I. Ausgangslage
Die Entwicklung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Nordrhein-Westfalen ist eine Erfolgsgeschichte. In den vergangenen 20 Jahren hat sich gezeigt, dass immer mehr Menschen auf Bus und Bahn umsteigen – und mit der Nutzung klima- und umweltfreundlicher Mobilität ihren Beitrag leisten, die Klimaschutzziele zu erreichen.
Vor der Corona-Pandemie sind die Fahrgastzahlen im Schienenpersonennahverkehr von 2010 bis 2018 über 15 Prozent auf täglich 2,7 Millionen Fahrgäste gestiegen. Durch die Reaktivierung von Strecken und die Inbetriebnahme neuer Linien ist das Netz dichter und damit für Bürgerinnen und Bürger noch besser erreichbar geworden. So wurden 2021 rund 15 Millionen Zugkilometer im Jahr mehr angeboten als 2010.
Bisher wird das Potenzial des Verkehrsträgers Schiene durch eine Vielzahl von Baustellen, Zugausfällen und Verspätungen nicht ausgeschöpft. Bedingt durch die Corona-Pandemie, aber auch durch die vielen Baumaßnahmen nach der verheerenden Unwetterkatastrophe im Juli 2021 sowie die Übernahme der Abellio-Verkehre zum Jahreswechsel 2021/22, die auch die Beschäftigten des ÖPNV an ihre Belastungsgrenze brachten, hat sich diese Situation im vergangenen Jahr verschärft. Im Sommer 2022 fielen aufgrund von Personalmangel teilweise ganze S-Bahn-Linien für mehrere Tage komplett aus, Ersatzverkehre wurden gar nicht bzw. nur unzureichend angeboten. Die Aufgabenträger und die Fahrgäste wurden darüber nur sehr kurzfristig informiert. Auch in Zukunft ist mit Ausfällen von kompletten Linien zu rechnen.
Um die Attraktivität des Schienenverkehrs zu erhalten und zukünftig zu erhöhen, muss er auf vielfältige Weise gestärkt werden. Dazu gehört eine hohe Zuverlässigkeit, ein verlässliches Kundeninformationssystem, Barrierefreiheit, Sicherheit und Sauberkeit aber auch attraktive Tarife sowie flächendeckende und häufige Verbindungen.
Im Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen haben CDU und GRÜNE festgehalten, dass „der öffentliche Verkehr, der Schienenverkehr und der Radverkehr […] das Rückgrat der zukünftigen nachhaltigen und vernetzten Mobilität“ in Nordrhein-Westfalen sind. Dazu gehört auch ein modernes, vor allem aber verlässliches Angebot für den Schienenverkehr in Nordrhein-Westfalen.
Zum einen ist dafür die notwendige Finanzierungsbasis dauerhaft sicherzustellen. Dies ist für den Fernverkehr und das Schienennetz in erster Linie Aufgabe der bundeseigenen Deutschen Bahn und des Bundes. Auch für den Betrieb des Schienenpersonennahverkehrs und dessen Ausbau ist bedingt durch die Regionalisierung Anfang der 1990er Jahre primär der Bund in der Verantwortung. Die Koalition aus CDU und GRÜNEN setzt sich dafür ein, dass der Bund die Schiene auch in Nordrhein-Westfalen stärkt und die dafür zugesagten Regionalisierungs-mittel bereitstellt.
Ergänzend dazu sind konkrete Maßnahmen erforderlich, um die Zuverlässigkeit beim Schienenpersonennahverkehr in Nordrhein-Westfalen zu erhöhen. Es muss sichergestellt werden, dass auch im Falle von Engpässen auf allen Linien eine Grundbedienung sichergestellt wird und die Nutzbarkeit für alle Bürgerinnen und Bürger gewährleistet ist. Wir haben den Anspruch, diesen so zuverlässig wie möglich zu machen.
Selbstverständlich bedeuten Baumaßnahmen im Netz, dass damit der Ausbau und der Erhalt des Schienennetzes vorangeht, um Verbesserungen umzusetzen. Allerdings sorgt die Abwicklung häufig für Probleme. Ein erheblicher Verbesserungsbedarf besteht zudem in der Kommunikation über Baustellen und Betriebsstörungen von Verkehrsunternehmen und Zweckverbänden mit den Fahrgästen.
Der Aspekt der Robustheit muss eine Leitlinie beim Bau des Schienensystems sein. Mehr Ausweichgleise, Weichen, ergänzende ausreichende Bahnsteige etc. vorzuhalten ist essentiell, um bei – oftmals unvermeidbaren – Störungen im Netz besser reagieren zu können. Das Land hat unter diesem Aspekt bereits die Förderung von Maßnahmen für ein „Robustes Netz“ vorangebracht. Diesen Ansatz gilt es auszubauen. Auch beim Neu- und Ausbau der Schieneninfrastruktur müssen solche Maßnahmen stärker berücksichtigt werden und dafür Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden.
Gerade in Situationen, in denen es zu unvermeidbaren massiven Einschränkungen kommt, ist es erforderlich, Notfallpläne zu entwickeln und Mindestangebote aufrechtzuerhalten. Zudem scheinen – neben dem Fachkräftemangel in der Branche – die wirtschaftlichen Anreize aus den Verkehrsverträgen nicht ausreichend zu sein, damit die Leistungserbringer Reserven in allen Bereichen einplanen. Hier ist es erforderlich, gemeinsam mit den zuständigen Aufgabenträgern unter Einbeziehung der Verkehrsunternehmen zu prüfen, wie bei zukünftigen Vergabeverfahren eine Leistungserbringung sichergestellt werden kann – über ein stärkeres In-den-Blick-Nehmen qualitativer Faktoren, aber auch über Sanktionierung bei ausbleibender Leistung (Pönalen).
Um dem Personalmangel mittel- und langfristig entgegenzuwirken, ist eine Fachkräfteoffensive für alle Bereiche der Leistungserbringung erforderlich. Beim Treibfahrzeugpersonal ist in den Jahren 2019 bis 2021 ein relevanter Personalzuwachs über die Gemeinschaftsinitiative „Fokus Bahn NRW“ (Zusammenschuss der Eisenbahnverkehrsunternehmen und Aufgabenträger unter Federführung des Landes) gelungen. Diese Entwicklung gilt es für alle Bereiche fortzusetzen.
II. Beschlussfassung
- Der Landtag stellt fest
- Nordrhein-Westfalen ist Bahnland. Um die Attraktivität des umwelt- und klimafreundlichen Schienenpersonennahverkehrs zu erhalten und zu erhöhen, ist die Steigerung der Zuverlässigkeit ein entscheidender Baustein.
- Für eine erhöhte Zuverlässigkeit ist eine Vielzahl von Maßnahmen notwendig, zu deren Umsetzung und Harmonisierung eine enge Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Zweckverbänden, Deutsche Bahn und Verkehrsunternehmen erforderlich ist.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- sich gegenüber den Zweckverbänden und unter Einbeziehung der Verkehrsunternehmen entsprechend der jeweiligen Zuständigkeit dafür einzusetzen, dass
- die Verkehrsverträge fortentwickelt werden. Neben einer angemessenen Finanzierung der bestehenden Verkehre sind Instrumente zur Qualitätssicherung stärker in den Verträgen zu verankern, sodass bei den Verkehrsunternehmen sukzessive stärkere wirtschaftliche Anreize für mehr Zuverlässigkeit z. B. über ausreichende Personalreserven erzeugt werden. Dies sollte auch zukünftigen Ausschreibungen berücksichtigt werden.
- Im Falle von Engpässen, z. B. aufgrund von umfassendem Personalausfall, alle Maßnahmen ergriffen werden, die Einschränkungen für die Nutzerinnen und Nutzer des ÖPNV minimieren. Dies bedeutet die Bereithaltung von Notfallplänen für eine Mindestbedienung beziehungsweise ausreichendem Schienenersatzver-kehr. Darüber hinaus soll eine Freigabe von Fernzügen für Fahrgäste mit Nah-verkehrsticket sowie verbindliche Vorgaben für die frühzeitige und umfassende Information der Fahrgäste bei Fahrplanänderungen geprüft werden.
- sich beim Bund bzw. der DB Netz AG dafür einzusetzen, dass Baustellenplanungen umfassend frühzeitig koordiniert und kommuniziert sowie mit den SPNV-Leistungserbrin-gern und den Zweckverbänden sowie auch kommunalen Nahverkehrsunternehmen abgestimmt werden.
- gemeinsam mit den Infrastrukturunternehmen und den Zweckverbänden weitere Maßnahmen für ein „Robustes Netz“ zu identifizieren und ihnen bei der Förderung eine hohe Priorität einzuräumen sowie sich beim Bund dafür einzusetzen, dass bei Investitionen ins Schienennetz die Flexibilität und Resilienz der Infrastruktur erhöht wird, z. B. über zusätzliche Weichen oder Reserve-Bahnsteige, und diese Aspekte bei der Finanzierung von Baumaßnahmen im Schienennetz (insbesondere BSWAG, LuFV, GVFG) deutlich besser berücksichtigt werden können.
- gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren eine umfassende Fachkräfteoffensive zur Personalgewinnung für Verkehrsunternehmen zu starten und für den SPNV über die Gemeinschaftsinitiative „Fokus Bahn NRW“ eine Beschäftigungsoffensive umzusetzen.