Westfalen“ zu erwähnen, mit der Ausbildung suchenden jungen Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen seit Januar 2007 neue Wege zur be­trieblichen Ausbildung eröffnet werden. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen fördert die Aktion mit Mitteln des Landes und des Europäi­schen Sozialfonds (ESF), die durch Fördermittel der Regionaldirektion NRW der Bundesagen­tur für Arbeit ergänzt werden.

Ein wichtiges Instrument zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Be­hinderungen, die (noch) nicht (wieder) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß fassen können, sind Inklusionsprojekte. Sie sind bereits Bestandteil des allgemeinen Arbeitsmarktes und be­schäftigen in ihrer Belegschaft mindestens 30 – 50 Prozent der besonderen Zielgruppe. Einer­seits beschäftigen sie die Menschen bereits im allgemeinen Arbeitsmarkt, andererseits aber unterstützen sie diese Menschen auch sehr individuell durch Maßnahmen zur Weiterentwick­lung ihrer beruflichen Kompetenzen. Insofern haben die Inklusionsbetriebe auch eine wichtige (Brücken-) Funktion für Menschen mit Behinderungen.

In den vergangenen Jahren seit 2007 hat das Land den Aufbau von Arbeitsplätzen in Inklusionsprojekten initial durch investive Förderung unterstützt. Diese Förderung kann allerdings auch aus Mitteln der Ausgleichsabgabe geleistet werden und die Landschaftsverbände haben dies in der Vergangenheit bereits getan. Dennoch werden in den kommenden beiden Jahren durch die Landesregierung 1,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die Teilhabe am Ar­beitsleben zu fördern und gezielt dort anzusetzen, wo wir Nordrhein-Westfalen noch zukunfts­fähiger und inklusiver gestalten können.

Im Jahr 2011 startete der Bund aus Mitteln der Ausgleichsabgabe („Ausgleichsfonds“) die „Inklusionsinitiative für Ausbildung und Beschäftigung“, um einen inklusiven Arbeitsmarkt zu fördern.5 Über die sogenannte Inklusionsinitiative II („AlleImBetrieb“) von 2016 hat NRW ca. 34,25 Millionen Euro erhalten, die durch die Inklusionsämter für die Förderung von Inklusions-betrieben genutzt werden konnten und können.6

Diese Bemühungen gilt es weiterzuentwickeln und vor allem um Konzepte zur Stärkung der Inklusionsunternehmen zu ergänzen. Auch die Landesarbeitsgemeinschaft der Inklusionsfirmen (lag if) ist Partnerin der oben genannten gemeinsamen Initiative und fungiert als inspirie­rendes Beispiel sowie als kompetente Beraterin in Fragen der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen.

Diese verschiedenen Ansätze sollten vor dem Hintergrund der Ergebnisse des NRW-Teilhabeberichts bewertet werden, um unter Nutzung der verschiedenen Instrumente und Berücksich­tigung der unterschiedlichen Lebenslagen die Rahmenbedingungen für die Teilhabe an Arbeit für Menschen mit Behinderung in NRW weiter zu verbessern. Dabei sollten die Themen Wei­terentwicklung der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Stärkung der Inklusionsunternehmen und Verbesserung der Inklusion im ersten Arbeitsmarkt gemeinsam betrachtet und möglichst optimal in einem Gesamtkonzept vernetzt werden. Damit ein solches Konzept mög­lichst breit getragen wird, sollte es partizipativ – vor allem unter Einbindung der Selbsthilfe – erarbeitet werden.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest,

  • dass Menschen mit Behinderungen das gleiche Recht haben, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen wie Menschen ohne Behinderungen
  • dass Teilhabe an Arbeit für Menschen mit Behinderungen eine Grundvoraussetzung zur gesellschaftlichen Teilhabe ist.
  • dass es einer gemeinsamen Anstrengung aller Akteure bedarf, um mehr Beschäfti­gungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Hierzu sind sowohl die inklusivere Gestaltung von Arbeitsplätzen wie auch der Abbau von Informationsdefiziten und wechselseitigen Vorbehalten erforderlich. Die durch die Landesregierung und die Partner begonnene „Gemeinsame Initiative zur Stär­kung der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt Nordrhein-Westfalens“ kann hier wichtige Bei­träge leisten.
  • dass Werkstätten für Menschen mit Behinderungen in NRW einen verlässlichen und zentralen Beitrag zur Verwirklichung einer Teilhabe an Arbeit leisten, auf den auch in Zukunft nicht verzichtet werden kann.
  • die Übergangsquote von Menschen mit Behinderungen auf den regulären Arbeitsmarkt aber zu gering ist. Um den Zugang für Werkstattberechtigte auf den allgemeinen Arbeits­markt zu verbessern, es eines unter Einbeziehung der Menschen mit Behinderung erar­beiteten Gesamtkonzepts bedarf, das sowohl Fragen der Übergangsmöglichkeiten wie auch der sozialen Absicherung betrachtet, ohne eine Verwerfung zu anderen Personen im unteren Einkommenssektor bzw. strukturelle Bevorzugung von Menschen mit Behin­derung vorzusehen.
  • dass betriebsintegrierte Außenarbeitsplätze für Unternehmen und Beschäftigte ein Ge­winn sind, dass das Ziel aber immer die Festanstellung des Beschäftigten in den jewei­ligen Betrieben sein muss.
  • dass die Bundesregierung in der Verantwortung steht, den Dialogprozess zur Verbesse­rung der Rahmenbedingungen für Werkstattbeschäftigte zielführend fortzusetzen und die dabei aus ihrer Sicht erforderlichen Verbesserungen verlässlich finanzieren muss.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung im Rahmen vorhandener Mittel,

  • einen inklusiven Arbeitsmarkt zu gestalten und die Inklusionsbetriebe weiterzuentwi­ckeln sowie finanziell zu hinterlegen. Dabei soll die Weiterentwicklung des Budgets für Arbeit und Ausbildung auch als Form der Unterstützung für Inklusionsunternehmen die­nen.
  • die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen in Zusammenarbeit mit dem Bund weiterzuentwickeln, sodass sie ihrem Qualifizierungsauftrag stärker als bisher nachkom­men können, und eine faire Entlohnung für die Beschäftigten zu erreichen.
  • auf Landesebene unter enger Einbindung der Selbsthilfe ein Gesamtkonzept zu erarbei­ten, um Teilhabe an Arbeit an den verschiedenen Orten bestmöglich zu ermöglichen und dabei auch die Übergänge von behinderten Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu erleichtern und über den Um­setzungsstand zu berichten.
  • den sogenannten „NRW-Weg“, also die Beschäftigung von Menschen mit schweren und Mehrfachbehinderungen nach dem § 155 SGB IX, weiterhin aufrechtzuhalten und zu fördern.

 

1 IT.NRW (2025): NRW Ausgaben der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung um rund 13 % gestie­gen, https://www.it.nrw/nrw-ausgaben-der-eingliederungshilfe-fuer-menschen-mit-behinderung-um-rund-13-ge-stiegen-127739

2 https://www.sovd-nrw.de/fileadmin/landesverbaende/nrw/Offener_Brief_Abbau_Arbeitslosigkeit_behinder-ter_Menschen_NRW__003_.pdf

3 https://www.land.nrw/media/32011/download

4 Engels u.a., 2023, S.23

5 https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/UN_BRK/richtlinie_inklu-sion.pdf?__blob=publicationFile&v=2

6 Richtlinie vom 11.04.2016, BAnz AT 21.04.2016 B1