Technologische und soziale Innovationen zusammendenken – Social Entrepreneurship nachhaltig fördern und stärken

Antrag der GRÜNEN im Landtag

I. Ausgangslage:
Megatrends wie Klimawandel, demografischer Wandel oder Digitalisierung verändern unser Zusammenleben. Hergebrachte soziale Praktiken und gesellschaftliche Strukturen, die hel­fen, den Alltag zu bewältigen, werden vor neue Anforderungen gestellt und können diesen manchmal nicht vollumfänglich entsprechen.
Gerade die digitalen Innovationen haben in den vergangenen beiden Jahrzehnten unser Zusammenleben stark verändert. Smartphones, Social Media oder der Onlinehandel haben vieles verändert und neue gesellschaftliche Herausforderungen geschaffen. Der digitale Transformationsprozess unserer Gesellschaft wird aber weiter Fahrt aufnehmen. Künstliche Intelli­genz, Autonomes Fahren, das Internet der Dinge und dergleichen werden zukünftig unser Zu­sammenleben tiefgreifend verändern und neue Anforderungen an das soziale Miteinander und die Möglichkeiten der sozialen Teilhabe stellen.
Durch die mit der Corona-Pandemie verbundene Krise sind die Herausforderungen insbesondere für Digitalisierung und Innovation noch stärker ins öffentliche Bewusstsein getreten. Wie schnell und vielfältig innovative Ideen entstehen können, um die Folgen der Krise abzumil­dern, zeigt nicht zuletzt die enorme Beteiligung am Hackathon #WirVSVirus der Bundesregie­rung im März. Innerhalb von 48 Stunden haben 28.361 Menschen zusammen an über 1.500 Lösungen gearbeitet. 130 Projekte befinden sich derzeit in der Umsetzungsphase. Durch eine enge Zusammenarbeit von öffentlicher Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft sollen die Projekte schnell reifen und den Schritt vom Prototypen zum konkreten Produkt oder einer Dienstleistung machen. Klar ist, sie sollen schnell gesellschaftliche Wirkung entfalten und den Menschen dort helfen, wo sie am meisten gebraucht werden.
#WirVsVirus ist ein positives Beispiel für das Zusammenwirken von Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft für eine gemeinsame Entwicklung von Lösungen gesellschaftlicher Herausforderungen. Der Erfolg zeigt eindrücklich das Potenzial eines offenen sozialen Innovationsprozesses auf – ein inklusiver Beteiligungsprozess, um gesellschaftliche Herausforderungen mit neuen Lösungen anzugehen.
Sozialunternehmen bringen nicht nur technisch-digitale, sondern auch soziale Innovationen voran. Das macht Social Entrepreneurs zu relevanten Akteuren bei der Gestaltung einer sozial und ökologisch lebenswerten Zukunft.
Das enorme Potenzial von Social Entrepreneurship für die Lösung von aktuellen sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen wird mittlerweile auch in weiten Teilen der Politik erkannt und findet sich in verschiedenen Regierungsprogrammen wieder.
Die Bedeutung von Sozialunternehmen zeigt sich aber nicht nur in den Regierungsprogram­men. Auch eine Reihe wissenschaftlicher Studien aus den letzten Jahren belegt die soziale, gesellschaftliche und ökonomische Bedeutung sozialer Innovationen. So zeigt das GlobeScan-SustainAbility Survey 2019, dass Social Entrepreneurs neben Nichtregierungsorganisationen und den Vereinten Nationen einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung leisten. Eine KfW-Studie von Anfang 2019 zeigt das große Innovationspotenzial von Sozialunternehmen auf und das Netzwerk Ashoka veröffentlichte gemeinsam mit der Unternehmensberatung McKinsey eine Untersuchung, in der sie das enorme ökonomische Potenzial sozialer Innovationen darlegten.
Dabei waren bisher Sozialunternehmen als innovative Organisationen definitorisch schwer zu greifen. Das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND) hat in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Innovationsmanagement und Entrepreneurship der TU Berlin Ende 2019 eine Definition erarbeitet. Diese zeigt, dass sich Social Entrepreneurs über verschiedene Kriterien definieren lassen. Mit ihren Ideen und Ansätzen sind sie auf die Schaffung eines gesellschaftlichen Mehrwerts ausgerichtet, greifen dabei auf unternehmerische Mittel zurück und tragen damit zur Lösung eines klar benannten gesellschaftlichen Problems bei. Daraus entstehen soziale Innovationen. Gleichzeitig implementieren die Unternehmen Steuerungs- und Kontrollmechanismen, die dazu beitragen sollen, dass das primäre Unternehmensziel der gesellschaftlichen Wirkung stets im Vordergrund steht und nicht durch ökonomische Ziele verdrängt wird. Erzielte finanzielle Überschüsse werden demnach in die Verwirklichung und Ausweitung der gesellschaftlichen Wirkung des Organisationsziels reinvestiert. Damit verbinden sie Elemente von wohltätig ausgerichteten Organisationen und kommerziellen Unternehmen, was es für Social Entrepreneurs oft schwierig macht, die passende Rechtsform für das Unternehmen zu finden.
Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer sind ebenfalls mit der Herausforderung konfrontiert, ihre Geschäftsmodelle mit einem vorwiegend technologisch ausgerichteten Innovationsverständnis in Einklang zu bringen, von dem Politik und Förderprogramme nach wie vor geprägt sind.
Zwar können in Nordrhein-Westfalen auch Gründungsvorhaben von Sozialunternehmen zunächst über das Gründerstipendium eine Anschubfinanzierung in den ersten zwölf Monaten erhalten, doch ist der Zugang zu weiteren Finanzierungsquellen, auch über die NRW.Bank, oft stark beschränkt. Viele Förderprogramme auf Landes- oder Bundesebene sind auf die Anforderungen von schnell wachsenden Startups mit skalierbaren Geschäftsmodellen und technologischer Schwerpunktsetzung ausgerichtet. Dieses trifft auch für die Wagniskapitalprogramme der NRW.Bank zu. Verfügbare Darlehensprogramme der Landesbank sind grundsätzlich aufgrund der beschränkten Kapitaldienstfähigkeit durch die soziale Zielsetzung allenfalls für Sozialunternehmen mit potenziell wirtschaftlich tragfähigem Geschäftsmodell eine ergänzende Option.
Darüber hinaus besteht ein großer Bedarf an passgenauen Unterstützungsstrukturen. Diese können von den klassischen Anlaufstellen, wie den zum Beispiel den Kammern oder den kom­munalen Wirtschaftsförderungen, wie auch den eher auf allgemeine Gründungen ausgerich­teten Beraterinnen und Beratern gegenwärtig nicht gedeckt werden. Auch die sechs DWNRW-Hubs oder die Startercenter.NRW können diesen Anforderungen nur im einge-schränkten Maße entsprechen. Dabei haben solche Anlaufstellen für Sozialunternehmen eine besondere Bedeutung (u. a. zu rechtlichen Fragestellungen, Finanzierungsoptionen, Konkretisierung und Umsetzung der Geschäftsidee sowie Skalierung des Unternehmens).
Die „Neue Gründerzeit Nordrhein-Westfalen“ der schwarz-gelben Landesregierung zielt mit ihrer neunten Säule darauf ab, dass Nordrhein-Westfalen zum attraktivsten Standort für sozial oder ökologisch orientierte Gründerteams werden soll. Im Kern der dann vorgeschlagenen Initiativen und Maßnahmen geht es aber darum, das Thema Corporate Social Responsibility in jungen Unternehmen zu stärken. Damit wird der soziale und ökologische Mehrwert von so­zialen Innovationen und Sozialunternehmen zum Anhängsel von ökonomischen Interessen degradiert. Dabei ist es das Ziel von sozialen Innovationen, den sozialen und ökologischen Impact als zentrales Unternehmensziel zu setzen, mit dem man auch das Leben der Gründe­rinnen und Gründer und der Mitarbeitenden finanzieren kann.
Dass die schwarz-gelbe Landesregierung darüber hinaus keinen Handlungsbedarf sieht, belegt nicht nur der Koalitionsvertrag, in dem Sozialunternehmen, Social Entrepreneurs oder soziale Innovationen mit keinem Wort erwähnt werden. Aus der Antwort auf die Kleine Anfrage 2611 (Drucksache 17/6913) geht deutlich hervor, dass die Landesregierung ressortüber-greifend keinen spezifischen Handlungsbedarf sieht. Sie begründet ihre Zurückhaltung damit, dass es bereits ausreichend Beratungs- und Unterstützungsstrukturen sowie Förderprogram­me für Gründerinnen und Gründer gibt. Dass diese oftmals einen klaren Zuschnitt auf digitale Innovationen haben oder sich mit spezifischen Finanzierungs- und Rechtsfragen von Sozialunternehmen nicht auskennen, verkennt die Landesregierung dabei völlig.
Andere Bundesländer sind aktiver und schaffen attraktive Rahmenbedingungen für soziale Innovationen und Gründungsteams mit nachhaltigen Geschäftsideen. So wurde unter anderem in Schleswig-Holstein eine Bundesratsinitiative zum Thema nachrichtenlose Konten auf den Weg gebracht. Diese sollen für gemeinnützige Zwecke sowie Startups genutzt werden.
In Hessen wird im Koalitionsvertrag von Bündnis 90/Die Grünen und CDU festgestellt: „Eine wachsende Zahl von Unternehmen leistet als ‚Social Entrepreneurship‘ einen wichtigen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher oder ökologischer Probleme.“ Aus dieser Erkenntnis heraus hat das Land Hessen mit seinem Sozialinnovator-Programm als erstes Bundesland gemeinsam mit dem SEND ein auf Sozialunternehmen zugeschnittenes Förderprogramm entwickelt. Mittels dieses Programms sollen soziale Innovationen identifiziert und gezielt gefördert werden. Durch einen dezentralen Ansatz werden Sozialunternehmen über Projektpartner vor Ort identifiziert und ins Projekt aufgenommen. So konnten bereits im ersten Monat knapp 40 Gründerinnen und Gründer von diesem Programm profitieren.
II.     Der Landtag stellt fest:
1.    dass Sozialunternehmen und soziale Innovationen eine gewichtige Rolle im Umgang mit den aktuellen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen spielen und systemische Relevanz besitzen.
2.    dass es Gründerinnen und Gründer gibt, die dem sozialen und ökologischen Mehrwert eines Geschäftsmodells oder einer Dienstleistung einen mindestens gleichbedeutenden Stellenwert einräumen, wie dessen ökonomischer Tragfähigkeit.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
1. eine Strategie zur nachhaltigen Förderung sozialer Innovationen und zur stärkeren Sicht-barkeit von Sozialunternehmen zu entwickeln,
2.    die Kompetenzen für Social Entrepreneurship und soziale Innovationen zu bündeln und eine entsprechend zuständige Stelle in der Landesregierung zu schaffen,
3.    die bestehenden Gründungs- und Innovationsprogramme des Landes auf Sozialunter-nehmen auszuweiten und zu prüfen, inwieweit dies auch für die entsprechenden Pro-gramme der NRW.Bank ginge,
4.    einen landeseigenen Social Innovation Fund nach hessischem Vorbild aufzusetzen und mit entsprechenden Haushaltsmitteln zu hinterlegen,
5.    die Bundesratsinitiative der Landesregierung Schleswig-Holstein zu nachrichtenlosen Konten zu unterstützen,
6.    die Hub-Landschaft in Nordrhein-Westfalen zu erweitern und das Angebot um einen de-zentral organisierten Sustainability Hub zu erweitern, in dem nachhaltige Geschäftsmodel-le und Innovationen gefördert werden.