Selbstbestimmung und Mitbestimmung retten – Retro-Hochschulgesetz stoppen!

Antrag der GRÜNEN im Landtag

I.  Ausgangslage:

Mit Schreiben vom 15. Mai 2018 hat die Landesregierung die Verbändeanhörung zum Referentenentwurf für die Reform des Hochschulgesetzes eingeleitet, die bis zum 10. Juli 2018 dauert. Bereits während dieser Verbändeanhörung und damit zu einem frühen Zeitpunkt im Gesetzgebungsverfahren demonstrierten am 23. Juni 2018 in Münster und Köln jeweils mehrere Hundert Menschen gegen die Pläne der Landesregierung.
Mit der Reform bauen CDU und FDP studentische Mitbestimmung ab und reduzieren die Demokratie an Hochschulen. Sie schaffen mehr Rechte für Rektorate, bevorzugen die Professorinnen und Professoren und ermöglichen fragwürdige Militärforschung aus öffentlichen Mitteln. So bringt die Reform ideologiegetriebene Retro-Politik zurück an die Hochschulen.
Die Interessen der Studierenden spielen für die Landesregierung dagegen eine untergeordnete Rolle. Sie werden durch neue Anwesenheitspflichten gegängelt, ihre Spielräume für Selbstbestimmung im Studium begrenzt und ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten in den Gremien der Hochschulen eingeschränkt. Den Bedingungen des 21. Jahrhunderts wäre es angemessen, darauf zu vertrauen, dass Studierende selbst entscheiden können, wie sie zu ihrem akademischen Ziel kommen. Deshalb müssen Freiheit und gute Lehre die Leitlinie sein und nicht Anwesenheitszwang.

Reform führt zum Abbau von Mitbestimmung

Für einen erfolgreichen Studienabschluss benötigen Studierende neben Beratung und Förderung auch ausreichend Freiraum und Mitbestimmung an den Hochschulen. Der Referentenentwurf der Landesregierung zur Änderung des Hochschulgesetzes zeigt jedoch in die gegengesetzte Richtung. Wer Innovation und kreative Menschen will, die die Welt bewegen und zum Besseren verändern können, braucht Individualität, Entfaltung und Vielfalt – und dafür Freiheit und Mitbestimmung.
Ein zentraler Punkt des Demokratieabbaus betrifft die bisherige Mitbestimmung im Senat. Die Ausgestaltung der Gruppenparität war lange umstritten, im Hochschulzukunftsgesetz wurde aber eine angemessene Regelung gefunden, indem auch alternative Mitbestimmungsmodelle ermöglicht wurden. Die Änderung von Schwarz-Gelb wird nun dazu führen, dass es künftig weder eine Gruppenparität, noch alternative Mitbestimmungsmodelle geben wird: das Regelmodell wird wieder die Professorenmehrheit sein, ohne erweiterte Mitbestimmungsrechte von Studierenden und Beschäftigten.
Anstatt Bürokratie im akademischen Alltag abzubauen, erklärt die Landesregierung die Demokratie an Hochschulen zum Bremsklotz des Managements und beseitigt sie weitestgehend. Man konzentriert die Entscheidungen an der Spitze und verringert die Möglichkeiten der Beratung und Einflussnahme immer weiter. Studierende, aber auch wissenschaftliche Angestellte und Beschäftigte in Technik und Verwaltung bleiben außen vor.

Anwesenheitspflichten gefährden selbstbestimmtes Studium

Die Landesregierung beabsichtigt, das grundrechtlich gebotene Verbot von Anwesenheitspflichten aufzuheben. Dabei haben Studierende das Recht Lehrveranstaltungen wie Seminare und Vorlesungen nicht regelmäßig besuchen zu müssen und trotzdem die Prüfung am Ende ablegen zu können. Ein Rechtsgutachten der Universität Duisburg-Essen von 2009 hatte klargemacht, dass Anwesenheitspflichten ein Eingriff in die Studierfreiheit sind und ihnen daher ein enger Rahmen gesetzt ist. Ein Erlass des damaligen Wissenschaftsministers Pinkwart von 2010 bestätigte, dass Anwesenheitspflichten in das grundgesetzlich geschützte Recht der freien Berufsausübung eingreifen, und informierte alle Hochschulen entsprechend über die Rechtslage.
Der Präsenzzwang wird vielen Studierenden große Probleme bereiten. Nicht alle können garantieren, immer im Seminar zu sitzen, beispielsweise weil sie auf einen Job angewiesen oder in der studentischen oder akademischen Selbstverwaltung tätig sind, weil sie Kinder oder Angehörige betreuen oder eine chronische Erkrankung haben. Eine Anwesenheitspflicht ist, bis auf eng begrenzte, bereits bestehende Ausnahmen, ein prinzipiell sinnloser Eingriff in das selbstbestimmte Studium. Anstatt durch gute Lehre, exzellente Ausstattung und Digitalisierung Anreize zu setzen, greift die Landesregierung auf veraltete Zwangsmethoden zurück. Fachlich und persönlich bereichernde Seminare werden auch weiterhin besucht, denn auch Studierende wissen sehr gut, was ihnen hilft und was nicht.

Studienverlaufsvereinbarungen: Schwarz-Gelb führt Sitzenbleiben an der Uni ein

Durch die Einführung verbindlicher Studienverlaufsvereinbarungen will die Landesregierung die Studierenden zwingen und kontrollieren ihr Studium planungsgemäß zu absolvieren, obwohl weiterhin viele Studiengänge nicht planungsgemäß studierbar sind. Das widerspricht dem akademischen Gedanken von Studierenden als freien und mündigen Bürgerinnen und Bürgern und verschult das Studium stärker als jede andere Form der Leistungskontrolle. Aus der Verpflichtung der Hochschulen, gute Lernbedingungen anbieten zu müssen, wird die Verpflichtung für Studierende, Lernleistungen abzuliefern. Das widerspricht der Studierfreiheit und schränkt die individuelle Entfaltung im Studium ein. Hiergegen bestehen verfassungsrechtliche Bedenken. Solche Vereinbarungen müssten zudem sämtliche Ausnahme- und Härtefallkonstellationen berücksichtigen, sollten sie nicht zu rigide werden. Dadurch werden sie aber überbürokratisch. Es ist entsprechend mit erheblichem Aufwand für die Hochschulen zu rechnen.
In Verbindung mit den verbindlichen Studienverlaufsvereinbarungen wirkt die geplante Abschaffung der Studienbeiräte doppelt fatal. Die Studienbeiräte sind die einzige reelle Chance für Studierende, echten Einfluss auf die Gestaltung des eigenen Faches – in Form der Prüfungsordnungen – zu nehmen. Entfällt diese Möglichkeit, drohen wieder mehr Studiengänge nicht oder nur schwer in Regelstudienzeit studierbar zu werden.

Reform zulasten der Beschäftigten

Die Landesregierung will den Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen für das Hochschulpersonal aus dem Hochschulgesetz streichen. Die heutigen Rahmenverträge kamen nur zu Stande, weil es die Regelung im Hochschulgesetz gab. Die Verträge garantieren den Beschäftigten einheitlich gute Arbeitsbedingungen. Die gesetzliche Regelung zu streichen, bedeutet, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an den Hochschulen zu schwächen. Damit werden gute Beschäftigungsbedingungen an den Hochschulen optional. Gleiches gilt für die Personalvertretung von studentischen Hilfskräften.
Gute Arbeitsbedingungen sind keine unnötige Bürokratie. Sie sind ein Recht aller Hochschulbeschäftigten. Nur mit einem verbindlichen Schutz der Interessen und Rechte aller Angestellten werden der „Beruf Wissenschaft“ und Hochschulen als Arbeitgeber attraktiv.

II.  Der Landtag beschließt:

1.     Der Landtag fordert die Landesregierung auf, den Referentenentwurf für eine Reform des Hochschulgesetzes zurückzuziehen. Bei einem neuen Entwurf sind insbesondere folgende Eckpunkte zu berücksichtigen:
a.     Das grundrechtlich gebotene Verbot von Anwesenheitspflichten ist zu erhalten. Statt eines Anwesenheitszwangs ist der Anspruch der Studierenden auf gute Lehre durch die Landesregierung umzusetzen.
b.     Die demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Studierenden, der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Technik und Verwaltung sind ohne Abstriche fortzuführen und weiterzuentwickeln.
c.      Die Einführung verbindlicher Studienverlaufsvereinbarungen ist abzulehnen. Stattdessen ist durch die Beibehaltung von Studienbeiräten dafür Sorge zu tragen, dass Studiengänge studierbar bleiben.
d.     Gute Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sind verbindlich abzusichern.
2.     Der Landtag fordert die Landesregierung auf, bei einer etwaigen Reform des Hochschulgesetzes die Belange von Studierenden als größter Statusgruppe an den Hochschulen nicht mehr vollständig auszublenden, sondern in den Mittelpunkt zu stellen.
3.     Der Landtag fordert die Landesregierung auf, ihre bürokratischen, diskriminierenden und unsozialen Pläne für Studiengebühren endgültig aufzugeben.