Städte und Gemeinden in der Pandemie nicht im Regen stehen lassen – Kommunen schnell, planbar und verlässlich durch die Krise helfen

Mehrdad Mostofizadeh

I. Ausgangslage

Seit einem Jahr bestimmt die Corona-Krise unser soziales, wirtschaftliches und politisches Leben. Trotz inzwischen vorhandener Impfstoffe, PCR- und Schnelltests und medizinischer Masken ist ein Ende der Pandemie zumindest kurzfristig nicht abzusehen. Die Herausforde­rungen, denen sich unser Staat und Gemeinwesen auf allen Ebenen – von Brüssel bis in die Rathäuser unserer Städte und Gemeinden – stellen müssen, wachsen mit jedem Tag. Die noch immer nicht gelösten Probleme bei der schleppenden Umsetzung einer flächendecken­den Impf- und Teststrategie machen deutlich, dass diese Krise ohne einen handlungsfähigen Staat, der beherzt und zielgerichtet agiert, nicht zu meistern ist.

Das Fundament unseres föderalen Staates sind unsere Gemeinden. Sie sind es, die die Krise an vorderster Front bewältigen; angefangen bei der aufreibenden Arbeit der kommunalen Gesundheits- und Ordnungsämter, über die schlagartig gewachsenen Aufgaben im Rahmen der Heimaufsicht und -trägerschaft, der lokalen Organisation von Impfungen und Tests bis hin zur Verantwortungsübernahme für die Aufrechterhaltung von Bildung und Betreuung unter den Bedingungen von Pandemie und Lockdown. Es sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kommunalen Verwaltungen und die unzähligen Ehrenamtlichen, die unseren Staat auch in dieser Zeit tragen.

Unsere Städte und Gemeinden können diese Aufgaben naturgemäß nur schultern, wenn sie selbst handlungsfähig sind und bleiben. Neben einer ausreichenden Personalausstattung, brauchen unsere Kommunen vor allem das dazu notwendige Geld. Wie in so vielen Bereichen unseres Gemeinwesens wirkt „Corona“ auch hier wie das oft beschworene „Brennglas“ und zeigt schonungslos unsere Schwachstellen auf. So erlangt auch die anhaltende strukturelle Finanzmisere der nordrhein-westfälischen Kommunen in der Krise eine neue Brisanz. Wenn Bund und Land jetzt nicht zügig handeln, drohen unseren Kommunen in eine neuerliche finan­zielle und damit soziale und infrastrukturelle Abwärtsspirale zu rutschen.

Denn einerseits explodieren in vielen Bereichen die kommunalen Kosten. Auch wenn der be­reits entstandene Schaden aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Haushaltsabschlussverfahren bislang gar nicht beziffert werden kann (Landtagsvorlage 17/4738, Bericht zur Umsetzung des Gesetzes zur Isolierung der aus der COVID-19-Pandemie folgenden Belastungen der kommunalen Haushalte im Land Nordrhein-Westfalen (NKF-CIG)), ist von zusätzlichen Kosten in Milliardenhöhe

auszugehen. Mit dem Gesetz zur Isolierung der aus der COVID-19-Pandemie folgenden Be­lastungen der kommunalen Haushalte im Land Nordrhein-Westfalen (NKF-CIG) hat der Land­tag zwar eine kurzfristige Möglichkeit geschaffen, die zusätzlichen Kosten bilanzneutral dar­zustellen. Finanziert werden diese zusätzlichen Ausgaben aber zu einem Großteil über zu­sätzliche Liquiditätskredite. Damit droht die Corona-Pandemie die in den vergangenen zehn Jahren erzielten Erfolge beim Ausgleich der kommunalen Haushalte in NRW wieder zunichte zu machen.

Mit dem Stärkungspakt Stadtfinanzen war die damalige rot-grüne Landesregierung den ersten wichtigen Schritt in Richtung der Sanierung der kommunalen Finanzen gegangen. Auf dieser Grundlage konnten die meisten Kommunen ihren Haushalt in den vergangenen Jahren aus­gleichen. Es war aber von vorne herein klar, dass es eines zweiten Schritts bedarf, um die kommunale Selbstverwaltung dauerhaft zu sichern. Denn die aufgehäuften Liquiditätskredite unserer Kommunen summierten sich laut IT.NRW schon Ende 2019 auf 21,75 Milliarden Euro, die aktuelle Krise ist in diesen Zahlen also noch gar nicht abgebildet. Diese Schuldenlast und insbesondere das mit ihr verbundene Zinsrisiko hingen schon vor der Pandemie wie ein Da­moklesschwert über den kommunalen Haushalten. Doch seit ihrer Regierungsübernahme streitet die schwarz-gelbe Landesregierung mit dem Bund, offensichtlich aber auch intern, er­gebnislos über die Umsetzung eines Altschuldenfonds. Während andere Länder, wie z.B. Hes­sen, längst eigene Wege zur Entschuldung ihrer Kommunen gegangen sind. Diesem Beispiel muss Nordrhein-Westfalen schnell folgen.

Doch es sind nicht nur die steigenden Kosten, die die Verschuldung der nordrhein-westfäli­schen Kommunen wieder in die Höhe treiben. Noch dramatischer wirken sich die Steuerein­brüche aus. Bereits im April 2020 ging der ehemalige Kämmerer der Stadt Bochum, Dr. Man­fred Busch, in einem Kurzgutachten im Auftrag der grünen Landtagsfraktion davon aus, dass auf die Kommunen je nach weiterem Verlauf der Krise in den Jahren 2020 und 2021 Verluste in Höhe von rd. 4,5 – 9 Mrd. Euro zukommen könnten (https://gruene-fraktion-nrw.de.178-20-10249.modulbuero.kundencloudserver.de/fileadmin/user_up-load/ltf/Bilder/Themen/Kommunales/Busch_Kurzgut-achten_Corona-Auswirkungen_02-04-2020_fi-nal.pdf). Diese Zahlen dürften aufgrund des damals nicht prognostizierten monatelangen Teil-Lockdowns im Winter 20/21 inzwischen noch übertroffen werden. Auch für die kommenden Jahre rechnet der Städte- und Gemeindebund NRW mit einer gravierenden Haushaltslücke. Schon auf Basis der Steuerschätzung des ver­gangenen Novembers ging der StGB bis 2024 von zwei Milliarden Euro pro Jahr aus, die den nordrhein-westfälischen Kommunen fehlen werden (https://www.kommunen.nrw/presse/pressemitteilungen/detail.html?tx_stgb_stgbdocuments%5Bfile%5D=51983&tx_stgb_stgbdocuments%5Btyp%5D=pdf&tx_stgb_stgbdocuments%5Baction%5D=download&tx_stgb_stgbdocuments%5Bcontrol-ler%5D=Documents&cHash=95627c0b399040db3fcfec566f82460b).

Vor diesem Hintergrund muss die Landesregierung nun zügig handeln und die bislang nur für die Jahre 2020 und 2021 beschlossenen Hilfen nicht nur fortschreiben, sondern auch weiter­entwickeln.

So reicht es dauerhaft nicht aus, aus dem Handelsgesetzbuch längst getilgte Bilanzierungs-hilfen zu ermöglichen und Vorschüsse auf die Verbundmasse der Gemeindefinanzierung zu gewähren. Analog zum Gesetz zum Ausgleich von Gewerbesteuermindereinnahmen der Ge­meinden in Folge der COVID-19-Pandemie durch Bund und Länder (GewStAusgleichsG) brauchen die nordrheinwestfälischen Städte, Kreise und Gemeinden, aber auch die kommu­nalen Unternehmen, auch in den kommenden Jahren echte Zuschüsse von Bund und Land.

Zusätzlich zur Einführung des lange versprochenen Altschuldenfonds und der Weiterentwick­lung der Hilfsmaßnahmen, müssen Bund und Land auch endlich eine auskömmliche Finan­zierung der den Kommunen übertragenen Aufgaben und eine angemessene Beteiligung an den sozialen Transferaufwendungen sicherstellen. So müssen die Kosten für Unterbringung, Integration und Lebensunterhalt geflüchteter bzw. geduldeter Menschen endlich fair und kos­tendeckend – und auch entsprechend rückwirkend bis zum Jahr 2017 verteilt, das Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) entsprechend angepasst werden.

II. Der Landtag beschließt:

Die Landesregierung wird beauftragt:

  1. Umgehend ein Landesmodell zur Einrichtung eines kommunalen Altschuldenfonds zur Übernahme der kommunalen Liquiditätskredite zu erarbeiten und vorzulegen. Dieses soll eine vollständige Tilgung nach spätestens 35 Jahren vorsehen. Der kommunale Eigen­anteil muss auf ein leistbares Maß begrenzt werden. Dabei kommen die bisherigen durchschnittlichen Zinslasten der letzten Jahre mit einem geringen Aufschlag in Betracht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich das Land seit diesem Jahr von Zuführungen zum Stärkungspakt in Höhe von jährlich 440 Millionen Euro entlastet hat.
  2. Nach dem Vorbild des Gesetzes zum Ausgleich von Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinden in Folge der COVID-19-Pandemie durch Bund und Länder (GewStAusgleichsG), umgehend eine Ausgleichsregelung für die kommunalen Einnahmeausfälle aus der Gewerbe- und Einkommensteuer für die Jahre 2021 und 2022 zu konzipieren und finanziell zu hinterlegen. Dabei darf die Entlastung nicht davon abhängig gemacht werden, ob und in welcher Höhe sich der Bund an den Lasten beteiligt.
  3. Umgehend Verhandlungen mit der Bundesregierung aufzunehmen mit dem Ziel, mög­lichst analog zum GewStAusgleichsG eine Beteiligung des Bundes an den Kompensati­onszahlungen durchzusetzen.
  4. Das Gesetz zur Isolierung der aus der COVID-19-Pandemie folgenden Belastungen der kommunalen Haushalte im Land Nordrhein-Westfalen (NKF-CIG) um eine angemessene Beteiligung des Landes an der Tilgung der zur Finanzierung der kommunalen Sonder­vermögen erforderlichen Kredite zu ergänzen.
  5. Die Kompensation der Steuerausfälle im Rahmen der Verbundmasse des Gemeindefinanzierungsgesetzes auch für das Jahr 2022 sicherzustellen und als echten, in den Folgejahren nicht anzurechnenden Zuschuss des Landes vorzunehmen.
  6. Die Fortführung der Corona-Hilfen und die Teilhabe der kommunalen Unternehmen da­ran für die Jahre 2021 und 2022 sicherzustellen.
  7. Einen Sonderfonds zur Unterstützung kommunaler Kultureinrichtungen aufzulegen, aus dem Verluste kompensiert und Investitionen zur Ermöglichung des Betriebs unter Pandemiebedingungen gefördert werden können.
  8. Im Dialog mit den kommunalen Spitzenverbänden umgehend für eine kostendeckende Finanzierung der bislang auf die Kommunen abgewälzten Folgekosten der Ausstattung von Schulen, Schülerinnen und Schülern sowie der Lehrerinnen und Lehrer mit einer digitalen Infrastruktur.
  9. Die im Dezember 2020 getroffene Vereinbarung zwischen Land und Kommunen zur Übernahme der Kosten aus dem Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) umgehend umzu­setzen und eine angemessene Kostenbeteiligung des Landes sicherzustellen. Allerdings muss diese Regelung auch rückwirkend auf die Jahre 2017 bis heute angewandt wer­den.