Rechtsextreme, rassistische und antidemokratische Einstellungen in der Polizei NRW untersuchen und entschlossen bekämpfen!

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

I.        Polizei als Trägerin des Gewaltmonopols des Staates
Die Polizei NRW hat die Aufgabe, für die Sicherheit aller Menschen in Nordrhein-Westfalen zu sorgen. Hierfür ist sie Trägerin des Gewaltmonopols des Staates und darf zur Aufgabenerfüllung Grundrechtseingriffe anwenden. Mit dieser herausgehobenen Stellung trägt die Polizei auch eine große Verantwortung. Alle Menschen in unserer Gesellschaft – unabhängig von Hautfarbe, Religion, Migrationsgeschichte, Geschlecht oder sexueller Identität – müssen darauf vertrauen können, dass die Polizei sie vor Gefahren schützt und nicht diskriminiert. Zudem wirbt die Polizei NRW mit Gleichberechtigung und Schutz vor Diskriminierung. Polizeibeamtinnen und -beamte, die einer gesellschaftlichen Minderheit angehören, müssen sich sicher sein können, dass sie nicht von ihren Kolleginnen und Kollegen diskriminiert werden.
Immer wieder wird der Polizei durch die Bürgerinnen und Bürger ein sehr hohes Vertrauen ausgesprochen. Laut Eurobarometer der Europäischen Union haben 85 Prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger im Jahr 2019 Vertrauen in die Polizei. Damit liegt das Vertrauen der in Deutschland lebenden Menschen in die Arbeit der Polizei auf Platz 5 im Vergleich zu dem Vertrauen der Menschen in anderen Staaten der Europäischen Union. (https://ec.europa.eu/commfrontoffice/publicopinion/index.cfm/Chart/getChart/chartType/barChart//the meKy/18/groupKy/88/countries/EU/periodStart/112000/periodEnd/112019)
Fälle von Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei
Das bundesweite Bekanntwerden von Bezügen von Polizeibeamtinnen und -beamten zu Rassismus und Rechtsextremismus schadet dem Ansehen der Polizei und schwächt das Vertrauen in sie:
·           Bereits seit über einem Jahr wird im Rahmen der Ermittlungen um rechtsextreme Drohschreiben des „NSU 2.0“ auch gegen Polizeibeamtinnen und -beamte ermittelt.
·           Im Zuge der Ermittlungen gegen die rechtsextreme Gruppe „Nordkreuz“ wurde auch gegen Polizeibeamte in Mecklenburg-Vorpommern ermittelt.
·           Im Februar dieses Jahres wurden zwölf Personen aus der rechtsterroristischen „Gruppe S.“ festgenommen. Einer davon war Verwaltungsangestellter im Polizeipräsidium Hamm.
·         Keine zwei Wochen später wurden „Heil Hitler“-Rufe über Polizeifunk übertragen, ausgerechnet von Beamtinnen und Beamten, die für den polizeilichen Objektschutz vor der Aachener Synagoge eingesetzt waren. Aufgrund einer Chatgruppe von zehn Polizeibeamten des Polizeipräsidiums Aachen, in der rechtsextreme Inhalte geteilt wurden, ermittelte die Staatsanwaltschaft in diesem Fall gegen acht Beamte, wobei fünf Verfahren eingestellt wurden und drei Ermittlungsverfahren noch laufen. Gegen alle zehn Beamte wurden Disziplinarverfahren eingeleitet.
·         Am 16. September 2020 wurde bekannt, dass es mindestens fünf Chatgruppen gibt, in denen Polizeibeamtinnen und -beamte überwiegend aus dem Polizeipräsidium Essen rechtsextreme, rassistische, antisemitische und flüchtlingsfeindliche Inhalte teilten. Sowohl strafrechtliche als auch disziplinarrechtliche Maßnahmen wurden eingeleitet.
Dies sind nur einige der öffentlich bekannt gewordenen Fälle, in denen Polizeibeamtinnen und -beamten Bezüge zu Rassismus und Rechtsextremismus vorgeworfen werden. Es muss davon ausgegangen werden, dass es noch weitere Personen in der Polizei gibt, die eine Offenheit oder eindeutige Tendenz zu Rassismus und Rechtsextremismus haben.
In einem schriftlichen Bericht an den Innenausschuss vom 24. September 2019 berichtete das Innenministerium, dass es seit 2017 insgesamt 104 Verdachtsfälle in der Polizei NRW gegeben hat, davon 100 bei der Polizei und 4 im Geschäftsbereich des Innenministeriums.
Selbstverständlich vertritt der weit überwiegende Anteil der Polizeibeamtinnen und -beamte in Nordrhein-Westfalen demokratische Werte und steht hinter unserer Verfassung. Die bekanntgewordenen Fälle erfordern ein konsequentes Handeln und verschiedene Maßnahmen, um diejenigen in der Polizei zu stärken, die für Vielfalt und Demokratie einstehen.
II.       Untersuchungen zu Einstellungen in der Polizei
Im Februar 2020 stellte die Polizei Hessen erste Ergebnisse der Umfrage zur Studie „Polizeiliche Alltagserfahrungen – Herausforderungen und Erfordernisse einer lernenden Organisation“ vor. Per Onlinefragebogen konnten sich Beschäftigte der hessischen Polizei an dieser Umfrage beteiligen. Diese Befragung ergab, dass sich 18,8 Prozent der Befragten als „mäßig rechts“, 1,6 Prozent als „rechts“ und 0,1 Prozent als „ausgeprägt rechts“ einordnen. Nahezu alle Befragten (97 Prozent) halten die parlamentarische Demokratie eher (27,7 Prozent) oder voll und ganz (69,3 Prozent) für die beste Staatsform. Jedoch stimmten 27,6 Prozent der Befragten der Aussage „Alles in allem wird Deutschland, wenn wir nicht aufpassen, ein islamisches Land.“ zu. Die Aussage „Alles in allem liegt die gesicherte Existenz Israels im nationalen Interesse Deutschlands, ist somit Teil unserer Staatsräson.“ lehnten 44,4 Prozent der Befragten ab. Im Vergleich mit Einstellungen in der Gesamtbevölkerung fällt die Zustimmung zur Demokratie deutlich höher aus. Auch die Zustimmung zu Offenheit und Toleranz, sowie eine positive Haltung zu Migration fallen höher aus, als in der Gesamtbevölkerung. (https://innen.hessen.de/presse/pressemitteilung/ergebnisse-der-umfrage-zur-hessischen-polizeistudie-praesentiert). Trotz der methodischen Kritik an der Studie ( https://www.hessenschau.de/politik/bereitschaftspolizei-bei-rechtsextremismus-studie-vergessen,panne-polizeistudie-rechtsextremismus-100.html) bietet sie einige Hinweise darauf, dass problematische Haltungen in der Polizei in Hessen existieren, diese aber scheinbar geringer ausgeprägt sind als in der Gesamtbevölkerung.
Ein ähnliches Bild ergibt die UMFELDER-Studie der damaligen Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in NRW (FHöV), die derzeit von der heutigen Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) fortgesetzt wird. In der Langzeit-Studie wurden Kommissaranwärterinnen und -anwärter zwischen 2013 und 2017 an vier Zeitpunkten im Studium bzw. das vierte mal ein halbes Jahr nach Eintritt in den Wach- und Wechseldienst befragt. Die Befragung ergab, dass „fremdenfeindliche“ Haltungen zu Beginn des Studiums bei den Befragten in vergleichbarem Maße vorhanden waren, wie in ihrer Alters- und Bildungsgruppe in der Gesamtgesellschaft. Im Laufe des Studiums sanken diese Haltungen. Und ein halbes Jahr nach Eintritt in den Polizeiberuf wurde ein erkennbarer, aber nicht-signifikanter Anstieg gemessen (Vgl. Dr. N. R. K., Prof. Dr. E. K., I. Z.. Umgang mit Fremdheit – Entwicklung im Längsschnitt der beruflichen Erstsozialisation (UMFELDER), in: Die Polizei Heft 5/2019)
Diese beiden kurz skizzierten Untersuchungen zu Einstellungen und Erfahrungen in der Polizei zeigen, dass ebenso wie in der Gesamtgesellschaft auch in der Polizei rassistische Haltungen vorhanden sind und diese im Laufe der Polizeiausbildung abnehmen können. Zudem gibt die UMFELDER-Studie einen Hinweis auf die Bedeutung von Supervision und Fort- und Weiterbildung für Polizeibeamtinnen und -beamten.
Erwartungen an eine Studie zu Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei
Die bereits von Innenminister Herbert Reul unternommenen Maßnahmen als Reaktion auf die Fälle von Rechtsextremismus in der Polizei NRW, wie der Einführung der Extremismusbeauftragten in den 47 Kreispolizeibehörden, der Sonderinspektion im Polizeipräsidium Essen und der Einrichtung des Sonderbeauftragten zu rechtsextremen Tendenzen in der Polizei, sind bereits richtige erste Schritte. Jedoch greifen diese Maßnahmen zu kurz. Denn sie thematisieren lediglich Bezüge zum Rechtsextremismus und lassen Einstellungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, wie Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit oder Antiziganismus, außer Acht. Dabei sind bereits diese Haltungen für die Polizei NRW inakzeptabel, zumal sie bereits einen negativen Effekt auf die Arbeit der Polizei haben können und zudem die Hinwendung zu rechtsextremistischen Haltungen begünstigen. Die Tatsache, dass die Chatgruppe „Alphateam“ von Beamtinnen und Beamten des Polizeipräsidiums Essen, in der die meisten strafrechtlich relevanten Inhalte geteilt wurden, im Jahr 2015 – also auf dem Höhepunkt der Debatte um die Zuwanderung von Geflüchteten – gegründet wurde, ist ein deutliches Indiz hierfür.
Bisher gibt es nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen über die Verbreitung rassistischer und menschenverachtender Haltungen in der Polizei und ihrer Effekte auf die Polizeiarbeit. Wenn Innenminister Herbert Reul sagt, „wir müssen schnellstmöglich herausfinden, woher diese Einstellungen kommen und wie wir sie verändern können“ ( https://www.tagesschau.de/regional/nordrheinwestfalen/nrw-polizei-103.html), dann ist es nur folgerichtig, eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag zu geben, die Einstellungen in der Polizei NRW untersucht. Auch wenn eine wissenschaftliche Untersuchung Zeit in Anspruch nimmt, kann sie wertvolle Erkenntnisse für Gegenmaßnahmen liefern. In dieser Zeit müssen selbstverständlich andere Maßnahmen bereits eingeleitet und implementiert werden, von denen nach bisherigem Kenntnisstand anzunehmen ist, dass sie positive Effekte haben werden; es ist kein Widerspruch, die Studie parallel zur Einführung anderer Maßnahmen durchzuführen.
Eine wissenschaftliche Studie über Einstellungsmuster in der Polizei wird valide Erkenntnisse über die Dimensionen des Problems liefern. Dies kann zudem auch eine Entlastung für die Polizei sein, wenn sich die bisherigen Untersuchungsergebnisse bestätigen, dass Einstellungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit bei Beschäftigten der Polizei im gleichen Maße oder gar geringer ausfallen als in der Gesamtbevölkerung.
Die Vorteile einer Studie über Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei liegen auf der Hand. Allein durch die Bereitschaft eine solche Studie durchzuführen, kann viel Vertrauen in der Gesellschaft zurückgewonnen werden, da hierdurch die Bereitschaft zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Problem signalisiert wird. Die Ergebnisse der Studie können Aufschluss darüber geben, wie weit rassistische und menschenverachtende Einstellungen in der Polizei verbreitet sind, wo sie strukturell verankert sind, welche Effekte sie auf die Polizeiarbeit und auf Betroffene von rassistischer Diskriminierung haben und vor allem, wie dem entgegengewirkt werden kann. Dafür müsste ein repräsentativer Anteil der Polizeibeamtinnen und -beamten an der Durchführung einer solchen Studie teilnehmen. Dies wird nur dann gelingen, wenn die Studie vom obersten Dienstherrn, also dem Innenminister, in Auftrag gegeben wird.
III.      Der Landtag stellt fest:
1.    Die Polizei hat eine besondere Stellung in der Gesellschaft und damit auch eine große Verantwortung. Alle Menschen in unserer Gesellschaft – unabhängig von Hautfarbe, Religion, Migrationsgeschichte, Geschlecht oder sexueller Identität – müssen darauf vertrauen können, dass die Polizei sie vor Gefahren schützt und nicht diskriminiert. Polizeibeamtinnen und -beamte, die einer gesellschaftlichen Minderheit angehören, müssen sich darauf verlassen können, dass sie von Kolleginnen und Kollegen nicht diskriminiert werden.
2.    Rassismus und Rechtsextremismus stehen in eindeutigem Widerspruch zu unsere freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die die Polizei schützt. Rassismus und Rechtsextremismus dürfen daher in der Polizei nicht geduldet werden.
IV.     Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1.    eine Studie zu rassistischen und menschenverachtenden Einstellungen bzw. rechtsextremen Haltungen in der Polizei NRW in Auftrag zu geben. Zudem soll untersucht werden, welche Effekte diese Einstellungen auf die Polizeiarbeit und auf Betroffene von rassistischer Diskriminierung haben, sowie Vorschläge für Gegenmaßnahmen erarbeitet werden.
2.    sich auf Ebene der Innenministerkonferenz für eine bundesweite Erfassung von rassistischen und rechtsextremen Vorfällen in den Polizeibehörden der Länder und des Bundes einzusetzen.