Schutz der Biodiversität in NRW – global denken und lokal handeln

Portrait Dr. Volkhard Wille

I. Ausgangslage

Von den acht Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit sind nach Angaben des Weltbiodiversitätsrates eine Million vom Aussterben bedroht. Der Rückgang der biologischen Vielfalt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch beschleunigt. Dies ist hauptsächlich auf die Aktivitäten des Menschen zurückzuführen. Landnutzungsänderungen, Verschmutzung und Klimawandel bedrohen die Biodiversität auf unserer Erde.

Auch in Nordrhein-Westfalen ist der Zustand der Natur bedenklich: Fast die Hälfte der hier untersuchten Arten steht auf der Roten Liste und die Analyse der Lebensräume belegt für unser Bundesland gerade für die Tiefebene einen ungünstigen Erhaltungszustand.

Beim Verlust von Arten und Ökosystemen werden die planetaren Belastungsgrenzen über­schritten. Dies hat Auswirkungen auf Nahrungsketten und das Gleichgewicht ganzer Ökosys­teme – mit erheblichen Folgen für die Menschheit. Denn die Natur mit ihrer großen biologi­schen Vielfalt und den damit einhergehenden Funktionen und Leistungen liefert Lebensgrund­lage und Wohlstand: Von der Erzeugung hochwertiger Lebensmittel über die Versorgung mit Wasser und sauberer Luft bis hin zur Gewinnung von Baustoffen oder Medikamenten sind wir auf das sensible Netz der Arten und Ökosysteme angewiesen.

Neben der Klimakrise ist der Verlust der biologischen Vielfalt daher die zweite große, globale ökologische Krise unserer Zeit. Auch wenn in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels keine statischen Schutz- und Erhaltungskonzepte die Grundlage des Biodiversitätsschutzes sein können, ist es elementare Aufgabe politischen Handels, die natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere auch im Sinne intergenerationeller Gerechtigkeit, wiederherzustellen.

Gleich mehrere Problemkreise gefährden unsere natürlichen Lebensgrundlagen: das Arten-sterben/die Biodiversitätskrise, gestörte Stoffkreisläufe vor allem von Stickstoff und die Klima­krise. Diese müssen nach dem Konzept der planetaren ökologischen Belastungsgrenzen gleichrangig betrachtet sowie gemeinsam und gleichzeitig gelöst werden.

Auf der 15. UN-Biodiversitätskonferenz im Dezember 2022 in Montreal, wurde erwartbar ein ambitionierter und umsetzungsorientierter Rahmen zum weltweiten Schutz der biologischen Vielfalt ausgehandelt und verabschiedet. Anlässlich dieser Konferenz soll die Verantwortung Nordrhein-Westfalens zum Erhalt der Biodiversität herausgestellt werden.

Die Europäische Union, die Bundesrepublik und das Land NRW haben in ihren Biodiversitätsstrategien die konzeptionellen Grundlagen für den Schutz der Biodiversität in ihrem jeweiligen Arbeitsfeld geschaffen. Während die EU-Kommission aktuell mit ihrem Entwurf zu einem „Na­ture Restoration Law“ (COM (2022) 304 final) versucht, den Biotop- und Biodiversitätsschutz innerhalb und außerhalb des Natura 2000-Schutzgebietsnetzes verbindlicher zu gestalten, hat sich die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN vorgenommen, die Biodiversitätsstrategie NRW von 2015 fortzuschreiben und bestehende Maßnahmenkonzepte umzusetzen. Bereits 2015 hat die Biodiversitätsstrategie des Landes ausgeführt, das eine unzureichende Perso­nalausstattung auf allen Organisationsebenen den Maßnahmenvollzug erschwert.

Vor Ort sind die Biologischen Stationen mit ihren fundierten Gebietskenntnissen, ihrer natur­wissenschaftlichen Fachkompetenz und dem engen Kontakt zu den übrigen ehren- und haupt­amtlichen Naturschützern, zu Grundeigentümern und -bewirtschaftern sowie zur Bevölkerung ein zentraler Akteur. Die Förderung der Kreise und kreisfreien Städte bei der Aufstellung und der Umsetzung der flächendeckenden Landschaftsplanung hat über Jahre hinweg eine gute konzeptionelle Grundlage für den Biodiversitätsschutz geschaffen. Vertragsnaturschutz, Agra-rumweltmaßnahmen und auch die Förderrichtlinie Naturschutz (FöNa) haben neben den an­deren Instrumenten des Landesnaturschutzgesetzes wie auch durch das Programm „Leben­dige Gewässer“ zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) bis hin zu Initiativen im Rahmen der LEADER-Förderung in der Umsetzung durchaus schon Gutes erreicht. Aktuell liegt der Gesamtanteil des „High Nature Value Farmland“ in Nordrhein-Westfalen bei 12,9 Pro­zent (Zielwert 15 Prozent) bei zuletzt deutlich zunehmenden Vertragsnaturschutzflächen.

Das Biodiversitätsmonitoring in Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage der Ökologischen Flä­chenstichprobe (ÖFS) und dem Biotop- und Artenmonitoring des LANUV gibt zusammen mit dem Biotopmonitoring zu den Lebensraum-Typen der FFH-Richtlinie eine erste gute Orientie­rung für den weiterhin bestehenden Handlungsbedarf und soll konsequent weiterentwickelt werden.

Neben den landesseitigen Initiativen gibt es aber auch durch Biologische Stationen, Verbände und den landwirtschaftlichen Berufsstand getragene Initiativen wie z. B. zu Blühstreifen. Land­wirtschaft wirtschaftet auf fast 50 Prozent der Fläche in Nordrhein-Westfalen und hat beson­dere Verantwortung für Umwelt, Landschaft und Artenvielfalt. Die „Leitbetriebe Biodiversität“ zeigen als Modellbetriebe die Vielfalt der biodiversitätsstützenden Maßnahmen, die in allen landwirtschaftlichen Betriebsformen möglich sind. Über die einzelbetriebliche Biodiversitätsberatung in den verschiedenen Regionen Nordrhein-Westfalens wird der praktische Biodiversitätsschutz an die Landwirtschaftsbetriebe herangetragen werden.

Biodiversitätsleistungen sollen angemessen honoriert und die sie fördernde Weidetierhaltung durch eine Prämie gestützt werden. Die Förderung freiwilliger Agrarumwelt- und Vertragsnaturschutzmaßnahmen sowie des ökologischen Landbaus ist hierfür das entscheidende Instru­ment. Dies zeigen u. a. die Ergebnisse der Auswertung der ökologischen Flächenstichprobe (ÖFS) des LANUV wie auch die Evaluierung dieser Maßnahmen durch das Thünen Institut in Braunschweig. Das diesjährige Antragsverfahren belegt, dass die Bereitschaft der Landwirt­schaft groß ist, diese Maßnahmen umzusetzen. Aufgrund der zur Verfügung stehenden Haus­haltsmittel (EU-, Bund- und Landesmittel) mussten allerdings bestimmte Fördermaßnahmen (Anlage von Buntbrachen und Uferrandstreifen) gedeckelt werden. Ergebnisorientierte An­sätze sind bislang noch wenig etabliert. Zu ihnen fehlen langfristige, großräumige Erfahrungen. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln soll weiter reduziert werden.

Der Nationalpark Eifel beherbergt in seinen ausgedehnten Wäldern und Offenlandschaften eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt. Mit einem zweiten Nationalpark in Nordrhein-Westfa­len kann ein weiteres Gebiet dauerhaft für Naturschutz und Artenvielfalt gesichert werden.

Für den planerischen Außenbereich gibt es die Verpflichtung der Kreise und kreisfreien Städte zur flächendeckenden Landschaftsplanung. Wenngleich Jahrzehnte nach Einführung noch nicht das gesamte Land überplant ist, so bestehen doch für weite Teile des Landes die kon­zeptionellen Grundlagen insbesondere für den Natur- und Artenschutz auf der lokalen Ebene. Schutzgebietskategorien sind flächenscharf bestimmt, Maßnahmenkonzepte für die Pflege und Entwicklung einzelner Naturschutzgebiete bestehen größtenteils, die zur Biotopvernet­zung und zur Entwicklung der Landschaften erforderlichen Anreicherungen mit Gehölz- und Rainstrukturen sind zumindest quantitativ bestimmt. Auch Wiederbewaldungskonzepte kön­nen in einem Prozess mit Wissenschaft, Verbänden und forstlichen Institutionen zu einer Waldstrategie NRW mit ökologischen Mindeststandards weiterentwickelt werden.

Während im Außenbereich eher eine stärkere Abstimmung und Verbindung der verschiede­nen Instrumente und deren Anwendung vor Ort gefordert ist, um bestehende Defizite anzuge­hen, sind für den Innenbereich – Stichwort v. a. „urbane grüne Infrastruktur“ – noch konzepti­onelle Überlegungen anzustellen. Die Verkehrs-, Gewerbe- und Wohnflächen wachsen trotz der Bemühungen um eine Reduzierung des Flächenverbrauchs weiterhin. Gerade in unserem dichtbesiedelten Bundesland ist der funktionale Zusammenhang der verschiedenen Grünflä­chen (Parks, Friedhöfen, Straßenbegleitgrün, Retentionsmulden, Natur-auf-Zeit-Flächen, Dach- und Fassadenbegrünungen etc.) in Wohn- und Gewerbegebieten bedeutsam, wie auch das Projekt „Grün statt grau – Gewerbegebiete im Wandel“ zeigt. Dabei ist auch hier auf die lokale Erstellung und Umsetzung abzuheben. Förderprogramme des Landes unterstützen heute schon die Umsetzung einzelner Maßnahmen, die auf diesen gedanklichen Ansatz be­reits inhaltlich einzahlen.

II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:

  • Die Biodiversitätskrise und die Klimakrise müssen als die beiden großen ökologischen Krisen unserer Zeit wirksam bekämpft und in allen Politikfeldern mitgedacht und in Ein­klang gebracht werden.
  • Die natürlichen Lebensgrundlagen wie Umwelt, Natur und Artenvielfalt verdienen einen besonderen Schutz als Grundlage von Ernährung, Heimat, Wirtschaft und Erholung.
  • Nordrhein-Westfalen steht in der Pflicht, anlässlich der 15. UN-Biodiversitätskonferenz seinen umsetzungsorientierten Ansatz zum Schutz der biologischen Vielfalt ambitioniert voranzubringen.
  • Zentrale Grundprinzipien zur Erreichung der Naturschutzziele sind neben der ordnungs­behördlichen Ausweisung von Schutzgebieten die Freiwilligkeit von und der Fokus auf vertragliche Maßnahmen.
  • Gerade für den Außenbereich liefert die in unserem Bundesland vorgeschriebene flä­chendeckende Landschaftsplanung eine konzeptionelle Grundlage, während die zur Umsetzung dienenden Instrumente relativ unabgestimmt zum Einsatz kommen.
  • Grünordnungspläne mit einem den Landschaftsplänen vergleichbaren Anforderungen fehlen für zahlreiche Mittel- und Oberzentren dieses Landes.
  • Die Umsetzung von Arten- und Biotopschutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen ist eine auf der lokalen Ebene zu leistende und zu evaluierende Maßnahme.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • die Biodiversitätsstrategie NRW in ihrer Fassung von 2015 im Einklang mit den Notwen­digkeiten des Klimaschutzes und des Ausbaus der erneuerbaren Energien fortzuschrei­ben und um aktuelle Punkte wie den Aufbau eines Ökosystemverbunds in der Modellre­gion des Rheinischen Reviers zu ergänzen.
  • die landesweite Erfassung von Arten und Lebensräumen sowie das Biodiversitätsmonitoring NRW weiterzuentwickeln.
  • den Beteiligungsprozess für einen zweiten Nationalpark zeitnah zu initialisieren.
  • die Landwirtschaft stärker dabei zu unterstützen, ihre Flächen naturverträglich zu bewirt­schaften und auf ihren Flächen der Artenvielfalt Raum zu geben. Dabei sollen innova­tive Lösungen wie die ergebnisorientierte Honorierung und kollektive Agarumweltkonzepte unter Einbindung der relevanten örtlichen Strukturen (Kreis, Kommune, Biologi­sche Station, Kreisstelle Landwirtschaftskammer, Stiftungen, örtliche Naturschutz- und Bauernverbände etc.) auch in Nordrhein-Westfalen zur Anwendung gebracht werden können.
  • darzustellen, welches die zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) wichtigs­ten Maßnahmen zur Wiederherstellung frei fließender Gewässer oder zum Hochwasser­schutz sind und mittelfristig umgesetzt werden sollen.
  • eine aktuelle landesweite Übersicht der vorhandenen Landschafts- und Grünordnungspläne zu geben und darzulegen, wie im innerstädtischen Bereich konkrete Biodiversitätsziele und -indikatoren planerisch verbindlich umgesetzt werden können.
  • das Netzwerk der regionalen, nationalen und internationalen Einrichtungen in der Bun­desstadt Bonn als einem Zentrum des internationalen Naturschutzes – a. verschie­dene UN-Sekretariate und das Büro des IPBES (Intergovernmental Platform on Biodiversity und Ecosystem Service) sind dort angesiedelt – als Gesamtheit stärker sichtbar zu machen.