Selbstbestimmung von freiwilligen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern erhalten und unterstützen!

Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP „Nein! Zum Sexkaufverbot des Nordischen Modells – Betroffenen helfen und nicht in die Illegalität abschieben“

Portrait Josefine Paul

I. Ausgangslage

Infolge der Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind bundesweit vo­rübergehend Prostitutionsstätten geschlossen worden. Einige Bundesparlamentarier rufen nun in einem Schreiben an alle Ministerpräsidentinnen und -präsidenten zu einem grundle­genden Richtungswechsel im Umgang mit Prostitution auf. Sie fordern dauerhaft auf Locke­rungen in der Prostitution zu verzichten und sprechen sich für die Einführung des sogenannten Nordischen Modells aus. Hierbei handelt es sich um ein Sexkaufverbot, das im Kern in der Kriminalisierung von Prostitution besteht. Dabei wird der Freier bestraft, nicht die Prostituierte. Es geht von der Annahme aus, dass sexuelle Dienstleistungen für Geld per se Gewalt darstel­len.

In Deutschland hingegen ist Prostitution, also das Angebot und das Wahrnehmen sexueller Dienstleistungen, legal und unterliegt spezifischen Regelungen. Im Jahr 2017 trat das Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen, das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) in Kraft. Das Gesetz soll verträgliche und menschenwürdige Arbeitsbedingungen schaffen, ausbeuterische Geschäfts­modelle ausschließen, das sexuelle Selbstbestimmungsrecht stärken und Gewalt und Men­schenhandel bekämpfen.

Für die Wirksamkeit des Nordischen Modells gibt es keine gesicherten Belege. Eine offizielle Evaluation in Schweden zeigt lediglich die Abnahme sichtbarer Prostitution. Der Rückgang im Bereich der Straßenprostitution kann jedoch nicht isoliert betrachtet werden, sondern steht im Kontext der Zunahme technischer Entwicklungen, Online-Angeboten und Werbeplattformen. Es ist von einem erheblichen Dunkelfeld auszugehen.

Aus Sicht der demokratischen Fraktionen im Landtag von Nordrhein-Westfalen würde ein Wechsel hin zum Nordischen Modell Prostitution in den Bereich der Illegalität, ins Dunkelfeld, verschieben. Ein Sexkaufverbot unterbindet nämlich nicht die Prostitution an sich. Das erleben wir zurzeit in der Corona-Pandemie. Sie wurde lediglich aus dem öffentlichen Raum verdrängt und damit der Sanktionierung entzogen. Das hat fatale Folgen für die Betroffenen, meist Frauen. Sie werden unsichtbar und sind für unterstützende Fachberatungsstellen und Behör­den nicht mehr erreichbar. Gewaltdelikte werden seltener zur Anzeige gebracht und die soziale Arbeit vor Ort wird ebenso wie der Zugang zu gesundheitlicher, rechtlicher und sozialer Bera­tung erschwert.

Ein strafrechtlich sanktioniertes Verbot der Prostitution eröffnet einen unkontrollierbaren Markt, der sich der Transparenz und der strafrechtlichen Verfolgung der Täter entzieht. Zudem kon­terkariert ein Sexkaufverbot Ziele wie die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, den Schutz von Geschlechtskrankheiten und die Eindämmung illegaler Erscheinungsformen der Prostitution.

Viele Fachverbände und Beratungsstellen beurteilen ein Sexkaufverbot kritisch, weil es vor allem diejenigen benachteiligt, die am meisten Unterstützung gebrauchen können. Studien zeigen, dass Betroffene im Bereich der Illegalität, in der Prostitution nach Inkrafttreten eines solchen Verbotsgesetzes stattfinden muss, häufiger Gewalt ausgesetzt sind. Sie haben keinen Zugriff mehr auf Sicherheitsdienste, die es in Bordellen gibt. Auch die Möglichkeit, vereinbarte Löhne und bessere Arbeitsbedingungen auch mit Rechtsmitteln durchzusetzen, entfällt ersatz­los.

Da die Kunden einer sexuellen Dienstleistung dem Risiko ausgesetzt sind, sanktioniert zu wer­den, werden diese Druck auf die Prostituierten ausüben, die sexuelle Dienstleistung, günstiger und in der Risikoabwägung lohnenswerter zu gestalten. Eine weitere Senkung der Preise, eine Ausweitung angebotener Praktiken oder fehlende Verhütung und Schutz vor übertragbaren Krankheiten können die Folge sein.

Zudem setzt eine erfolgreiche strafrechtliche Verurteilung die Mitwirkung der Prostituierten vo­raus, dies ist aber eher unwahrscheinlich.

Es ist auch davon auszugehen, dass ein Sexkaufverbot die Wahrnehmung von Prostitution verändert: Mehrere Beispiele aus Schweden zeigen beispielsweise den Verlust des Sorge­rechts einiger Mütter aufgrund der Stigmatisierung ihrer Tätigkeit, obwohl zu keinem Zeitpunkt der Verdacht bestand, dass das Kindeswohl gefährdet sei.

Prostitution, Zwangsprostitution und Menschenhandel müssen konsequent abgegrenzt wer­den. In der Debatte und der öffentlichen Wahrnehmung werden die Begriffe jedoch oftmals vermischt. Dies verhindert einen differenzierten Blick auf Personen, besonders Frauen die be­rufsmäßig sexuelle Dienstleistungen anbieten. Ziel muss es sein, denjenigen einen Ausstieg zu ermöglichen, die ihn wünschen und diejenigen zu schützen, die dieser Arbeit weiterhin nachgehen möchten.

Als demokratische Fraktionen wollen wir Sexarbeiter, besonders Frauen davor schützen, als konsumierbare und dienstleistende Objekte wahrgenommen zu werden. Daher müssen wir mit den Betroffenen im Dialog stehen und ihnen zuhören. Wir wollen Prostituierte schützen, statt über sie zu bestimmen, und dadurch verletzbar machen und somit zu gefährden. Unser Ansatz ist, Prostituierte aus dem Dunkelfeld in das Hellfeld zu holen. Ein Kurswechsel hin zum Nordi­schen Modell ist daher der falsche Ansatz.

II. Beschlussfassung

  1. Der Landtag stellt fest:
  • Prostitution ist gesellschaftliche Realität, eine, die mit Risiken verbunden ist. Es ist eine Aufgabe der Politik, Stigmatisierung, Diskriminierung und gesellschaftliche Marginalisierung von in der Sexarbeit tätigen Menschen vorzubeugen, in dem die soziale und rechtli­che Lage von Prostituierten verbessert werden.
  • Die demokratischen Fraktionen im Landtag von NRW sprechen sich gegen die Kriminali­sierung von käuflichen sexuellen Dienstleistungen aus. Statt Verbote zu fordern, die le­diglich einen Signalwert haben, in ihrer Effektivität aber zweifelhaft sind, müssen die Rechte von Prostituierten gestärkt und Maßnahmen entwickelt werden, um die Arbeitsbe­dingungen zu verbessern.
  • Hierzu bedarf es einer Reform des Bundesprostituiertenschutzgesetzes unter Einbezug der Erkenntnisse aus den durchführenden Ländern bzw. Kommunen, um weitere Fehlent­wicklungen zum Nachteil der Betroffenen zu verhindern.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • begleitende Informations-, Aufklärungs- und Ausstiegsprogramme für Frauen und Männer mit bereiten Mitteln auszustatten und Informationsnetzwerke zu stärken, um für Betroffene den Zugang zu Informationen zu erhalten und ihre Rechte kenntlich zu machen.
  • weiterhin Streetworking-Projekte zu unterstützen und den Ausbau von niedrigschwelligen und ergebnisoffenen Fachberatungsstellen und Konzepten zur Unterstützung von Prosti­tuierten zu fördern, da die Soziale Arbeit sowie spezifische Fachberatungsstellen über wirksame und fallorientierte Konzepte verfügen, um Menschen in der Prostitution bei Be­darf zu unterstützen. Wir benötigen Angebote, die Menschen in unterschiedlichen Arbeits­feldern von Sexarbeit erreichen.
  • niedrigschwelligen Zugang für Prostituierte zur Gesundheitsversorgung zu sichern. Der Zugang zu medizinischer Versorgung und gesundheitlicher Beratung ist essenziell. Eine niedrigschwellige Gesundheitsberatung und die Möglichkeit einer Rückkehr in gesetzliche Krankenversicherung sind Voraussetzung hierfür.
  • den weiteren Ausbau kostenloser, anonymer Untersuchungen in den Gesundheitsäm­tern im Rahmen der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes zu prüfen.
  • einen schnellen und unbürokratischen Zugang zu Rechtsberatung und Schutz durch einen Direktkontakt zu Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern in Fällen von Gewalt und Gefahr sicherzustellen.
  • durch gezielte Programme aus bereiten Mitteln, wie z. B. die Sicherung und Förderung von Sprachkompetenzen und das Aufzeigen alternativer Perspektiven, den Betroffenen zu ermöglichen, sich bei Bedarf anderweitig und neu orientieren und qualifizieren zu kön­nen, um im Arbeitsmarkt abseits der Sexindustrie integriert zu werden.
  • auch künftig Schutzräume und sichere Orte und Konzepte für Prostitution zu unterstützen, um den Arbeitsplatz für Prostituierte sicher zu machen, wie beispielsweise das Modell der sogenannten „Verrichtungsboxen“ in Köln oder Bonn, das mehr Schutz und Sicherheit für Prostituierte in der Straßenprostitution gibt.