NRW steht für Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

I. Ausgangslage

Die Menschenrechtslage in der Türkei ist besorgniserregend. Die Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit wurden weitgehend eingeschränkt. Zehntausende von Bürgerinnen und Bürgern wurden verhaftet oder entlassen, darunter Lehrerinnen und Lehrer, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Oppositionspolitikerinnen und -politiker, Vertreterinnen und Vertreter der unabhängigen Justiz sowie Bürgerinnen und Bürger, die sich für eine offene, demokratische und laizistische Türkei einsetzen. Die Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel führt uns eindringlich vor Augen, wie sehr auch Journalistinnen und Journalisten und freie Medien Opfer der Repression sind.
Am 16. April 2017 soll in der Türkei unter den Bedingungen des Ausnahmezustands über die Einführung eines Präsidialsystems abgestimmt werden, das dem Präsidenten große Machtbefugnisse einräumt und in die demokratische Gewaltenteilung massiv eingreift. Auch die Venedig-Kommission, die im Namen des Europarates Verfassungsänderungen in den 58 Mitgliedsstaaten überprüft, sieht den geplanten Staatsumbau äußerst kritisch. Sie beklagt insbesondere den Abbau fast aller Kontrollmöglichkeiten, durch welche Parlament oder Justiz Entscheidungen des Präsidenten wirksam überprüfen und gegebenenfalls stoppen könnten, wie auch den politischen Rahmen des Ausnahmezustandes, unter denen der Staatsumbau durchgesetzt werden soll. Es steht zu befürchten, dass in der Türkei die Demokratie durch ein autokratisches System ersetzt wird. Spätestens seit dem 18. Februar 2017, als der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim bei einer Privatveranstaltung vor tausenden Menschen sprach, wird auch in Deutschland massiv für die Durchsetzung der Ziele der türkischen Regierung und für die Einführung eines Präsidialsystems geworben. Damit werden innertürkische Konflikte ganz bewusst in unser Land getragen.
Gerade Nordrhein-Westfalen ist ein Land, in dem Menschen mit Wurzeln in der Türkei seit Jahrzehnten umfassend in die Gesellschaft integriert sind. Sie sind fester Bestandteil in Vereinen, Gewerkschaften und Verbänden, sind verwurzelt in Nachbarschaften und Quartieren. Das ist auch das Ergebnis einer Politik, die für die türkischstämmigen Menschen erfolgreich auf mehr Teilhabe, Integration und Chancengerechtigkeit setzt. Sie gehören zu uns und deshalb setzen wir uns dafür ein, dass sie auch ein kommunales Wahlrecht erhalten.
Wir wissen auch: Die Türkei ist ein wichtiger Partner für Nordrhein-Westfalen und die Bundesrepublik Deutschland. Wir wollen gute Beziehungen mit der Türkei erhalten und entwickeln. Eine enge Partnerschaft braucht aber die Verständigung auf eine gemeinsame Wertebasis, zu der unabdingbar auch die Einhaltung der Menschenrechte, von Demokratie sowie die Wahrung von Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit gehören.

II. Der Landtag stellt daher fest,

dass die aktuellen Entwicklungen bei den Menschen- und Freiheitsrechten in der Türkei besorgniserregend sind,
dass die Einführung eines autokratischen Präsidialsystems in der Türkei mit weitgehenden Machtbefugnissen des Präsidenten nicht unserem Verständnis von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entspricht,
dass auf dem Boden des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bundesrepublik Deutschland kein Wahlkampf für die Einführung eines autokratischen Systems betrieben werden darf, weder von türkischen Regierungsvertretern noch von Präsident Erdogan.

III. Der Landtag beschließt:

Der Landtag von Nordrhein-Westfalen erklärt sich solidarisch mit allen Opfern der Repressionspolitik in der Türkei. Er fordert ein umgehendes Ende der massenhaften Repressionen und die Herstellung demokratischer und rechtstaatlicher Verhältnisse in der Türkei.
Der Landtag bittet die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen,
sich bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, darauf hinzuwirken, dass alle zu Unrecht Inhaftierten umgehend freigelassen werden und die im Zuge der Repressionsmaßnahmen Entlassenen und Verfolgten umgehend zu rehabilitieren sind,
jeder Art von Denunziation und Bespitzelung wegen angeblich türkeikritischer Haltungen in Nordrhein-Westfalen entschieden entgegen zu treten,
die Bundesregierung gegenüber der Türkei dabei zu unterstützen, deutlich zu machen, dass Auftritte des Staatsoberhauptes sowie von türkischen Regierungsvertretern im Land bis zum Ende des Referendums nicht erwünscht sind,
alle (verfassungs-)rechtlich zulässigen Möglichkeiten zu nutzen, um erkennbar Wahlkampfzwecken dienende Auftritte Regierungsverantwortlicher zu verhindern.