I. Ausgangslage
Deutschland ist das größte und wichtigste Transitland für Waren und Güter in Europa. Als Exportnation, aber auch als Knotenpunkt im Zentrum Europas, bildet der Gütertransport eine elementare Grundlage für unseren Wohlstand. Nordrhein-Westfalen hat als einer der größten und wichtigsten Wirtschaftsstandorte in Europa eine zentrale Funktion inne. Hunderttausende Fahrzeuge, mitunter auch Großraum- und Schwertransporte (GST), nutzen dafür täglich die Straßeninfrastruktur.
Darüber hinaus werden zur Umsetzung der Windenergie-an-Land-Strategie des Bundeswirtschaftsministeriums bis zu 30.000 GST pro Jahr erwartet, um zur Erreichung der energiepolitischen Ziele Deutschlands die Einzelteile von Windkraftanlagen (WEA) zum Aufstellort zu transportieren. Das immense Wachstum von Warenströmen in den letzten Jahrzehnten und auch der Bedarf an immer größeren und schwereren Ladegütern, wie beispielsweise Windkraftanlagen, fordert und überfordert in Verbindung mit der dauernd zunehmenden Transportleistung auf dem Verkehrsträger Straße unsere Verkehrsinfrastruktur. Insbesondere schwere Fahrzeuge beanspruchen die Straßen überdurchschnittlich und verursachen folglich Schäden.
Viele Straßen und Brücken sind nicht für die aktuellen und zu erwartenden Belastungen ausgelegt. Dies führt dazu, dass Brücken abgelastet und mitunter ganze Streckenabschnitte gesperrt werden müssen. Sowohl Individualverkehr als auch der Lastverkehr selbst müssen oftmals Einschränkungen, Umwege, Zeit und Kosten in Kauf nehmen. Die damit verbundenen Einschränkungen und Belastungen mindern in der Konsequenz unseren Wohlstand und belasten unsere Umwelt sowie das Klima.
Die mittlerweile erforderlichen Aufwendungen für den Erhalt und die Erneuerung der Straßeninfrastruktur belasten die öffentlichen Haushalte signifikant und gefährden die finanzielle Solidität.
Gemäß der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 29 Absatz 3 StVO (VwV-StVO) dürfen Transporte mit großen und schweren Gütern nur genehmigt werden, wenn der Verkehr nicht – wenigstens zum größten Teil der Strecke – auf der Schiene oder dem Wasser möglich ist oder wenn durch einen Verkehr auf dem Schienen- oder Wasserweg unzumutbare Mehrkosten (auch andere als die reinen Transportkosten) entstehen würden. Maßstab sollte dabei nicht die kostengünstige Lösung sein, sondern diejenige, die verkehrliche Gründe und den Klimaschutz angemessen berücksichtigt. Die sogenannte Zumutbarkeitsklausel in der VwV-StVO bedarf deshalb der Konkretisierung. In diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewirkt werden, dass die Prüfung der Zumutbarkeit intensiviert wird.
Binnenschiffe und Eisenbahnwaggons sind beispielsweise aufgrund ihrer Abmessungen für schwere und/oder großvolumige Gütertransporte vor allem im Hauptlauf prädestiniert. Unter Berücksichtigung, dass sowohl auf der Wasserstraße als auch auf der Schiene gleichzeitig mehrere Lkw-Schwergutladungen transportiert werden können, wird deutlich, dass bei diesen Verkehrsträgern ein deutlich niedrigerer CO2-Ausstoß und geringerer Energiebedarf zu erwarten ist und dadurch die Umweltbelastungen verringert werden sowie Transportkosten reduziert werden können.
Eine vermehrte Nutzung der Wasserstraße und Schiene führt letztlich dazu, dass die Straßeninfrastruktur – und in besonderem Maße die Brücken – entlastet und geschont, Staus vermieden sowie Personal und Ressourcen durch die aufwendige Begleitung von Schwerlasttransporten eingespart werden können. Zudem können die Transporte auf der Schiene und Wasserstraße genehmigungsfrei abgewickelt werden, wodurch die Behörden entlastet werden. Ferner kann durch eine vermehrte Verlagerung des GST-Verkehrs dem Parkplatzmangel aktiv entgegengewirkt werden.
Zudem mangelt es an der Erhebung von gesicherten Daten zu GST. Aktuell kann ein einmalig genehmigter Transport mit einer Kurzzeiterlaubnis für einen Zeitraum von drei Monaten beliebig oft die beantragte Strecke befahren. Ein Problem, das bereits 2016 durch den Bundesrechnungshof bemängelt wurde. Die Arbeitsgruppe des BMDV schlug daraufhin vor, genehmigungspflichtige Transporte in VEMAGS an- und abzumelden.
Es ist zu begrüßen, dass Bund und Länder sich verstärkt mit dem Thema auseinandersetzen. Das Bundesverkehrsministerium hat für Großraum- und Schwerlasttransporte geeignete Umschlagspunkte in den Häfen erfasst und über sein Online-Portal ELWIS veröffentlicht. Weiter fördert es die Einrichtung von regelmäßigen Liniendienste für GST auf der Wasserstraße. Die Verkehrsministerkonferenz hat im Oktober 2023 einen Beschluss zur Thematik gefasst. Sie befürwortet die Entwicklung von Mikrokorridoren anhand von Beispielprojekten zur Etablierung möglicher Linienverkehr zu den Häfen Deutschlands. Nordrhein-Westfalen soll dies modellhaft entwickeln.
Transporte, die auf die Schiene oder die Wasserstraße verlagert werden können, müssen zur Entlastung der Straßeninfrastruktur konsequent auf diese Verkehrsträger verlagert werden.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Großraum- und Schwerlastverkehre verursachen weitreichende negative Folgen auf Straßen, wenn diese nicht für diese Nutzung geeignet sind.
- Die Vorreiter-Rolle Nordrhein-Westfalens bei der Erarbeitung von Mikrokorridoren für GST stärkt den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen.
- Es sind konkrete Kriterien in der VwV zu § 29 (3) StVO festzulegen, die eine Zumutbarkeitsprüfung aus verkehrs-, wirtschafts- und umweltpolitischer Sicht im Genehmigungsverfahren für GST ermöglichen.
- Die den Unternehmen und den Behörden vorliegenden Informationen über die Infrastruktur von Transportrouten und die Möglichkeiten des Transports auf der Wasserstraße und der Schiene sind nicht ausreichend bekannt.
- Die Stärkung multimodaler Transportketten der drei Verkehrsträger Wasserstraße, Schiene und Straße hat positive Effekte für unsere Infrastruktur und für die gesamte Gesellschaft.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung im Rahmen vorhandener Mittel,
- zu prüfen, wie die Anreizstruktur für GST auf der Wasserstraße und Schiene erhöht werden kann,
- sich innerhalb Nordrhein-Westfalens, beim Bund und in Europa weiterhin für eine zügige Umsetzung der in der Arbeitsgruppe „Verlagerung von Großraum- und Schwerlasttransporten von der Straße auf den Wasserweg und Schiene“ empfohlenen Maßnahmen einzusetzen,
- zusammen mit Bund, Ländern und Kommunen auf die Entwicklung, Festlegung und dauerhafte bauliche Ertüchtigung von GST-Mikrokorridoren von Häfen und Güterbahnhöfen zum übergeordneten Straßennetz und von dort zu wichtigen GST-Zielen beziehungsweise GST-Zielregionen (für beispielsweise Windenergieanlagen) hinzuwirken,
- ein praxistaugliches und kostentransparentes Konzept als „Blaupause“ für die Verlagerung von Großraum- und Schwerlasttransporten von der Straße auf den Wasserweg und Schiene zu entwickeln,
- sich beim Bund für eine Förderung erforderlicher Infrastrukturen für den GST-Umschlag in Häfen und Güterbahnhöfen einzusetzen, um die energiepolitischen Ziele Deutschlands zu erreichen,
- auf eine Anwendung der VwV zu § 29 (3) StVO hinsichtlich der Verlagerung auf alternative Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße hinzuwirken sowie die beteiligten Behörden und Unternehmen für dieses Thema zu sensibilisieren bzw. zu unterstützen,
- konkrete Kriterien im Rahmen der sogenannten Zumutbarkeitsklausel zu entwickeln, die verkehrs-, wirtschafts- und umweltpolitischen Zielen entsprechen,
- sich dafür einzusetzen, dass VEMAGS zu einer mit Geoinformationen versehenen digitalen Plattform für Planung, Beantragung und Genehmigung weiterentwickelt wird, die sowohl für Behörden wie auch Unternehmen nutzbar ist,
- sich beim Bund dafür einzusetzen, dass an den zeitlich festgelegten Zielen bei der Einbindung von Wasserstraßen- und Hafeninformationen und den gebrochenen Verkehr in das Antragsverfahren VEMAGS festgehalten wird,
- darauf zu drängen, schienenbezogene Daten zukünftig in das Antragsverfahren VEMAGS einzubeziehen und es damit den Transportfirmen deutlich zu erleichtern, GST-Verkehre auch über die Schiene abzuwickeln,
- zu prüfen, welche Möglichkeiten zur verkehrlichen Überwachung des GST-Verkehrs wie z. B. Geotracking, inklusive statistischer Auswertung sowie Datenaustausch möglich sind,
- sich bei einem positiven Ergebnis dieser Prüfung im Bundesrat für einen bundesweit einheitlichen Datenaustausch der Behörden sowie ein einheitliches Kontrollsystem einzusetzen,
- sich beim Bund dafür einzusetzen, dass verstärkt die Möglichkeiten geprüft werden, temporäre Ausfahrten von Autobahnen für GST zu ermöglichen,
- unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände zu prüfen, ob bzw. inwieweit die Erlaubnis- und Genehmigungsverfahren in Nordrhein-Westfalen verbessert werden können, beispielsweise durch eine Zentralisierung.
- sich dafür einzusetzen, dass es mehr Flexibilität beim Einsatz von Fahrzeugen gibt.